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Kapitel 9 - Gerüchteküche

Mit viel Schwung knallte die dunkle, mit bunten Glasscheiben gezierte, Tür hinter Lovinos Rücken zurück ins Schloss. Verkrampft behielt er seine Hand an der Klinke und konnte sich nur zögerlich dazu überwinden, den Eingangsbereich zu verlassen, da ihm Antonio bereits zu weit entfernt erschien. Wäre dies nicht eine erdrückende, angstvolle Situation, hätte es ihm nicht egaler sein können, doch gerade in Momenten wie diesen, wo Lovino seine Furcht in jeder Zelle seines Körpers fühlte, klammerte er sich automatisch an die erstbeste Person, um nicht dem Wahnsinn zu erliegen. Wie ein unsicheres Kind trottete er hinter Antonio her und ignorierte gekonnt den verrückten Stimmenwirrwarr, der in einer belebten Bar als täglich Brot galt. Waren sie hier drin tatsächlich sicher? Wie kam er nach Hause, wenn so jemand draußen in den Straßen herumspukte? Würde Antonio ihn allein lassen?

Lovino klapperte mit den Zähnen, bemühte sich aber mit aller Kraft, Ruhe zu bewahren. Unterdessen unterdrückte Antonio seine negativen Gefühle, sodass er sie selbst nicht mehr spürte. Er hatte kaum ein Problem damit, es tat dies häufig aus Gewohnheit. Zudem war es die bessere Option, denn wenn er anfinge, sich dem Terror zu übergeben und Ängste auszustrahlen, endete alles in einem überladenen Chaos und Lovino könnte ebenso harsch darauf reagieren, wie es einst nach jenen Vorfällen geschah, in denen sein Bewusstsein mit dem Zusammenbruch gedroht hatte. Es täte ihnen beide nicht gut...
Ob es Emma gut ging? Sie war noch allein unterwegs...

Schnaufend lehnte sich der Spanier an der Wand an, sah von weitem schon zahlreiche Herren, wobei einige von ihnen ebenfalls eine grüne Nelke in der Jacken- oder Hemdtasche stecken hatten. Vielleicht hätte er später die Chance mit ihnen ins Gespräch zu kommen, doch nun hatte er keine Zeit. Besorgt sah er zu Lovino, der sich wortlos neben ihn gesellte. Die braungebrannte Haut wirkte blässer, beinahe kränklich und Antonio vermutete bereits, dass es Lovino übler ging als angenommen. "Alles okay?" Antonio runzelte betroffen die Stirn und legte seine Hand behutsam auf Lovinos Schulter. Flüchtig zuckte dieser zusammen, überrascht von der plötzlichen Berührung, die ihm winzige, aufgeregte Blitze durch die Haut schleuderte. Dennoch besänftigte ihn die physische Nähe und er fühlte sich darin bestätigt, mit seinem Unwohlsein nicht allein zurückgelassen zu werden.
Man vergaß ihn nicht.
Jemand war für ihn da.

"Schon gut." Mehr brachte der junge Mann nicht mehr über die Lippen; eine innere Macht unterließ jedes einzelne Wort, das zu viel hätte sein können. Lovino war Reden nicht mehr zumute und er benötigte Zeit für sich allein, um mit der Aufregung in seinem Herzen, in seiner Seele, zurechtzukommen. Er stieß die Nähe zu anderen weg, sehnte sich allerdings zugleich danach. Diese zweischneidige Klinge um Lovinos Wohlergehen erzwang sich zumindest eines der zwei Dilemmas: entweder fühlte er sich von der Aufmerksamkeit und Fürsorge anderer erdrückt oder er verschloss sich hilflos inmitten seiner Einsamkeit.

Antonio akzeptierte seine Antwort, zog seine Hand von Lovinos Schulter zurück und Kälte brach über jene Stelle ein, die sich nun verzweifelt nach der vergangenen Wärme und Nähe sehnte. Ein tiefer Atemzug...und Lovino schüttelte seine aufgewühlte Last sofort ab, in der Hoffnung, sie möge nicht mehr zurückkehren. Jedenfalls wäre dies sein Wunsch gewesen, denn seine Furcht lauerte tief in seiner Seele darauf, wieder ins Leben gerufen zu werden und sich an der Machtlosigkeit Lovinos zu verzehren.
Er war einfach eine K-

"Toni! Du bist spät dran!", krachte eine Stimme aus der Menschenmenge zu Lovino und Antonio hervor, "Du hast den ganzen Anfang verpasst! Hedvika und Ján haben schon wieder eine Wette am Laufen und-" Aus dem Menschengetümmel kämpfte sich ein blonder Mann hervor, den Lovino nicht kannte. Er hatte seine Haare in einen Zopf gebunden, den er locker über seine Schulter hängen ließ. In seiner Jackentasche konnte Lovino zwar keine grüne Nelke erkennen, dafür aber ein kleines Bündel verschiedener Blumen in rosa, gelb und blau. Lovino hob verwirrt die Augenbrauen. Was zum Teufel war hier los? War das hier ein dummer Blumentreff oder warum trug auf einmal jeder Unkraut in der Weste?

So langsam glaubte der Süditaliener ernsthaft, dass seine Vermutung mit der Hochzeit von vor wenigen Minuten sogar gut möglich war. Dort bekam man doch auch oft Anstecker für den Anzug oder das Kleid.

"Nanu?", kaum hatte der Blonde Antonio erreicht, lenkte er seine Aufmerksamkeit auf Lovino, worauf er sich anschließend wieder zu seinem Bekannten wandte, "Ich wusste gar nicht, dass du in Begleitung kommst."

Antonio drückte sich augenblicklich von der Wand weg, kratzte sich peinlich berührt am Hals und ein unsicheres Grinsen malte sich auf sein Gesicht. "Naja, ich wusste es bis vor ein paar Sekunden auch nicht, um ehrlich zu sein." Plötzlich legte er seinen Arm um Lovinos Schultern und zog ihn etwas zu sich. Lovino hielt die Luft an. "Francis, das ist mein guter Freund Lovino. Und Lovino, das da ist Francis. Ihm gehört der Laden hier."

"Ah, also er ist der Typ, den du in letzter Zeit so oft erwähnst!", Francis grinste hämisch und klopfte Antonio wohlwissend auf die Schulter, "Viel Glück." Anstatt eine Antwort zu erhalten oder jegliche aussagekräftige Reaktion zu bekommen, stand beiden jungen Männern lediglich ein Fragezeichen im Gesicht geschrieben. Francis seufzte auf und wandte sich zu Lovino. "Weißt du, Kleiner, Toni ist manchmal etwas langsam im Denken. Darum starrt er manchmal Löcher in die Luft. Sein Kopf braucht seine Zeit bis er wieder in Schwung kommt, das kommt davon, wenn man ihn vielleicht einmal in drei Monaten benutzt."

"Uhhh...", der Italiener hatte keine Antwort darauf parat, egal wie er sich seine Phrasen zurechtlegte. Vor allem kannte er diesen Francis kaum. Und er roch penetrant nach Wein und starkem Parfüm, dass er schon fast ein wandelndes Betäubungsmittel sein könnte. Stünde er ihm noch länger gegenüber, dann konnte er sich sicher sein, dass sein Verstand am Ende noch benebelter war, als der von dem Slowaken Ján, der den Saufwettbewerb gegen seine tschechische Freundin Hedvika verloren hatte und nun leblos den Kopf am Bartisch ablegte.

Doch nun machte es endlich auch in Antonios Kopf "Klick" und er registrierte die versteckte Aussage in Francis' Worten. "Hey! Das stimmt so gar nicht! Lovino, hör gar nicht auf den, der redet nur Unsinn!" Der Brünette mit dem Lockenkopf verschränkte die Arme vor der Brust und schmollte wie ein Kind vor sich hin. Warum haute Francis bei der ersten Begegnung mit Lovino augenblicklich alle Details heraus? Manche davon hätte der Spanier lieber verschwiegen. Allerdings...hatte ihn auch jene Äußerung einige Sekunden Denken gekostet und womöglich hatte Lovino der Tatsache bereits ins Auge gesehen, dass Antonio manchmal nicht ganz mitkam.

Lovino grinste verschmitzt, bemühte sich aber unter allen Umständen, sich dieses Schmunzeln zu verkneifen. Antonio war ein Idiot. Er war dumm, etwas verpeilt und neben der Spur, aber auf eine positive, belustigende Art und Weise, die bei Lovino Anklang fand. Es machte den knapp Älteren sympathischer. Trotz der heiteren Stimmung verfiel Lovino immer wieder dem Gedanken an die Gefahr, die außerhalb jener Bar auf sie lauerte. Ob die dunkel gekleidete Gestalt noch in den einsamen Gässchen unterwegs war? War sie tatsächlich eine Bedrohung oder hatten Antonio und er in ihrer Unsicherheit und Vertrauensschwächen übertrieben und der Gestalt einen falschen Ruf angehängt?

"Schon gut, Antonio", der Blonde mit dem Zopf riss Lovino wieder aus den Gedanken und musterte ihn gründlichst, sodass der Süditaliener perplex mit den Wimpern klimperte. Sein Blick wanderte zu dem Mann neben ihm - auch hier analysierte er ihn von oben bis unten - und eine erkundigende, sorgenvolle Mimik trat hervor. "Ihr seht blass aus, ist etwas passiert?"

Lovino suchte sich die Worte zusammen; sie lagen ihm förmlich auf der Zunge und er hätte sie am liebsten aus seiner Seele herausgeschleudert, um seine innere Unruhe wie ein Blatt Papier zu zerreißen und ihre Schnipsel dem Wind zu übergeben, der sie in der Welt herumtrug und letztendlich verdorren ließ. Aber kein Ton wagte es sich, über seine Lippen zu kommen. Sein Hals schnürte sich zu, die Sprache ließ ihn fallen und jene Entgegnungen, die er sich einst zurechtlegte, verschwanden in einem schwarzen Nichts seiner Vergesslichkeit. Leere herrschte in seinem Kopf und seine Zeit blieb für den Augenblick eines Wimpernzuckens stehen. Wie hätte er Francis erklären können, dass sie jemand Verdächtiges nahe seiner Bar gesehen hatten, aber keine hundertprozentigen Beweise besaßen?

Inzwischen hatte Antonio die Initiative ergriffen und stahl somit Lovino die Chance, sich einzubringen. "Also", Antonio bemerkte die vielen Menschen um sie herum und lehnte sich zu Francis vor, um ihm unauffällig wie möglich von dem Zwischenfall zu erzählen, ohne zu viel Aufsehen zu erregen oder gar Panik zu schieben. Der Franzose mit dem langen Haar nickte still, verzog aber keine Miene. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzten seine Iriden in Lovinos Richtung, ehe sie sich wieder auf den Boden konzentrierten. "So ist das...", Francis schaute zwischen Lovino und Antonio umher, die Augenbrauen sacht angehoben, "Kommt und setzt euch erst einmal wo hin und ruht euch aus. Ich werde den ersten, die uns verlassen werden, davon berichten, damit sie Bescheid wissen."

Ein Nicken entgegnete ihm als Antwort und mit einem Blick über die Schulter suchte Antonio nach seinem Freund, damit dieser nicht in dem menschlichen Wirrwarr verloren ging. Lovino sah auf, folgte zugleich dem Spanier auf Schritt und Tritt.

Einzig und allein das Verlangen, nicht auf sich allein gestellt zu sein, trieb ihn voran und klammerte ihn an seinen Freund, den sein Unterbewusstsein als sicheren Hafen annahm und als wichtigste Anlaufstelle einprägte. Es mochte kindisch und unreif wirken, von der Präsenz eines anderen abhängig zu werden, aber Lovino hatte in jenem Moment andere Sorgen und es ging ihm regelrecht am Arsch vorbei, ob sein Verhalten nun erwachsen und selbstsicher wirkte.
Er war noch jung.
Er war noch unerfahren und auf seiner ersten selbstständigen Reise.

Er war gerade erst aus dem Haus seines Großvaters entschlüpft und stand auf eigenen Beinen.
Ohne Großvater.
Ohne seine Brüder.

Lovino ließ sich erschöpft auf die Sitzbank fallen. Die gepolsterten Sitzflächen aus rotem Stoff sahen eindeutig weicher aus als sie tatsächlich waren, denn selbst eine billige Matratze wäre bequemer. Dem Anschein nach hatte Francis mehr Geld in die dunklen, auf Hochglanz polierten Mahagoni-Tische investiert, anstatt für Bequemlichkeit zu sorgen. Lovino stützte seinen schweren Kopf mit den Händen ab, zeigte gegenüber den anderen Anwesenden eine eher abweisende Körperhaltung, die ihn mit dem Hintergrund verschwimmen ließ. Antonio dagegen wirkte zunehmend freier und willkommener.

Hatte er bereits vergessen, was auf der Straße passierte?
Verdammt, sowas hätte Lovino auch gerne gekonnt.

Worte wurden durch den begrenzten Raum geworfen, manche davon erreichten nie ihren Empfänger oder wurden verschwiegen. Mit lautem Krach plumpsten die ersten Angetrunkenen von ihren Stühlen, ein müder, verlorener Blick zeichnete sich auf ihre Visage und die Körperkraft in ihnen schwand binnen Sekunden. Ján war einer dieser Menschen, die es bis zur Spitze trieben und nun von Hedvika zum schwarzen Sofa gezerrt wurde, damit er nicht im Dreck kauernd vor ihren Füßen lag.

Lovino sah genauer hin.
Keiner von ihnen trug eine grüne Nelke.

Dennoch kam jenes Symbol auffallend häufig in den Kleidungsstilen der männlich erscheinenden Gäste vor, fast so, als gehören jene mit gleicher Ansteckblüte zusammen wie ein Memorypärchen.

Die Vermutung mit der Hochzeit hatte Lovino nun endgültig verworfen; er hatte keinerlei Brautleute entdecken können, geschweige denn einen Kuchen erblickt.
Nein, die Nelke musste eine andere Bedeutung besitzen.

"...Schlimm! In der Stadt gibt es komische Leute. Die Männer mit dem grünen Unkraut in der Jackentasche sind die irrsten...Vor allem sind es so viele! Das muss ein schlechter Trend sein, denn zu meiner Zeit..."

"Lovino, mit solchen komischen Leuten solltest du dich nicht abgeben, die ruinieren dich nur und reden dir Nonsens ein."

Erneut schlich sich die Konversation zwischen seinem Opa und dem Nachbar in seine Gedanken ein. Das sogenannte 'grüne Unkraut' erinnerte ihn stark an die Nelke, die Antonio beispielsweise mit sich herumschleppte. Dennoch hatte er bis jetzt keinen 'Irren' gesehen. Jeder Gast verhielt sich normal, egal ob Nelkenanstecker, Blumenbündel oder nicht. Es gab ernste, es gab humorvolle, es gab kindische, es gab idiotische und es gab schüchterne Menschen unter den Nelkenträgern, ebenso zeigte sich ein identes Bild bei denen, deren Taschen leer waren. Auch die Damen mit den Veilchen hatten keineswegs etwas Eigenartiges an sich, bis auf die Tatsache, dass sie mehr oder weniger bezüglich der Blumen im Partnerlook unterwegs waren. Ansonsten erkannte Lovino keinerlei Unterschied. Nichtsdestotrotz wollte er dem Geheimnis auf den Grund gehen. Es musste einen Grund geben, weswegen sein Opa so negativ über die Männer mit grüner Nelke sprach. "Die alle tragen Nelken wie du, Antonio. Warum eigentlich? Ist das irgendein Trend, den ich nicht verstehe oder hat das einen Grund?"

Antonio schwieg; seine Finger zuckten.

Seine smaragdgrünen Iriden wechselten dauerhaft ihren Fokus, sahen einmal auf seine Nägel, ein anderes Mal zu Lovino und dann wiederum auf die zahlreichen Gäste. Ihm war es unangenehm oder er fühlte sich überrumpelt, da war sich Lovino sicher. Weswegen nur? Er hatte lediglich eine einfache Frage gestellt oder hatte gerade diese einen empfindlichen Nerv getroffen?

Lovino vermutete bereits, dass der Spanier das Gesprächsthema immer weiter von sich wegschieben würde, wie vor wenigen Minuten auf der Straße, als er fragte, wohin er denn gehen wollte, aber dann traute er sich plötzlich Lovino zu antworten. Antonio konnte es selbst nicht glauben. Innerlich sträubte er sich gegen eine wahre Antwort, zugleich strebte er nach Ehrlichkeit. "Nun ja...wie soll ich es sagen? Es ist so, dass ich-"

Aus dem Nichts plumpsten zwei ungeladene Damen neben ihnen auf die Bank, unterbrachen Antonio in seinem Geständnis und waren offensichtlich vom Alkohol beschwipst. So zeigte sich dies in ihrem zerzausten Haar oder den glasigen Augen, dennoch blieb ihnen die gute Laune erhalten.

Lovino fluchte in Gedanken. Gerade als Antonio ihn aufgeklärt hätte, mussten Michelle und Emma reinplatzen, wobei beiderlei Veilchen oder Lavendelmotive in ihren Kleidern und Frisuren aufwiesen. "Hey, Antonio, altes Haus, dass du dich auch einmal abends hier wieder mal blicken lässt! Ist dir die stickige Wohnung endlich mal zu langweilig geworden?" Emma nahm einen kräftigen Schluck von ihrem Wein und hustete vor Gier.

Antonio atmete erleichtert durch. Zumindest konnte er sich sicher sein, dass Emma nichts geschehen war, seitdem sich ihre Wege kurzzeitig getrennt hatten. Sie wollte Michelle abholen, damit diese nicht dazu gezwungen war, allein zu gehen und Antonio hatte eigentlich beschlossen für alle einen Tisch zu besetzen, bis die volle Gruppe eingetroffen war. In der Zwischenzeit trieb jedoch der gruselige Schatten sein Unwesen und der Spanier hatte bereits Sorgen, dass seine Freunde in Gefahr sein könnten. Glücklicherweise legte sich diese Angst nun.

"Emma, du warst doch diejenige, die mich aus dem Haus gezerrt hat! Du hast so lange herumgejammert, bis ich zugesagt habe...", raunte der Brünette unbeeindruckt und stützte den Kopf mit einer Hand.

Michelle schlug sich mit der Hand ins Gesicht und lächelte peinlich berührt zu Lovino rüber. "Das machen die zwei andauernd. Am besten ist es, du ignorierst ihre Streitereien. Emma und Toni sind beide Sturköpfe und unbelehrbar."

"Sind wir gar nicht!", protestierten beide im Chor und schmollten beinahe synchron. Wie konnte es Michelle nur wagen, die beiden gleichzustellen? Sie waren unterschiedlicher als ein Vogel und ein Stück Brot!

"Also ich sehe hier gerade auch nichts Anderes als Beweise." Nun mischte sich auch Lovino ein und grinste verschmitzt zu den beiden rüber. Beide freundschaftlich aufzuziehen und zu ärgern befriedigte Lovinos inneren Schweinehund, der ihm zudem seit Jahren den Hang zum Zynismus und Sarkasmus verpasste.

"Ou, schau mal, siehst du die zwei da hinten?" Michelle packte Lovinos Schulter überraschend fest und zeigte in absoluter Lästerfreude - und eindeutig vom Alkohol beeinflusst - auf zwei ältere Herrschaften, die geduldig und ruhig am Bartisch Platz genommen hatten und einander anlachend ihre frisch befüllten Weingläser leerten. Keiner der beiden trug ein Blumengesteck, aber durch ihre blutroten Accessoires und Kleiderwahl wirkten sie eher wie Teilnehmer eines Opernballes als Barbesucher. "Der Typ da", sie zeigte auf die mollige Person, dessen schwarzes Haar glatt gestriegelt nach hinten gebürstet war und dennoch einige graue Strähnen gegen die sacht gerunzelte Stirn fallen ließ, "der hängt wie ein Schoßhund an der Frau neben ihm. Anscheinend hat er keine Freunde, weswegen er den ganzen Tag nichts anderes zu tun hat, als Packesel zu spielen."

"Wow, das ist...irgendwie schon traurig." Mehr fiel Lovino spontan nicht ein und er hob perplex die Augenbrauen. "Hat er kein Leben oder so?"

"Denk nicht, sonst würde Giovanni auch mal etwas machen, ohne Maria bei sich zu haben. Die beiden sind nicht mal zusammen." Emma schüttete sich noch mehr Alkohol ins Blut. "Aber ich kann's verstehen, warum er sich um sie sorgt und so?"

"Sorgen? Warum?" Jetzt wurde auch Lovino neugierig und ließ sich von den lästernden Ladies beeinflussen. Interessiert stemmte er den Kopf in die Hände und imitierte ein Kind, das nur darauf wartete, eine spannende Gute-Nacht-Geschichte zu hören.

Doch Antonio runzelte nur verloren die Stirn und jammerte verzweifelt. "Mann, Emma, Michelle! Redet doch nicht immer so abwertend über Mitmenschen, das ist gemein. Der Alk tut euch beiden wirklich nicht gut!"

Michelle funkelte den Spanier böse an und verschränkte die Arme vor der Brust. "Aber bei Lovino ist es egal, oder wie?" "Naja, bei ihm-"

"Shht, halt's Maul, Antonio, ich will die Geschichte hören!" Lovino grummelte, zeigte sich aber zugleich voller Tatendrang, wenn es ums Lästern ging. Seine Augen glänzten vor Neugier.

Mit siegessicherem Lächeln fuhr Emma also fort, Antonio musste sich geschlagen geben. "Also, wo war ich stehen geblieben? Aja! Der Frau neben ihm, sie heißt Marie oder Mariá, glaub ich, ging es voll lange richtig mies und anscheinend hat er sie aus dem Meer gezerrt, als sie dort mal fast ertrunken ist. Das hat sich dann natürlich rumgesprochen. Ich weiß den Grund nicht, wie das zustande kam, aber seit jeher klebt er regelrecht an ihrer Seite und es tut ihnen beide gut, vermute ich zumindest."

"Ah." Lovino nickte nur und Michelle setzte ohne Erlaubnis die Geschichte weiter fort.

"Er verwöhnt sie extrem. Kauft ihr teuren Schmuck und so und behandelt sie wie eine Königin. Ich glaub er bemüht sich wirklich, damit sie glücklich ist."

Mit der roten Krawatte um seinen Hals geschnürt und einen teuren Anzug tragend machte Giovanni, der Mann neben Mariá, seinem Gegenüber schöne Augen, lachte bei jeder humorvolleren Aussage ihrerseits und machte einen unsterblich verliebten Eindruck. Lovino zog es den Magen augenblicklich zusammen. Bäh, also derartig Hals über Kopf verliebt sein wäre ja fast schon peinlich für Lovino. Während Giovanni Mariá vergötterte und sie mit Komplimenten überhäufte, blieb sie relativ neutral, aber dennoch freundlich. Sie schien gar nicht so sehr auf seine Annäherungsversuche einzugehen. Viel lieber richtete sie sich ihr angegrautes Haar mit Haarnadeln zurecht und schenkte anderen Dingen mehr Aufmerksamkeit, wie beispielsweise ihr rubinrotes Kleid mit den bestickten Ärmeln oder die Halskette mit dem roten Edelstein.

Also nach gegenseitiger Wertschätzung und Zuneigung sah das eindeutig nicht aus.

"Und die da!", Emmas laute Stimme dominierte unter den Nebengeräuschen, die durch Lovinos Ohren zischten und Lovinos Blick haftete augenblicklich wieder auf ihr, wie sie mit dem Weinglas in der Hand auf eine junge Dame nur wenige Sitzplätze von Giovanni und Mariá entfernt zeigte, "Die mit den anderen Veilchenansteckern da, die hab ich letztens mit Acelya herumschmusen gesehen. Ich glaub, die ist lesbisch."

"Acelya?", Lovino wurde auf einmal hellhörig und musterte das Mädchen, über das sie sprachen, umso genauer, "Ich hab den Namen schonmal gehört."

"Ach echt?" Antonio schaute verdutzt drein und blickte über die Schulter zurück zu der Brünetten, die sich friedlich an die Schulter Acelyas anschmiegte und mit einem Stift Blumen auf deren Kopftuch malte.

"Hey, ist das nicht die Tochter von deinem Boss, Lovino? Chi...Chiara hieß sie, oder?" Michelle drehte sich mit dem Oberkörper zu Lovino und strich sich eine dunkle Locke aus der Stirn. Ihre braunen Augen blitzten vor Neugier auf.

"Aja, stimmt. Da war ja was", murmelte der Befragte und schaute noch ein letztes Mal auf das offensichtliche Pärchen an der Bar, "Ja, das ist wahrscheinlich Chiara. Enrico redet oft darüber, dass sie und Acelya gemeinsam in einem Haus am Stadtrand wohnen."

"Naww, süß...sie teilen sich ein Haus", schwärmerisch schaute Emma in die Luft, eine Prise Eifersucht mischte sich in ihren Tagtraum ein, "Hey, Michelle, legen wir uns auch ein Haus zu!"

"Wa-Was?", die junge Erwachsene wurde rot, beinahe panisch, "Ich...Ich meine, hast du überhaupt das Geld dazu? Du weißt, ich kann nicht so viel beitragen, weil...du weißt ja...Mein Arbeitgeber zahlt mir nicht mehr...weil..."

"Dann hau ich dem Arschloch eine rein, bis er dich genauso gerecht bezahlt wie alle anderen auch. Du bist so fleißig!" Zähneknirschend ballte Emma die Faust. In ihr brodelte die Wut wie offenes Feuer. Diese Ungerechtigkeit, deren Wurzeln tief in der Gesellschaft und ihrer Ignoranz verankert war, brachte sie zur Weißglut. Wenn Emma nur könnte, würde sie darauf hoffen, die Gesellschaft verändern zu können, aber was wusste sie schon von den Problemen, die ihrer Freundin Michelle tagtäglich als Hürden entgegenkamen? Emma führte ein privilegiertes Leben, ihre Freundin nicht. Michelle könnte ihr Leid so detailreich wie möglich beschreiben und dennoch könnte Emma den Schmerz nicht vollkommen nachvollziehen, da sie diesen nie erleben würde. Dennoch nahm sie sich fest vor, ihrer Freundin so gut es ging zur Seite zu stehen.

"Ich wünschte, das würde helfen, leider ist er nicht der Einzige, der mir so negativ entgegenkommen würde. Aber lass uns das Thema wechseln!", Michelle setzte blitzschnell ein fröhliches Lächeln auf und die bedrückte Stimmung war wie auf Knopfdruck vergessen, "Wusstet ihr, dass der Pfarrer neuerdings einen neuen Mesner eingestellt hat? Der alte Jean hat mir gesagt, dass er aus dem Norden kommt und kaum Italienisch spricht. Ich frag mich, wie Marco und der Mesner dann überhaupt miteinander reden?"

"Ich schätze auf Latein, das müssen die ganzen Kleriker sowieso lernen, außer einer oder beide können noch eine andere Fremdsprache." Lovino hielt die Hand vor dem Mund, als ihm spontan ein Gähner entwischte.

"Stimmt, das kann sein", stimmten ihm Antonio und die anderen zu und nickten mit dem Kopf. Die Gläser von Michelle und Emma waren bereits leer getrunken und auch der Raum hatte sich während ihrer Gespräche stetig weitergefüllt. Ein dicht aneinandergereihter Menschensalat machte es unmöglich, die andere Seite des Hauptraumes zu sehen und Lovino wurde schon schlecht, wenn er daran dachte, dass er sich durch diese Menge kämpfen müsste, sobald er den Heimweg anträte. Doch da stach ihm ein überdurchschnittlich großer blonder Mann aus der Menge ins Auge.

Abel musste wohl auch hier sein, immerhin kannte Lovino keinen, der annähernd so groß gebaut war wie Emmas Bruder.

"Sieh mal einer an, der Toni traut sich auch mal nachts wieder raus." Und schon war Abel bei ihnen angekommen und gesellte sich ungeladen zur ganzen Gruppe.

"Warum spricht das jeder von euch an? Kann man sich nicht einfach nur daran freuen, dass ich da bin?", protestierte Antonio, plusterte sich auf und ließ sich mit einem Mal richtig schön ärgern, sodass Lovino es sich verkneifen musste, ihn nicht zusätzlich in den Wahnsinn zu treiben. Seine Schadenfreude war tatsächlich die schlechteste Eigenschaft seines inneren Schweinehundes.

"Nanu? Hat da jemand etwa Angst im Dunkeln?" Ein fieser Grinser schlich sich auf Lovinos Gesicht und er funkelte den Spanier schelmisch an. Dieses Mal war der Spieß umgedreht und Antonio war derjenige, der sich als Hitzkopf entpuppte, wenn auch eher aus Schamgefühl heraus. "Was? Ich? Nein!", ein puterroter Schleier legte sich auf Antonios Wangen und seine Stimmlage schnellte massiv nach oben, "Was soll das denn?!"

Ein Schnaufen ertönte und Abel quetschte sich neben seine Schwester auf die Bank. Er legte den Kopf schief und raunte Emma kaum hörbar zu. "Also reden wir über peinliche Sachen von Antonio?" Sie konnte ihn jedoch kaum verstehen und ließ seine heimliche Frage ans Tageslicht kommen. Der Alkohol machte sie leicht rücksichtslos und zynisch und das warme Blubbern in ihrem Bauch stimmte sie glücklich.
"Tu dir keinen Zwang an, Abel, und erzähl einfach irgendwas."

Der sonst so grimmig guckende Mann sah angestrengt auf die geleerten Weinflaschen, die sich seine Schwester und deren Begleitung runtergeschüttet haben, ehe er aus seinem Schweigen herausbrach. "Er", sein Finger zeigte offensichtlich auf Antonio, "konnte erst mit 13 allein in einem Zimmer schlafen."

"Stimmt gar nicht!" Mit einem dumpfen Knall, gefolgt vom eisig klingenden Klirren der Weingläser traf seine Faust den Tisch. Das Rot an seinen Wangen blieb nun auch für Lovino unübersehbar. Er sah schlimmer aus als eine überreife Tomate, die jederzeit zerfallen könnte.
Was fiel seinen Freunden ein über solche Sachen beim Fortgehen zu tratschen? Vor allem, wenn Lovino noch nichts davon wusste...wahrscheinlich stempelte er Antonio bereits als peinlich ab.

"Oh, Abel, Emma, wisst ihr noch das eine Mal, wo wir Äpfel pflücken gegangenen sind und Antonio ist auf den Baum geklettert und dann konnte er nicht mehr run-", Michelle meldete sich nun auch zu Wort, wurde aber von Antonios angespanntem, beschämten Verhalten unterbrochen.

"Shhht!"

"Stimmt!", Emma zog das i extra in die Länge, "Oder wisst ihr noch von damals, als er mit achtzehn mal ein paar Flaschen Wein mitgehen lassen hat und am nächsten Tag weinend zurückkam, um sie zurückzugeben, weil er sich so schlecht gefühlt hat? Oder die eine Geschichte, wo er statt Münzen Knöpfe mit ins Wirtshaus genommen hat, weil er vorher bei seiner Oma war?"

"Oder damals-", wollte Abel nun endlich fortsetzen, aber Antonio machte ihm einen Strich durch die Rechnung und hielt ihm in Sekundenschnelle den Mund zu, damit ihm kein falsches Wort mehr von den Lippen kam.

"Ok, ich denke für heute reicht es mit den Geschichten von mir!" Verärgert zog er die Augenbrauen zusammen und ließ still von Abel ab, seine Ellbogen anschließend am Tisch abstützend.

"Die ganze Welt muss nicht von mir und meinem Leben wissen. Sonst bin ich ja gar nicht mehr so interessant und mein Charme leidet darunter!"

"Welcher Charme?" Lovino grinste ihm fies entgegen und stützte den Kopf mit den Händen. Schadenfreude strömte durch seine Adern, brachte ihm ein gutes Gefühl ein, obwohl ihm die Falschheit seiner verdorbenen Aktion bewusst war. Einem anderen hätte dieses Verhalten geschadet, doch Antonio hatte das Glück, dass er erahnen konnte, dass Lovino ihn auf freundschaftliche Weise zu necken versuchte.

"Bah, jetzt fällst du mir auch noch in den Rücken, Lovino. Bei den anderen habe ich es eh erwartet. Ich suche mir jetzt bessere Freunde, tschüss", Antonio tat so, als würde er aufstehen und die Gruppe verlassen wollen, setzte sich aber keine Sekunde später wieder hin. Seine überspitzte Aussage nahm auch ihm selbst den Ernst aus der Situation, und er begann, das Ganze humorvoll zu nehmen. Es füllten sich viele Stunden mit sinnlosem Getratsche, das Lovino in der Regel gar nicht erst hören wollte, aber nun sogar willkommen hieß.
Denn es half ihm, seine Unsicherheit zu vergessen.
Denn es half ihm, seinen Ängsten mit Positivem entgegenzuwirken.
Denn es half ihm, für zumindest eine kurze Zeit zufrieden zu sein.

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