Chào các bạn! Vì nhiều lý do từ nay Truyen2U chính thức đổi tên là Truyen247.Pro. Mong các bạn tiếp tục ủng hộ truy cập tên miền mới này nhé! Mãi yêu... ♥

Kapitel 27 - Versöhnung

(TW: Depressionen, su!z!dale Gedanken,...dw, es gibt ein Happy End!

Trotzdem bin ich nicht wirklich stolz auf das Kapitel, weil die Schreibblockade mich getroffen hat)

Atemlos lauschte Antonio den Worten seines Freundes. Jedes Wort schien surreal zu sein, Antonio konnte nicht ergreifen, was Abel ihm erzählte und dass, obwohl er sich durchaus vorstellen konnte, dass die Wahnsinnigen dieser Gruppe von Mördern auch zu unmenschlichen Mitteln wie die Folter greifen würden. Antonio wollte nicht glauben, dass man Abel derartig psychisch sowie physisch verletzte und dass lediglich aufgrund von Arbeitsverweigerung, denn man habe ihn niemals beschuldigt, sie zu hintergehen und zu verraten. Heißes Eisen und tief schneidende Worte, die sich nicht nur in die Seele, sondern auch in die Haut bohrten...Antonio wünschte sich, dass er sich alles Gehörte einbildete, am nächsten Morgen aufwachte und es sich als Traum herausstellte.

Jedoch konnte er Geschehenes nicht verändern und er hasste den Fakt, Abel nicht beigestanden zu sein. Hätte er nur diese eine Sitzung geschwänzt und wäre stattdessen Abel gefolgt...Vielleicht hätte er verhindern können, dass Abel derartig Schlimmes widerfuhr!
Allerdings hätte er zugleich nie erfahren in welcher Gefahr Lovino schwebte und er läge womöglich bereits unter der Erde. Oh, wie sich Antonio wünschte, sich zu dem Zeitpunkt in zweierlei Teile geteilt zu haben, aber leider war dies unmöglich.

"Sie meinten, dass das, was sie mir antaten, lediglich ein Vorgeschmack sei, falls ich nochmal die Arbeit verweigere. Deshalb ließen sie mich nach einem - ihrer Meinung nach - kurzen Prozess des Terrors gehen." Abels Worte bebten und obgleich er den Wahnsinn in sich selbst versteckte, spürte Antonio den Schock und die Furcht allein in der Art und Weise wie sich Abel ihm gegenüber zeigte.
Immer wieder zuckten seine Pupillen nach links oder rechts, um jeden Winkel im Auge zu behalten; die ständige Wachsamkeit bestätigte Abels Unsicherheit hier zu sein. Wie kränklich er eigentlich geworden war, hatte Antonio jedoch nicht erkennen können, dafür war das Laternenlicht zu schwach.

"Antonio, in den Zentralräumen der Katakomben, die die Stadt unterirdisch miteinander verbinden, gibt es einen Raum, ähnlich einer halb verfallenen Krypta. Dort findet man einen schmalen Gang, der zu einem leeren großen Saal führt, der links sowie rechts mit zahlreichen dunklen Türen bestückt ist. Ich weiß nicht, was alles dahinter steckt, aber die schmerzerfüllten Schreie, die mir zu Ohren kamen, sagten mir alles, was ich zu wissen brauchte."

Es war Antonio mehr als klar, was hinter diesen Türen geschah, ohne überhaupt ein einziges Mal in deren Nähe zu sein. So sadistisch wie diese Menschen waren, so gut konnte er sich vorstellen, dass sie Verräter, Arbeitsverweigerer und Rückfällige entweder erpressten, einsperrten oder auf eine oder mehrere Arten folterten. Wie hätte es diese Organisation denn sonst geschafft, so lange unsichtbar zu bleiben, selbst für ihre Laufburschen? Natürlich weil jegliches Sterbenswörtchen sofort von der Bildfläche verschwand und Antonio hatte genug Allgemeinwissen, um zu verstehen, dass derartig organisierte Kriminalität definitiv hohe Leute des Machtgefüges einer Region oder eines Landes wie Marionetten herumdiktierten. Es würde ihn nicht wundern, stelle sich heraus, dass sie den Bürgermeister oder gewisse Offiziere in die Mangel nahmen, um länger verdeckt zu bleiben.

Das taten verschiedene Mafia- oder Camorra-Clans doch auch?

"Also Antonio", war Abel fortgefahren, die Stimme nun kalt und trocken, als hätte ihn jegliches Gefühl verlassen und er selbst sei nur eine sprechende, leere Hülle, "Wir beide werden wohl nicht so leicht austreten können, wie gedacht. Sie haben mich bereits auf dem Schirm und du befindest dich in einer Zwickmühle. Daher haben sie zu einhundert Prozent großes Augenmerk auf uns beide. Ich kann dir nicht sagen, was unsere Zukunft bringt, aber ich vermute, dass wir viel verlieren werden, was uns teuer ist...Pass auf dich auf, nicht erwischt zu werden. Verweigere nicht, deine Arbeit zu verrichten, aber lock sie am besten auf eine andere Fährte und verhandle oder rede dich gekonnt raus, aber lass dir keine Unsicherheit anmerken oder sie werden merken, was los ist...Wir brauchen neue Pläne und ich vermute, dass diese Pläne darin enden werden, dass wir selbst umkommen könnten."

Der Spanier konnte zu dem Zeitpunkt nur nicken. Ein ernster Blick ersetzte das ehemals freundlich lächelnde Gesicht und er dachte scharf nach. Diese Mordserie musste ein Ende nehmen, ehe noch mehr unschuldige Zivilisten den Tod fanden. Antonios einziger Einfall?
Er musste die Gefahr schleichend und im Keim ersticken. Dieses sinnlose Herumgespiele von außen brächte nichts, nun musste gehandelt werden und das geschah am besten von innen heraus, doch wie stellte er das nur an?

Diese Frage hing noch den restlichen Abend in der Luft wie die Wolken, die sich geradewegs vor den Vollmond des goldenen Oktobers schoben.

~0~

"Kann ich spontan bei dir einziehen? Schon wieder?" - "Was?"

Irritiert beäugte Antonio Lovino, der bereits um zehn Uhr morgens an einem Sonntag vor seiner Tür stand. Der Entschluss in den Augen des Jüngeren war nicht zu übersehen, ebenso wie die Müdigkeit Antonios, die sich nicht nur durch die ungekämmten Haare, sondern auch durch das Anlehnen am Türrahmen und die halbgeschlossenen Augen zeigte. Auf einmal war Lovino vor seiner Tür erschienen, weckte ihn mit seinem rasanten Klopfen auf und riss ihn offensichtlich aus dem Schlaf. Und weswegen? Damit er ihn fragen konnte, ob er erneut auf Zeit bei ihm einziehen konnte. Wäre Antonio nur nicht so verschlafen, wäre er gerade vor Freude und Energie in die Luft gesprungen und hätte sich gar nicht mehr beruhigen lassen.

"Ob ich bei dir einziehen kann. Zumindest für einige Tage." Lovino atmete tief ein, streckte die Brust raus und dennoch kribbelte es in seinem Bauch, als er diese Frage so überrumpelnd stellte, so ganz, ohne Kontext.

Gähnend wischte sich Antonio den Schlaf aus den Augen und fuhr sich mit der Hand anschließend durch sein unordentliches Haar. "Gerne...Aber warum? Ist etwas passiert?"

Antonios raue Morgenstimme setzte Lovinos Herz zu und sein verschlafener, geradezu unwiderstehlicher Aufzug mit den wirren, fluffigen Locken und dem aufgeknüpften Hemd ließ sein Herz höherschlagen, ob er nun wollte oder nicht.
Blitzschnell zwang sich Lovino dazu, die Fassung zu bewahren und sich nichts anmerken zu lassen, obwohl er sich in diesem Moment mehr als nur ein bisschen zu ihm hingezogen fühlte.

Zur Seite schauend fuhr er fort. "J-Ja, meine Familie ist passiert. Die kommen schon wieder her, weil sie das in der Zeitung gelesen haben und jetzt die Krise bekommen. Keine Ahnung, warum die jetzt so das große Drama draus machen."

"Wie jetzt?" Antonio konnte am Morgen einfach nicht denken, egal wie sehr er sich bemühte. Frustriert sah Lovino zur anderen Seite, darauf achtend, Antonio nicht zu lange anzusehen, wenn er seinen kühlen Kopf bewahren wollte. "Och, du bist so ein Vollidiot, das gibt's doch nicht! Dass ich dir das noch ein drittes Mal erklären muss! Mein Gott!" Er atmete laut aus, griff nach Antonios Hand und überriss sich doch, ihm in die Augen zu sehen. "Meine Familie kommt schon wieder vorbei. Weil sie sich Sorgen machen, wegen dem ganzen Mordtrara, das jetzt wieder mehr wird. Und weil mein Drecksloch von Wohnung zu klein für vier Personen ist, würde ich gerne wieder bei dir übernachten. So wie letztes Mal. Verstanden?"

Wie in Zeitlupe nickte Antonio, als die imaginären Zahnräder in seinem Kopf vor sich hinratterten. "Ich glaub, jetzt hab ich es endlich...", nuschelte er und sah über die Schulter hinter sich in die Wohnung, "Komm rein, Lovino, mein Zuhause ist auch dein Zuhause, also mach es dir gemütlich."

Gesagt, getan, denn kaum trat Lovino in die altbekannte Stube hinein, ließ er sich direkt auf die Couch in der Wohnzimmerküche sinken und legte den Kopf in den Nacken. "Ugh!"

"Nur nicht aufregen, Lovi...", gähnte Antonio, als er die Tür wieder schloss und sich neben Lovino setzte, "Möchtest du etwas trinken? Wasser? Wein? Kaffee?" Lovino wählte den Wein. Es war zwar Vormittag, aber er hatte bereits Lust dazu, sich seine Sinne wegzutrinken, in der Hoffnung nicht die Nerven zu verlieren, sobald seine Familie vorbeikam.

Antonio bemerkte, wie sich Lovino bereits das erste Gläschen hineinschüttete und hob verwundert die Augenbraue. "Lovino, nicht so viel auf einmal, du weißt, was das letzte Mal passiert ist, als du dich derartig weggesoffen hast."

"Is mir doch egal, ich brauch das jetzt, denn sonst werde ich wahnsinnig." - "Wieso das denn? Ich dachte, du freust dich, dass deine Familie dich endlich nicht mehr so außen vorlässt?" Lovinos Verhalten machte für Antonio keinen Sinn. Die Monate zuvor beschwerte er sich darüber, scheinbar der am wenigsten geliebte Enkel zu sein und keinen Kontakt zu seiner Familie zu haben und nun hatte er diesen Kontakt und erfuhr die Liebe und wollte sie nicht.

"Tu ich ja auch, aber jetzt ist eben...ein falscher Zeitpunkt", die Lautstärke seiner Stimme nahm ab. Wie hätte er denn erklären sollen, dass er gerade viel über sich selbst und seine Sexualität nachdachte und nun nicht unbedingt direkt von seiner Familie umzingelt sein wollte? Insbesondere, wenn er doch wusste, was sein Großvater von Menschen dachte, die nicht wie die Mehrheit waren...
Niemals würde er ihm beichten können, sich in einen Mann verliebt zu haben. Nicht einmal, wenn die Ratlosigkeit ihn übermannte und er dringend einen Rat bräuchte.

Ein Schauer jagte sich über Lovinos Rücken und es fröstelte ihn einmal mehr.

"Falscher Zeitpunkt?", wiederholte Antonio Lovinos Aussage und runzelte die Stirn, "Lovi, gibt es etwas, das dich stresst? In letzter Zeit wirkst du manchmal so in dich gekehrt und abwesend. Das bereitet mir Sorgen. Insbesondere seit gestern, als du gegangen bist...Fühlst du dich nicht wohl und möchtest deshalb nicht, dass deine Familie-"

"Nein. Außerdem bin ich völlig normal. Ich war schon immer so, falls du dich nicht daran erinnern kannst, Vollidiot." Lovino schlürfte an seinem Wein und zog die Augenbrauen zusammen. Tatsächlich war nicht alles eine Lüge. Zumindest in der Hinsicht, dass Lovino schon immer diese Grundlage für seine schlechte Laune in sich trug. Stark depressiv war er bereits vor wenigen Jahren gewesen, aber er verfiel einer Gefühlsleere oder er gewöhnte sich bereits zu sehr an die wenige Freude, die ihm zuvor gegönnt war. Wirklich erholt hatte er sich in Wirklichkeit von dem Tiefpunkt seines Lebens nie und nun, wo er das Potential hatte, wirklich glücklich zu sein, riss ihn seine Angst wieder in den tiefen Schlund seiner Depression hinein.

"Aber, Lovino", begann Antonio, beendete den Satz aber nicht. Nicht wissend, was er denn antworten sollte, ließ er seine Blicke sprechen, die Lovino jedoch gekonnt abwies und gar nicht erst in seine Richtung gaffte.

"Wie ich sehe, hast du selbst keine Argumente mehr, hab ich recht?", wieder trank Lovino von dem roten Getränk und genoss die Wärme, die von seinem Körper aus ging, "Siehst du, ich habe recht. Und wenn du einen der genauen Gründe wissen möchtest, warum ich gerade jetzt keinen Besuch möchte, kann ich dir gerne einen erzählen." Das Glas auf den Tisch stellend, sah Lovino in Antonios grüne Augen und atmete tief ein. "Erstens nervt es mich, dass sie gerade Panik schieben, nur weil ich diesen Eingang zum Untergrund gefunden habe und jetzt denken, ich könnte jede Sekunde von jemandem hinterrücks erstochen werden, weil ich nicht anonym geblieben bin und zweitens...Das Zweite geht dich nichts an."

Antonio biss sich auf die Lippe, als er den ersten Punkt vernahm - den zweiten überhörte er sogar - und seine Fingernägel bohrten sich in seinen Oberschenkel.
Oje,...wenn sie alle nur wüssten...

"Aber ist es nicht ein Zeichen ihrer Liebe, wenn sie sich Sorgen um dich machen? Das bedeutet doch nur, dass du ihnen wichtig bist...Was du mir übrigens auch bist, denn ich habe ähnliche Sorgen." Antonio sah auf seine Oberschenkel, wagte es nicht einmal Lovino anzusehen, als sei er seiner nicht würdig, doch die Stille, die auf seine Aussage folgte, brachte ihn dazu, doch einen Blick auf den Italiener zu werfen.

Smaragd traf auf Bernstein.
Dann herrschte süße Stille, gekrönt durch das kräftige Licht der Sonne, welche geradewegs ihre Wärme in die Stube schickte. Lovino spürte die Hitze in seinen Wangen aufsteigen, sah als erstes weg und beendete die Ruhe. "Du hast keine Gründe, dir auch nur ansatzweise Sorgen zu machen."

"Habe ich."

Lovino zögerte kurz, spielte mit den Fingern, kratzte sich dann an den Armen und zuckte zusammen. Er musste sich wohl mies aufgekratzt haben. Schon wieder. "Aber mir geht es gut und es gibt nichts, worüber du dir wegen mir den Kopf zerbrechen müsstest. Du bist fast so schlimm wie mein Nonno. Nur ersticke ich an Nonnos Übervorsichtigkeit. Dass insbesondere er wieder direkt vor meiner Haustüre stehen will, hat nur damit zu tun, dass er denkt, ich kann nicht auf mich selbst aufpassen und weil er immer vom Schlimmsten ausgeht. Das hat er auch ganz am Anfang schon gemacht, als ich herkam. Es fing schon mit der Arbeitssuche an...Er vertraut mir nicht, alleine klarzukommen und sucht deshalb Umwege, um herauszufinden, wie es mir ergeht." Lovino seufzte und strich sich einige lose Strähnen weg. "Ich will nicht wie ein Porzellanpüppchen behandelt werden, aber eben auch nicht links liegen gelassen werden, aber ich krieg entweder das eine oder das andere ab und das geht mir so auf den Sack!"

Antonio nickte nur, obwohl er Lovino nur schwer folgen konnte. Das Thema Familie gehörte absolut nicht zu seinem Spezialgebiet. "Dennoch solltest du froh sein, dass du deinem Nonno doch mehr bedeutest, als du bisher immer angenommen hast. Du weißt, dass das auch ganz schnell ganz anders aussehen kann. Man braucht ja nur mich und...meine Erzeugerin ansehen." Ein bitterer Geschmack breitete sich auf Antonios Zunge aus, als er an seine Mutter dachte, den er allerdings so gut wie möglich ignorierte. "Bitte vergraule und verteufle deine Familie nicht, Lovino, auch wenn sie nervig sind. Sei bitte froh, sie überhaupt an deiner Seite zu haben..."

Lovino spannte die Muskeln an und blickte in sein Weinglas.
Seine Familie vergraulen...
Erst jetzt bemerkte er den Fehler, sich gegenüber Antonio, der doch verstoßen wurde, auf diese Weise auszuschütten. Womöglich dachte er in diesem Moment schlecht von ihm.
Oh, Lovino war so dumm.
Er war so unsensibel, gar unhöflich und selbstsüchtig.
Wie er sich selbst nur einmal mehr verabscheute...

Seufzend trank er den letzten Schluck seines Weines und mit einem Klirren, stellte er es zurück auf den Tisch, den Kopf vor Scham und Schuldgefühlen zu Boden geneigt. "Entschuldige, Antonio", hauchte er mit dünn gewordener Stimme, "Vielleicht hast du recht..."

~0~

Es dauerte nicht lange, da stand bereits Großvater Romulus vor seiner Tür. Zu Lovinos Überraschung waren seine zwei Brüder nicht mit von der Partie, Romeo würde womöglich das Haus hüten - oder sich immer noch auf die Suche nach einer Freundin machen - und Feliciano hatte womöglich genug mit seiner Ausbildung zu tun. Zumindest hätte es sich Lovino so erklärt, ob es zutraf, war wieder eine andere Sache.
Hm, vielleicht brauchte er den extra Schlafplatz bei Antonio gar nicht mehr.

"Lovino, mein Junge!", kaum hatte Lovino die Tür zu seiner Wohnung geöffnet, wurde er direkt von der herzigen Umarmung seines Großvaters überrumpelt, "Komm, lass dich drücken!" Widerwillig entgegnete er die lieb gemeinte Geste - er hasste diese engen, luftraubenden Umarmungen - und zwang sich ein Lächeln auf. "Jaja, ich freue mich ja auch, dich zu sehen, Nonno..." Es folgte ein knappes Klopfen auf den Rücken, ehe sein Opa endlich von ihm abließ und einmal mehr Lovinos eigenen vier Wände betrat. "Du bist schon sehr dünn geworden, Lovino, du musst mehr essen! Zahlt dich Enrico etwa so schlecht? Muss ich da etwas aushandeln?" Obwohl der Vorschlag verlockend klang, schüttelte Lovino den Kopf. "Nein. Ich hatte in letzter Zeit nur wenig Zeit mir was Anständiges zu kochen."

Romulus hob die Augenbrauen und betrachtete seinen Enkel mit Zweifel. "Wenig Zeit? Lovino, das kann nicht sein. Wie schleppst du dich denn sonst in die Arbeit, ohne genug Energie?"

"Mit Zwang", hätte Lovino gerne geantwortet, doch er wählte lieber das pure Schweigen.

"Naja", fuhr sein Großvater fort und entledigte sich seiner Jacke, hing sie über den Stuhl, "Ist jetzt auch egal. Wie geht es dir?"

Vorzugsweise hätte Lovino ihm ein authentisches "Scheiße" an den Kopf geworfen, aber das hätte Romulus wohl nur noch mehr mit irrsinnigen, grundlosen Sorgen gefüllt und das konnte er nicht verantworten. Deswegen antwortete er mit einem knappen "Gut", gefolgt von einem Seufzen und der klassischen Frage: "Möchtest du etwas trinken?"

Romulus stimmte zu und war sichtlich erleichtert, seinen Enkel scheinbar so gelassen und unversehrt zu sehen. Dennoch machte ihm seine kränklich blasse Haut etwas stutzig. Trotzdem fiel kein Wort darüber und Romulus versuchte, das Eis zwischen ihnen zu brechen.

"Wie läuft es in der Arbeit?" - "Das wirst du wohl selbst wissen, das hat dir bestimmt Enrico alles geschildert. Aber es ist in Ordnung, würde ich sagen", würgte Lovino direkt das Gesprächsthema ab. Was sollte diese bescheuerte Frage? Nonno wusste ohnehin alles durch seine Verbindungen zu den Leuten in dieser Stadt. Und den Frust über das fehlende Vertrauen in Lovinos Fähigkeiten ließ er ihn nun eindeutig spüren. Romulus sollte endlich klar werden, dass sein Verhalten ihn unsicher und verbittert machte.

Aber der alte Mann gab nicht auf, suchte weiterhin nach Dingen, über die sie reden könnten und erinnerte sich an die Ereignisse der letzten Wochen. "Ach so...Ist doch schön, aber tolle Neuigkeiten, Lovino, du wirst es nicht glauben, aber Romeo jetzt tatsächlich eine Freundin gefunden!"

Tatsächlich war Lovino nun ganz Ohr und gab seinem Großvater etwas zu trinken. Für Klatsch und Tratsch war er dann doch wieder offen, auch wenn er gerade sehr mit seiner zynischen Seite innerlich zu kämpfen hatte.

"Wie bitte? Der Zwerg?"

Wie konnte es Romeo nur wagen, vor ihm eine Beziehung zu haben! Er war der Jüngste! Er sollte der letzte sein, aber gleichzeitig wunderte es ihn absolut nicht. Im Gegensatz zu ihm hatte Romeo zumindest gutes Charisma und war gesellig. "Wer ist sie? Diese Lucille, von der er letztens gesprochen hat?"

"Nicht ganz. Lucille hat ihn leider abgewiesen. Den Grund hat mir Romeo leider nicht verraten, aber man hat gesehen, dass es ihn anfangs schwer getroffen hat, weil er wirklich dachte, er hätte die Chance." Der alte Mann dachte an seinen jüngsten Enkel zurück, ein Gefühl der Nostalgie erfüllte ihn, da er das Gefühl hatte, der kleine Romeo wäre bereits viel zu schnell erwachsen geworden. "Aber einige Wochen später hat er ein anderes Mädchen kennengelernt, Giulia heißt sie. Ich freue mich so für die zwei, sie sind wirklich süß zusammen. Zumindest kann ich mir dann sicher sein, dass die Blutlinie nicht komplett ausstirbt, bevor ich ins Gras beiße."

Lovino verschluckte sich am Wasser und hustete, als er Letzteres hörte.
Was zum?!
Das war seine einzige Sorge? Dass die Blutlinie ausstarb?! Ihm sollte bewusst sein, dass er drei Enkel hatte. DREI. Wie sollte da die Blutlinie so schnell aussterben? Sie alle drei suchten schon seit Jahren nach der Gunst von Frauen und hatten Interesse an ihnen.
Zumindest bis jetzt. Nun war sich Lovino nicht mehr so sicher, was ihn betraf...
Liebte er Frauen und war Antonio ein Einzelfall? Oder hatte er all die Jahre versucht, seine Gefühle für das gleiche Geschlecht zu kompensieren, indem er sich Frauen annäherte? Oder gab es etwas dazwischen...Ach, das Ganze war einfach so kompliziert! Er hatte keinen Bock darüber nachzudenken!

"Oje, Lovino!", besorgt klopfte der Großvater gegen Lovinos Rücken, als er ihn husten sah, "Ich hab dir doch als Kind schon immer gesagt, du sollst beim Trinken aufpassen!"

"Ich weiß", Lovino atmete tief ein und hielt sich die Brust, "aber es ist komisch zu hören, dass du jetzt schon Panik über unsere Blutlinie bekommst. So alt bist du doch auch wieder nicht, dass dich die nächste Grippewelle ins Grab befördert. Zumindest hoffe ich das nicht. Und meine Brüder und ich sind gerade erst richtig erwachsen geworden, bitte stress nicht so rum, Mann..."

"Ich mein ja nur", verteidigte sich der alte Mann und beäugte seinen Enkel mit tristem Blick. Lovino war schon immer etwas harsch gewesen, aber nun zeigte er sich angespannter und kälter. Ganz so, als störte ihn etwas. Wüsste Romulus nur, was es war. Lovino war immerhin sein ältester Enkelsohn.

"Schon gut." Tief einatmend schloss Lovino für eine Sekunde die Augen und sah daraufhin direkt zurück zu Romulus. Ein Funken Wärme entfachte in seiner Seele. Letztendlich liebte er ihn doch trotzdem. "Wie geht es dir eigentlich, Nonno?"
Dieses Mal war diese Frage ehrlich und kein einfacher Nutzen, um die Stille zu brechen.

Romulus lächelte seinen Enkel an. "Ach, das Übliche. Hin und wieder hat man's mit dem Kreuz oder dem Knie, besonders, wenn man draußen arbeiten sollte, aber ansonsten geht es mir gut."

"Das ist doch schön. Also, dass es dir ansonsten gut geht." Sich mal wieder an den Armen kratzend, bemühte sich Lovino um ein Lächeln, obwohl es in seinem Inneren immer finsterer wurde.
Zumindest ging es einem von ihnen gut.
Das beruhigte ihn.

"Hast du etwas von Feliciano gehört? Wie schlägt er sich in Venedig?" - "Ah, Feli geht es bestens, er wurde letztens für ein größeres Projekt gewählt und es könnte die Chance für seinen Durchbruch sein. Ich bin wirklich stolz auf ihn..."

Nickend behielt Lovino sein aufgesetztes Lächeln bei, während sich sein Herz langsam - wie ein Sekundenzeiger, der seine Runden drehte - zusammenzog.
Sie alle hatten so ein erfülltes Leben. Sie hatten Erfolg oder die Liebe gefunden.
Was blieb dann nur für Lovino übrig? Er hatte weder das eine noch das andere wirklich erreicht...Er lebte nur, vegetierte vor sich hin und seine einzige Aufgabe im Leben bestand darin, sich am Leben zu halten und selbst das war eine nahezu untragbare Bürde geworden.

"Lovino?", Nonno Romulus riss ihn mit seiner lauteren Stimme aus den Gedanken; er musste wohl abgedriftet sein, "Lovino, geht es dir wirklich gut? Du bist stiller als sonst und wirkst so fertig..." Als Lovino in die goldbraunen Iriden seines Großvaters blickte, traf ihn die Sorge des alten Mannes wie ein heftiger Schlag ins Gesicht und es trieb ihm die Tränen in die Augen.

"Ja, mir geht es gut, Nonno", nuschelte er so kompetent und ohne auch nur einen Bruch in der Stimme, wie nur möglich, "Ich hab die letzten Tage einfach kaum ein Auge zubekommen, das ist alles."
Es war doch nicht einmal eine Lüge...
Er schlief so wenig, egal wie müde er war und wenn er es tat, dann machte es keinen Unterschied mehr.

"Wieso das denn? Lovino, ohne jetzt gemein zu sein, du siehst schrecklich aus. Ganz anders als letztes Mal. Bist du dir sicher, dass in den letzten Wochen nichts passiert ist? Hat man dir weh getan? Ich hab das in der Zeitung gelesen und-"

"Halt einfach die Klappe, mir geht es gut. Wie gesagt, ich hab zu wenig geschlafen. Das ist alles", gab er mit leicht aggressivem Nachdruck zurück, obwohl er das nicht einmal wollte.
Sofort verspürte er neuen Hass gegenüber sich selbst.
Er war der mieseste Enkel, den man sich hätte vorstellen können.
Undankbar. Grundlos aggressiv. Ein elender Mistkerl.

"Okay! Okay! Lovino, beruhige dich, ich mach mir doch nur Sorgen! Wie sprichst du denn mit mir?!" Romulus' Miene veränderte sich und er zog die Augenbrauen böse zusammen. Für ihn machte Lovinos Verhalten keinen Sinn. Dass er schon immer einen vulgären Wortschatz hatte, wusste er, aber er ließ sich doch nicht grundlos beleidigen!

Wieder einmal kratzte sich Lovino an den Armen, bestimmt war seine Haut bereits ganz wund und rot. Er spürte sie schon grauenhaft stechen, vielleicht blutete er auch schon, aber er schaffte es nicht, diese Angewohnheit abzulegen. "Entschuldige..." Sein Kopf sank herab, wissend, dass er einmal mehr als Enkel versagt hatte.
So wie viele Male zuvor.
Seit dem Moment, an dem er geboren wurde.
Er wünschte sich im Moment nichts weiter, als einfach zu schlafen...Schlafen...für immer.

Halt.

Nein.

Lovino, nein. Diese Worte sprach er sich in Gedanken zu, wohl wissend, woher sie kamen. Dieses Gefühl durfte sich nicht wiederholen. Sein Streben nach dem Tod durfte nicht zurückkehren...Niemals mehr, egal wie verlockend der Ruf nach dem Ende war. Sein Gesicht erbleichte und Lovino hatte plötzlich große Angst. Angst vor dem, was in ihm geschah und zu was ihn seine Gedanken wieder treiben wollten.

"Lovino?" Vage kämpften sich Romulus Stimme durch den rauschenden Strom in Lovinos Ohren durch, aber nur Wortfetzen konnten ihn erreichen. Er versank in seinem Kopf, als wäre dieser eine endlose Flut...Er versank in den endlosen, ruhelosen Gedanken, die niemals ein Ende nahmen. Und obwohl es die Ruhe niemals gab und hinterrücks immer Gedanken auf und absprangen, erkannte Lovino, dass es Zeit wurde, aufzuwachen und zumindest so zu tun, als hätte er seinem Großvater gerade zugehört. Er wollte den alten Mann nicht noch mehr verärgern.
Seine alleinige Existenz erledigte diese Berufung doch schon mit Bravour...

"Jaja, passt schon", brachte er kühl heraus, "Sag, Nonno, hast du Hunger von deiner Reise? Soll ich dir etwas machen?"
"Musst du nicht, denn sonst läufst du wieder unserem Gespräch davon."

"Ich laufe doch nicht", schoss es direkt zurück, doch dann fasste sich Lovino und fuhr mit ruhiger Stimmlage fort, "Ich laufe doch nicht dem Gespräch davon."

"Doch, das tust du. Du wechselst rasant Themen, bist so unaufmerksam...", die Augenbrauen hoben sich besorgt und Romulus sah ihm in die Augen, "Da ist doch etwas los, Lovino. Du kannst das nicht vor mir verstecken. Sei ein Mann und spuck es endlich aus oder reiß dich zusammen und werde selbst damit fertig."

Lovinos Mund öffnete sich, das Bild vor seinen Augen verschwamm; bestimmt wurden seine Augen glasig, als sein Opa die Stimme so erhoben hatte und sein Hals schnürte sich spontan zu. Er wollte etwas erwägen, sich verteidigen und sagen, dass nichts los wäre und er es sich einbildete.
Er wollte ihm seine Sorgen beichten und wie ein Kind auf Trost hoffen.
Vergebens. Denn keine Sekunde später durchbrach ein Türklopfen die sich aufbauende dicke Luft.

Reflexartig sahen beide Männer zur Tür. Wer war denn nun schon wieder hier?

Flink erhob sich Lovino von seinem Platz, drückte die Klinke herab und zog die Tür zu sich. Vor der Türschwelle blickte er einmal mehr einem altbekannten Gesicht entgegen. "¡Hola, Lovi!"

Natürlich. Gerade jetzt musste Antonio aufkreuzen, wo er doch am liebsten allein sein würde. Dieser Typ hatte echt Nerven, immer dann aufzutauchen, wenn Lovinos Laune den Tiefpunkt erreichte. "Was willst du hier?"

Neugierig schaute Romulus von seinem Platz aus zu den beiden Männern.

"Ich wollte mal nach dir sehen und nochmal wegen dem Bei-mir-Einziehen reden, wegen dem Bett und", sprach der Spanier mit einem warmen Lächeln, dann hob er den Kopf an und lugte so in die kleine Wohnung hinein, "nanu, deine Brüder sind dieses Mal gar nicht da."

"Oha, echt, hab ich gar nicht mitbekommen", keifte Lovino grundlos zurück. Er hatte jetzt absolut keine Zeit oder Geduld dafür, mit Antonio zu reden.
Es würde doch alles noch schlimmer machen, sobald er seiner inneren Zuneigung nachgab.

Urplötzlich spürte Lovino eine Gestalt hinter sich und die feinen Härchen stellten sich in seinem Nacken auf. "Wer zieht wo ein?" Augenblicklich schnellte Lovino den Kopf zu seinem Großvater, der sich mittlerweile zu ihnen gesellt hatte und die Arme miteinander verschränkte. Erst jetzt, wo diese Worte aus dem Mund seines Nonnos kamen, bemerkte erst wie komisch sich diese Aussage für ihn anhörte.

"Niemand! Niemand, Nonno! Der Idiot labert nur Blödsinn!" Die Hände vor der Brust haltend versuchte Lovino sich rauszureden, doch Antonio starrte nur perplex auf ihn und seinen Großvater. "Aber vorher hast du doch gefragt, ob-"

"Shh! Klappe!", zischend trat er einen Schritt näher zu Antonio und hielt ihm den Mund zu, kassierte dafür jedoch Blicke von hinten, die sich tief in seinen Rücken bohrten. Dann ließ er prompt von ihm ab, trat zurück, doch sanfte, entschuldigende Augen verfingen sich mit den seinen und Antonio verstand sofort und schwieg.

"Entschuldige meinen Enkel...Antonio war dein Name, richtig? Lovino ist heute wirklich mehr als nur launisch. Aber bestimmt kennst du das von ihm."

"Nonno!", empört fuhr Lovino seinen Großvater an und zog die Augenbrauen zusammen. Musste Letzteres wirklich sein?!

Doch Antonio lächelte nur. Wie immer. "Ach, also dass er ein Hitzkopf ist, spürt man direkt. Da wird einem selbst doch immer ganz heiß in seiner Nähe, haha!"
Schlagartig verfärbten sich Lovinos Wangen in ein sattes pink und in seinem Kopf klingelte es. Hörte sich der Bastard überhaupt selbst zu, wie komisch sich das vielleicht anhören konnte?

Nonno Romulus schien ähnlich wie Lovino zu denken, denn anstatt eine Antwort zu erhalten, musterte der alte Mann Antonio argwöhnisch. Einen bösen Blick mit zusammengezogenen Augenbrauen oder gerümpfter Nase gab es nicht, denn sein Gesicht blieb neutral und doch sagte die Stille mehr aus, als angenommen. In den Augen Romulus' war Antonio komisch und als er sich von ihm abwandte und stattdessen seinen rot angelaufenen Enkel betrachtete, schloss er für einen Moment die Augen, kommentierte nichts.

Diese Wortlosigkeit, gefolgt vom peinlich berührten Lachen Antonios, war mehr als nur widerlich. Lovino hasste sie und der Druck in seiner Brust stieg rasant an. Dennoch vermochte er es nicht, auch nur seine Stimme zu nutzen.

"Also...", Antonio kratzte sich am Hinterkopf und sah für einen Moment hinter sich - erst jetzt erkannte er, welche unheimlich angespannte und ungute Situation er verursacht hatte, "uhm..."

"Wisst ihr was, es ist stickig hier drin, ich verpiss mich. Ich bin draußen, wenn ihr mich sucht." Lovino legte seine linke Hand auf Antonios Brust, schob ihn dann unsanft zur Seite und floh direkt zur Haustüre. Er wollte nur noch weg. Weit weg von dem Herzklopfen, dem am Verstand nagenden Stress und die Ängste, die ihn einengten, als sperrte man ihn in eine winzige Kammer, ohne Licht, Tür oder Fenster.

Lovino wollte Freiheit, frische Luft und vor allem eine Flucht vor aller Verantwortung und Konsequenz. Er wollte Nonno nicht enttäuschen, seine Familie nicht verlieren, egal wie viel Schmerz sie ihm schon angetan hatten. Er wollte nicht, dass die Gefühle für Antonio stärker wurden. Er durfte es nicht zulassen.
Denn was würde geschehen, wenn er seinen Begierden nachgab?
Ausschluss aus der Familie? Stigmatisierung im alltäglichen Leben?
Schuldgefühle?

Er konnte sich nicht akzeptieren. Er schaffte es einfach nicht.

Und dann traf es ihn wie ein Blitz, als er die Tür zuwarf und an der Hauswand mit dem Rücken herabsank, sich zu Boden setzte und den Blick auf die alte Zypresse neben dem Wohnhaus warf. Seine Haut erbleichte, seine Lippen wurden trocken und seine Finger zuckten.
Was, wenn man ihm dasselbe antat wie den Menschen auf dem Schafott viele Jahre zuvor?

Das Leid. Wie sie sich gerade noch so über den gepflasterten Weg schleppen konnten...Das Urteil des Todes und der letzte Atemzug den sie taten. Nonno meinte damals, der einzige Grund, weshalb sie ihr blutiges Ende in aller Öffentlichkeit fanden, war, weil sie Sodomiten gewesen wären. Sie hätten 'falsch' geliebt; entsprachen nicht der Norm und der Erwartungen der hiesigen Gesellschaft.
Dabei waren sie nicht anders als Antonio oder er? Sie waren auch nicht anders als Michelle oder Emma und alle anderen, die er in jener Nacht in Francis' Bar getroffen hatte. Sie alle könnten einem grausamen Schicksal zum Opfer fallen, dabei waren sie unschuldig; begingen keinerlei Verbrechen. Sie waren doch einfach nur Menschen? Was störte es andere, was jemand in seinem Privatleben machte?

Dann hielt Lovino inne.

Was störte Lovino selbst so sehr daran, dass er scheinbar auch Männer liebte?
Oh Mann, er war doch nicht anders als sein eigener Großvater...

Lovino legte den Kopf in die Hände, blendete alles aus. Unglücklicherweise erklang wenige Sekunden später das Klacken der hinuntergedrückten Türklinke und Nonno sowie Antonio traten zu ihm. Dann beugte sich Antonio zu ihm, ein weiches, warmes Lächeln auf dem Gesicht tragend, als wüsste er genau, dass Lovino sich scheußlich fühlte und hielt ihm die Hand hin.

Zögerlich hob Lovino den Kopf, wechselte den Blick zwischen seinem Freund und seinem Großvater. Weshalb waren sie nun zu ihm gekommen? Was wollten sie von ihm?

"Lovi...Dein Opa und ich machen uns Sorgen, weil du gerade so unglaublich gestresst und nicht wie du selbst wirkst...", ohne auch nur eine Sekunde länger zu warten, griff Antonio nach Lovinos kalter Hand und zog ihn auf die Beine, "Komm mit, wir dachten, dass dir vielleicht ein kleiner Spaziergang guttun würde?"

Kein Wort schaffte es über Lovinos Lippen, aber ein gerührter Funken entfachte in seinen Augen und ein klein wenig Wärme kehrte in sein Herz zurück.
Wieso musste Antonio immer dann auftauchen und ihm einen Blick wie diesen schenken, wenn er dazu drohte, einen Tiefpunkt zu erreichen. Unachtsam kreuzten sich Smaragd und Bernstein einmal mehr und vielleicht auch länger als nötig. Es war die Sekunde, in der Lovino seine Sorgen für einen Augenblick vergaß und seinen Großvater, der auf sie wartete, komplett ausblendete, in welcher kleine Blitzchen zwischen Antonio und Lovino funkten. Und Lovino legte die Wache über sein Herz nieder, erlaubte sich, die Fürsorge wie einen Kuss für die Seele zu genießen und folgte Antonio ohne jegliche Wehr oder Ausraster.

Romulus beobachtete die beiden und hob verwundert die Augenbrauen, als Lovino widerstandslos und ruhig mit Antonio an der Seite zu ihm zurückkam.
Hätte er es versucht, hätte Lovino sofort abgewiesen und sich gewehrt...
Und nun, wo sein geliebter Enkel neben diesem ihm fremden Mann stand...
Etwas war anders. Lovino war anders. Sein kleiner Lovino war friedlicher, ausgeglichener und geradezu getröstet bei der bloßen Anwesenheit dieses Mannes.
Ihre Freundschaft musste wohl wirklich tief sein...

"Lovino", begann er ruhig zu sprechen und legte eine Hand auf den Rücken seines Enkels, "komm, du darfst entscheiden, wo wir hingehen. Ich werde dir einfach folgen. Machen wir einfach etwas, das dich glücklich macht, okay?"

Ein klitzekleines Lächeln malte sich auf die Lippen Lovinos, als er mit dem Kopf nickte. - Romulus schien das Eis zwischen ihnen gebrochen zu haben und er erreichte Lovino endlich. "Ja. Von mir aus."

***

So unspektakulär der Nachmittag jenes Herbsttages auch war, Lovino würde lügen, behauptete er, dass er diesen nicht zumindest ein klein wenig genoss. Nonno Romulus war ausgesprochen gut gelaunt gewesen und tatsächlich gab er ihm das Gefühl, nicht unwichtig zu sein. Lovino vermutete bereits, dass es daran lag, dass er die Aufmerksamkeit dieses Mal nicht teilen musste, dennoch war es wie ein Stoß frischer Luft, den er natürlich nicht verteufelte. Sie waren zusammen Essen gegangen, sahen sich gemeinsam einige Sehenswürdigkeiten an, die Romulus bei seinem letzten Besuch versäumt hatte. Antonio hatte sich mittendrin verabschiedet, er müsse sich noch mit Abel treffen, so schilderte er es zumindest.

Doch kaum verließ Antonio die Gruppe, bemerkte Lovino, wie sein Großvater ihm argwöhnische Blicke in den Rücken bohrte. Lovinos Muskeln spannten sich an und das Adrenalin schoss durch seine Adern. Was hatte Antonio getan, dass Nonno ihm gegenüber plötzlich so misstrauisch war? Antonio war stehts nett und höflich gewesen, insbesondere gegenüber Lovino. Es konnte also nicht sein, dass er ihn wegen seiner Art so komisch betrachtete.

Wortlos bewegten sich Romulus' Lippen, Lovino beobachtete dies aus dem Augenwinkel, und er befürchtete schon das Schlimmste. So hatte er Romulus gegenüber seiner Freunde noch nie erlebt und es nagte an seinem Verstand, herauszufinden, über was sein Großvater nachdachte.

"Nonno...", Lovinos Stimme klang offensichtlich verwirrt, aber auch gestresst, "ist was?"

"Nein", antwortete der alte Mann prompt und widmete sich sogleich anderen Dingen, wie die Blumengestecke der Floristin, deren Geschäft direkt neben ihnen aufgebaut war. Am liebsten hätte Lovino noch mit einem 'Aber' erwidert, aber es schien hoffnungslos und ihm blieb nichts anderes, als sich zurückzuziehen und still neben seinem Opa zu stehen.

"Sieh mal, Lovino, die hier hatte deine Nonna so gern", wechselte Romulus das Thema und der Ton seiner Stimme wurde direkt wärmer, als er Lovino den bunten Strauß Gerbera zeigte.
"Aja, stimmt, ich erinnere mich. Die hast du ihr immer geschenkt. Sie hat sich immer so gefreut..." Tatsächlich lenkte die Erinnerung an Nonna Minerva ab. Lovino dachte gerne an sie zurück und wie sie ihn oft verhätschelte, wenn Nonno und seine Bruder ihn - mehr oder weniger absichtlich - außen vor ließen.

Da schlich sich plötzlich ein flüchtiger Gedanke vorbei, der Lovino direkt rausrutschte. "Sag, Nonno, was schenkt man jemandem, den man liebhat, außer Rosen?"

Romulus strahlte direkt, als er das hörte und sah interessiert zu seinem Enkel. "Ohh! Hat mein Kleiner etwa ein Auge auf ein hübsches Mädchen geworfen?" - "Nein! Shht!" Zischend funkelte Lovino seinen Großvater böse an. Verdammte Scheiße, ihm war das jetzt zu spontan rausgerutscht. Jetzt ließ sein Nonno ihn ganz bestimmt nicht mehr in Ruhe!

"Ach komm", er legte einen Arm um seinen Enkel und grinste, "sag's doch deinem alten Herrn. Ich bin Experte! Ich kenn mich mit Frauen aus!"

"Bah, tust du nicht!", genervt schob Lovino seinen Arm von sich weg und atmete laut aus. Nonno ging ihm so auf die Nerven mit diesem Scheiß! Brummend vergrößerte er den Abstand zwischen ihnen und würdigte Romulus keines Blickes mehr.

Zur selben Zeit verließ ein Fremder den Laden, einen bunten, schönen Blumenstrauß in den Händen haltend. Der Mann steuerte geradewegs auf einen anderen zu und übergab die Blumen mit einem Lächeln. Das Gesicht des anderen Mannes leuchtete auf und für den Bruchteil einer Sekunde sehnte sich Lovinos Herz danach, dasselbe wie diese beiden Männer erfahren zu dürfen.
Blumen erhalten.
Kleine Aufmerksamkeiten.
Blicke voller Liebe.

Ein Bild von Antonios dämlichen Lächeln erschien vor seinem inneren Auge und Lovino verdammte sich direkt, auch nur einen Gedanken an ihn verschwendet zu haben. Plötzlich zischte ein "Ts" an seinem Ohr vorbei, gefolgt von gemurmelten Wortfetzen, die alles andere als erfreut klangen und Lovinos Herz wurde schwer wie ein Mühlstein, der in die Tiefen eines Gewässers sank. Es stach, es zerrte, es riss. Lovino wollte, dass dieses Gefühl im Keim erstickte. Nonno Romulus' Reaktion bewies ihm nur einmal mehr, wie dreckig und minderwertig er sich fühlte.
Sein Gemurmel, die rollenden Augen und diese abweisende Körpersprache, die Lovino beobachtete, gaben ihm den Rest.

"Bitte vergraule und verteufle deine Familie nicht, Lovino, auch wenn sie nervig ist. Sei bitte froh, sie überhaupt an deiner Seite zu haben..."

Lovino rief Antonios Worte in Erinnerung und hätte vorzugsweise dem Druck seiner Augen nachgegeben und vor aufgestautem Frust losgeheult.
Sei froh, sie überhaupt an deiner Seite zu haben...

Wer wusste denn schon, ob sie überhaupt an seiner Seite waren? Nonno würde ihn so offensichtlich fallen lassen, so wie es Antonios Eltern taten. Lovino wollte nur noch weg. Die Ängste und sein Selbsthass erreichten ungeahnte Höhen. In Gedanken hielt sich Lovino die Ohren zu, kniff die Augen zusammen und verkroch sich wie ein kleines Häufchen Elend in dem schrecklichen, dunklen Chaos, das in ihm tobte.

Doch von außen...sah man seine inneren Kämpfe nicht.
Man sah nicht, wie jeder Schritt an seinen Kräften zerrte.
Lovino existierte nur. Und die Sehnsucht, in einen tiefen, ewigen Schlaf zu fallen, fernab von seinen Problemen zeigte sich ihm immer gegenwärtiger.
Lovino...Wollte das nicht mehr.

***

Mit einem dumpfen Knall fiel die Tür ins Schloss und Lovino lehnte sich zerstört mit dem Rücken an die Tür. Er stieß einen lauten Atemzug aus und schloss die Augen.

"Lovino? Wie war es mit deinem Opa gestern? Habt ihr euch wieder etwas mehr aneinander gewöhnt?" Antonio saß auf Lovinos Bett, die Augen auf seinen Freund gerichtet, der ihn so spontan darum gebeten hatte, vorbeizuschauen. Natürlich ließ Antonio sofort alles stehen und liegen und kam der Bitte nach.

"Nein, eben nicht. Es war am Anfang echt so, als würde sich unser Verhältnis verbessern und dann...", ärgerlich seufzend schlug er mit der Faust gegen den Schrank, "und dann hat er es wieder versaut mit seinen gottverdammten Meldungen. Antonio, ich weiß echt nicht mehr, was ich tun soll. Ich weiß, dich zu fragen, ist auch nicht die beste Idee, aber du weißt mehr über meine Situation Bescheid als die anderen..."

Antonio nickte auf jedes Wort genau und beäugte den jungen Italiener mit einfühlsamem Blick. Es tat ihm im Herzen weh zu hören, dass die beiden keine Fortschritte machen konnten. Ach, wenn Antonio nur all seine Probleme für ihn lösen könnte. Er hasste es, Lovino so frustriert, ja aufgebracht und den Tränen nahe zu sehen. "Ja ja, das versteh ich ja, aber was meinst du mit 'gottverdammte Meldungen'?"

"Er kann seine scheiß Meinungen nicht einmal für sich behalten. Mich kotzt es an, dass er jedes Mal Leute, die er nicht einmal kennt, grundlos...beleidigt, wenn auch leise." Sich neben Antonio ins Bett fallen lassend, sah er mit müden, tristen Augen zur Decke hinauf und murmelte. "Ich hab auch Angst, dass er dich nicht mag..."

"Mich nicht mögen?", Antonio hob verwundert eine Augenbraue und schaute zu seinem Freund herab, "Das ist doch egal, ob er mich mag oder nicht, Lovino. Ich verstehe das Problem nicht...Was ist denn so wichtig daran, dass er mich mag?"

Keine Antwort. Stattdessen drehte sich Lovino still von ihm weg und zog die Beine an.

Nun wurde Antonio skeptisch und er drehte seinen Oberkörper zu Lovino, bemühte sich auch nur einen Blick auf ihn zu erhaschen und legte seine warme Hand auf seine Schulter. "Lovino?"

Aber Lovino drehte den Kopf weg, wagte es nicht einmal Antonio anzusehen und hauchte nur mit dünner Stimme. "Weil ich dich...W-Weil du mir-"
Nein.
Lovino geriet ins Stocken und verstummte sogleich; den Satz hatte er niemals beendet.

Das, was nun in seinem Herzen tobte, machte ihm Angst.
Er wollte es im Keim ersticken, es loswerden und nie mehr wieder sehen.
Nein, Lovino wollte gar nichts mehr fühlen. Es war zu viel.

Lovino musste weg. Weit weg. Denn diese Gefühle und Ängste holten ihn ein und er war ihnen schutzlos ausgeliefert wie ein Lamm einem ausgehungerten Wolf, der sich an ihm verzehrte.

Und Antonio saß nur an seiner Seite, verwirrt und nicht wissend, was in seinem Geliebten vorging und weshalb er wieder so eigenartig reagierte. Letztendlich waren ihm die Hände gebunden.

***

"Ich gehe eine Weile spazieren...alleine. Ich brauche frische Luft." Diese Worte waren das Letzte, das der junge Italiener seinem Großvater mitteilte, ehe er am späten Nachmittag das Haus verließ. Inzwischen war die Sonne untergegangen und eine dicke Nebelschicht erfüllte das Tal mitsamt der Stadt, zusammen mit der Dunkelheit der Nacht. Lediglich die Straßenlaternen erfüllten die belebteren Ecken der Nacht mit ihrem geisterhaften Licht. Doch von Lovino gab es keine Spur. Keine Schritte, kein Schatten, bei dem man auf ihn schließen könnte.

Romulus hatte inzwischen das Essen zubereitet. Er dachte, vielleicht könnte er seinen Enkel dadurch motivieren, sich ihm zu öffnen und endlich dieses Eis zwischen ihnen zu durchbrechen. Aber je länger er wartete und aus dem Fenster schaute, desto ungeduldiger wurde er.
Wo blieb er denn so lange? Lovino war alles andere als jemand, der so lange unterwegs war. Romulus Sorgen wuchsen in ungeahnte Höhen; in seinem Hals steckte ein dicker Kloß, der ihm die Luft zum Atmen raubte.

Allein durch die Berichte der letzten Zeit, wollte sich Romulus gar nicht erst ausmalen, was passiert sein könnte, falls Lovino nicht möglichst bald zurückkehrte. Vor allem der Artikel in dem Lovino erwähnt wurde bereitete Romulus Bauchschmerzen. Es war dumm, gerade bei solchen Informationen seinen Namen so freizugeben, denn wenn diese Mörder der Stadt ihre Drecksarbeit heimlich erledigten, dann bekamen sie bestimmt den Zeitungsartikel mit und Lovino würde zur Zielscheibe werden. Oh, Lovino. 

Romulus' Härchen auf seiner Haut stellten sich auf, in seiner Magengegend machte sich ein flaues Gefühl breit. Ihm war bewusst, wie viele Sorgen er sich um seinen ältesten Enkel machte. Warum sollte er es nicht? Er lebte in potentieller Gefahr und merkte es anscheinend nicht und nachdem Romulus' Tochter nach Romeos Geburt verstarb, zog Romulus die drei Brüder mit Minerva auf und insbesondere Lovino war doch seiner Mutter am ähnlichsten. Er war ihr aus dem Gesicht geschnitten und das impulsive Verhalten musste er von ihr geerbt haben. Wenn er seinen Enkel so sah, schien ein großer Teil seiner Tochter in ihm am Leben geblieben zu sein. Aber neben diesen Dingen war und blieb er doch immer noch ein eigenes Individuum, das Romulus nicht verlieren wollte. Lovino war sein Enkel und auch, wenn sie sich selten gut verstanden und er sicherlich viele Fehler in seiner Erziehung beging, die er nun bereute, liebte er ihn dennoch bedingungslos.

Dann klopfte es plötzlich an der Tür und Romulus schaute augenblicklich auf. Das musste er sein! Gott sei Dank war ihm nichts zugestoßen! Sofort ließ Romulus alles stehen und liegen, drehte den Schlüssel der Wohnung mit einer lockeren Handumdrehung um und drückte die Türklinke herab.

Schon wollte er Lovino begrüßen und ihn fragen, wo er nur so lange gewesen sei, doch als er die Tür zu sich zog und öffnete, stand ihm jemand anderes gegenüber und Romulus weitete die Augen. Er kannte diesen Mann. Er war einer von Lovinos Freunden; großgewachsen und blond. Wenn ihm doch nur der Name nicht abhandengekommen wäre.

Der Mann räusperte sich, sah zur Seite. "Sie sind Lovinos Großvater, richtig?"

Sogleich nickte Romulus und zog die Augenbrauen verwundert nach oben. "Ja? Wieso, ist etwas passiert?"

Sein Gegenüber fasste sich an sein blondes Haar, presste für einen Moment die Lippen zusammen und wirkte sehr angespannt. Da musste etwas sein. Definitiv musste etwas mit Lovino geschehen sein, sonst würde er nicht so reagieren.

"Spucks aus, verdammt! Was ist mit meinem Enkel!" Romulus Stimme wurde brüchiger, ja, er hörte sich gar verzweifelter an, als er es dem Mann vor ihm zeigen wollte.

"Lovino...Ist mir vorhin zufällig entgegengekommen. Er ging in Richtung des Waldes, ein paar Meter außerhalb der Stadtmauer", begann der Mann zunächst vorsichtig und runzelte dabei die Stirn, "Ich wollte ihn fragen, was er dort zu so später Stunde noch zu suchen hatte, aber hat mich eiskalt abgewiesen. Ich wollte gerade nachsehen, ob er vielleicht schon nach Hause gegangen ist und fragen, was los sei, aber anscheinend...nicht."

Diese Worte trafen den alten Mann wie einen Schlag mitten in die Brust. Lovino war in den Wald gegangen, doch nun sind bereits Stunden vergangen und draußen war es stockdunkel. "Du glaubst doch nicht dem Kleinen ist etwas passiert?" Romulus wollte sich selbst versichern, dass er sich die ringenden Alarmglocken in seinem Kopf nur einbildete, doch der entschuldigende Blick des blonden Mannes, warf nur noch mehr Sorgen auf.

"Sein kann leider alles...Jetzt wo wir beide wissen, dass er nicht heimgekehrt ist." Nun entwich auch Abel die Farbe aus dem Gesicht und ein ungutes Gefühl kitzelte seinen Magen. "Lovino war in den letzten Tagen, vielleicht sogar Wochen sehr...anders als sonst. Ich habe die Befürchtung, dass ihn etwas stark belastet und-"

Romulus atmete scharf ein, wollte gar nicht mehr erfahren, denn allein die Tatsache, dass es seinem Enkel nicht gut ging, brachte das Fass zum Überlaufen. Oh, wenn Lovino stark deprimiert war, war das kein gutes Zeichen. Verdammt, er hatte schon vor einer Handvoll Jahren geglaubt, er würde ihn verlieren. Romulus wusste, dass Lovino sich vor rund vier Jahren beinahe das Leben genommen hätte. Er hatte sich zu sehr in Sicherheit gewogen, dass er von alleine darüber hinwegkam; dass es ihm von nun an besser ging. Doch offensichtlich hatte er sich geirrt...

Das ständige Armkratzen, seine Blässe und wie er keinen Hunger mehr hatte, seine übermäßige Aggression...Er wirkte auch so unendlich müde und kraftlos...
Oh, wie hatte Romulus nur übersehen können, wie es ihm ging...

"Genug. Ich gehe ihn sofort suchen!" Romulus wartete keine Sekunde länger und warf sich seine Jacke über und setzte seine Mütze auf, ehe er sich so schnell ihn seine Beine tragen konnten, an dem jungen Mann vorbeidrängelte.

"Zeig mir sofort den Weg zu diesem Wald! Bitte." Die Panik und Sorge in den Augen des alten Großvaters blitzte auf. Der Mann - Abel - nickte sofort, verstand die Dringlichkeit der Situation augenblicklich, kaum hatte er eins und eins zusammengezählt. "Ich werde mit Ihnen suchen, Herr Vargas. Lovino ist immerhin ein Freund von mir. Ich zeige ihnen den Weg und dann trommle ich den Rest unserer Gruppe zusammen. Wenn wir alle zusammen suchen, finden wir ihn bestimmt!"

***

Hechelnd trug er sich von der einen Waldlichtung zur nächsten. Der kühle Wind zog scharf an seinen Ohren vorbei, der Mond und die Sterne erleuchteten seinen ziellosen Weg. Das Laub raschelte, das Getier der Nacht erwachte zu jener Stunde, als hätte man ihnen das Leben neu eingehaucht. Das Herz schlug schwer und schmerzhaft in seiner Brust, sein Geist war müde, sehnte sich nach Schlaf. Vielleicht nahm er auch nicht das Wild wahr, das durch seinen Lärm aus der Stätte flüchtete. Lovino fühlte sich von seiner Umwelt abgekapselt, alles war von einem dunklen Schleier umgeben. Was war die Realität? Was bildete sich sein Kopf ein? Er wusste es nicht mehr. Es war Wahnsinn, der ihn hierhin trieb. In den tiefen Wald inmitten der gefährlichsten Zeit des Tages. Ihm war bewusst, dass in unmittelbarem Umfeld jenes Tor zu den Katakomben wartete. Vielleicht wäre ihm einer der städtischen Mörder gnädig genug, seinem Leid ein Ende zu setzten, sodass er es nicht mehr tun müsste.

Aber...wollte Lovino das überhaupt?
Wollte Lovino tatsächlich sterben?

Seine Freunde...sie wären unsagbar traurig, am Boden zerstört. Ebenso wären es seine Brüder und sein Großvater. Der Schaden wäre zu groß, würde er nun sein Ende finden.

Lovino, sprang über einen Felsen, der ihm im Weg stand; kletterte dann über die dicken Wurzeln einer wilden Zypresse.

Doch zugleich könnte er der Verantwortung entfliehen, sich mit seinen Problemen auseinanderzusetzen und das war mehr als nur verlockend.

Antonio.

Bah, natürlich musste dieser Bastard nun auch direkt in seinem Kopf erscheinen. Dieser Idiot. Diese Nervensäge, die ihm zumindest einmal in seinem Leben das Gefühl gab, wichtig zu sein.
Der Trottel, der seit seiner Ankunft in der Stadt, Lovinos eigenbrötlerisches Dasein erleuchtet hatte und aus dem einst deprimierten, antisozialen Lovino einen weitaus entspannteren, fröhlicheren Mann geschaffen hatte...bis zu dem Tag an dem Lovino anfing sich selbst für sein Glück mit ihm zu hassen. Antonio traf keine Schuld. Es war ganz allein seine eigene destruktive Art, die ihm dieses Leid antat. Er hasste sich so sehr, durch Antonio so glücklich gewesen zu sein.
Aber, wenn Antonio nie gewesen wäre, wäre er schon längst tot und an Isolation verendet.

Ach, Lovinos Probleme waren ein bipolares Desaster. Eine Münze mit ihren zwei Seiten, die ihn in Verzweiflung brachten. Wie gerne würde er die Augen schließen und in einer Welt aufwachen, in der er ohne Angst und Zweifel seinen Gefühlen nachgeben durfte, ohne dafür gescholten oder gar verhasst und von der Familie verstoßen zu werden?

Ein Schluchzer entfuhr ihm, den er jedoch gleich wieder verschluckte. Seine Beine schmerzten, seine Glieder drohten in sich zusammenzufallen und Lovino wollte sich einfach hinlegen und keinen Finger mehr rühren. Eine weitere Brise zischte durch das Waldstück, brachte die Baumkronen zum Wackeln und Rauschen und die sanften Wellen des kleinen Baches dazu, sich leicht in Lovinos Richtung zu beugen. Wie spät war es schon? Lovino sah zum Himmel hoch. Sterne funkelten hinter einer Handvoll Wolken, die sie zudeckten. Vielleicht war es bereits gegen zehn Uhr abends? Hätte er genug Licht, könnte er seine Taschenuhr nutzen, doch die Finsternis hätte ihm die dunklen Ziffern des Ziffernblattes verschwiegen.

Laut ausatmend setzte sich Lovino auf einen Stein, gerade an der Böschung des schmalen Baches und betrachtete das Wasser. Kleine, filigrane Musterungen erschienen durch die Steine, die sich am Grund des Flüsschens befanden. Die Augen schließend nahm Lovino einen tiefen Atemzug und legte eine Hand auf sein Herz.
Stille...
Nur das Plätschern des Wassers.
Keine Menschen.

Sein höherschlagender Puls kam zur Ruhe, seine schweren Augenlieder ließen endlich das frei, das ihn schon seit Stunden belastete: Tränen. Er ließ sie, wie den Bach vor sich, fließen, verlor dabei allerdings keinen Mucks. Zögerlich hob er die Arme an, fuhr mit den Fingerspitzen durch sein Haar und kniff die Augen zusammen.

Dann konnte er sich nicht mehr halten. Seine Mauern brachen zusammen; das Fass erhielt den letzten Tropfen und ging letztendlich über.

"Ahhhhhh!", schrie er unter Tränen, gefolgt von lauten Schluchzern. In seiner Brust stach es, er war zerrissen, dem Wahnsinn unterlegen. Immer mehr heiße Tränen kullerten seine Wangen herab und seine geschwollenen Augen machten es ihm schwer, überhaupt geradeaus zu sehen.

Wieder vergriff er sich an seinen Armen, um die Pein in seiner Seele zu kompensieren, stach mit den Fingernägeln tief in seine Haut und kratzte sich wund, bis das süße, kühle Brennen zurückkehrte und feine rosa Linien zurückblieben.

Lovino wollte die Welt in tausend Trümmer einschlagen. Den Himmel wie ein Stück Papier zerreißen und die Erde in das Nichts verwandeln, das ein klaffendes Loch in seiner Brust hinterlassen hatte. Wieder stieß er einen Schrei aus, der aus den tiefen seiner Seele emporstieg und seine Stimmbänder zum Beben brachte. Raus...all dieses Leid sollte aus ihm verschwinden, Lovino wollte nicht mehr so weiterleben.

Warum...war alles so schwer geworden?
Jeder Schritt, jeder Atemzug?

Was hatte Lovino der Welt getan?

Weshalb hasste er sich selbst nur so sehr?

Warum...Warum kann keine Sonne seine Dunkelheit wieder erhellen? Warum...

Lovino konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und weinte vor sich hin.
Er weinte, bis all der Schmerz, all die Furcht und der Hass verschwunden waren...oder zumindest betäubt wurden.

Denn sie wohnten dennoch in ihm wie ein Parasit, der ihn von innen heraus auffraß und die Macht über ihn erhielt.

Plötzlich, aus dem letzten Winkel seiner Wahrnehmung, lauschte er einem Klang...
Raschelnde Blätter...Ein sausender und doch schwerer Schritt. Worte hallten durch den Wald, sie waren wohl ein Name, denn es war dauernd dasselbe und doch konnte Lovino nur verwaschene Töne erkennen, denn das Rauschen in seinen Ohren blockierte einen Großteil.

"Lovino!"

Keine Reaktion. Lovino blieb stocksteif auf seinem Stein sitzen.

"Lovino!"

Wieder rief man nach ihm, nun wurde die Stimme deutlicher und die Schritte, deren Lautstärke sich hinter ihm aufbäumte wie ein Monster, das mit seinen spitzen Klauen nach ihm griff, wurden immer kurzlebiger, schneller. Lovino hielt den Atem an, wagte es aber nicht, auch nur einen Finger zu rühren und stieß stattdessen einen weiteren Schluchzer aus.

Warme, große Hände packten ihn an den Schultern, schüttelten ihn leicht, aber Lovino konnte nicht aufsehen. "Lovino! Hörst du mich?! Was machst du hier?!"
Nonno...
Lovinos Lippen bebten und er wollte sogleich noch einmal in Tränen ausbrechen.

"Schau mich nicht an...", Lovino drückte die Hände seines Großvaters weg von sich, wischte dann mit dem Unterarm die Tränen weg. - Leider ohne Erfolg, denn sie flossen direkt wieder weiter.
Scheiße, Lovino wollte nicht vor den Augen seines Großvaters heulen. Er würde nur wieder sagen, dass er sich wie ein Mann benehmen und sich zusammenreißen sollte. Genau wie früher.

"Lovino", wiederholte Romulus und ihm entwich die Farbe immer mehr aus dem Gesicht, entgeistert musterte er seinen ältesten Enkel, sah wie blass, verweint, krank und aufgekratzt er in Wirklichkeit war und seine Augenbrauen zogen sich besorgt zusammen, "Lovino, rede mit mir...Was hast du? Warum bist du nicht nach Hause gekommen, verdammt, ich habe mir Sorgen gemacht!" Fast brüllend preschten die Worte gegen Lovinos Ohren und es trieb ihm immer mehr dazu lauter und vor allem stärker zu weinen.

Warum schrie er ihn nur an? Hasste er ihn wirklich so sehr? Hatte er es herausgefunden und würde er ihn verstoßen? Lovino verstand den Inhalt von Romulus Worten gar nicht, er hörte einzig und allein die aufgebrachte, laute Stimme des alten Mannes und er fühlte sich direkt wie ein kleines, wehrloses Kind, das nun gnadenlos gescholten wird.

Als Lovino nur laute Schluchzer von sich gab und sich mit allen Mitteln gegen Romulus Nähe wehrte, trat dieser einen Schritt zurück. Für ihn ergab Lovinos Ausraster keinen Sinn und so sehr er seinen Enkel auch liebte, wie sollte er bitte schön mit ihm zurechtkommen, wenn er ihn so aggressiv wegstieß? "Lovino, mein Kind, komm runter und hör mir endlich zu!"

"Lass mich in Ruhe, Nonno! Mach es so, wie früher! Scher dich einen verfickten Dreck um mich! Das kannst du doch am besten, oder nicht?", unter Tränen funkelte er seinen Großvater verletzt und voller Wut gegen sich selbst an, "Ich war schon immer die gottverdammte Schande der ganzen Familie!", er legte seine Hand auf seine schmerzende Brust und immer mehr Tränen rollten an seinen Wangen herab, "Ich bin eine Schande! Und egal, was ich mache, ich werde nie genug sein!", er atmete schwer ein und aus, "Feli wird die Karriere machen! Romeo wird eines Tages eine Familie gründen und ich? Ich werde mein Leben lang der Versager der Familie sein! Keine Karriere, keine Familie, kein Garnichts! Für dich bin ich auch nicht Mann genug. So wie ich heule, wirst du mir das sicher wieder eintrichtern. Ich bin eine Enttäuschung. Und du wusstest das schon von Anfang an...", Lovinos Stimme wurde leiser, gebrechlicher, "...und vor allem: Du wirst mich verstoßen...Du wirst mir sagen, dass du das nicht tust, aber wüsstest du die verdammte, dreckige Wahrheit, würdest du es! Und dann bin ich allein und hab niemanden mehr!"
Lovino sank auf seine Knie, der kalte, feuchte Boden hinterließ Flecken auf seiner Hose, aber ihm war alles recht, solange er seinem Großvater nicht ins Gesicht blicken musste.

"Nonno...", seine Stimme brach ab, unter den Schluchzern war kaum noch ein Wort zu verstehen, "Nonno...ich..."
Bitte hass mich nicht. Verstoß mich nicht. Nimm mich in den Arm, obwohl ich doch nur ein Häufchen Elend bin, das es verdient hat, zu leiden. All diese Dinge wollte Lovino Romulus mitteilen, doch kein weiteres Wort schaffte es über seine Lippen. Lovino schmeckte seine eigenen Tränen, sie waren warm und salzig. Sein Kopf brummte und er konnte kaum noch gerade aus sehen, denn seine Augen waren geschwollen und rot. Lovino wollte nicht mehr...

Stille. Es folgte kein Wort, kein Mucks, keine Reaktion und Lovino dachte schon, Romulus bestrafte ihn entweder mit Schweigen oder hatte ihn bereits verlassen. Zerstört und kraftlos kniff er die Augen zu, krallte sich mit den Fingernägeln in die feuchte Erde. Dann setzte er sich kraftlos hin, legte die Arme an den Knien ab und versteckte sein Gesicht.
Warum konnte ihm das Schicksal nicht einmal etwas Gutes tun...?

"Lovino. Du liebst diesen Mann, oder nicht?" Ruhig und geradezu andächtig, als gäbe es kein bisschen Wut oder Boshaftigkeit auf der Welt stellte Romulus seine Frage, sah seinen Enkel nicht an und setzte sich stattdessen langsam neben ihn. Lovino rührte sich nicht und behielt den Kopf in den Armen versteckt. Er bejahte seine Aussage nicht und doch sagte er auch kein Sterbenswörtchen dagegen.
Er verneinte nicht...

Romulus' Verdacht nahm Gestalt an; es wurde die Realität.

Der alte Mann sah nach vorne, atmete die kühle Abendluft ein.
"Der Spanier...Er macht dich schon glücklich, nicht?", Romulus wartete einen Moment, setzte dann aber fort, "Du musst nichts sagen. Ich habe es an den Blicken erkannt, die ihr euch beide gabt und wie ihr euch verhaltet, kaum hattet ihr einen Moment für euch. Lovino, dass du in der Gegenwart von anderen ruhig und ausgeglichen werden kannst, hatte mich ernsthaft erstaunt." Für den Augenblick sah er zu Lovino, dann sah er zurück zum Bach. "Hätte ich eins und eins zusammengezählt, wäre mir nach dem Vorfall beim Blumenladen und wie du dich danach gezeigt hast, bereits alles klar geworden." Romulus Stimme wurde leiser, kälter, aber man verspürte auch voller Wehmut und Reue, lauschte man seinen Worten.
Doch wieso sollte das der Fall sein, dachte sich Lovino, ohne auch nur ansatzweise zu reagieren.

Als Romulus dann wieder mit dem Sprechen ansetzte und seufzte, stellten sich die feinen Härchen auf Lovinos Armen auf. Jetzt kommts, sprach er sich in Gedanken zu. Jetzt verstieß er ihn, verleugnete seine Verwandtschaft zu ihm und hasste ihn. Lovino hatte sich all das bereits in Gedanken ausgemalt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es Realität wurde.

Romulus kickte ein Steinchen in den Bach, beobachtete, wie es versank und wie einer von vielen auf dem Grund des Gewässers verschwand. "Lovino."

"Ich weiß schon...Ich sollte besser gehen", hauchte Lovino scheinbar die Gedanken seines Großvaters aus und erhob sich.

"Nein, Lovino. Hör mich an." Zu Lovinos Überraschung hörte er keinerlei Wut oder Ekel aus Romulus' Worten heraus, aber auch diese Gefasstheit machte ihm tierische Angst und ließ seine Gefühle ins offene Feuer seiner Ängste rennen. Und als Nonno ihn am Handgelenk an Ort und Stelle festhielt dachte er schon, sein letztes Stündlein hätte geschlagen und sein Hals zog sich fest zusammen.

"Wieso sollte ich?", krächzte Lovino und wehrte sich gegen Nonnos Fängen, "Damit du mir bestätigst, nicht mehr mein Nonno sein zu wollen? Damit du mich aus der Familie schmeißen kannst und verleugnest, wie es Antonios Eltern mit ihm gemacht haben?"

"Sie haben ihn rausgeschmissen und verleugnet?", Romulus Augen weiteten sich schlagartig und er wiederholte Lovinos Worte nur flüsternd, "Sie-"

Tränen rollten still über Lovinos bleiche Wangen herab, der Funke in seinen Augen war schon längst erloschen und alles in allem fühlte er sich mehr als nur dreckig. Eine Antwort schaffte es nicht mehr über die Lippen, das Fass lief endgültig über und er wünschte sich nichts sehnlicher als auf der Stelle zu sterben. Als Romulus dies sah, dachte er, sein Herz risse sich augenblicklich entzwei. In seiner Brust zerrte es und die Reue schlug mit der Erkenntnis, dass Romulus selbst verantwortlich dafür war, dass Lovino so viele Ängste und Trauer in sich trug, wie ein Blitz in ihm ein.
Oh Lovino...
Sein armer Lovino.

Langsam bewegte er sich auf seinen weinenden Enkel zu, legte die Arme um ihn und zog ihn in eine Umarmung. Sachte strich er mit der warmen, flachen Hand über seinen Rücken, zischte ein leises "Shhhh", während Lovino erneut in tausenden, atemlosen Schluchzern und Tränen ausbrach.
Romulus, sprach er sich selbst in Gedanken zu, was hast du nur getan...
Was war der Grund dafür, Hass gegen Menschen zu hegen, die nichts getan haben, außer zu lieben?
Lag es an seiner tatsächlichen Überzeugung oder übernahm er die Meinung seines Vaters, seiner Nachbarn, seines Umfeldes, ohne sie jemals hinterfragt zu haben?
Romulus hatte nie darüber nachgedacht, wie schlimm und verletzend er sein gesamtes Leben lang war und doch zwang ihn gerade diese Situation dazu, einzugestehen, dass er Fehler gemacht hatte; dass sein Hass irrelevant und seine Worte lediglich unverzeihlichen Schaden angestellt hatten.
Oh Lovino...
Romulus tat sich schwer, ihn zu verstehen - sich in ihn hineinzuversetzen - aber...
Er sah auf seinen Enkel, der sich in seinen Armen verkrampfte und nach jedem Schluchzer verzweifelt nach Luft rang.

...aber egal, was auch geschah oder wie Lovino nun liebte, er würde es niemals übers Herz bringen, seinen Enkel - den er seit Kindestagen wie einen Sohn aufzog, seine ersten Schritte und Worte miterlebte und ihn aufwachsen sah - zu verstoßen. Lovino war sein Enkel und er liebte ihn trotz der Konflikte bedingungslos.

"Nonno...", erneut ließ Lovino ein Wimmern von sich, kniff die rotgeweinten Augen fest zusammen und krallte sich mit den Fingern in Romulus Jacke, als fürchtete er sich, von ihm verlassen zu werden, "Bitte...hass mich nicht...Ich hab so Angst..."

Wieder schlug Romulus' Herz tief und schwer gegen seine Brust.
Was hatte er nur getan...?

"Nonno..."

Vorsichtig strichen warme Finger durch sein Haar und Lovino versetzte sich in seine Kindheit zurück. Wärme umschloss seinen frierenden Körper, aber auch seine Seele und nach und nach verstummten die Schluchzer und die Tränen versiegten. Nonno hielt ihn bei sich, wie ein Kind, das gerade aus einem schlimmen Albtraum erwachte.
Er stieß ihn nicht weg.
Er war nicht wütend.
Er...

"Lovino...Ich bin hier. Alles ist...gut", Romulus legte sich seine Worte zurecht, doch auch er hatte Schwierigkeiten, Lovino den Trost zu spenden, den er verdient hätte, "Ich hasse dich auch nicht und verstoßen könnte ich dich niemals...Du bist doch mein kleiner Lovino..."
Wieder strich er ihm übers Haar, hielt ihn dabei in seinen Armen wie es einst Minerva für Lovino tat. "Lovino, wenn ich nur gewusst hätte, wie viel Schaden und Leid ich dir verursacht habe, dann...", Romulus zögerte, es kamen ihm selbst die Tränen und umarmte seinen Enkel fester, "nein...das entschuldigt auch nicht, was ich dir so lange angetan habe...was ich an sich falsch gemacht habe..."

Romulus hörte und spürte eine Bewegung seines Enkels - sein Griff wurde schwächer, der Krampf ließ nach. Nach und nach schien sich Lovino endlich zu beruhigen und dass, obwohl sein Herz so schwer geworden war.
"Lovino...Ich gebe zu, ich tu mir ehrlich schwer, dich nachzuvollziehen, aber mir ist es wichtig, dass du glücklich bist. Das musst du mir glauben...Und wenn es dich glücklich macht, ihn zu lieben, dann bitte sei auch glücklich und verwehre dir das nicht. Aber eines musst du mir versprechen: Pass auf dich auf. Ich möchte nicht, dass man dir Schaden hinzufügt, verstanden? Auch das mit der Zeitung, die ich gesehen hab...Lovino, es ist zu leichtsinnig, wenn du deinen Namen so verrätst, das hättest du anonym melden sollen, wer weiß, was dir sonst geschieht?! Ich hatte schon Angst, als ich hergekommen bin, dass dir etwas zugestoßen sein könnte. Die ganze Zeit hatte ich Sorgen um dich...Bitte, versprich es mir, gib Acht und lass dir von niemandem auch nur ein Haar krümmen."

Diese Bedingung.
Diese Bedingung musste Lovino ihm versprechen.
Denn, wenn er verspricht, auf sich aufzupassen und nicht in Gefahr zu geraten - so wie einst die Männer auf dem Schafott viele Jahre zuvor - wird er versuchen, Lovino ein besserer Großvater zu sein.

Lovinos Kopf bewegte sich auf und ab, sodass Romulus sein Nicken durch den rauen Stoff seiner Jacke spürte. Dann verfestigte Lovino die Umarmung, doch es flossen keine weiteren Tränen mehr; sie waren versiegt. Ein Atemzug, dann ein weiterer und schließlich fand das feine, zerbrechliche Stimmchen wieder an seinen Platz zurück und Lovino krächzte leise.
"Ich hab dich lieb, Nonno..."

"Ich dich auch, Lovino..."

~♦~

Nach jenem Ereignis im tiefen Wald, begann die einst brüchige Beziehung zwischen Lovino und Romulus an, ihre tiefen Risse zu heilen. Lovino konnte Romulus nicht für das Vergangene verzeihen, dafür war zu viel zu Bruch gegangen, aber er war willig, einen Neuanfang mit seinem Großvater zu starten. Vielleicht bräuchte es einige Jahre, bis Lovino ihm völlig vertraute, aber sie begegneten sich von nun an offener, ehrlicher und vor allem mit Wertschätzung und Liebe. Nach über zwanzig Jahren erlangte Lovino endlich das, was er schon als kleiner Junge wollte: das Gefühl zu genügen und von seinem Nonno bedingungslos geliebt zu werden.

~♦~

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro