Chào các bạn! Vì nhiều lý do từ nay Truyen2U chính thức đổi tên là Truyen247.Pro. Mong các bạn tiếp tục ủng hộ truy cập tên miền mới này nhé! Mãi yêu... ♥

Kapitel 21 - Die Rachsucht eines Giftzwerges

Aber die Idylle währte nicht ewig. Lovino und Antonios kleiner Moment verglühte wie ein Feuerfunke im Nachthimmel. Die Dunkelheit brach an und nur mehr das gedämpfte Knacksen der verkohlten Äste in der schwach leuchtenden Glut lenkte vom Surren der Insekten und dem Rauschen des Meeres ab. Michelle packte die leere Schüssel in ihre Tasche sowie die Gläser, die sie zuvor im Meer ausgespült hatte. Emma kümmerte sich um die Handtücher, ihre Wechselkleider und kontrollierte den Strand gemeinsam mit Lovino auf verlorene Gegenstände. Es wirkte wie ein friedlicher Abend vor der Rückkehr in die Stadt, doch wenige Meter fernab von den Mädchen und Lovino, spielten sich Wortgefechte ab, die Antonio bereits erwartet hatte.

Abel hatte ihn zur anderen Seite der Felswand gebeten, seine Stimme kalt und verärgert. Antonio schluckte, folgte ihm aber. Er wusste genau, weswegen Abel mit ihm abseits der anderen diskutieren wollte. Seine Entscheidung nach Spanien zurückzukehren, und seien es nur wenige Tage, versetzte Abel in Panik und Unsicherheit darüber, wie es nun weiterginge. Er fühlte sich allein gelassen in einer schier ausgangslosen Situation, die er nicht allein ausharren wollte.

Abel atmete tief ein, doch seine Enttäuschung und den Frust konnte er eindeutig nicht verbergen. Er sah seinem Freund verständnislos ins Gesicht, sprach dann aber mit gedämpfter Stimme, um unauffällig zu bleiben. "Antonio, warum? Du hattest versprochen, mit mir gemeinsam einen Plan zu finden, wie wir aus dem Schlamassel rauskommen! Und jetzt kündigst du an, plötzlich ins Ausland zu gehen! Ich weiß, es sind nur eine Handvoll Tage, aber du weißt genau, wie viel Schrott allein an einem Tag passieren könnte!"

Das. Genau das hatte Antonio befürchtet.
Er hasste es, mit Freunden streiten zu müssen. Trotzdem blieb ihm doch kein anderer Weg.

"Ich weiß! Glaubst du, ich weiß das nicht?" Antonio spürte, wie Unsicherheit und Schuldgefühle an ihm nagten. Er bereute seine egoistische Entscheidung, wusste aber, dass ihm ein anderer Weg genau so wenig bringen würde. Je länger er in der Stadt blieb, desto stärker würde ihn seine Denkblockade und diese Sehnsucht nach seiner Familie treffen.

"Warum machst du es dann?!" Abel musterte Antonio abwertend und verschränkte die Arme vor der Brust, "Hör zu, wenn du es zu einem komplett anderen Zeitpunkt gemacht hättest, hätte ich überhaupt kein Problem damit. Aber warum musst du genau jetzt darauf kommen? Antonio, versteh doch, wir wollen doch beide nicht, dass noch etwas geschieht und wir müssen einen Plan-"

"Wenn ich hierbleibe, fällt mir aber kein Plan ein!", platzte es Antonio lauter raus, als er es wollte. "Was?" Abel machte einen Schritt nach hinten, senkte die Arme wieder und wurde ruhiger. Nun verstand er gar nichts mehr. Was wollte Antonio ihm sagen?

"Wenn ich in dieser Stadt bleibe, kann ich nicht denken", fuhr Antonio fort und jede Sekunde brach ein Stück seiner sonst so selbstbewussten Stimme, "Jede Gasse, jeder Mensch, der an mir vorüber läuft, ja, sogar jeder verdammte Laternenpfahl stresst mich und blockiert mir den Kopf! Es erdrückt mich alles, Abel!" Atemlos von seinem Ausbruch, ballte Antonio die Fäuste und senkte den Blick. Abel runzelte nur die Stirn. "Ich weiß, du fühlst dich gerade allein gelassen, glaub mir, das wär ich auch, aber wenn ich hierbleibe, dann werden uns gar keine Ideen einfallen. Ich habe es wirklich versucht, aber solange ich mit diesen Rahmenbedingungen arbeiten muss, funktioniert einfach nichts! Da könnte ich eine Woche zuhause sitzen und wir hätten noch keine einzige Idee...Ich muss für ein paar Tage weg. Ich muss es einfach, dort kann ich meinen Kopf frei bekommen und ich verspreche, nach diesen Tagen außerhalb dieses Kaffs, werde ich einen Plan haben!" Wild umherschauend bemühte sich Antonio, Abel klarzumachen, warum er diesen Weg wählte. Schweißperlen zierten seine Stirn und sein Puls schoss in die Höhe. Verdammt, dieses Thema machte ihn fertig!

"Und warum dann ausgerechnet Spanien? Kannst du nicht einfach einen verdammten Nachbarort wählen? Warum willst du dort ausgerechnet zurück, ich dachte, du hättest es endgültig hinter dir gelassen?" Zu Antonios Überraschung verhielt sich Abel äußerst ruhig, dennoch spürte er, dass Abel alles andere als zufrieden war. Lügen konnte Antonio nicht und es würde seinen Freund nur noch mehr verärgern.

"Ich will meine Familie wiedersehen", gab Antonio nüchtern zurück, ohne auch nur den Anreiz einer Emotion zu zeigen. "Deine Familie? Bist du bescheuert, Antonio? Das ganze Geld und das Chaos nur, weil du eine andere Umgebung zum Denken brauchst und deine Familie wiedersehen willst? Dieselben Leute, die dich wie Mist behandelt haben?" Abel raufte sich die Haare und zischte verärgert. "Ich akzeptier zwar dein Argument mit dem 'Ich kann hier nicht denken...' und kann es auch nachvollziehen, aber das mit deiner Familie verstehe ich kein Stück."

"Ich will eben versuchen mich mit ihnen zu versöhnen! Oder besser gesagt, will ich sehen, wie es Abuela geht und will darauf hoffen, dass Mama zumindest einmal noch mit mir spricht, damit ich endlich mit dem Scheiß abschließen kann...", er zog die Luft scharf ein und hoffte, dass Abel ihn ansatzweise verstand, "Weißt du, als Lovinos Familie plötzlich da war und ich gesehen habe, wie sehr sie sich trotz ihrer Schwierigkeiten lieb haben, hatte ich Sehnsucht nach so einer Familie...Ich wollte zu meiner Mama, aber zu der Mama, die mich als Kind liebte und für die ich ihr größter Schatz war. Ich hatte plötzlich Hoffnung, dass ich es vielleicht doch noch wieder geradebiegen kann. Und meine Abuela schreibt seit Wochen nicht mehr zurück und ich möchte sie unbedingt sehen. Es sind drei Jahre gewesen, seitdem ich sie das letzte Mal gesehen hab, du weißt, wie wichtig sie für mich war..."

"Das weiß ich, aber..."

Antonio unterbrach ihn direkt und schenkte ihm einen entschuldigenden Blick. Seine Stimme wurde leiser, beinahe brüchig, und seine Augen spiegelten seinen seelischen Schmerz wider, den er endlich zum Ausdruck brachte. "Lass mich dieses eine Mal bitte so egoistisch sein, Abel. Dieses Thema zerreißt mich innerlich mehr als alles andere. Ich weiß, ich bin ein Idiot, wenn ich jetzt gehe, und deinen Ärger brauchst du mir nicht erklären. Wenn ich hierbleibe, kommen wir in diesen sieben Tagen auch nicht weiter als jetzt. Ich verspreche hoch und heilig, sobald ich zurück bin, einen Plan parat zu haben, den wir besprechen können. Ich schwöre es, denn ich will dich trotzdem nicht hängen lassen, ich hab es versprochen. Nur erlaube mir, es auf meine selbstsüchtige Art und Weise zu machen..."

Abel seufzte, wandte den Blick ab und betrachtete stattdessen die sanften Wellen des Meeres und wie sich das feurig rote Licht des Abends in ihnen spiegelte. "Gut...Mach es, wie du es für richtig hältst...", er gab nach, machte eine Pause und sah kurz zu den anderen rüber, die allmählich mit dem Aufräumen fertig wurden, "Ich vertraue auf dich, dass du mich trotzdem nicht im Stich lässt. Auch ich werde weiterhin überlegen, wie wir unser Problem lösen."

"Ich werde dich nicht enttäuschen, Abel, versprochen", versicherte er augenblicklich und anstatt eines energielosen, gestressten Gesichtsausdrucks, schlich sich ein schwaches Lächeln auf seine Lippen zurück. Ebenso Abels Gesichtszüge erweichten sich und er nickte Antonio zu. "Gut, dann lass uns gehen, die anderen warten bestimmt schon."

~0~

In seinen Ohren rauschten noch die Wellen gegen die dicke Eisenwand des Schiffes, die Maschinen würden noch vor sich hin klappern und arbeiten und das ständige Getratsche der Passagiere über Dies und Jenes wollte nicht aus Lovinos Kopf verschwinden. Noch dazu kam die Übelkeit, das Schwanken des Bodens und das Kreischen der Möwen. Er konnte selbst nicht glauben, dass er sich dazu bereiterklärt hatte, sich gemeinsam mit Antonio auf ein Schiff zu schleichen, in der Hoffnung, niemand würde die beiden finden und bemerken, dass sie sich eingeschleust haben. Die Schifffahrt war anders katastrophal gewesen, daher war Lovino froh, endlich festen Boden unter den Füßen zu haben, auch, wenn seine Beine nachgeben wollten, kaum berührte er das Steinpflaster des Hafens.

Wie lange waren sie unterwegs gewesen? Bestimmt mehr als zwanzig Stunden. Vielleicht vierundzwanzig? Lovino wusste es nicht so genau, aber für seinen Geschmack war es definitiv zu lange. Er fragte sich immer noch, wie er es zusammen mit Antonio geschafft hatte - besonders zu Beginn, als die Kontrolle noch strenger war - unentdeckt zu bleiben. Erinnerungen an die spontanen, gemeinsamen Verstecke in der viel zu engen Kabine der Bordtoilette beim Start ihrer Reise oder dem 'Einbruch' in die Speisekammer kamen hoch. Lovino fasste es immer noch nicht, wie Antonio um drei Uhr morgens so ausgehungert und verzweifelt war, dass er einen grauenhaft salzigen Fisch und trockenen Zwieback verdrückte. Warum dachte er, er müsste Lovino deswegen aufwecken? Lovino hatte absolut keinen Plan und hinterfragte am besten nicht weiter. Denken konnte er sich in seinem jetzigen Zustand ohnehin abschminken. Sein Magen knurrte seit Stunden und jede Minute drohte Lovino darunter, schwächer zu werden und zu kollabieren.

Antonio hatte ihn zwar gewarnt, dass er doch etwas essen sollte, aber Lovinos Dickschädel weigerte sich, auch nur einen Bissen von der mageren Schiffskost zu probieren. Lieber wäre er auf der Stelle gestorben, als sich seinen Magen mit stinkendem Fisch zu ruinieren und nun hatte er den Salat. Er konnte nicht einmal die architektonische Schönheit der Hafenstadt bewundern. "Bastard...", stöhnte Lovino auf, während er müde und mit wackeligen Beinen neben Antonio hertrottete, die Sonne malte mit ihrer sengenden Mittagshitze Farbe auf seine Haut, "Ich verhungere, können wir Essen holen? Außerdem hab ich Durst!"

"Ich hab dir vorhin gesagt, dass du etwas essen und trinken sollst..." Antonio sah vorwurfsvoll auf seinen Freund herab, konnte ihm aber nicht lange böse sein, als er seine bemitleidenswerte Miene erblickte.

Lovino schob die Unterlippe nach vorne und blinzelte ärmlich, um Antonio doch zum Nachgeben zu bringen. "Bitte!" Ein Seufzer entfloh Antonios Mund, er wischte sich die angeschwitzten Haare aus der Stirn, die allerdings sofort zurückfielen und zückte sein Portemonnaie. "Ist schon gut, Lovi...", er drückte Lovino ein paar Münzen und Scheine in die Hand, zum Glück hatte er bereits das Geld von Lire in Peseten gewechselt, "Kauf dir etwas. Aber nicht direkt hier am Hafen, da zocken dich die meisten ab, weil sie dich für einen Touristen halten."

"Tonio, ich kann mir nichts selbst besorgen, ich kann kein Spanisch, falls du das vergessen hast, du Volltrottel." Schon gab er Antonio das Geld wieder zurück, wenn auch mit einem unangenehmen Gefühl in der Brust. Er hasste es, voll und ganz auf Antonios Hilfe angewiesen zu sein. Da schien Antonio zu realisieren, seine Augen weiteten sich und er kratzte sich nervös am Hinterkopf. "Ach ja, stimmt...Lo siento, Lovi, ich helfe dir dann natürlich."

Schnell steckte er das Geld wieder in sein Portemonnaie und sah sich um. Die Hafenstadt sah nicht sehr viel anders aus als vor drei Jahren. Die Fischstände standen noch auf denselben Stellen und die Werft sah ebenso schäbig aus, nur hatte man die Fenster offensichtlich ausgewechselt. Antonio ging voran, bemühte sich ansatzweise an den Schildern zu orientieren und blickte immer wieder zurück zu Lovino, der zähen Schrittes vor sich hin trottete. Sein Herz erschwerte sich, als er Lovino dabei beobachtete, wie er sich dauerhaft mit der Karte Luft zufächelte und erschöpft umherwandelte. Klar, in Süditalien war es ebenso heiß, aber gerade herrschte eine Hitzewelle in dieser Gegend und zur Mittagszeit wagte sich ohnehin kein normaler Mensch auf die Straße und zugegeben: Antonio hätte sich am liebsten auch schon in den Schatten verdrückt.

Die Gegend nach einem kleinen Geschäft oder Trinkbrunnen absuchend, bemerkte Antonio allerdings nicht, wie Lovino plötzlich stehen blieb und den Kopf in seine Hände legte.

Ihm wurde schwummrig, sein Augenlicht wurde von tausenden kleinen schwarzen Pünktchen geraubt und der Boden schien ihm unter seinen Füßen weggerissen worden zu sein. Wieso schwankte alles? Wieso fühlte er sich, als würde seine Seele seinen Körper zwanghaft verlassen wollen und alles von außen betrachten? Hätte er doch nur an Bord etwas getrunken...Erst jetzt realisierte er seine spröden Lippen und den trockenen Mund.

"Lovi, komm, da hinten ist-", Antonio wandte sich zu Lovino und wollte ihm gerade einen Stand mit nicht überteuertem Essen zeigen, als er erkannte, wie dieser schwankte und an Farbe verlor, "Lovi!"

In Lovinos Ohren rauschte es, es fühlte sich an, als stecke Watte darin und sein freches Mundwerk verstummte. Die Welt bebte und sein Gleichgewicht war von einer Sekunde auf die nächste non-existent. Zeitgefühl verschwand aus seinem Leben und Lovino vermutete bereits in einen ewigwährenden Halbschlaf zu fallen und den Boden zu küssen. Doch der Aufprall geschah nie. Stattdessen schlang sich ein warmer Arm um seinen Rücken und ein weiterer unter seine Kniekehlen. Jemand musste ihn aufgefangen haben. Das regelmäßige Hin und Her seines Körpers erinnerte ihn an Schritte und doch setzte er selbst keinen Fuß mehr vor den anderen. Trug ihn jemand? Lovino lauschte verwaschenen, schnellen Worten, erfasste aber keinen Zusammenhang mehr. Wie in einer Trance gefangen, fand sich Lovino in völliger Abhängigkeit gegenüber seinem Retter wieder, als plötzlich eiskaltes Wasser sein Gesicht traf und seine Lippen endlich die kühle, frisch angefüllte Wasserflasche berührten und die verzerrte Welt wieder ihre Richtige Form annahm. Wasser...endlich Wasser.

"Lovino?! Hörst du mich?" Antonio hatte seinen Arm fest um Lovino gelegt und flößte ihm vorsichtig das kalte Trinkbrunnenwasser ein. Verdammt, sein Herz raste immer noch vor Panik. Er hatte Angst gehabt, dass ihm Lovino plötzlich umkippte. Als er keine Reaktion vernahm, probierte er es erneut. "Lovi?" Dann rührte sich der kleine Italiener endlich und hustete, als er sich am Wasser verschluckte. "Was zum Fick ist passiert?"

Ein Glück, Lovino ging es besser. Antonios schmerzendes Herz entspannte sich augenblicklich. "Du bist mir fast umgekippt, Lovi. Ich hatte gerade einen Ort gefunden, wo du etwas zu essen kriegst, aber dann bist du plötzlich stehen geblieben und warst kaum ansprechbar."

"Und dann hast du mich zum Trinkbrunnen geschleppt?", wollte Lovino augenblicklich wissen, obwohl die Antwort offensichtlich war. "Ja...Geht's wieder?" Fürsorglich strich er Lovino über den Rücken. Er wollte sich nicht ausmalen, wie schuldig er sich gefühlt hätte, wenn Lovino plötzlich bewusstlos auf der Straße gelegen wäre.

"Denk schon..." Tatsächlich kehrte Lovinos gesunde Farbe zurück in sein Gesicht, aber sein Magen knurrte weiterhin. Schon wollte er aufstehen und weitergehen, aber seine Kräfte waren am Ende und seine Beine gaben direkt nach, sodass Antonio ihn einmal mehr auffing und ihn stützend in den Armen hielt. "Warte, Lovi! Überstürze nichts! Lass mich helfen..." Geschwind nahm er seinen Arm und legte ihn um seine Schultern und fasste Lovino um den Rücken, um ihn stützen zu können. Dann ging er langsam voran, sodass Lovino ihm folgen konnte. "Komm, bis der Zug kommt, dauert es noch eine Weile, zuerst isst du dich in Ruhe satt, bis du wieder Energie hast. Ich zahle für dich."

Lovino nickte bloß und verfluchte sich innerlich für seinen Dickkopf von vorhin. Gott sei Dank war Antonio ständig an seiner Seite. Somit könnte ihm in diesem fremden Land nichts geschehen. Hoffentlich endete der restliche Tag nicht mit weiteren Reinfällen...

~0~

Während das Triebwerk des Zuges gleichmäßig vor sich hin ratterte und ein gräulicher Dampf die Strecke in die Lüfte zeichnete, erfüllte ein leises Schnarchen die kleine Zugkabine. Die Hitze machte müde, da war auch in der Eisenbahn keine Zuflucht zu erwarten. Zusammengekauert zu einem kleinen Bündel rastete Lovino, der ohnehin an Schlafmangel seit Beginn der Reise litt, auf seinem Sitzplatz. Seine Atmung war ruhig und die Geborgenheit, die er in Antonios Gegenwart verspürte, versprach ihm einen ungewohnt erholsamen Schlaf. Antonio saß neben ihm, den Kopf aus dem Fenster gerichtet, beobachtend, wie sich die Umgebung änderte und sich immer mehr sandfarbene Felswände hier und da emporstreckten. Doch seine Gedanken kreisten um andere Dinge.

Der Plan. Antonio hatte Abel versprochen bis zu seiner Rückkehr einige Ideen aufzutreiben, wie sie am unauffälligsten aus dieser Organisation austreten konnten, ohne verdächtige Blicke zu erhaschen. Zudem sollten sie ihre Informationen an die örtliche Polizei weiterleiten, aber wenn sie vorher austraten, würde man eins und eins zusammenzählen und direkt Abel und ihn verdächtigen. Wenn sie allerdings weiterhin dort arbeiteten und der Polizei Bericht erstatteten, ahnte Antonio bereits, dass es innerhalb dieses kriminellen Netzwerkes Befragungen geben wird, die nicht ruhen würden, bis sie ihren Schuldigen gefunden hatten. Es war eine Zwickmühle...Antonio brauchte andere Lösungen.

"Hm..." Ein plötzliches Gewicht auf seiner Schulter lenkte ihn augenblicklich ab, riss ihn aus seinen Überlegungen. Überrascht wandte er den Kopf zur Seite, sein Herz machte einen Satz, vielleicht auch zwei und ein Schmunzeln malte sich auf seine Lippen. Oje, war Lovino wirklich so müde? Antonio lachte leise, tätschelte seinem Freund liebevoll den Kopf und blieb möglichst still, um ihn nicht zu wecken. Er sollte sich erholen und wenn er so an Antonios Schulter gelehnt rastete, wirkte er friedlicher und ausgeglichener als im wachen Zustand. Antonio musste grinsen.
Lovino war manchmal viel zu niedlich für sein eigenes Wohl, auch wenn er es nie wahrhaben wollte...
Seine langen, dunklen Wimpern...sein Mund war leicht geöffnet.

Dann schüttelte er geschwind den Kopf. Antonio hatte keine Zeit, um Lovino weiterhin zu bewundern, er musste sich so bald wie möglich darauf gedanklich vorbereiten, wie er seiner Mutter nach all den Jahren wieder gegenübertreten sollte.
Schon spürte er den Nervenkitzel in seinen Adern brodeln und er spannte sich an. Hoffentlich hatten sie endlich die Möglichkeit, sich auszusprechen.
Denn damals, als er seine Heimat verließ, hatte er sich lediglich bei seiner Abuelita verabschiedet. Seine Mutter hatte sich hingegen womöglich gefreut, als eines Tages die nervigen, bettelnden Briefe vor der Haustür spurlos verschwanden und das Kind, das sie verstieß, wie vom Erdboden verschluckt, verschwand...

Doch wäre er auch nur eine Woche, gar einen Tag, später abgereist...
Vielleicht hätte er dann nicht jene Person am Schiff getroffen, gegenüber die er unendliche Schuld empfand. Erzsébets Mutter...Jene Frau, die ihn erst in diese vertuschte Hölle von Beruf gezerrt hatte, aus der er nun zu entfliehen versuchte.

Vergebens.

~0~

Antonios Herz pochte. Der kribbelnde Nervenkitzel unter seiner Haut ließ nicht locker. Im Gegenteil, je bekannter ihm die sanft herabfallenden Hügel, die Bäume und Häuser vorkamen, desto mehr verstärkte sich das mulmige, nervenaufreibende Gefühl. Er war zurück. Vor drei Jahren schwor er sich niemals mehr hierhin zurückzukehren und doch stand er nun da. In seiner Heimat, die ihn einst so grausam behandelte und doch immer ein Fünkchen Liebe und Geborgenheit aus Kindestagen versteckte. Antonio war neugierig und doch jagte ihm die bloße Anwesenheit an diesem Ort Angst ein. Die Kieselsteine unter seinen Füßen knirschten und das Schnattern von ein paar Laufenten des Nachbars durchbrach die abendliche Stille, bevor die Grillen endlich ihr lautes, bekanntes Liedlein sangen.

"Antonio?", fragte plötzlich eine Stimme und der Angesprochene erkannte sofort, dass es Lovino war, der plötzlich stehen geblieben war. Er trug die Sorge im Gesicht, seine Augen erzählten bereits, was in seinem Inneren vorging. Lovino hatte Antonio die Furcht angesehen, als könne er seinen Freund wie ein offenes Buch lesen. Das ständige, angespannte Herumsehen und sein hastiger, unruhiger Schritt offenbarten vieles. "Hast du eigentlich Angst davor, deine Mutter wieder zu sehen?"

"Was?", Antonio blieb abrupt stehen, sah Lovino empört, aber durchaus überrascht an, "Als...Als ob ich davor Angst hätte, sie wieder zu sehen! Ich wollte sie doch wiedersehen, wieso sollte ich dann Angst haben?" Die Finger seiner linken Hand tippten nervös gegen seinen Oberschenkel und Lovino hatte ein leichtes Spiel, Antonios innere Gefühlswelt zu deuten. "Trotzdem bist du gestresst. Ich kann das nachvollziehen, die Alte ist ekelhaft zu dir gewesen."

Deswegen verstand auch Lovino nicht, warum Antonio dann unbedingt Kontakt aufnehmen wollte, aber er akzeptierte seine Entscheidung.
Womöglich sehnte er sich einfach nach Mutterliebe und hoffte auf neue Chancen?

Nun verstummte Antonio, kein Wort kam mehr über seine Lippen, den Blick auf sein Elternhaus am Horizont gerichtet. Der Putz des Hauses war bereits abgetragen und die Tomatenpflanzen sind immer weniger geworden. Lovino gesellte sich neben ihn, folgte seinem Blick. Ihm wurde klar, dass Antonio tatsächlich eine gewisse Furcht vor dem Ungewissen in sich trug, und diese Furcht wollte er ihm unbedingt nehmen. Also stemmte er die Hände in die Hüften und ließ sein freches Mundwerk Taten vollbringen. "Weißt du was. Scheiß drauf. Wenn du jetzt zögerst, war diese ganze beschissene Reise umsonst. Dann sind wir beide komplett unsinnig vierundzwanzig Stunden lang auf so einer scheiß Schrottlaube gehockt, die uns herbringt, ich verpasse unnötig meine freien Tage und du bist bis zur nächsten Überfahrt mit meiner gottlos nervigen Existenz gestraft. Und das alles nur, wenn du jetzt einen Rückzieher machst, Bastard!" Lovino plapperte laut und impulsiv vor sich hin, gestikulierte übertrieben mit den Händen, ehe er für einen Moment die Augen schloss, sein Blick weicher wurde und seine Stimme sanfter. "Du weißt, wie ich es meine...Und außerdem bist du nicht alleine hier. Ich bin ja da und wenn sie dich scheiße behandelt, dann werde ich ein 'nettes' Gespräch mit ihr führen. Du schaffst das, Antonio, du bist seit dem letzten Mal, als du sie gesehen hast, so viel reifer und mutiger geworden. Du bist ein erwachsener Mann und kein kleines Kind mehr, das von ihr abhängig ist..."

Flüchtig erlaubte es sich Lovino dem Spanier ein ermutigendes Lächeln zu schenken, genauso wie Antonio es oft für ihn tat.
Wenn er nur wüsste, wie viel dieser Anblick Antonios Seele beruhigte...

"Lovi?" Antonios Stimme war sanft, geradezu mit Zärtlichkeit und Bewunderung für seinen Freund geprägt. Und er lächelte...Er lächelte wirklich und ehrlich, als Lovino aufmerksam zu ihm aufsah und die wunderbaren Augen, die im Sonnenlicht wie goldener Honig glänzten, ganz allein ihren Blick auf Antonio warfen. "Hm?"

"Danke." Überrascht blinzelte Lovino. Das hatte er nicht erwartet. "Wofür denn?" Aber Antonio lächelte nur, betrachtete seinen Freund für einen Augenblick und sah dann jenseits der Felder Richtung Horizont. "Dafür, dass du einfach hier bist und du einfach du bist."

Wie ein Faustschlag trafen die Worte in Lovinos Herz hinein, ließen ihn staunen und schenkten ihm Gefühle, die er nicht benennen konnte und trotzdem gerne in seiner Brust wie einen Schatz in sich trug. Sein Herz klopfte kräftig, seine Haut kribbelte, obwohl ihn nicht der kleinste Grashalm streifte. Lovino war gerührt.
Denn Antonio war dankbar dafür..., dass er hier und jetzt an jenem Ort einfach er selbst war.

Dann setzten sie ihre Reise über den Feldweg weiter fort, den Blick auf das Haus am Horizont gerichtet. Das unscheinbare Häuslein, das seine Lebensgeschichte prägte. Es sah genauso aus wie damals, als er es verlassen hatte...

~0~

Zögernd und mit trägem Aufschlag ließ Antonio seine Faust gegen die Holztür fallen, klopfte an, den Atem anhaltend und die Anspannung in seinen Muskeln spürend. Die feinen Fasern des spröden Holzes streiften seine Haut, aus einem geöffneten Fenster roch er Gewürze und Düfte.
Bestimmt kochte sie...

Einen letzten Blick richtete er nach hinten. Lovino hatte die Hände in die Hosentasche gesteckt, das Kinn leicht angehoben und sein Blick verriet, dass Antonio weniger denken und stattdessen mehr machen sollte.
Lovino war hinter ihm.

Genau, jetzt oder nie. Jetzt hätte er die Gelegenheit dazu, entweder einen Neuanfang mit seiner Mutter zu erlangen oder endgültig mit ihr abzuschließen...

Das Klacken eines sich umdrehenden Schlüssels riss ihn zurück in die Realität und Antonio spannte sich an, als sich die Tür bereits einen Spalt öffnete. Sein Herz pulsierte wie verrückt in seiner Brust, Schweiß rann seine Stirn herab und plötzlich wurde ihm speiübel, als hätte man ihm Gift eingeflößt. Furcht beherrschte Antonios Sicht auf die Welt und verfinsterte sie. Lovino hatte recht behalten. Er hatte tatsächlich Angst vor seiner Mutter und je mehr sich der Augenblick anbahnte, sodass sich Mutter und Sohn wiedersahen, desto stärker wuchs das Verlangen heran, zu fliehen. Denn nun, obwohl Antonio doch ein selbstständiger Mann geworden war, fühlte er sich an jener Türschwelle, an der er stand, wie ein hilfloses Kind. Schaffte er es tatsächlich dieser Frau gegenüberzustehen? Egal wie er es anstellte, er durfte unter keinen Umständen die Nerven verlieren. Trotzdem war er genau diesem Szenario unglaublich nahe.

"Ja?"

Antonio erstarrte augenblicklich zu Eis. Die feinen Härchen auf seinen Armen erhoben sich und sein Geist schien für einen Moment des Schreckens wortwörtlich aus seiner Haut zu fahren. Am liebsten wäre er augenblicklich gestorben. So könnte er der Konfrontation am geschicktesten entfliehen, aber das löste sein Problem noch weniger.

"Hola, Mama..." Sein Hals kratzte, seine Worte nichts weiter als ein Krächzen. Noch nie hatte sich Antonio derartig unterlegen und scheu gefühlt. Zudem kochte ein unwohles Blubbern in seiner Magengegend. Oje, ihm wurde schlecht.

Aber auf seine Begrüßung entgegnete man ihm keine Antwort, keine Reaktion, nicht einmal angesehen wurde er. Stattdessen küsste ihn ein spontaner Windzug auf die Nase, gefolgt vom lauten Zufallen der Tür, der ihn aufzucken ließ. Seine Mutter hatte die Tür direkt wieder geschlossen.
Sie hatte ihn nicht einmal richtig angesehen...

Antonio hatte es satt. Das grausige Stechen in seiner Brust zerriss ihn. Er wollte es loswerden und in seinen Augen brannte es. Die Lider wurden zu schwer und seine Lippen bebten. "Mama, bitte hör doch zu!" Wieder brach seine Stimme ab und Antonio fühlte sich gänzlich allein gelassen, als er so gegen die geschlossene Tür sprach, ohne auch nur das Antlitz seiner eigenen Mutter erkennen zu können. Er wusste nicht, ob sie bereits graue Haare hatte... "Ich weiß, du willst mich nicht sehen, aber..."

"Du hast es erfasst, also warum bist du hier?" Die Antwort kam schneller und giftiger als erwartet zurück. Antonio hatte sich eigentlich auf Schweigen ihrerseits gefasst. Wann hatte sie das letzte Mal mit ihm gesprochen? Seit sein Vater sich wegen ihm und seinen Sünden das Leben nahm wahrscheinlich. Seine Mutter hasste ihn nicht nur dafür, dass er nicht in ihr Weltbild passte und zwei Menschen unabsichtlich in den Tod geführt hatte, nein, der Selbstmord ihres Mannes durch die bloße Existenz ihres Sohnes hatte sie zu diesen Extremen geführt.

"Ich...", Antonio hatte keine Antwort parat und dass, obwohl er sich sicher gewesen war, vorbereitet zu sein. Die alten Schmerzen...sie kamen mit dem ewigen Ticken einer Taschenuhr nach und nach zurück, als reiße man ihm ein Pflaster von der Haut.

"Falls du denkst, ich helfe dir oder ich vergebe dir, war deine Rückkehr sinnlos." Eiskalt. Bibbernd sprach Antonio weiterhin gegen die Tür. Er wusste genau, welches Gesicht seine Mutter gerade zog. Ein Gesicht der Verachtung. Bitte. Oh bitte, lass sie zumindest ein letztes Gespräch erlauben...

"Du...", Antonios Herz sank herab, seine Finger bohrten sich in seine schwitzige Handfläche, "musst mir nicht vergeben. Ich vergebe mir nicht einmal selbst, falls dich das beruhigt...Mama."

"Zurecht." Weiter ging sie nicht darauf ein. Es war glasklar, dass sie nicht einmal an diesem distanzierten Gespräch interessiert war und sich lediglich dazu gezwungen fühlte, um ihn ein für alle Mal loszuwerden.
Was wurde nur aus der lieben Frau, die ihn einst mit Liebe und Zärtlichkeit überschüttete? Damals, als auch Tomás noch lebte.

"Ich...habe ein neues Leben in Italien begonnen, Mama. Es ist dieselbe Stadt, in der du Papa kennengelernt hast. Ich habe an mir gearbeitet. Ich wollte, dass du zumindest ein klein wenig stolz auf mich sein kannst, wenn ich nur selbstständig bin. Ich will...Ich will mich wirklich mit dir versöhnen können oder dass wir zumindest im Guten auseinander gehen", nun sprudelte alles aus Antonio heraus, als hinge sein Leben und sein Glück an jedem einzelnen Wort ab, das von seinen Lippen kam, "Jeden Tag zerfrisst mich meine Vergangenheit und auch das Beil, der sich zwischen uns getrieben hat. Ich bereue es mehr als alles andere. Aber ich weiß, dass ich deine Vergebung nicht verdient hab. Wegen mir wurde...er getötet und seine Freundin nahm sich das Leben. So wie es auch Papa gemacht hat. Ich weiß, diese Art und Weise, wie ich liebe, ist für dich von Grund auf falsch, als vertrete ich Häresie und Blasphemie. Aber...gerade das kann ich an mir nicht ändern. Doch trotzdem wollte ich niemals, dass jemand deswegen sterben muss. Es tut mir auch leid, dass ich damals, ohne ein Wort zu sagen, abgehauen bin, ich-" Antonios Stimme brach nun endgültig ab, als stecke die Nadel eines Grammophons in den feinen Ringen der schwarzen Scheibe fest und hinterließ nichts außer einen grässlichen Ton.

"Wofür entschuldigst du dich? Du hast mir damit nur einen Gefallen getan...", die Frau sprach leiser und ging keineswegs auf das Restliche ein, das ihr Sohn von sich erzählte, als sei es ihr egal, "Ein hungriges Maul weniger zu stopfen...Und ich teile das Haus nicht mehr mit einem Teufel, der mir nur Schande und den Tod bringt." Wieder überraschte Antonio eine eisige Brise, trotz der brennenden Sonne am Himmel. Nervös spielte er mit seinen Fingern, den Mund geöffnet und doch wollte kein Ton herauskommen. Man stahl ihm die Stimme, den Mut und die Kraft, sich gegenüber dieser Frau durchzusetzen, die ihn einst lieb umsorgte und nun am liebsten unter der Erde sehen würde. Trotzdem...Trotzdem presste er ein verzweifeltes Wort hinter all den Schmerzen hervor. "Mama..."

"Nein. Ich kenne dich nicht mehr. Falls du auf jemandem im Dorf triffst und der fragt, zu welcher Familie du gehörst: Du hast keine. Ich kenne dich nicht und habe dich auch nie gekannt." Sofort und ohne mit der Wimper zu zucken, würgte sie ihn ab und schloss das Gespräch, bevor es überhaupt richtig begann.
Wie töricht Antonio war...sich einzubilden, sie gäbe ihm nach drei Jahren doch wieder eine Chance? Dunkelheit verpestete sein Herz wie Gift, zerfetzte es und ließ es ausbluten, als hätten alle ihre Worte messerscharfe Spitzen, die es mit ihrer Kraft durchstießen. Seine Kehle zog sich zusammen, keine Luft wollte ihm mehr zugutekommen, geschweige denn käme ein Wort heraus. Nicht einmal das Schluchzen, das er in sich trug, schaffte es aus seiner Starre heraus.

Als kein Wort mehr von Antonios Seite ertönte, lauschte man Schritten, die immer leiser wurden, bis endgültig der Vorhang der Stille jenes Örtchen bedeckte. Sie war gegangen, hatte ihn stehen gelassen und womöglich bereitete seine Stimme allein schon ihr Leid zu. Antonio wollte weinen, doch seine Wangen blieben trocken. Er wollte schreien und zu Boden sinken, während ihm seine eigene Pein endgültig auffraß, aber er blieb wie versteinert an Ort und Stelle stehen. Zitterte er? Antonio hatte keinerlei Gefühle mehr für seinen Körper. Einzig und allein die Gewissheit seines Versagens bestätigte ihm, dass er noch lebte.

War diese Reise also doch für nichts gewesen? Nichts? Nichts, außer eine erneute Bestätigung dafür, dass er - Antonio Fernandéz Carriedo - Ursprung allen Leides war und keinerlei Vergebung oder Liebe verdient hatte? Warum?
Antonios Beine zitterten, wurden schwach wie Pudding.
Warum starb alles um ihn herum als besäße er den Rang einer Moira, die den Tod der Menschen entschied und den Lebensfaden durchschnitt? Unschuldige Menschen, Beziehungen, Liebe und Familie starben unter seinem Namen. Wofür? Antonio wollte das alles nicht? Warum...Warum gab es in seinem Leben keine einzige Säule, an die er sich stützen konnte...Eine Säule, die nicht vor seinen Augen zerbrach...

Plötzlich spürte er etwas Warmes, Kräftiges an seiner Schulter. Etwas gab ihm Halt, streckte ihm wie im Traum die Hand nach ihm aus, ehe er sich im Wahnsinn selbst verlor. War es das Licht, das ihn endlich von irdischem Schmerz befreite? War es der Engel, der ihn endlich erlöste und rettete?

"Antonio..." Jemand sprach seinen Namen und seine Stimme war wie eine vertraute Wärme, die Antonio augenblicklich in die Arme schließen wollte, um selbst mit jener Wärme eins zu werden.

Lovino. Zögerlich hob Antonio den Kopf, wandte ihn in die Richtung seines liebsten Freundes, der zu seiner Rechten stand. Eine Miene zierte sein niedliches Gesicht, die Antonio noch nie zuvor an ihm gesehen hatte. Er fasste keine Worte, um diesen Blick beschreiben zu können, doch wusste er, dass Lovinos meist versteckte, liebevolle Art in Taten in diesem Moment zu ihm sprach.
Seine Augen...sie erzählten ihm alles, was er wissen musste.
Seine Hand...sie strich ihm über die Schultern und über den Rücken. Winzige Blitze schossen ihm durch die Haut, als Lovino ihn berührte. Und Antonio wurde ruhiger. Allein seine Anwesenheit spendete ihm in diesem Augenblick der Verzweiflung unglaublich viel Trost und Sicherheit.
Wenn Lovino nur wüsste...was er ihn gerade fühlen ließ.

"Was hat die Alte gesagt? So wie du fast am Heulen bist, war sie wahrscheinlich wieder eine...", Lovino schluckte und unterdrückte eine Beleidigung, "Du weißt, was ich meine."

"Sie vergibt mir nicht", kam es atemlos aus seinem Mund heraus, in seinem Zustand konnte er Lovino nicht ansehen, ein verzweifeltes, gezwungenes Lächeln malte sich auf seine Lippen. Antonio verlor den Verstand und wollte sein Leid mit einem Lachen erlöschen, stattdessen hörte man nur ein verzerrtes Gemisch aus Lachen und Schluchzern. "Wie erwartet...Einem Teufel wie mir vergibt man nicht, Lovino. Dafür habe ich zu viel Blut an den Händen."
Diese Ironie...Zu den drei Toten aus seinem engsten Kreis kamen noch die zahlreichen Opfer hinzu, die er unwissentlich ausgeliefert hatte. Er hatte tatsächlich Blut an den Händen. So viele...So viele Menschen hatte er mittlerweile auf dem Gewissen. Er sollte ihre Namen noch kennen.

"Hä?" Natürlich verstand Lovino nicht. Antonio wollte auch nicht, dass er es zur Gänze versteht. Wenn Lovinos Unschuld vor dieser grausamen und doch gleichermaßen wunderschönen Welt doch nur für immer bewahrt werden könnte...
Und wenn er herausfände, dass Antonio für derartig viele Morde verantwortlich war, verließe er ihn.
Er ließe ihn zurück...
Lovino...Er würde ihn wie feinster Sand aus den Fingern gleiten, er könnte seine Wärme nie mehr bei sich spüren.
Lovino...Bestimmt würde er sich von ihm fürchten...er hätte Angst vor ihm.
Lovino...Dieser missverstandene, impulsive Engel.

Erneut brach sich Antonio selbst das Herz, das durch die Worte seiner Mutter doch schon längst angeknackst war.

"Tonio, du redest einen Scheiß!", Lovino verdrehte die Augen und massierte sich am Nasenrücken vor Ärgernis, "Deine Mutter ist einfach nur eine beschissene-"
Nein, Lovino wollte sich seine Explosion aufschieben. Stattdessen betrachtete er Antonio. Er sah ihm an, wie verletzt er war. Seine Augen, die sonst so vor Lebensfreude und Optimismus strahlten, glänzten nicht mehr, sondern waren von einem matten, tristen Grau verhangen. Die Glieder hingen schlaff herab, seine selbstbewusste Körperhaltung war dahin, so wie seine Freude.

Lovino spürte die sengende Wut in sich brodeln und kochen, je mehr er Antonios seelisches Leiden erkannte. Wie ein Vulkan verspürte er den Drang, seinen Jähzorn auszulassen, ehe er unkontrolliert ausbrach. Diese Frau...Dieses...Lovino ging jedes Schimpfwort in Gedanken durch, doch keines konnte seine abgrundtiefe Verachtung gegenüber der 'Erzeugerin' seines liebsten Freundes beschreiben. Wie konnte nur ein solche Teufelin einen Engel wie Antonio in die Welt setzen? Im Bewusstsein, dass Lovinos Meinung zu ihr stark subjektiv und von seinen Gefühlen zu Antonio geprägt war, ohne auch nur die Gründe und Geschichte dieser Rabenmutter in Frage zu stellen, wollte er nur noch eines: Antonio in Schutz nehmen. Und genau das, würde er nun tun. Antonio stand ihm immerzu zur Seite. Dieses Mal war er dran.

"Weißt du was, mir reichts!" Lovino hatte endgültig genug und sein Entschluss stand felsenfest. Antonio sah verwirrt zu ihm. - Nun konnte Lovino einen genauen Blick auf Antonio erhaschen und wie miserabel er sich gerade fühlte. Man hatte ihn gebrochen...in abertausende Scherben zerbrochen. "Was hast du vor?" Antonios Stimmbänder bebten unsicher. Noch nie hatte er sich so schwach gefühlt.

Das erfüllte Lovino mit noch mehr Rachsucht, jedoch ließ er sich keinerlei Emotion anmerken und starrte ernst zu der hölzernen Tür, die man Antonio vor der Nase zugeknallt hatte. "Kann deine Mutter zufällig Italienisch?" Kühl. Ernst. Geradezu apathisch. Lovino war über seine eigene Tonlage überrascht, ebenso schien es Antonio zu ergehen. "Ein bisschen...sie hat es mir als Kind beigebracht." Perfekt, dachte sich Lovino, denn dann würde wohl hoffentlich das ein oder andere Wörtchen in ihrem Kopf hängen bleiben.

"Gut." - "Was hast du vor?"

Antonio konnte sich nicht deuten, was Lovino vor sich hin plante. Doch Lovino stapfte bereits ungewöhnlich selbstbewusst Richtung Tür, stemmte eine Hand in die Hüfte und sprach über die Schulter aus zu ihm. "Das wirst du sehen, Bastard. Ich werde nur ein nettes Gespräch führen."

Oh nein, sprachen Antonios Augen.
Oh ja, erzählte Lovinos sadistischer Grinser.

Mit auffälliger Gelassenheit drückte Lovino die Türklinke herab und verschaffte sich somit selbst unerlaubten Eintritt in Antonios Familienhaus. Sein Blick schweifte unbeeindruckt umher, immerhin war er nicht für ein Kaffeekränzchen hergekommen.
So, wo war diese Frau jetzt hin verschwunden?

Im Raum rechts von der Eingangstür war niemand. Es war lediglich die Speisekammer, gefüllt mit der diesjährigen Ernte und einigen Gläsern voller Kräuter. Eine Girlande getrockneter Chili und Gartenkräuter hing auf einem Regal. Hier war sie schonmal nicht.

Tack. Tack. Tack.

Plötzlich erklang ein heller kurzer Ton in Lovinos linkem Ohr. Jemand klopfte auf ein Holzbrett und wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, kam jenes Geräusch aus der Küche.
Jetzt war sie sowas von dran!

Ohne auch nur eine weitere Sekunde zu zögern, schlich sich Lovino zum Eingang der Küche, lehnte sich am Türrahmen an und verschränkte die Arme vor der Brust. Tatsächlich. Mit dem Rücken zu ihm gedreht stand die Frau bei der Küchenanrichte. Womöglich hatte sie den Eindringling weder gehört noch gesehen, denn sie schnitt in immerwährendem Tempo die Karotten in kleine Scheiben. Lovino beobachtete diese 'Mutter' vorerst mit voller Verachtung. Vom ersten Blick allein war es schon unmöglich zu leugnen, dass Antonio sein dunkles, lockiges Haar eindeutig von ihr geerbt hatte. Die verstaubten Familienportraits auf dem Regal in der Ecke bestätigten diese Ähnlichkeit und wäre diese ekelhafte Aktion vor der Haustür nicht schon genug gewesen, musste Lovino mit Schrecken feststellen, dass Antonio auf jedem der Bilder durch einen Gegenstand verdeckt wurde. Entweder war es eine Kerze oder eine Vase mit Papierblumen, manchmal stand auch das Bild selbst so versetzt hinter einem anderen, sodass keinerlei Indizien, bis auf hervorstechende Arme, auf Antonios bloße Existenz hinwiesen. Sein verstorbener Bruder blieb hingegen für allerlei Personen sichtbar.

Lovino...Lovino konnte einfach nur den Kopf schütteln. Ihm war bewusst gewesen, dass Antonios Mutter widerlich geworden war, aber dass sie so weit ging und ihren einzigen, lebenden Sohn verstieß und sogar aus alten Erinnerungen auszuradieren versuchte...Es zählte zu den Dingen der Unmöglichkeit diesen abgrundtiefen Ekel und die Missgunst zu beschreiben, die Lovino in diesem Moment empfand. Hass. Purer, dunkler Hass stieß sein Herz in die giftige Dunkelheit, die seine Seele in feurig-roten Zorn einfärbte. Sein Instinkt sagte ihm, er wollte mit der Faust in die Wand schlagen, um diese pulsierende Wut endlich loszuwerden, aber sein Kopf riet ihm, sich diese Kraft für Worte aufzusparen, die wie die schärfsten Klingen der Welt Haut, Fleisch, Knochen und Seele wie einen Block Butter erstechen konnten.

"Signora? Ganz schön leichtsinnig, die Tür nicht zuzusperren, wenn Sie mit dem Rücken zu mir stehen. Wäre ich nicht so gutmütig, hätte etwas passieren können." Die passive Aggressivität färbte seine einst kühl wirkende Stimme ein, das Feuer, das in ihm loderte, kam zum Vorschein.

Antonios Mutter - Alma - hielt inne. Womöglich ratterten die Zahnräder in ihrem Gehirn, als sie die fremde Sprache hinter ihrem Rücken hörte. "Respekt hast du Rotzbengel aber auch nicht. Haben dir deine Eltern nie beigebracht, dass man nicht einfach in fremde Häuser einbricht?" Almas Italienisch triefte nur so von ihrem Akzent, sie war womöglich in der Sprache eingerostet, verstand ihn aber offensichtlich ausreichend, um eine freche Bemerkung zurückzugeben. Sie schien auch keinerlei Angst vor ihrem fremden Besuch zu haben. Womöglich, weil sie mit ihrem Messer in der Hand einen gewissen Schutz verspürte und da Lovinos Stimme in ihren Ohren wie das Geläster eines möchtegern-draufgängerischen Jugendlichen klang.

"Respekt? Oha, ich hab nicht gewusst, dass das Wort überhaupt in Ihrem Wortschatz existiert, ich bin beeindruckt", stichelte Lovino sie an und verzog keine Miene, "Und tatsächlich haben meine Eltern mir das beigebracht, aber ich respektiere eben nur Leute, die auch einen gewissen Respekt entgegenbringen. Hab ich jetzt bei Ihnen aber weniger bemerkt, also bereue ich nichts." Lovino streckte sein Kinn erhaben nach oben, sein innerer Schweinehund genoss diese Gehässigkeit, die er an den Tag brachte.

"Hah", Alma lachte unbeeindruckt auf und legte das Messer beiseite, drehte sich allerdings nicht um, "Mit welchem 'Ritter der Gerechtigkeit' hab ich es diesmal zu tun? Verschwende deine Zeit nicht, Junge. Geh mit deinen Freunden aus oder geh arbeiten, aber belästige doch keine alten Damen. Vor allem wüsste ich nicht, was ich falsch gemacht habe, dass ich nun einen 'ach so gefährlichen Bengel' in meiner Küche stehen haben muss, der mir etwas von Respekt erzählen will."

Nun lachte Lovino auf. Er konnte es nicht fassen. Diese Frau ging ihm so derartig auf die Nerven, er könnte einfach kotzen. Was machte er hier? Ein normales Gespräch mit diesem Weib war unmöglich. "Nichts gemacht...nichts gemacht", wieder kicherte Lovino vor sich hin und wiederholte die Worte Almas wie eine Zauberformel, "Sie wissen genau, was Sie gemacht haben! Sie-"

"Lass mich raten, du bist einer von seinen Freunden", unterbrach sie ihn mit genervter Stimme und Lovino dachte schon, ihre Verachtung in seinen Adern wie Blitzchen zu spüren.
"Ich-", Lovino stockte.

"Dachte ich mir schon." Erneut griff Alma zum Messer und setzte ihre begonnene Arbeit fort. Das Thema war für sie somit endgültig beendet und eine Diskussion wäre überflüssig. "Du tust mir ehrlich leid. Aber deine Argumente werden dir nichts bringen. Irgendwann verstehst du schon."

Lovino schwieg für einen Moment, suchte sich die richtigen Worte zurecht und die Unzufriedenheit seiner Seele wuchs stetig an. Sein Herz pulsierte heftig in seiner Brust. Lovino war ein Vulkan, gleich würde er endgültig explodieren. "Warum hassen Sie Ihren Sohn so sehr?! Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass alles seine Schuld war? Antonio hatte nie vor, dass-"

"Ich habe keinen Sohn." Wieder verleugnete Alma ihr eigenes Kind mit solch einer emotionalen Kälte, dass man meinen könnte, sie besäße keinerlei Gefühle mehr für den Menschen, den sie einst in die Welt setzte. Lovino konnte und wollte es nicht wahrhaben, schüttelte wirr den Kopf. Antonio hatte Besseres verdient. So viel Besseres...Alles, nur nicht diesen Verrat mitsamt dem Hass, der Familienglück einst in abertausende Scherben zerschlug.

Doch da zogen sich plötzlich alle Muskeln der älteren Frau zusammen. Sie spannte sich an, ihre Finger pressten gegen den Tisch und ihre Schultern wanderten hoch, bebten für eine Sekunde, als stieße sie einen tonlosen Schluchzer heraus. Als sie jedoch fortsetzte, merkte man ihr keinerlei inneren Konflikte an. "Ich habe schon so lange keinen Sohn mehr. Tomás ist tot und Antonio ist für mich ebenso gestorben...Man hat mir Kinder, Eltern und Mann genommen. Ich bin alleine", sprach sie in einer solch ruhigen und nahezu monotonen Stimmlage, als läse sie eine Litanei oder spräche sie ein Gebet. Eine Phrase, die sie sich selbst in den Kopf einprägte, bis ihr Glauben daran festhielt.

Mitleid empfand Lovino keineswegs. Natürlich sah er, dass auch sie für ihr Verhalten Hintergründe besaß, aber sie könnten niemals die Dinge entschuldigen, die sie Antonio angetan hatte und bis zum gegenwärtigen Tag antat. "'N Scheiß", rutschte es Lovino direkt heraus; seine Arme vor der Brust verschränkt, "Nein, ohne Scheiß jetzt, je länger ich zuhör, desto mehr will ich rausgehen und kotzen. Boah, ich wusste ja, dass das Niveau hier richtig tief werden würde, aber dass es derartig schlimm ist, hätte ich nicht erwartet. Meine Gehirnzellen streiten sich grad ernsthaft darum, wer sich als erstes die Kugel gibt. Aber das geht ja nicht, sonst werd' ich ja genau so bescheuert wie Sie."

"Wie bitte?!", Almas Stimme wurde höher, sie hob den Kopf und drehte sich nun zum ersten Mal in Lovinos Richtung. Seine Adern gefroren im selben Augenblick, als er ihr nun tatsächlich gegenüberstand, doch das Feuer seiner Rache war noch lange nicht erloschen. Er fing doch gerade erst an, ihr die Meinung zu sagen!

Zur selben Zeit hockte Antonio wie ein trauriger Hofhund vor der Haustür, den Kopf in beide Hände gelegt und den Himmel beobachtend. Das Wetter war viel zu fröhlich und heiter für seine Stimmung. Viel lieber wünschte er sich kühlen, tristen Regen, um seine Aufgewühltheit augenblicklich von sich zu waschen.
Er hätte niemals zurückkehren sollen.
Der Rest der Truppe hatte recht...wäre er doch in der Stadt geblieben, Plan hin oder her.

Noch dazu hatte er Lovino in diese Gegend geschleppt...
Antonio setzte sich gerade auf und sah gespannt über seine Schulter.
Schon eine ganze Weile war vergangen, seitdem Lovino im Haus verschwand. Antonio erinnerte sich noch genau an die zusammengezogenen Augenbrauen seines Freundes und die offensichtlich von Rachsucht geprägte Aura, die ihn umgab.

Doch plötzlich richtete sich Antonio auf, weitete seine Augen und spitzte die Ohren. Seine Schultern zogen sich knapp nach hinten und er sog scharf die Luft ein. Die Stimmen jenseits der Mauern gerieten in ungeahnte Lautstärken und Schimpfwörter sowie Beleidigungen fielen wie Schneeflocken vom Himmel. Das Gespräch wurde hitziger, Antonio spürte die sengende Hitze der dicken Luft bis nach draußen...oder es war eben doch der sonnengeheizte Boden vor seinen Füßen.

Bastard, Dreckssau, hirntotes Miststück.
Diese Worte stammten eindeutig von Lovino und er kam gerade erst in Fahrt.

"Puh", Antonio seufzte laut und riss die Augen auf. Je länger er dem Streit lauschte, desto mehr kam er in den "Genuss" - oder wie er es letztendlich nennen wollte - von Lovinos impulsiven Rachsucht mitsamt dem Vokabular an Flüchen und Beleidigungen, die ihn sprachlos machten.

Verdammter Rotzbengel, wahnsinniger Abschaum, respektloser Nichtsnutz.
Da zog sich Antonios Herz plötzlich, ohne Vorwarnung, zusammen und wurde schwer. Die Worte und Sätze seiner Mutter gegenüber Lovino gingen ihm gehörig gegen den Strich; auf seiner Zunge spürte er die Bitterness.
Er hasste es.
Er hasste es, wenn er zuhören musste, wie jemand Lovino anschrie und versuchte, fertigzumachen.

Ihm war bewusst, dass Lovino hierbei sogar weitaus schlimmere Worte verwendete, aber nie regte sich sein Herz, wenn seine eigene Mutter mit Beleidigungen beworfen wurde. Bei Lovino allerdings...
Antonio biss sich auf die Unterlippe.
In seiner Seele klammerte sich etwas an Lovino. Etwas fixierte sich voll und ganz auf ihn und löste in Antonio den Drang aus, Lovino vor allen Gefahren und Negativität zu beschützen.

Doch ehe er herausfand, woher dieses Bedürfnis stammte, verstummten die brüllenden Stimmen auf unerklärliche, unvorhersehbare Art und Weise. Neugierde entfachte in Antonios Brust und er spitzte augenblicklich die Ohren. Was war geschehen?

"Wissen Sie was?!", es war Lovino, der wutentbrannt die Stille ein letztes Mal durchbrach, "Antonio hat jemanden wie Sie nicht verdient! Antonio ist ein herzensguter, liebevoller und vor allem wunderbarer Mensch. Er...Er verdient mehr. Er verdient Besseres. Er verdient jemanden, der ihn bedingungslos liebt. Normalerweise ist doch das die Aufgabe einer Mutter, oder nicht?! Dass sie ihr Kind bedingungslos liebt, egal was geschieht...Antonio ist da keine Ausnahme. Und wenn Sie das nicht sehen können, dann ist Ihnen nicht mehr zu helfen! Ich verpiss mich, ich hab keinen Bock mehr auf die Scheiße hier!"

Lovino...? In Antonios Ohren rauschte es, für den Augenblick floh er aus der Realität. Seine Augen weiteten sich und er hielt die Luft an, wagte es kaum zu atmen. Dachte Lovino tatsächlich so von ihm? Lag die Wahrheit in jedem Wort versteckt?
Herzensgut, liebevoll, wunderbar...
Als ob Lovino derartig zärtliche Worte von sich gab...insbesondere, wenn es um ihn ging!
Er verdiente mehr...
Nein, hier lag Lovino falsch. Dafür trug Antonio bereits zu viele Menschen auf dem Gewissen.

Dennoch...
Dennoch bedeutete es ihm unglaublich viel, dass Lovino sich darum bemühte, ihn zu verteidigen. Der Ausgang konnte ihm nicht egaler sein, bedeutsam war nichts anderes als der Wille. Denn Antonio schien Lovino sehr wichtig zu sein und Antonio empfand direkt den Drang dazu, sich bei Lovino zu bedanken.

Wumms!
Die Tür fiel mit voller Wucht zurück, kräftige Schritte wurden lauter und entführten Antonio aus seiner Gedankenwelt, sodass er direkt auf die Beine sprang. Keine Sekunde später riss auch schon Lovino die Haustür mit Schwung auf und knallte sie mit ebenso impulsiver Aggressivität hinter sich zu.

Schweißtropfen zierten Lovinos Stirn, sein Kopf ähnelte der Röte einer Tomate - eine Eigenschaft, die immer ans Tageslicht kam, sobald sich Lovino tierisch aufregte - und sein Atem war hektisch, gar schwer durch das hitzige Wortgefecht geworden. In den Augen erkannte Antonio die still vor sich hin brodelnde Glut seines Ärgers und die zusammengezogenen Augenbrauen waren die Krönung.

"So! Das wäre erledigt!", seufzte Lovino, fuhr sich mit der linken Hand lässig durch die Haare und ging die Stufen hinunter. Diese Frau hatte ihm echt den letzten Nerv gekostet und er hoffte inständig, sie niemals wieder zu sehen. Wie konnte man nur so verdammt stur sein? Wehe Antonio war genau so einer.

"Lovi!", Antonios Gesicht erhellte sich augenblicklich, als er Lovino entdeckte und er näherte sich ihm direkt an, stieg auf die erste Stufe, breitete die Arme aus und zwang Lovino in eine innige, herzliche Umarmung.
Oh, wie dankbar er ihm war...

"Was zum Fick?! Was ist denn in dich gefahren, Bastard?! Da bin ich fünf Minuten lang weg und du tust so wie ein Hund, der sein Herrchen seit drei Tagen nicht mehr gesehen hat!"
Da war er wieder...der klassische aufbrausende Lovino, wie er ihn kannte und liebte.

Antonio legte seine Arme über seine Schultern, und drückte ihn mit einem Lächeln im Gesicht an sich. Seine Traurigkeit verschwand wie von Zauberhand und er atmete tief ein. Lovino roch nach Meerwasser, nach den Orangen, die sie auf ihrem Weg zum Bahnhof als Nachtisch verputzten, dem Parfüm, den eine Dame vor wenigen Stunden im Zug penetrant versprüht hatte und Schweiß. Und dann spürte er endlich auch Lovinos Arme um sich und Antonios Herz machte einen Satz. - Es sprühte Funken und leuchtete auf, wie der erste Abendstern, der sich im dämmrigen Himmelslicht versteckte und doch mit all seiner Schönheit auf die beiden herabschien.

"Lovino." Antonio rastete seinen Kopf auf Lovinos Schultern, hielt den Mann in seinen Armen mit all der Vorsicht und Zuneigung, die er für ihn empfand. In seiner Nähe fand er Komfort und fühlte sich pudelwohl. In seinem Kopf rannten die bedeutungsvollen, herzigen Worte Lovinos noch immer auf und ab und schenkten ihm ein Licht in seinem einstigen Frust. "Danke..." Dennoch sprach Antonio leise. Schon befürchtend, dass Lovino ihn nicht hörte, wollte er den Mund öffnen, als er plötzlich eine Hand in seinem Haar spürte, die sanft durch seine dunklen Locken strich. Antonio hielt die Luft an, weitete die Augen.
Lovino...

Antonios Herz klopfte laut, hämmerte rasant gegen seine Brust. Strich ihm Lovino allen Ernstes durch sein Haar?
Halt.
Warum klopfte sein Herz plötzlich so schnell? Jetzt, wo sie sich einen intimen Moment zeigten, in denen sie alles sein konnten: stark, vulnerabel, liebevoll oder albern...Lovino zeigte ihm eine der vielfältigen Facetten der Liebe durch die Dinge, die er tat.
Das Angebot mit ihm nach Spanien zu kommen.
Sein Einsatz dafür, ihn von den erbarmungslosen Worten seiner Mutter zu verteidigen.
Seine liebevollen Berührungen...

Antonio spürte seine Röte im Gesicht und Nervenkitzel breitete sich über jede Zelle seines Körpers aus.
Wie...Wie sehr 'rein platonisch' waren diese Gefühle noch, die er gerade durchlebte?
Dieses Kribbeln im Bauch.
Dieses wohlige, sichere Gefühl in der Gegenwart einer Person, ohne ein Wort dabei sagen zu müssen.
Dieses klopfende Herz...

Vor wenigen Tagen hatte er Ähnliches in seiner Seele verspürt, damals, als sie mit den anderen am Strand ihre Zeit verbrachten...

"Deine Haare sehen aus, als hätte ein Vogel darin ein Nest gebaut...", murmelte Lovino, nicht wissend, welches Gefühlschaos sein Gegenüber gerade durchlebte, "...kein Plan, was du damit machst, aber sie sind auch richtig schön weich."

"Hm?", Antonios Kopf rastete immer noch auf Lovinos Schulter, zum Glück stand Lovino auf einer höheren Stufe, sodass sich Antonio nicht das Kreuz ruinierte, "Danke, denk ich..."

"Hm..." Lovino hatte nicht viel zu erzählen, lächelte aber mild und vergriff sich weiterhin an Antonios überraschend weichen und fluffigen Locken. Manchmal, dachte er sich, manchmal musste man auch nicht sprechen. Die Stille inmitten ihres persönlichen Moments war schöner denn je, denn Lovino konnte seine Taten sprechen lassen und Antonio einen Bruchteil seiner unscheinbaren, guten Seite offenbaren, ohne sich in einem Wortgewirr zurechtfinden zu müssen, in der Hoffnung, sich richtig ausgedrückt zu haben.
Außerdem liebte er es, genau hier zu stehen und Antonios Kopf zu streicheln, während Antonio sich ihm anvertraute und ihn in seinen Armen warm und sicher bei sich hielt.
Lovino fühlte sich geschützt und verstanden, sogar wertgeschätzt, ohne Beweise dafür hören zu müssen. Denn er spürte es. Er spürte es in dem behutsamen Griff, in dem er Antonio nah sein durfte. Auch Antonio empfand Ähnliches. Er durfte seine schwachen, zerbrechlichen Seiten zeigen, ohne verurteilt zu werden. Er konnte sich auf jemanden verlassen, jemandem vertrauen, der ihn auf seine ganz eigene und individuelle Art und Weise bedingungslos liebte. Das alles verstand er durch Lovinos kleine, unscheinbare Gesten, die mehr bedeuteten, als zunächst vermutet.

Stille.
Und doch keine Stille.
Zwei Herzen schlugen im selben Takt,
Unwissend, von dem geschlossenen Pakt.
Der Pakt, der sie verband, sie konnten ihn nicht nennen.
Und doch sollten sie ihn bald entdecken und lernen ihn kennen.

~♥~

So standen sie zu zweit, bis die Nacht sich mit seiner dunkelblauen Farbpalette über den einstigen roten Himmel ergoss und weiße Sprenkel - die Sterne - wie Edelsteine aufblitzten.
Und ihre Herzen waren im Einklang.
Näherten sich an.
Schlugen im selben Takt.
Mit derselben, unscheinbaren Melodie, die sie verband.

~♥~

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro