Kapitel 12 - GRIMMige Teeblätter
Am nächsten Morgen wurden beim Frühstück die Stundenpläne verteilt. Ich hatte gleich am ersten Tag zwei meiner neuen Fächer: Wahrsagen und Pflege magischer Geschöpfe. Beides hatte ich mit Dean zusammen, während Eva zwar Pflege magischer Geschöpfe gewählt hatte, aber Arithmantik und Muggelkunde, statt Wahrsagen. Hermines Stundenplan ergab keinen Sinn, da sie laut Plan in verschiedenen Fächern gleichzeitig sein sollte. Ron wollte schon McGonagall Bescheid geben, aber Hermine blaffte ihn an, dass schon alles seine Richtigkeit hatte. Tja, sie musste selber sehen, wie sie gleichzeitig überall sein wollte.
Der Unterricht begann gleich mit Wahrsagen, sodass ich meine beste Freundin erst später zu Pflege magischer Geschöpfe wiedersehen würde. Gemeinsam mit Hermine machte sie sich auf den Weg zu Arithmantik.
Dean und ich hingegen spazierten gemächlich zu dem Turm, in dem Wahrsagen stattfinden würde. Eine silberne Leiter baumelte zu dem kleinen Vorzimmer herab. Wir wechselten überraschte Blick. Bisher kannten wir es nur vom Astronomieunterricht, dass wir Leitern hinaufsteigen mussten. Lavender und Parvati machten schließlich den Anfang. Von oben hörte man nur begeistertes Seufzen und andächtige Bewunderungslaute, es schien also der richtige Raum zu sein.
Oben angekommen stellte sich das Klassenzimmer als mit mythischem Krempel überladenes Zimmerchen heraus, dessen Temperatur deutlich über dem Rest des Schlosses lag. In der dampfigen Luft schwitzte ich fast augenblicklich. In dem Kamin in der Ecke brannte ein Feuer und der darüber hängende Topf verströmte ein penetranten, blumig-rauchigen Geruch.
„Gemütlich", kommentierte Dean sarkastisch, sobald er hinter mir aufgetaucht war. Auch er zupfte sich wegen der Wärme an seinem Pulli und versuchte sich so, Luft zuzufächeln.
Wir suchten uns einen Tisch weit hinten, sodass wir uns an die kühlende Steinmauer anlehnen konnten. Nachdem auch der Rest der Klasse Platz genommen hatte, und Neville und Seamus neben uns saßen, hieß uns die Lehrerin willkommen.
Sie war eine spindeldürre Frau, die dutzende Tücher um ihren Körper geschlungen hatte, die bei jedem Schritt klimperten. Mit ihrer dicken Brille wirkte sie wie ein Insekt. Vielleicht eine Gottesanbeterin.
Professor Trelawney stellte sich vor und hielt einen pathetischen Vortrag über ihr Fach. Gleich von Anfang an stellte sie klar, dass die Kunst der Weissagung nicht aus Büchern gelehrt werden konnte, was Hermine ihr Lächeln aus dem Gesicht wischte und durch Entsetzen ersetzte. Vielmehr ginge es um das dritte Auge. Wir würden mit Teeblättern anfangen und uns langsam durch die verschiedenen Arten der Zukunftsvorhersage arbeiten.
„Nun geht und holt euch eure Teetassen", forderte sie uns mit ihrer künstlich rauchigen Stimme auf. Als Neville an ihr vorbeilief, hielt sie ihn an der Schulter fest. „Du mein Lieber holst dir bitte ein Service von dort drüben. Ich hänge zu sehr am rosa Geschirr."
Verwirrt wechselten Dean und ich einen Blick. Uns wurde aber klar, was sie gemeint hatte, als mit einem lauten Scheppern Nevilles Tasse kaputtging. Vielleicht war sie doch keine vollkommene Schwindlerin.
Wir gossen uns Tee auf und tranken ihn aus, bis nur noch die Teeblätter in der Tasse zurückblieben. Die Hitze des Tees brachte mich noch mehr zum Schwitzen. Stöhnend zog ich mir meinen Pulli aus und hockte nur noch in meiner weißen Bluse da. Sonst erlitt ich hier noch einen Hitzschlag.
„Nun tauscht die Tassen." Trelawney war direkt neben uns aufgetaucht. Mit ihren um ein vielfaches vergrößerten Augen blickte sie von Dean und mir hin und her.
„Jede Liebe hat ein Ende", verkündete sie in dramatischem Tonfall und griff sich an ihr Herz. Dann tätschelte sie noch Deans Kopf und ging zu Neville hinüber. Ich hörte, wie sie ihn nach dem Wohlbefinden seiner Großmutter befragte.
Verwirrt sahen mein Freund und ich uns an. War es so offensichtlich, dass wir ein Paar waren? Dann fiel mir ein, dass wir uns letztes Jahr am Ende für jeden sichtbar in der Großen Halle geküsst hatten. Trotzdem war es kein schöner Gedanke, dass Dean und ich irgendwann kein Paar mehr sein sollten.
Um abzulenken, schnappte ich mir seine Tasse. Um ehrlich zu sein, sah ich einfach nur Teeblätter, egal, wie sehr ich sie auch drehte. Schließlich ließ ich meiner Fantasie freien Lauf und suchte gezielt nach Formen.
„Das hier könnten zwei Kreise sein", sagte ich deutete darauf. Dean nickte und suchte in Entnebelung der Zukunft nach der passenden Bedeutung.
„Der Kreis steht für Liebe", fasste er den Artikel zusammen, der sich über eine Seite erstreckte. Ich drehte das Buch zu mir.
„Also zwei verschiedene Liebesbeziehungen oder zwei Personen in Liebe ... Und ich weiß nicht, wieso, aber für mich sieht das dort aus wie eine Giraffe! Siehst du, da. Giraffen stehen für ..." Ich blätterte im Buch. „Für ein Missverständnis."
„Klingt doch gar nicht mal so schlecht", fand Dean und lächelte. „Vielleicht trennen wir uns ja wegen eines Missverständnisses und kommen dann wieder zusammen."
In meinen Ohren klang eine mögliche Trennung durchaus schlecht. Allgemein jede Trennung oder Streit. Aber vielleicht war ich durch den Verlust meiner Eltern und meiner Ziehfamilie vorbelastet. „Soll ich bei dir weitermachen oder möchtest du meine Tasse haben?"
„Du kannst ja gleich nochmal weitermachen. Jetzt interessiert mich aber deine Zukunft." Er grinste und angelte sich meine Tasse. Auch Entnebelung der Zukunft drehte er wieder zu sich.
„Hier sehe ich eine Trommel, die für Gerüchte steht. Das passt ja sogar. Hier ein Berg oder vielleicht eher ein Flügel." Rascheln im Buch. „Also entweder, dir steht eine Reise bevor oder es gibt Neuigkeiten. Und weil hier noch zwei Linien parallel zueinander verlaufen, würde ich auf die Reise tippen. Die wegen den Linien auch noch lohnend sein soll."
„Wohin die Reise gehen soll, siehst aber nicht zufälligerweise, oder?
Er schüttelte den Kopf. „Mein Herz sehe ich leider nirgendwo."
Ich verdrehte die Augen. „Was besseres ist dir nicht eingefallen?"
Liebevoll grinste er mich an. „Du bist das Beste, woran ich denken kann."
Vom Nachbartisch machte Seamus Würgegeräusche. „Könnt ihr nicht mal beim Teeblätter-lesen aufhören, Süßholz zu raspeln? Sonst werde ich hier noch eifersüchtig."
Neville lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf sich zurück, weil er bei Seamus glaubte, eine Schere gesehen zu haben.
„Bevor sich unsere Nachbarn noch übergeben, sollte ich vielleicht weitermachen." Bereitwillig reichte Dean mir das Buch zurück.
„Das könnte eine Feder sein und würde somit bedeuten, dass größere Anstrengungen erforderlich sind. Kein Wunder, wenn ein neues Schuljahr begonnen hat."
„Klingt plausibel."
„Und hier hopsen ein paar Schaf über einen Regenbogen und fressen Pilze." Allmählich begann es mir sogar richtig Spaß zu machen. Die Zwillinge hatten recht behalten und es ging hauptsächlich darum, kreativ zu sein, Dinge zu erkennen und dann in ein stimmiges Gesamtbild der Zukunft zu verwandeln. Anders als ihre blöden Würfelprognosen. „Das heißt, dass dein Glück sich wohl noch verzögert."
„Nun, man muss für sein Glück kämpfen, deshalb überrascht mich das auch nicht sonderlich."
„Jetzt habe ich aber wohl wirklich alles rausgelesen, was zu sehen war, sonst deute ich alles noch um und halte die Giraffe auf dem Kopf doch eher für eine Ratte."
„Wie gut, dass bei dir noch so viel mehr ist. Hier ist beispielsweise ein Zepter, also erwartet dich mehr Verantwortung. Und hier könnten Löwe und Schlange gegeneinander kämpfen." Ich beugte mich zu ihm hinüber und konnte in den totgekochten Blättern wirklich eine Großkatze entdecken, die mit erhobenen Pranken auf ein geschwungenes Etwas sprang. Durch die elegante Kurve, die fast ein wenig an ein „S" erinnerte, konnte ich es mir tatsächlich gut als Schlange vorstellen. „Der Löwe steht für hilfreiche Freunde und die Schlange für Versuchung und Falschheit. Folglich helfen deine Freunde dir im Kampf gegen die Versuchung oder Falschheit. Auf meine Hilfe kannst du schon mal zählen."
Ich hatte bei Schlange und Löwe eher an etwas anderes gedacht. Nicht umsonst waren es die Symbole für zwei Häuser in Hogwarts. Besonders letztes Jahr hatte ich auch oft an der Entscheidung des Sprechenden Huts gezweifelt, nachdem ich von meiner Fähigkeit als Parselmund erfahren hatte. Vielleicht kämpften die Eigenschaften der beiden Häuser noch immer in mir an.
Ein Schrei riss mich aus meinen Gedanken. Trelawney hatte ihn ausgestoßen. Sie stand bei Harry und Ron und starrte den Schwarzhaarigen mit purer Angst im Gesicht an. „Mein lieber Junge, du hast den Grimm!"
Entsetzt atmete ich ein. Lavender erschrak so sehr, dass ihr einige Tränen über die Wangen kullerten und Parvati sie trösten musste. Verwirrt fragte mich Dean flüsternd, was denn ein Grimm sei. Doch mir wurde die Erklärung abgenommen. Kreischend teilte die Wahrsagelehrerin allen mit, dass es das schlimmste Omen des Todes war. Harry würde bald sterben.
Der Todgeweihte wirkte eher verwirrt, als ernsthaft besorgt.
„Das ist doch albern", widersprach Hermine. „Wieso sollte Harry plötzlich sterben müssen? Für mich sieht er kerngesund aus!"
Trelawney runzelte missbilligend die Stirn. „Du siehst ja auch nur mit deinen beiden Augen. Wenn du so wie ich dein drittes Auge benutzen würdest, könntest du bereits die Dunkelheit in seinem Körper sehen. Bald wird sie ihn ganz besitzen."
„Ach ja, wo soll diese Dunkelheit denn sein?", hakte Hermine nach und verschränkte die Arme vor der Brust. Noch nie hatte sie sich derart aufmüpfig gegenüber einer Lehrkraft verhalten.
„In seinem Kopf natürlich", sagte Trelawney, als wäre es das Normalste der Welt, dass ein Schüler ihrer Klasse mit Dunkelheit in seinem Kopf herumlief.
„Und Sie meinen nicht zufälligerweise seine Haarfarbe?"
Lavender und Parvati keuchten ganz vorne auf. Sie konnten es nicht fassen, dass Hermine der Wahrsagerin ihre Prophezeiungen nicht glaubte.
Der Gong zur nächsten Unterrichtsstunde erlöste die erzürnt nach Erwiderungen suchende Lehrerin. Wir packten unsere Sachen zusammen und verließen das Klassenzimmer. Als Lavender an ihr vorbeilief, warnte Trelawney sie nur: „Das Ereignis, das du fürchtest, wird am 16. Oktober eintreten." Dann drehte sie sich um und sank kraftlos in einen Sessel. Als derart prophetische Person musste es bestimmt schwierig sein, sich mit uns Ungläubigen zu umgeben.
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So, da ihr Spürnasen ja sonst immer sofort auf alle versteckten Botschaften kommt, habe ich heute mal dieses Kapitel als Geschenk für euch. Ihr könnt ja mal eure Theorien und Entschlüsselungen schreiben. Und in etwa drei Monaten schauen wir dann, wer recht hatte! xD
(Dazu könnte der externe Link ganz hilfreich sein ^^)
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