Kapitel 15 - Von Briefen, Liedern und Funken
Rastlos eilte der junge Spanier umher. Sein unruhiger, nervenzerfressender Blick wanderte von einem Punkt zum anderen, darauf hoffend, Hinweise zu finden, die seine besorgte Seele in einen Zustand der Ruhe befördern konnten.
Sein Puls war unregelmäßig, gar so schmerzhaft kräftig, um ihn in seiner Kehle zu spüren. Adrenalin schoss wie reines Gift durch seinen Körper und lähmte alle Empfindungen, mit Ausnahme seiner verkrampften Sorge und Ängstlichkeit.
Antonio bemerkte, wie sich schon wie sich unter seinen Achseln nasse Spuren sammelten, die unangenehme Flecken an sein Hemd malten. Hin und her gerissen von seinen wirren Gedanken, die ihm einerseits gut zusprachen und andererseits mit Horrorszenarien heimsuchten, war ihm nicht klar, was er tun sollte.
Die Sonne drohte bereits hinter dem Horizont zu verschwinden, ihr goldenes Licht tauchte die unbedeutende Kleinstadt in ihren natürlichen Reichtum. Antonio konnte diesen Anblick nicht genießen. Im Gegenteil...wie eine stetig abnehmende Sanduhr häufte sich sein ungebändigter Stresspegel stark an...jede Minute wurde es schrecklicher und zog sich in die Länge.
Antonio hatte Lovino den ganzen Tag nicht gesehen. Er war weder zuhause in seiner Ein-Zimmer-Wohnung, noch war er in der Apotheke anzutreffen. Sein einziger Hinweis war, dass ihn jemand in der Nordsiedlung am gestrigen, späten Abend entdeckt hatte. Doch gerade das war der Grund für seine Sorge. In derselben Nacht, in derselben Siedlung trieben wieder Verbrecher ihr Unwesen und Lovino habe sich zur selben Zeit in derselben Gegend aufgehalten und bis jetzt hatte man noch keine Spur von auch nur einem Opfer gefunden. Man fand weder eine mies zugerichtete Leiche noch ansatzweise Spuren von gewalttätigen Übergriffen, wie es der Fall mit Alessandro damals war.
Lovino war spurlos verschwunden und die gefährlichen Schatten hatten außer ihrer Anwesenheit keine Spuren hinterlassen.
Oh díos mio...was, wenn...?
Nein.
Der Spanier schluckte seinen Albtraum von Gedanken hinunter und zwang sich, anders zu denken. Niemand würde Lovino etwas angetan haben. Er hatte nie auch nur irgendwen verärgert, außer Antonio und das war auf neckende, freundschaftliche Weise geschehen. Er war doch immer eher ein Mensch des Hintergrundes, niemand könnte auch nur einen Grund haben, Rache an ihm auszuüben.
Außer die Verbrecher machten alles nur aus Spaß und hatte keine Motive außer die reine Mordlust.
"Nein, nein", dachte sich Antonio, "mach dich doch nicht verrückt, Tonio!" Einer der Gesichteten war doch 'nur' ein Schmuckdieb gewesen und wurde sogar gefasst. Sein Messer, das er als einziges, mögliches Mittel zur Gewalt bei sich trug, war ebenfalls sauber gewesen. Er hatte die Geschichte mit Michelle und Emma gehört und war tatsächlich überrascht, dass Michelle mit einem Schlag jemanden perfekt bewusstlos schlagen konnte. Und dabei erlitt der Verbrecher keine weiteren Schäden außer einer Gehirnerschütterung.
Dennoch...der neu aufgelegte Fakt, dass es sich um mehr Kriminelle handeln könnte, die noch dazu miteinander unter einer Decke steckten, setzte ihn in Furcht aus.
Er fürchtete sich, dass er vielleicht eines Tages an der Reihe wäre.
Er fürchtete sich, dass Abel, Michelle und Emma etwas passieren könnte und es diesmal nicht gut ausginge.
Er fürchtete sich, dass Lovino ihnen schutzlos ausgeliefert wäre.
Antonio warf einen Blick auf die Uhr des Kirchturmes.
Fast dreiviertel neun...und keine Spur von Lovino.
Wo war er denn nur? Normalerweise sahen sie sich fast täglich.
Antonios Gedankenwelt war zu einem regelrechten Sturm geworden.
Klar, ihm war bewusst, dass er gegenüber seinen Freunden einen Beschützerinstikt hegte. Er könnte es sich nicht einmal im schlimmsten Albtraum ausmalen, was passieren würde, wenn er noch jemanden in seinem Leben verlor.
Aber...das mit Lovino war ihm selber nicht ganz geheuer.
Es war, als flöße ihm irgendeine säuselnde, sanfte Stimme ein, er müsse ihn, komme was auch wolle, unter allen Umständen beschützen.
Antonio fuhr sich durch seine lockige Haarpracht und sah zum scharlachroten Himmel hinauf. Sollte er die Suche aufgeben?
Nein.
Plötzlich rammte er mit der Schulter gegen jemanden und es riss ihn augenblicklich zurück in die Realität. "Oh je, tut mir leid, ich wollte nicht-"
Da erkannte er erst, wen er aus Versehen gestoßen hatte.
"Boah, Abel, wie kann es sein, dass ich dich nicht gesehen habe?!"
"War ja klar, dass du derjenige bist, der nicht schaut, wohin er läuft...", der blonde Mann seufzte, "Antonio, beim Gehen ist man aufmerksam und starrt keine Löcher in die Luft."
Antonio kratzte sich nervös am Hinterkopf. War er tatsächlich so gedankenverloren durch die Welt spaziert? "Jaja, weiß ich."
"Was machst du eigentlich hier in der Gegend? Ich seh' dich nie hier, außer du gehst Lovino besuchen. Sonst hast du ja keine Freunde hier." Abel sah fragend auf ihn herab und hob dabei eine Augenbraue.
"Ich hätte nach Lovino gesucht, aber er ist nirgends...", bedrückt sah Antonio zur Seite und schloss für den Moment die Augen, "dabei hab ich überall gesucht..."
"Antonio...", Abel war kurz davor sich den Nasenrücken mit Daumen und Zeigefinger zu massieren, vor Antonios Dummheit. Es war erstaunlich, wie verpeilt jemand sein konnte. Antonio könnte man beinahe als Rekordhalter betrachten. Es war ein Wunder, dass er es im Leben überhaupt so weit geschafft hatte. Leider unterbrach Antonio ihn, bevor er ihn über die Situation aufklären konnte.
"Ich weiß einfach nicht, wo er hin ist, mir hat nur wer gesagt, dass sie ihn gestern gesehen haben, kurz bevor diese Kriminellen unterwegs waren und-", die Stimme des Spaniers wurde immer höher, fast panisch und verängstigt, sodass Abel genau zuhorchte und lauschen musste. So besorgt hatte er ihn schon lange nicht mehr erlebt. Aber...Hatte er tatsächlich den Brief übersehen, den Lovino ihm gegeben hatte? Ging er tatsächlich so blind durch sein Leben?
"Oh Gott, ich glaub's nicht, Lovino hatte recht." Abel hatte den Glauben an die Menschheit verloren. Mal wieder.
"Huh? Lovino hatte was?", verdutzt starrte Antonio seinen großgewachsenen Freund an. Was wusste er von Lovino? Hatte er ihm etwas gesagt? Wusste er, wo er war? Antonio wollte jedes einzelne Detail in Erfahrung bringen, das ihn auch nur ansatzweise seelisch beruhigen konnte.
"Antonio, Lovino ist mit Enrico in Rom. Er hat uns allen einen Brief geschrieben. Auch dir", Abel fuhr fort und schlug sich mit der flachen Hand gegen seine Stirn, dabei streifte er die - mehr oder weniger- neue Narbe nahe seinem Haaransatz.
"Er hat uns sogar extra geschrieben, dass wir dich drauf aufmerksam machen müssen, weil er wusste, was für ein Depp du bist."
Antonio verstummte kurz. Sein Kopf verarbeitete die gerade erhaltene Information eher mit langsamem Fortschritt. "Achso." Wie versteinert blieb der 23-Jährige stehen und man könnte meinen, ihm wäre gerade ein Geist begegnet, so erschrocken wie er daraufhin die Augen aufriss. "Warte, Lovino hat einen Brief geschrieben?"
"Hat er." Die kalt klingende Stimme des Niederländers hätte andere bereits mit schlotternden Knien beschert, doch Antonio war sich bewusst, dass Abel es tatsächlich eher als beschwichtigende Aussage meinte. Erleichterung flutete Antonios Herz wie eine energiegeladene Sommerbrise nahe der Klippen, die ihm jegliche Schwere wegwehte.
"Ahh, ich hab den gar nicht gesehen! Ich muss sofort nachhause, den Brief suchen und lesen!", seine trüben Augen leuchteten endlich freudig auf, doch dann bremste er sich selbst noch einmal ab. Nur weil er einen Brief abgeliefert hatte, hieß es nicht, dass er es auch wohlbehalten nach Hause geschafft hatte.
"Aber...was ist, wenn er trotzdem auf dem Weg nach Hause abgefangen wurde?!"
"Antonio, mach dir nicht so viele Gedanken", Abel legte unterstützend eine Hand auf Antonios Schulter und sah eindringlich auf ihn herab, "Lovino geht es gut. Er ist nur nicht hier."
Was sollte Abel nur tun?
Wie beruhigte man jemanden, der sich derartig hineinsteigert?
"Und genau das ist das Problem! Er ist eben nicht hier!", man erkannte die Hysterie in Antonios Stimme. Hin und wieder brach sie ab oder brachte den zerbrochenen Klang mit sich, den der junge Mann selbst nicht hörte.
Doch dann...
Dann wählte Abel plötzlich Wörter, die Antonio in eine eisige Starre versetzen würden.
Wörter, die ihn lähmten und für den Augenblick von der realen Welt abkapseln würden.
Wörter, die ihm wie ein Kübel Eiswasser aus einem wohlig warmen Dornröschenschlaf weckten.
Wörter, die seine Blindheit und Taubheit gegenüber der Welt, die er kannte, auflösten.
"Du hörst dich an, als wäre er dir das Wichtigste der Welt, ohne das du gar nicht leben kannst."
Antonio verlor die Worte.
Nichts.
Leere.
Stille.
All diese Dinge; sie beherrschten Herz, Seele und Körper.
Antonio atmete scharf ein, doch kein Ton schaffte es mehr über seine Lippen.
In seinen Ohren rauschte es als schwebte er friedlich über die kühle Wasseroberfläche des Meeres im Mondschein...still, ruhig und friedlich, ohne Leid, ohne Sorge.
In seinem inneren Auge sah er sich selbst, wie er sachte fallend in diesen behütenden Fluten unterging, kleine Luftblasen aus seinem Mund ausstieß und in einen Traum verfiel.
Ein Traum, der ihm bekannt war und dennoch voller unbeschreiblicher, unvorhersehbarer Überraschungen steckte.
Aber inmitten dieser träumerischen Friedlichkeit lauerten, Seit' an Seit', ein Funken dunkler, leidtragender Furcht mit einem Funken purer, lichterhellter Hoffnung.
Und sie beide...die Furcht und die Hoffnung...sie lagen in seinen Armen, nahe seines Herzens und vergingen mit ihm unter der Strömung, die sie vorantrieb.
Antonio spürte ein knappes Klopfen an seinem Rücken, das ihn aufschauen ließ. "Beruhige dich, Toni. Ich bin mir sicher er kommt wohlgesonnen wieder nach Hause." Abel bemühte sich um ein nettes Lächeln. Er wusste noch immer nicht genau mit den Gefühlen von Menschen umzugehen, doch es war sein Wille, der zählte und den Antonio, welcher seine Gefühle zumeist offen zeigte, auch wertschätzte. Nicht jeder war gleich im Verständnis mit der Empathie und doch waren sie gleichsam gute Menschen.
Antonio setzte wieder ein weniger stressverzogenes Gesicht auf. Der Druck um seine Brust hatte sich gelindert und ihn aus den Fängen losgelassen. "Ich hoffe, du behältst recht. Muchas gracias, Abel." Nun malte sich auch endlich ein Grinsen auf sein Gesicht.
Doch auch wenn für den Moment alles wieder gut erschien...
Abels Worte waren Antonio im Gedächtnis geblieben.
***
Lovino stieß einen lauten Gähner aus und rieb sich verschlafen die Augen. Seine brünetten Strähnen standen in alle Richtungen ab, ganz so, als hätte sich ein Vogel dort die Nacht hindurch ein Nest eingerichtet. Obwohl er bestimmt genug geschlafen hatte, war er hundemüde und wäre vorzugsweise noch einige Stunden länger im Bett gelegen.
Noch immer schmerzten seine Beine vom gestrigen Herumlatschen. Für den langen Fußmarsch war er definitiv nicht gemacht worden, dennoch musste er zugeben, dass sich der kleine Spaziergang nach der Uni als nicht einmal als so verwerflich erwiesen hat. Für Lovino ergab sich die Möglichkeit, einige der historischen Plätze der ewigen Stadt zu erkunden und nahm sich auch die Zeit einige davon auf seinem Skizzenblock abzuzeichnen. Wenn er so verloren durch die Seiten blätterte erinnerte er sich an jedes Detail.
Er sah die prachtvollen, weißen Springbrunnen mit den antiken Gestalten und weiten Wasserbecken, die bereits mit Münzen vollbeworfen waren.
Er sah von weitem den Petersplatz mit dem gewaltigen Dom, der inmitten des Zwergstaates des Vatikans stand.
Er sah auch einige alte, halb verfallene römische Ruinen, die ihre jahrhundertealten Inschriften noch in perfektem Zustand erhielten und auch die Bronzestatue, die Romulus und Remus bei der Wölfin zeigte.
Auch der Senatorenpalast fand sich in schnellen Strichen auf seinem Papier skizziert wieder.
Da wunderte es ihn wenig, wenn er behauptete, einen Muskelkater zu haben. Er hatte allein am gestrigen Tag mehr Sport betrieben als in den letzten zwei Monaten und Enrico laberte ihn damit voll "was nicht alles passierte, wenn sie einmal nicht zuhause waren". Der Vorfall von vorgestern war anscheinend Gesprächsthema Nummer eins in seiner Nähe, womöglich war das auch der Artikel, auf dem er am Vortag aufmerksam wurde. Es war tatsächlich ungewöhnlich Neuigkeiten aus seinem Kaff von einer Stadt zu hören, allerdings wunderte es ihn auch gar nicht. Die Entdeckung, dass hinter einer Mordserie mehrere Leute stecken konnten, die sogar so weit gingen, im Partnerlook herumzuspuken und sich ein gemeinsames Emblem zusammenzustellen, erhielt man auch nicht alle Tage.
Lovino hatte ein mulmiges Gefühl im Magen.
Bei dem momentanen Zustand in seiner neuen Heimat würde er sogar in Erwägung ziehen, nie mehr zurückzukommen.
Wäre da nicht...
Es klopfte an seiner Tür. "Lovino, stell dir vor, du hast Post!" Es war Enrico, der nach Lovinos knappen "Herein" die Tür öffnete und ihm zwei Briefe zustellte.
Enrico musste wohl bereits bei der Rezeption gewartet haben, während Lovino noch im Land der Träume feststeckte.
Dankend nahm Lovino die Briefe an und ahnte schon, von wem diese sein würden. Niemand sonst wusste seinen genauen Standpunkt, mit Ausnahme von seinen Freunden. Tatsächlich, wie erwartet hatte ihm Antonio einen Brief geschrieben und das Trio mit Michelle, Emma und Abel hatten ebenfalls zusammen etwas für ihn verfasst.
Neugierig riss er die Lasche des Kuverts auf, widmete sich zuerst dem Brief des Trios. Auf dem ersten Blick erkannte er schon, wer von den dreien alles aufgeschrieben hatte. Bestimmt war es Michelle, denn Emmas Schrift wäre unleserlich gewesen.
Konzentriert wanderte sein Fokus von der einen Ecke des Briefes bis zum letzten Wort. Michelle übernahm den ersten Absatz, sie hoffte, dass es ihm gut ging und dass er viel Spaß in Rom hatte. Außerdem prahlte sie vor Stolz und Freude, weil sie endlich mehr Ansehen in der Stadt hatte, nachdem sie einen der vielen Kriminellen ausgeknockt hatte. Emma dagegen schwärmte davon, was für eine mutige Heldin ihre Freundin doch war, aber meinte auch selbstbewusst, dass sie selbst sogar noch mehr Beweise gefunden hatte, nachdem der Dieb weggebracht wurde, wie beispielsweise das kleine Tagebuch oder die Geheimgänge ihres Wohnbaus.
Schließlich wählte Abel nur wenige Worte, die neben dem Üblichen "hoffentlich bist du nicht während einer Vorlesung eingeknickt" auch "Komm bald sicher zurück, Antonio ist so anstrengend. Er ist tatsächlich so blöd und hat deinen Brief nicht gefunden, bevor ich es ihm gesagt habe", beinhaltete.
Lovino musste ein bisschen grinsen.
Natürlich war Antonio so verpeilt und übersah den Brief vorerst. Er kannte den Spanier nur zu gut.
Dennoch überraschte es ihn, wie schnell er trotzdem dann einen Brief schreiben und aufgeben konnte. Es grenzte ja fast an ein Wunder.
Vorsichtig löste er die Lasche des Briefes und fragte sich, was ihm wohl geschrieben wurde.
Ob Antonio ihm einen ewiglangen Paragrafen verfasst hatte? Oder hatte er ihm wohl nur eine kurze Nachricht mit seinen hässlichen Kritzeleien geschickt?
Neugierig klappte er also den zweiten Brief auf und begann zu lesen.
Nach dem traditionellen Anfang mit "Lieber Lovino" und den gefühlt fünf verschiedenen Versionen von "Wie geht es dir?" und "Ich hoffe, bei dir ist alles okay!" kam Antonio endlich auch einmal auf den Punkt mit seinem Schreiben.
In der Stadt würde endlich die erste Telefonzelle eröffnet werden und einer der reicheren Vermieter seines Wohnhauses hatte sich sogar eine private Anlage anschaffen lassen, die er aus Nettigkeit auch den restlichen Bewohnern zur Verfügung stellte. Vorausgesetzt man zahlte den Preis der Zeit, die man am Telefon saß. Antonio selbst würde das brennend gerne ausprobieren und es erleben, wie es wohl war mit einer Person zu sprechen, die meilenweit von einem entfernt war.
Ts, Lovinos Mundwinkel zuckten kurz nach oben. Da hatten sie wohl beide denselben Einfall gehabt, als sie zum ersten Mal ein Telefon erblickten.
Vielleicht sollte er gerade diese Möglichkeit ausnutzen und Antonio anfunken, er hatte immerhin die Nummer rechts unten am Zettel klar und deutlich aufgeschrieben.
"Wenn du dann fertig bist, sollten wir langsam gehen. Der nächste Kurs startet bald und wir müssen das korrekte Institut suchen." Enrico schaute auf seine Taschenuhr und beobachtete, wie der Sekundenzeiger immerwährend fortlief.
Ach ja, stimmt...Da war ja was.
Flott steckte sich der junge Mann die Briefe in die Seitentasche seines Gilets, richtete sich noch ein letztes Mal die pechschwarze Krawatte und folgte seinem alten Chef mit einer Ledertasche durch das Hotel bis nach draußen auf die belebte Straße, die in den frühen Morgenstunden umso schnelllebiger auf ihn wirkte. Die Menschen sausten von einem Standpunkt zum nächsten, tratschten vielleicht sogar nebenbei oder huschten alleine um die Ecken, um ihren Arbeitsplatz rechtzeitig zu erreichen. Und unter ihnen wuselten sich auch Lovino sowie Enrico durch, bis sie einmal mehr das Universitätsviertel mit seinen vielen Nebengebäuden für die verschiedensten fachlichen Ausrichtungen erreichten. Auf dem Weg dorthin fielen dem jüngeren der beiden Italiener allerdings die zahlreichen Plakate auf. Er hatte jedoch kaum Zeit, sich damit auseinanderzusetzen oder gar die Aufschrift zu entziffern. Lediglich das schwarze Klavier und die schwarz-beige schattierten Violinen blieben ihm im Gedächtnis hängen.
***
Dodom. Dodom.
Sein Herz raste und hämmerte mit der Kraft von tausend Pferdehufen gegen seine Brust.
Sein Fokus verschwamm, statische Bilder zerronnen vor seinen Augen. Immer und immer wieder schnellte sein Blick von dem einen Punkt zum nächsten. Ein tobender Sturm blockierte es ihm, einen kühlen Kopf zu bewahren. - Es schien als sei die Hälfte seines Kopfes in einen tiefen Schlaf verfallen...in einen Albtraum!
Stark schwitzend krallte sich Lovino mit den Händen am ockerfarbenen Waschbecken fest. Ruckartig und unregelmäßig hob und senkte sich seine Brust, zusätzlich bekam er kaum noch Luft, als hätte man ihm die Lunge mit einem engen Korsett zugeschnürt.
Schon wieder köchelte und brodelte es in seiner Magengegend. Übelkeit und Schwindel beherrschten seine momentane Welt. Sie verzögerten sein Zeitgefühl, sperrten ihn in eine Welt der Trance, die sich meterweit von der Realität entfernte.
"Scheiße...", er verstärkte seinen Griff um das Waschbecken und sah sein bleich gewordenes Gesicht im Spiegel an, "...nicht schon wieder!"
Lovino schämte sich in Grund und Boden und wünschte sich im Moment nichts sehnlicher als im selbigen Augenblick tot umzufallen.
"Reiß' dich zusammen, du beschissener Versager", schimpfte er sich selbst im Spiegel zu und setzte einen abwertenden Blick auf, "Es ist nur eine Obduktion...nur eine Obduktion."
Ja, toll, bei einer Obduktion wird trotzdem eine Leiche aufgeschlitzt. Wenn auch ausschließlich für die Wissenschaft und dem Herausfinden der Todesursache.
Lovino hasste sich. Er könnte sich selbst einen Schlag in seine hässliche Visage verpassen. Er hatte sich ehrlich und wirklich bemüht ruhig zu bleiben, als die Obduktion angekündigt wurde. Er meisterte sogar zehn Minuten Zuhören und Mitschreiben sowie Skizzieren der Livores - der Totenflecken.
Aber kaum hatten die Fachärzte begonnen, ihre Werkzeuge zu benutzen und erste Bluttröpflein fanden sich auf der nackten Haut des Obduktionskörpers fing sein Körper einmal mehr an verrückt zu spielen. Nur wenige Sekunden später entschuldigte er sich bei Enrico, welcher ihn fraglich ansah, und verschwand auf der Universitätstoilette.
Bestimmt waren bereits mehr als zehn Minuten vergangen, seitdem er den Kurs verließ und um ehrlich zu sein, wollte Lovino gar nicht erst zurückkommen.
Oh Mann, wieso hatte ihm sein Opa überhaupt empfohlen der Assistent eines verdammten Arztes zu sein?! Nur weil sein lieber Nonno ihn persönlich kannte?! Weil er dachte, Lovino findet alleine keinen Job? Weil er dachte er würde gefeuert werden, sobald er anfing zu arbeiten? Er wusste doch, dass er schwache Nerven hatte!
Lovino spritzte sich eine Ladung eiskaltes Wasser ins Gesicht, um annähernd wieder zur Besinnung zu kommen, doch seine inneren Dämonen zehrten immerwährend an seiner verängstigten, traumatisierten Seele...an seinem inneren, verletzten Kind, das die Schrecklichkeit einer Hinrichtung in jungen Jahren erlebte und ihm die Unschuld gegenüber der Welt aus der Hand gerissen hatte.
"Konzentriere dich auf meine Augen. Ich bin hier..."
Auf einmal schoss ihm Antonios Stimme in den Kopf.
Auf einmal erinnerte er sich an die letzte Begebenheit, die ihn derartig an seine Grenzen hatte.
Auf einmal sah er die Szene vor Augen, in der Antonio ihn zu sich nahm und alles daransetzte, ihn zu beruhigen...
Wie er sein Gesicht zärtlich in den Händen hielt.
Wie er mit ruhiger Stimme zu ihm sprach; ihn ansah.
Wie er es schaffte, ihn aus der tödlichen Schlinge seines Traumas zu ziehen.
"Lovi, bitte, schau mir nur in die Augen und konzentriere dich auf mich. Denk an irgendwas von mir. Vielleicht, dass meine Haare schrecklich aussehen oder dass meine Augenringe mich uralt aussehen lassen. Irgendwas."
Wie auf Kopfdruck sah sich Lovino selbst im Spiegel an, imitierte Antonios Rat aus reiner Intuition bei sich selbst. Er blickte sich selbst in die bernsteinfarbenen Augen, ignorierte allerdings den Rest seiner, seiner Meinung nach, unschönen Erscheinung.
Der Druck um sein Herz ließ nach...
Lovino stellte sich vor, Antonio stünde direkt vor ihm und sähe ihn besänftigend mit seinen smaragdgrünen Augen an.
Sein Stresspegel sank.
Lovino erinnerte sich an seine Worte und an seine ruhige Stimme.
Er wurde endlich ruhig...
Lovino sog die Luft scharf ein und atmete aus. Dass ihm die Methode seines Freundes tatsächlich half...Es wirkte für ihn beinahe surreal. Hätte er sie nur schon früher gewusst, käme er bestimmt schon besser mit seinen Panikattacken klar. Eigentlich müsste er Antonio für damals danken.
Oder kam das blöd rüber?
So: 'Hey, danke für damals, als du mir geholfen hast, meine Panik unter Kontrolle zu bringen. Jetzt denke ich immer an dich und deine Worte, wenn ich kurz vorm Ausrasten bin.'
Eine Gänsehaut jagte ihm über den Rücken.
Das hörte sich extrem komisch in seinen Ohren an.
Sowas würde er nie sagen.
Plötzlich, ein Klopfen an der Tür, gefolgt von einer gedämpften Stimme.
"Lovino, Junge, geht es dir gut?"
Oh Gott, Lovino wollte im Erdboden versinken, jetzt war Enrico auch noch hergekommen. Im Vorbeigehen erhaschte Lovino noch ein kurzes Bild von sich im Spiegel. Glücklicherweise sah er nicht unbedingt aus, als hätte er sich die Seele aus dem Leib geweint.
Kaum hatte er diesen Satz zu Ende gedacht, drückte er auch schon mit einem falschen, neutralen Lächeln die Klinke hinunter und stand seinem Chef wieder gegenüber.
"Mir geht es bestens, danke der Nachfrage."
"Du sahst sehr blass aus da drin." Enrico zeigte mit dem Kinn in Richtung des Hörsaals und wenn man ganz still wurde, konnte man vielleicht noch ein gedämpftes Nuscheln der Vortragenden durch die Wände wahrnehmen. "Wenn du schwache Nerven hast, dann brauchst du nicht bei dieser Einheit mitmachen."
"Wer hat was von schwachen Nerven gesagt? Ich hab kein Problem damit." Lovino lachte etwas nervös, als er die Tür hinter sich schloss und nun mit seinem Chef gemeinsam den langgezogenen Gang entlangwanderte. Das Sonnenlicht warf goldene Lichtfelder auf den Boden und jeder Schritt, den Lovino durch das Licht schritt, war begleitet von einem wohlig warmen Gefühl.
Aber Lovino spielte zugleich unbewusst mit den Fingernägeln und innere Ängste machten sein Leben schwer.
Enrico sollte bloß nicht den Eindruck gewinnen, dass er ein Sensibelchen war, das bei jeder noch so kleinen Wunde einen Nervenzusammenbruch erlitt!
Doch als hätte der alte Mann seine Gedanken lesen können, durchbrach dieser plötzlich die aufgekommene Stille zwischen ihnen. Es war ein herzhaftes Lachen, dass an jenem Tag durch die Hallen der Universität schallte. "Junge, du brauchst dich vor nichts schämen. Dir ist sowas schonmal in meiner Gegenwart passiert, es ist nicht so, als wäre das mir gegenüber etwas Neues. Erinnerst du dich an den Zwischenfall im Wald?"
Lovino verstummte prompt und er bemerkte die glühende Hitze um seine Nase herum. Flott wandte er den Kopf nach rechts und schaute grimmig zur Seite. Purer Scham überfiel den jungen Erwachsenen und löste in ihm nichts Anderes aus, als den Wunsch augenblicklich zu verschwinden.
Doch gerade dieses Verhalten der Empörung brachte Enrico dazu, belustigt aufzulachen. "Ach, mach dir nichts draus. Das ist eine normale Reaktion auf solche unangenehmen Momente, da ist nichts Schlimmes daran. Irgendwann kriegst du es schon hin damit umzugehen. Dein Nonno hat da auch Vertrauen in dir. "
Sein Großvater hatte Vertrauen in ihm?
Lovino vermutete doch immer, er würde sich für ihn schämen...
Lovino wurde auf einmal hellhörig und schnellte seinen Kopf zu Enrico. "Mein Nonno?", verwundert und neugierig funkelte er den älteren Herren an, "Hat er Ihnen was von mir erzählt?"
Enrico nickte und nahm kurz darauf auf einer kleinen Sitzbank platz, die in einer kleinen Fensternische in der Wand eingelassen wurde. "Setz dich hin, wir machen einfach eine Pause. Es achtet bei zweihundert Leuten keiner auf die Anwesenheit", der alte Herr klopfte einladend auf die Bank und Lovino setzte sich nach kurzem Zögern auch endlich dazu.
"Du wolltest wissen, was dein Großvater alles so über dich erzählt?", Enrico warf Lovino einen kurzen Blick zu und er sah Lovinos wissbegieriges, neugieriges Funkeln in den Augen, "Weißt du, dein Opa schreibt mir des Öfteren einen Brief, seitdem er weiß, dass du bei mir arbeitest, und fragt mich, wie du dich im Alltag alleine so schlägst. Natürlich schrieb ich ihm nur Positives von dir zurück. Er wollte unbedingt sichergehen, dass es dir hier auch entsprechend gut geht und bat mich, auch hin und wieder auf dich zu schauen. Immerhin seist du ja noch nie weit weg von zuhause gewesen und er machte sich Sorgen..."
Lovino brachte kein Wort über die Lippen. Sein Großvater schrieb also regelmäßig Briefe an seinen Boss, allerdings bekam er - sein Enkelsohn - keinen einzigen! Nicht, dass Lovino darauf geantwortet hätte. Womöglich hätte er sich nur darüber aufgeregt, wie ihm seine Familie nur tierisch auf die Nerven ging und paranoid um ihn wäre.
Ob sein Opa und seine Brüder wohl genau das erwarteten und ihm deshalb nie schrieben?
Oder hatten es sogar ein Problem mit ihm, sodass sie ihm nicht persönlich schreiben konnten?
Egal was ihr Grund war, Lovino käme nie auf ein zufriedenstellendes Ergebnis.
"Auch wenn du es vielleicht nicht gewollt hättest, er hatte mir auch geschrieben, dass du etwas sensibel sein kannst und leicht die Nerven verlierst, wenn dir etwas in die Quere kommt. Daher meinte er, dass ich dich, zumindest bis du dich eingelebt hast, nicht zu sehr überfordere oder gar streng behandle. Nicht dass ich es gemacht hätte, nein, aber trotzdem. Dein Opa hat dich sehr lieb und ist sich sicher, dass aus dir einmal ein anständiger, mutiger Mann wird, Lovino."
Völlig verstummt starrte Lovino auf seine schwarzen Schuhe. Im Moment wusste er sich nicht recht, eine Antwort zu suchen. Zu viele Aspekte, positive wie negative, rauschten wie eine mächtige Windböe auf der stürmischen See auf ihn zu.
Er war seinem Großvater wohl doch wichtig genug, dass dieser sich regelmäßig nach ihm erkundigt und sogar darum bittet, dass jemand ihn unterstützte.
Andererseits schrieb er ihm nicht selbst...er hielt keinen direkten Kontakt zu ihm, obwohl er seine Adresse hätte erfahren müssen. Er hatte zu gute Verbindungen mit der älteren Generation hier. Lovino selbst hatte allerdings auch nie einen einzigen Brief verfasst und an ihn geschickt. Er war demnach in gewisser Weise mitschuldig.
Sein Opa zeigte sich gleichsam über-fürsorglich mit seinen Bitten, andererseits fühlte sich Lovino von ihm vernachlässigt und allein gelassen. Egal wie er diese neu gewonnenen Informationen drehte und wendete, es gab immer einen Punkt, der Lovino verletzte oder behinderte.
Lovino atmete tief ein und nickte nur auf Enricos Aussage. Zumindest erklärte das, warum das Verhältnis zwischen Enrico und ihm nicht rein berufstechnisch und professionell geprägt war...Enrico verhielt sich ihm gegenüber wie ein Familienfreund oder Onkel, der ihn von einer beibehaltenen Distanz aus doch fast väterlich behandelte.
Ugh, was laberte sein Nonno von Vertrauen in ihm, wenn er dann den nächstbesten dazu beauftragt Rücksicht auf ihn zu nehmen als wäre er ein kleines Kind, das nicht selbstständig genug war, selbst zurechtzukommen? Lovino, schätzte den guten Willen seines Opas schon wert und er schätzte auch Enricos Nettigkeit...aber...
Ach, es war einfach ein zu konfliktreiches Feld. Lovino konnte es sich nicht einmal gedanklich erklären.
Dennoch kreiste die Nachdenklichkeit in seinem Geist umher, sodass er in seinem tranceartigen Zustand die Realität nur spärlich wahrnahm und Enricos Aufforderung, wieder zurück in den Hörsaal oder in die Aula zu gehen nur zur Hälfte verstand. Mechanisch und mit den Gedanken ganz woanders folgte er ihm und gab nichts weiter als nüchterne Antworten von sich, wenn er gefragt wurde.
Denn erst jetzt spürte Lovino, wie müde er nach all der Aufregung geworden war...
***
Die sich spärlich bewegenden Zeiger der Taschenuhr tickten gleichmäßig und immerwährend vor sich hin. Ihre Zahnräder klackten und knackten und wagten es erst gar nicht, stehen zu bleiben und sich eine Ruhe zu gönnen. Parallel dazu wanderte die glühend heiße Sonne - wie eine ewige, natürliche Uhr - zögerlich von Osten nach Westen. Es war Nachmittag geworden und Lovino war froh, an diesem Tag nur wenige Stunden an der Universität büffeln zu müssen. Nach dem unangenehmen Zwischenfall auf der Toilette sank seine Konzentration ohnehin gegen null und jede neue Information fiel durch sein Gedächtnis, als wäre dieses ein groblöchriges Sieb. Für diesen Tag war seine Aufmerksamkeit ein für alle Mal gegessen.
Ungeduldig starrte der brünette Italiener auf seine Taschenuhr. Der Stundenzeiger erreichte die vierte Ziffer, er müsste sich also noch einige Stunden gedulden, bis er sich mit Isabella treffen konnte. Bis dahin sah er sich wohl oder übel dazu gezwungen, sich die Zeit mit anderweitigen Dingen zu vertreiben, für die er nur mäßig Motivation auftreiben konnte.
Und sprach man von sogenannten "anderweitigen Dingen, für die Lovino nur mäßig Motivation auftreiben konnte", dann konnte man sich sicher sein, dass Enrico seine Finger im Spiel hatte.
Denn meistens waren seine Ideen gerade die, die Lovino einen Dreck interessierten. Vielleicht lag es daran, dass sein Boss die heutige Jugend nicht nachvollziehen konnte, vielleicht aber auch daran, dass er von Grund auf annahm, dass jeder Mensch seinen altmodischen Musikgeschmack teilte.
Aber was tat man nicht alles, um die Zeit totzuschlagen...
Überraschenderweise ließ sich Lovino sogar überreden, zu einem Konzert in die Opernhalle zu gehen. Enrico war nämlich der festen Überzeugung, Lovino müsste als junger Mensch den Aufenthalt in Rom bestmöglich ausnutzen und jedes noch so kleine Event in vollen Zügen genießen. Die Erfahrungen in einer derartig kulturellen und geschichtlich geprägten Stadt standen nicht Jedermann zu. Meist hatte doch nur das gutverdienende Bürgertum das Budget regelmäßig auf Kulturveranstaltungen zu gehen und am Land waren jene Möglichkeiten gar nicht erst gegeben. Dort waren die kirchlichen Feste und Saufgelage schon der Höhepunkt eines ganzen Jahres. Verbindungen zu den Privilegien einer Stadt gab es sowieso kaum und wegen den Fahrtkosten unnötig teuer. Und wenn man zu alt wurde, fehlte einem die Energie das Verpasste nachzuholen, falls sich erneut eine derartige Gelegenheit ergab.
Trotzdem...eigentlich ging es Enrico nichts an, was er in seiner Freizeit machte. Auch wenn sein Opa ihn wahrscheinlich darum bat. Aber so langsam nervte es. Er fühlte sich wie ein Kind, das auf einen Schulausflug gezwungen wurde.
Lovino tappte ungeduldig mit dem rechten Fuß am Boden herum. Hoffentlich war dieses dumme Konzert bald vorüber. Er hatte nicht die Geduld dazu, zwei Stunden lang irgendwelchen Geigenspielern und Pianisten zuzuhören. Zusätzlich hatte er die ewige Warterei in der Schlange satt. Vor allem musste er hilflos in der Sonne ausharren und nicht eine kleine Wolke hatte genug Mitleid mit ihm, um etwas Schatten zu spenden.
Bestimmt bekäme er am Ende des Tages einen Sonnenbrand...
Gelangweilt und leicht gereizt las sich Lovino den Flyer durch, den er schon an diesem Morgen beim Vorbeigehen im Augenwinkel entdeckt hatte. Leider erwies sich jedes Wortgrüppchen als weiterer Hinweis für sein, sich anbahnendes, Desinteresse. Schon wollte er den Zettel einfach zur Seite legen...
Doch dann...
Auf einmal stach ein Name aus der Sammlung an Musikern heraus, den Lovino schon einmal gehört hatte. Neben den längst verstorbenen Komponisten wie Schubert oder Vivaldi und den noch aktiven Musikgenies wie Giuseppe Verdi, entdeckte Lovino mit einem Mal den Namen "Roderich Edelstein" unter ihnen.
Perplex musterte er das beige Flugblatt und in seinem Oberstübchen ratterte es.
Der Name war ihm schon einmal untergekommen...
Roderich Edelstein... War das nicht der Name von Antonios Exfreund?
Ja, nun war er sich sicher. Das war der Name von Antonios ehemaligen Geliebten...
Still und ohne die Miene zu verziehen, hingen seine Iriden an jenen zwei Wörtern fest, das Papier hielt er fest in der Hand, sodass sich schon die ersten Knicke und Falten bildeten.
Antonio meinte damals, sein Ex wäre Musiker gewesen... Aber dass ein Werk von ihm in einer größeren Konzerthalle gespielt wurde...? Zweifel rangelten mit Lovinos Gewissen. So wirklich wollte er sich gar nicht vorstellen, dass dieser Roderich berühmt und talentiert genug war, sodass seine Werke parallel zu den Klassikern aus vergangener Zeit aufgeführt wurden. Allerdings könnte es auch sein, dass die Programmverantwortlichen eine Mischung aus Klassik und Moderne in ihre Veranstaltung pressen wollten und deshalb ein paar neuere, aber bekannte Werke junger Komponisten einbauten.
So musste es sein, dachte sich Lovino.
Andersrum würde es ansonsten keinen Sinn ergeben.
"Lovino", da kam Enrico bereits mit den Karten in der Hand auf ihn zu und riss ihn somit aus seinen Gedanken, "wir können los, ich hab die Karten!"
Na toll, schoss es Lovino durch den Kopf und er konnte nicht anders, als genervt mit den Augen zu rollen, jetzt dürfte er sich tatsächlich zwei Stunden lang von irgendwelchen Musikstücken berieseln lassen...
Bereits mit immensem Desinteresse und Lustlosigkeit im Gepäck, sah sich der junge Italiener gezwungen, die steinernen Stiegen zu bewältigen, die geradewegs zu einem Gang führten, der zur linken Seite mit zahlreichen antik aussehenden Säulen gestützt wurde.
Zu seiner rechten prangerten einige breite Türen aus dunklem Holz. Feine, eingravierte Muster veredelten den Rahmen des breiten Tores und vorsichtig modellierte Ranken aus Marmor zierten den Durchgang und brachten trotz ihres künstlichen Aussehens eine gewisse Natürlichkeit hinzu.
Als die beiden Männer den Konzertsaal betraten, war das Meer an Hinterköpfen, bereits von Weitem zu sehen und nur noch wenige Menschen wuselten noch in den rundlich geformten Gängen herum, um ihren Platz zu finden. Lovino und Enrico mussten wohl gerade in der letzten Minute ihre Karten erhalten haben, denn das endlose Gemurmel und Geflüster unter den Zuschauern wurde allmählich stummer, je mehr sie das Licht dimmten und lediglich ein schwacher Lichtstreif in der Mitte der Bühne illuminierte den beinahe stockdunklen Saal. Schnaufend ließ sich Lovino auf seinen Sitzplatz fallen; dieser war sogar überraschend weich und gepolstert und wenn Lovino mit den Fingerkuppen sanft darüberstrich, kitzelten ihn die winzigen, flauschigen Fasern.
Die räumliche Wärme legte sich wie eine Decke um Lovinos Körper und die Dunkelheit drückte ihm mit ihrer beruhigenden Schwere schon fast zwingend die trägen Augenlider zu. Lovino musste sich am Riemen reißen, um nicht auf der Stelle einzuschlafen. Falls das tatsächlich eintreten sollte, müsste er sich für den Rest seines Lebens in Grund und Boden schämen. Aber leider bot sich die angenehme Stille kurz vor dem ohrenbetäubenden Lärm von zahlreichen Instrumenten viel zu gut an, um ein Nickerchen zu halten.
Unglücklicherweise war es gerade ein markerschütternder Schlag eines Beckens, der Lovinos Müdigkeit mit seinem schallenden, mächtigen Ton zunichtemachte. Lovino erhob ruckartig den Kopf, ein blitzartiger Schreck elektrisierte ihn am ganzen Körper. Das war so klar, dass sie genau am Anfang mit dem Lautesten beginnen mussten! Verärgert verzog er die Miene, ließ sich sein Ärgernis nur spärlich anmerken und nichts weiter als ein gedämpftes Brummen, das sofort von der Schar an Musikinstrumenten bei ihrer Ouvertüre übertönt wurde, schaffte es aus seinem Mund.
Ugh, hoffentlich war dieser Mist bald vorbei...
Lovino wollte etwas erleben und nicht in einem stickigen Raum herumsitzen...
Melodien füllten den Raum mit Noten, mit Harmonie, mit Emotion.
Es spielten Violinen, Cello, Klaviere und Klarinetten. Sie alle teilten sich mit, mal laut, mal leise...
Crescendo und piano...mezzoforte, decrescendo.
Der Chor aus Sopran-, Alt-, Bass- und Tenorstimmen begleitete sie, sang doch zumeist auf Latein. Die Sprache, die seit Ewigkeiten ihre letzte Ruhestätte in den Wissenschaften und der Musik fand und so Unsterblichkeit erlangte...
Ein Stück nach dem anderen begann und endete wenige Minuten später, jemand anderes setzte anschließend fort.
Lovino verlor den Überblick. Welcher Programmpunkt war nun erreicht? Welches Lied spielten sie gerade?
Er hörte ausnahmsweise genau hin, vielleicht konnte er es vom Text heraushören und auf seinem Zettelchen lesen, wie lange er noch hier festsaß...
Juno, Jupiter, Minevera, Apollo, Mars, Ceres, Merkur, Diana, Baccus, Vulcanus, Pluto, Vesta, Venus...
Sie sangen die Namen römischer Götter...
Sofort überflog er die einzeln aufgezählten Werke auf seinem Flugblatt und entdeckte das "Marionettenspiel der Götter".
Letztes Drittel!
Innerlich jubelte Lovino vor sich hin. Nur noch drei weitere Stücke und er war endlich erlöst.
Was erwartete ihn denn noch?
"Winter" von Vivaldi, "Serenade" von Schubert und..."Abschied" von Edelstein.
Edelstein, hä?
Lovino hob skeptisch eine Augenbraue und musterte den Namen mit einer dezent abwertenden Distanz, die er von sich selbst nicht unbedingt gewohnt war. Unbehagen nagte an seiner Seele und zehrte an einer unterschwelligen Emotion, die Lovino selbst nicht benennen konnte. Aber etwas...irgendetwas oder irgendein unbewusster Gedanke störte ihn. Und dennoch existierte eine gewisse Neugier...
"Mal sehen, was sein Ex so drauf hatte..."
***
Einzelne Tasten drückten sich hinunter, ein langgezogener, sanfter Ton schwebte sekundenlang durch die Lüfte, bis er letztendlich seine Kraft verlor und die erdrückende Stille ihn umfasste, ihn mitsamt der vergossenen Tränen emotionaler Zuschauer, verschluckte und verstummen ließ. Einer filigranen Taudecke ähnelnd, wanderten die mit Pferdehaar bespannten Bögen über die Seiten der zugehörigen Violine und entlockten ihr kaum merkbare Melodien, die das Ohr nicht bewusst erreichten, aber dennoch an den Herzsträngen der Menge zerrte.
Pizzicato.
Saiten wurden gezupft, jede gespielte Note fiel wie ein Regentropfen herab.
Crescendo.
Das Orchester wurde lauter, immer mehr Musiker fanden ihren Einsatz in diesem tristen, bittersüßen Werk.
Lovino verfestigte den Griff um den Zettel in seiner Hand. Rasch flitzte ihm ein Schauer über den Rücken und seine Haut kribbelte.
Abschied...So hieß das Werk also.
Er warf einen weiteren Blick auf das Papier.
Es war relativ neu, gerade erst drei Jahre alt.
Drei Jahre...Ob dieser "Abschied" seine letzte Komposition war? Vielleicht sogar ein beabsichtigtes "Auf Wiedersehen"? Zeitlich ginge sich jene Vermutung sogar aus und Roderich wusste womöglich seinen nahen Tod. Er war immerhin nicht natürlichen Todes dahingeschieden.
Lovino sah auf die weit entfernte, verdunkelte Decke hoch.
Der Chorus setzte ein; zunächst zögerlich, dann endlich kräftig.
Abschied.
Lovino lauschte dem Text und etwas Schweres nistete sich in sein Herz; zog es wie einen Mühlstein in die Tiefe.
Von wem er sich verabschiedete?
Kleine Blitze schossen durch seine Adern und ließen seine Finger kurz und unregelmäßig aufzucken. Ungeduldig tappten sie gegen die Armlehne.
Lovino wusste nicht, was in ihm vorging. Was er dachte...was er fühlte...
Trotzdem ging ihm eine Art Verständnis einher, die er sich selbst kaum erklären konnte. Warum schien er den Sinn von diesem Lied zu verstehen? Warum glaubte er, die versteckte Nachricht dahinter entdeckt zu haben?
Lovino war sich sicher, dass er sich all dies nur einbildete und dennoch fühlte es sich realer und logischer denn je an.
Die kräftige, dennoch liebliche Melodie...diese Strophe erzählte womöglich von Erzsébet, Roderichs Liebe, die ihn laut Antonios Erzählungen bis zum finalen Fallbeil verteidigte und unterstützte.
Es folgte eine zurückhaltende Sequenz...sie musste wohl die Verzweiflung und die Aufgabe seines Lebens sein, die sich zwischen seine Abschiede schlich; die alle Geschichten von außen erzählte.
Es folgte ein weiterer Abschnitt, Roderichs eigenes Leben, sein eigenes Leid und seine eigene Freude.
Und schließlich...
Lovino wandte den Blick zu Boden.
Den finalen Schluss bildete Antonio.
Das letzte "Auf Wiedersehen" galt Roderichs alter Liebe, als würde er sich dafür bedanken wollen, ihn bei sich haben zu dürfen.
Als würde er sich dafür bedanken, dass...
Lovino legte instinktiv seine Hand an die Brust und bohrte sich mit den Fingern verkrampft in sein Hemd hinein.
Etwas zerriss sich in ihm.
Seine Brust zerrte sich zusammen.
Wie ein Eimer Wasser schien, Unbekanntes aus seinem verschlossenen Herzen zu fließen...Als rammte sich ein Dolch in seine Brust hinein und sein warmes, scharlachrotes Blut tropfte zäh wie schwarzes Pech zu Boden.
Druck pumpte sich in seine Augen, daraufhin folgte die erste unkontrollierte, stille Träne, die sich ihren Weg durchkämpfte.
Wieso weinte er? Es gab doch nichts...worüber er traurig sein sollte...
Lovinos Unbehagen verstärkte sich immens. Jede Sekunde, die er noch länger unter dieser Qual aushalten müsste, würde ihn einen Schritt näher an den Tod bringen. Aber was zerstörte ihn? Nichts war geschehen? Nichts war ihm widerfahren?
Er musste...
Er brauchte eine Pause.
Und zwar sofort.
Ohne auch nur eine weitere Sekunde zu zögern, stand Lovino auf und verschwand nach draußen auf den halboffenen Gang. Zumindest bekäme er dort frische Luft, um durchzuschnaufen. Mit den Handflächen stützte er sich an der kunstvoll herausgearbeiteten Mauer ab, nahm einen tiefen Atemzug von der leider ziemlich warmen Luft, stellte sich für den Moment auf Zehenspitzen, lehnte sich nach vorne, sodass er beinahe einen hochgewachsenen Busch mit der Nasenspitze berührte und stolperte anschließend zurück auf seinen Platz.
Oh Mann, schoss es ihm durch den Kopf und er streckte den Kopf gen Himmel aus, was war nur mit ihm los?
Normalerweise war er bei Dingen, die ihn nicht persönlich betrafen, nicht so nah am Wasser gebaut...Weswegen suchte er gerade jetzt eine Auszeit?
Hatte er Mitleid, weil es um eine Person ging, die seinem Freund einst nahestand? Oder steckte etwas Anderes dahinter...?
Nein. Mitleid fühlte sich anders an.
Lovino fühlte sich anders.
Dieses Gefühl...es war kein Mitleid.
Sein Herz lag immer noch schwer wie Blei in seiner Brust, schlug nur zäh und langsam wie fest gewordener Honig vor sich hin.
Da war etwas...
Es schmerzte. Hatte ihm jemand eine Feile in den Oberkörper gerammt?
Nein...
Es war etwas anderes...
Traurigkeit...War das das Wort, nach dem er suchte? Mitgefühl? Eifersucht?
Lovino fand keine Antwort für sich...alles schien ineinander zu fließen...
Erinnerungen an das Stück kehrten zurück und je länger er an den verschlüsselten Text dachte und sich in seinen Symbolen verlor, desto hoffnungsloser und elendiger fühlte sich der Einundzwanzigjährige.
"Roderich hat Antonio wirklich geliebt, so wie er Erzsébet liebte...", hauchte er kaum merklich aus.
Was machte diese nüchterne, unbedeutende Information mit ihm?
Er hatte doch schon im Vorhinein über die guten Verbindungen zwischen diesen drei Menschen gehört, aber nun war ihm erst klar geworden, welche Gefühle dabei eine Rolle spielten.
War er eifersüchtig, weil er selbst noch nie aufrichtig geliebt hatte?
War er neidisch, weil er selbst noch nie erfahren hatte, wie es ist, geliebt zu werden?
War er traurig, weil Antonio so viele Verluste erfahren hatte? Allen voran, dass er einen Menschen verlor, den er geliebt hatte?
Wie hatte sich Antonio wohl gefühlt...?
Lovino wollte auch eines Tages lieben.
Auch wenn er es sich selbst nicht einmal zugestehen wollte.
Lovino wollte eines Tages etwas lieben lernen, das mehr als eine rasch verfallende Laune der Natur war.
Er wollte nicht nur diese kurzen, schnell verfliegenden Funken zwischen sich und den hübschen Mädchen, die er traf.
Lovino wollte eines Tages etwas Langanhaltendes; etwas, das bei ihm blieb und ihn nicht mehr verließ...
Nur wann war dieses "eines Tages"?
Dauerte es Stunden? Tage? Wochen? Monate oder gar Jahre?
Je länger sich Lovino darüber den Kopf zerbrach, desto verzweifelter wurde er.
Er wusste genau, dass es eventuell einmal den Tag geben wird, an dem auch er jemanden für sich fand.
Dennoch kamen Zweifel und Ängste in seinem schweren Herzen auf.
Was, wenn der Tag doch nie käme?
Was, wenn er nie genug wäre?
Was, wenn er sich verliebte, doch die andere Person wies ihn zurück?
Lovinos Herz sank nur noch schwerer und lebloser herab, als es ohnehin schon war. Beinahe vermutete er, es für immer zu verlieren und auf der Stelle zu sterben. Aber so weit käme es nicht. Viel eher musste er sich einem ungebetenen Gast widmen, der ihn bei seinem Versinken im Selbstmitleid störte. "Du machst aber ein Gesicht wie drei Tage Regen!"
"Wie? Was?", verwirrt schnellte Lovino mit dem Kopf herum und zeigte mit dem Finger auf sich, "Ich?"
Enrico lachte auf, währenddessen schlängelten sich bereits die restlichen Konzertbesucher durch den offenen Gang und die steinerne Treppe hinunter. Das Konzert schien nun offiziell vorbei zu sein. "Junge, siehst du sonst jemanden, der alleine herumsitzt und Trübsal bläst?"
Lovino schüttelte den Kopf, schaute seinen Vorgesetzten allerdings gar nicht erst an. Das war eine dämliche Frage.
"Na also. Wo drückt denn der Schuh?"
Lovino verdrehte die Augen. Das ging ihn doch nichts an!
"Ist was Privates...Also nicht nennenswert", presste Lovino desinteressiert hervor und weigerte sich immer noch, den Blick von dem langweiligen Busch abzulassen. Hauptsache er musste nicht in Enricos Gesicht sehen.
"Du hörst dich genauso an, wie meine kleine Chiara", Enrico nahm das Ganze mit Humor und lachte wieder, "Aber okay, dann lass ich dich in Ruhe." Anstatt weiter nachzubohren, respektierte Enrico die Antwort seines Schützlings. Allerdings musste er sich trotzdem zugestehen, dass Lovino seiner ebenfalls schnell aufbrausenden Tochter im Verhalten stark ähnelte. Als Chiara so alt war wie Lovino, war sie genauso gewesen, daher waren jene, teils noch pubertären Verhaltensmuster keine Neuheit für den Beinahe-Pensionisten und einfachen Familienvater und er könnte aus Erfahrung sprechen, wenn er behauptete, zu wissen, wann er eine passiv-aggressive Person in Ruhe lassen musste.
Vielleicht zeigte Enrico ihm gerade deswegen einen gewissen Grad an väterlichem Verständnis.
Lovino ähnelte seiner lieben Tochter.
Doch Chiara war er damals mit mangelnder Einsicht begegnet und hatte somit Probleme entfachen lassen, mit deren Konsequenzen er heute noch, trotz Versöhnung, zu kämpfen hatte.
Vielleicht trickste ihn sein Unterbewusstsein gerade deshalb aus und interpretierte Lovinos Lage als indirekte Wiedergutmachung seines damaligen Fehlers.
Doch da fiel dem alten Mann auf einmal wieder etwas ein und er wandte den Kopf augenblicklich zu dem Burschen neben sich. "Du sagtest heute Morgen, du hättest um sieben ein Treffen mit jemandem...", er hob sein Handgelenk von der Mauer vor sich ab und schaute sich angestrengt die dünnen Zeiger darauf an, "...Oh Mann, ich seh' das kaum", er bewegte seine Hand weiter weg von sich, "Ah ja! Wenn ich mich nicht verlesen habe, ist es schon fünf nach sechs. Ich würde mich beeilen, wenn ich du wäre. Es dauert eine Weile bis zum Bahnhof und du musst die Straßenbahn rechtzeitig erreichen. Du willst die liebe Dame doch nicht alleine sitzen lassen."
Auf einmal rangen alle Alarmglocken in Lovinos Ohren und er riss die Augen weit auf. Isabella! Er hatte beinahe darauf vergessen! Gott sei Dank hatte Enrico ihn auf die Zeit aufmerksam gemacht! "Oh verdammt! Stimmt! Ich muss los!", hastig und ohne auch nur eine Sekunde länger zu warten sprintete er in Richtung Treppe los, nur um dann wieder ein paar Schritte zurückstolpern zu müssen, da er vergaß, sich zu verabschieden. "Danke! Ciao!"
"Viel Spaß, Junge!" Doch kaum hätte der alte Mann ihm ein Winken geschenkt, war Lovino schon im Trubel der Großstadt und hinter den Köpfen der heimkehrenden Menschen verschwunden, Adrenalin und Stress, aber auch Vorfreude im Gepäck habend.
~0~
Viele hundert Meilen entfernt, tickte der Zeiger einer Wanduhr mit derselben Geschwindigkeit vor sich hin wie lang ersehnte Regentropfen gegen die Fensterscheibe prasselten; wie sie sich an der kalten Scheibe wie Perlen festsetzten, jedoch wenige Sekunden später ihren Weg in den Abgrund wagen mussten.
Graue Wolken verdeckten den sonst so sonnigen Himmel der Kleinstadt, hängten einen grauen, tristen Schleier über diesen Teil der süditalienischen Landschaft, hinzu kam eine nahezu idyllische, dennoch unglaublich einsame Stille, die bis in die kleinsten und verwinkelsten Ecken der einfachen Wohnung reichte.
Eine feine Staubdecke benetzte einmal mehr die unbenutzten Regale, die alten Fotos und die alte, verstimmte Gitarre, die Antonio seit Wochen nicht mehr angefasst hatte.
Das letzte Mal, als er seine Finger über ihre fest gespannten Saiten wandern ließ, war Lovino bei ihm gewesen...Sie waren damals gerade erst Freunde geworden.
Antonio lächelte mild und spürte auf einmal den unbekannten, wunderlichen Drang, dem Gitarrenspiel eine zweite Chance zu geben...
Aber die Musik entriss ihm jedes Mal aufs Neue jemanden, den er liebte.
Tomás, Roderich...
Sie beide waren Musiker, hatten sich der Musik voll und ganz hingegeben.
Sie beide waren ihm unbeschreiblich wichtig gewesen.
Sie beide waren gewalttätig aus dem Leben gerissen worden.
Antonio zögerte wieder. Mitten in der Bewegung, den Hals der Gitarre zu schnappen, hielt er inne und dachte nach.
Er selbst hatte die Musik geliebt...Am liebsten wäre er in die Fußstapfen seines Bruders getreten und selbst Musiker geworden.
Doch die Musik...diese verdammte, scheußliche, wunderbare und gefühlstragende Musik brachte ihm nichts als Leid...nichts als Trauer und Verluste.
War es das wirklich wert, sich mit etwas auseinanderzusetzen, das er ausschließlich mit dem Tod geliebter Menschen assoziierte?
War es das wirklich wert, bei jedem gespielten Ton einen neuen, messerscharfen Pfeil in seinem Rücken spüren zu müssen, der seine gebrochene Seele nur noch mehr verletzte?
Jedes Zupfen ritzte doch umso mehr Narben in sein invalides Herz...
Stopp.
Nein.
Antonio sah auf. - Auch die Sonne hatte sich parallel zu ihm endlich mit ihrem vorerst schwachen Licht durch die dunkle Wolkendecke gekämpft und schenkte den Menschen vereinzelnd ihre wunderbaren, warmen Sonnenstrahlen.
Doch auch wenn die Sonne in diesem Augenblick ein Stück Licht entgegenbrachte, so entfachte auch in Antonios Seele ein fast vergessener Funken Licht...
Es gab nicht nur Kummer in der Musik...
Es gab auch einzelne Lichtblicke...
Jahrelang hatte Antonio gegen die Gitarre rebelliert.
Jahrelang hatte er sie ausschließlich dem Tod gleichgesetzt.
Jahrelang widerfuhr ihm ausschließlich Negativität in Form der sachten gezupften Noten...
Bis auf ein Mal.
Und dieses eine Mal war bei Lovinos Besuch gewesen...
Dieser grimmige, unfreundliche Italiener hatte ihn bereits einmal dazu gebracht, seinen eigenen Sturkopf aufzugeben und seine Angewohnheiten beiseitezuschieben...und es war nichts Schlimmes geschehen. Im Gegenteil, Antonio erlebte sogar Freude...Ein Lichtlein, klein und kräftig, ging ihm auf.
Vielleicht...würde es auch dieses Mal so sein...
Still überwand er all seine Zweifel und nahm das alte Instrument vorsichtig aus seinem Ständer heraus, begutachtete es zunächst und erinnerte sich an Lovinos Neugier, als er die Gitarre zum ersten Mal erblickte. Ein mildes Grinsen malte sich wieder auf sein Gesicht...das Licht der Sonne verstärkte sich und umrahmte seine linke Gesichtshälfte wie ein goldenes Seidentuch; illuminierte es und brachte seine Augen zum Strahlen. Nun war sich Antonio einmal mehr sicher...
"Sieht wohl aus, als gäbe ich dem Ganzen doch noch eine zweite Chance, huh?"
~0~
Mit einem Satz hopste der Italiener in letzter Minute auf die Stehfläche der Straßenbahn, hielt sich augenblicklich an dem Geländer fest, dessen grüne Legierung schon an einigen Stellen abgeblättert war. Mit rasendem Herzen schnappte Lovino gierig nach Luft. Er hatte verdammt viel Glück gehabt, gerade noch eine Fahrkarte zu ergattern und rechtzeitig bei der Station anzukommen, auch wenn er es ausschließlich durch seinen waghalsigen Sprung geschafft hatte.
Nun stand er da, mit zittrigen Beinen und verschwitztem Haaransatz, darauf wartend, dass er möglichst bald in der Nähe des Bahnhofes war. Der Fahrtwind kam ihm entgegen und plusterte seine dunklen Haare sachte auf.
Hoffentlich sah er nicht zu schrecklich aus...Er wollte doch eigentlich möglichst schick aussehen.
Nervös starrte Lovino auf seine Taschenuhr, richtete danach die rubinrote Brosche, die er seit dem Marktvorfall wie ein Abzeichen oder wie einen verdienten Orden bei sich trug.
Es war dreiviertel sieben. Wenn die Straßenbahn ohne Verspätung oder langen Haltestellen voranzog, könnte er es tatsächlich noch rechtzeitig schaffen, ohne dabei wie ein Spitzensportler von A nach B sprinten zu müssen.
Normalerweise war es ihm mehr als egal, wenn er zu spät bei einem Termin eintraf...aber in diesem Fall könnte es ihm zum Verhängnis werden. "Man darf eine Dame nicht zu lange warten lassen", so meinte es jedenfalls sein Opa.
Passagiere steigen aus, andere gesellten sich wiederum dazu und die Bahn verfolgte schön brav ihre vorgesehene Route. Häuser, Geschäfte und kleine Trinkwasserbrunnen rauschten an ihm vorbei, einige Kinder spielten auf einer Nebenstraße Fußball und schrien vor Kampfgeist herum. Die Bahn bog nach links ein und Lovino wurde wieder aufmerksam. Von weitem sah er bereits den Bahnhof hervorblitzen, wenige Meter daneben prangerte schon in Großbuchstaben das Schild für die Straßenbahn. Das moderne Fahrzeug bremste allmählich, ein auszuhaltendes Quietschen der Schienen rang in seinen Ohren und Lovino machte sich bereit, endlich auszusteigen und die letzten Meter bis zu Isabellas und seinen Treffpunkt zurückzulegen.
Ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass er noch rund acht Minuten Zeit hatte.
Perfekt!
Lovinos ansonsten so abweisender Gesichtsausdruck erhellte sich, als er endlich wieder die gepflasterte Straße unter seinen Füßen spürte und die letzten Schritte zu Fuß ging, die langsam untergehende Sonne im Rücken habend.
Hoffentlich, tagträumte er, hoffentlich hatte er diesmal Glück und Isabella zeigte auch an ihm Interesse.
***
"Und dann meinte Sophia, ich sei bescheuert und ist einfach davongelatscht, obwohl die Bahn schon kam. Tja, das war dann ihr Problem und weil sie dickköpfig sein musste, hat sie dann den Zug eine Stunde später nehmen müssen..." Isabella lachte belustigt auf und löffelte in ihrem Eisbecher herum, während Lovino ihr aufmerksam zuhörte. Es war bereits kühler geworden, denn die Sommerhitze zeigte sich nun endlich erträglicher, nachdem es zu dämmern begonnen hatte. Überraschenderweise lungerten nur wenige andere Passanten auf der Spanischen Treppe herum, Lovino hätte sich mehr Trubel erwartet, immerhin befanden sie sich hier in der Nähe eines luxuriösem Einkaufsviertel. Aber da es bereits Abend und unter der Arbeitswoche war, herrschte zum ersten Mal seit langem tote Hose.
Zugegeben war ihm diese Ruhe an einem Mittwochabend neben einer schönen Spanierin wie Isabella ohnehin lieber als sich neben zigtausend nervigen Touristen und Shopaholics aufhalten zu müssen. Er konnte sich demnach voll und ganz darauf konzentrieren, einen guten Eindruck bei seiner neuen Herzensdame zu schinden. Bis jetzt hatte er auch ausschließlich Erfolgserlebnisse erfahren.
Nummer eins: Er hatte sie augenblicklich mit Komplimenten überhäuft, als sie wenige Minuten nach ihm auf der Plaza eintraf. Nicht, dass er absichtlich mit seinen Komplimenten übertrieb, um sich einzuschleimen. Er sagte einfach das, was ihm durch den Kopf ging. Somit war er brutal ehrlich zu ihr gewesen. Er hätte sich ohnehin nicht verstellen müssen. Isabella sah besonders am heutigen Abend mit ihren wunderschönen braunen Locken, dem roten Kleid und den strahlend grünen Augen umwerfend aus, sodass es Lovino für die ersten Minuten die Sprache verschlagen hatte und er verlegen und leicht errötet vor sich hin stotterte.
Nun gut, auf seine Nervosität hätte er im Idealfall liebend gern verzichtet, allerdings schien es Isabella sogar ganz niedlich zu finden.
Und bevor er seine Chance endgültig verpatzte, akzeptierte er es lieber, als niedlich abgestempelt zu werden.
Nummer zwei: Er hatte es dank seiner natürlichen Begabung geschafft, einen kurzen Spaziergang mit ihr einzuleiten, dessen Ziel eher dem Zufall überlassen wurde. Lovino hatte keinen Plan, welche Orte in Rom ideal für ein Date wären, also blieb ihm nichts Anderes als die Improvisation übrig. Zu seinem Glück lenkte ihn seine Intuition genau in die Richtung, in der es zahlreiche historische und ästhetische Sehenswürdigkeiten gab, die sie zu zweit bewundern konnten. Das Forum Romanum, der Trevi-Brunnen, das Pantheon und auch das berühmte Kolosseum, Lovino hatte es irgendwie geschafft sie an all diese Plätze zu führen und war insgeheim sogar stolz darauf, ohne fremde Hilfe dorthin zu finden.
Und schließlich Nummer drei: Da Lovino ein gewissenhafter Gentleman war, lud er sie natürlich auf ein Eis ein, das er für sie zahlte. Nichts ging über ein schmackhaftes, süßes Eis.
Und er wählte diese Option mit dem Eis überhaupt nicht als Wiedergutmachung dafür, dass er keine Blumen mitgebracht hatte, wie ein altmodischer Romantiker...Niemals.
Zumindest würde er ihr so in Erinnerung bleiben, da er, anders als der Rest, nicht mit dem klischeehaften System vorging, sondern sich selbst etwas einfallen ließ.
Es hätte ja sein können, dass Isabella gegen bestimmte Blumen allergisch war. Wenn er sie auf ein Eis einlud, hätte sie sogar die eigene Wahl etwas zu nehmen, was ihr tatsächlich gut gefiel.
Jedoch war Lovino in diesem Fall alles andere als ortskundig, weswegen Isabella ihm den Weg zeigen musste...
Aber nun hockten sie zu zweit auf den breiten, marmorfarbenen Stiegen der Spanischen Treppe auf der Plaza de España und schlugen die Zeit mit dummen Erzählungen aus dem Alltag tot. "Ts, dann müsstest du mal den Schrott hören, der mir mal passiert ist." Lovino beäugte den flachen, nüchternen Springbrunnen am Fuße der Treppe und augenblicklich schoss ihm die Szene mit Antonio in den Kopf, die nur wenige Tage zurück lag.
"Ich war letztens mit Freunden unterwegs und der Bastard von einem Freund, den ich habe, hat mich fast an einem Herzinfarkt verrecken lassen...Willst du wissen, wieso?"
Isabella nickte wissbegierig und schenkte ihm ein interessiertes Lächeln, das Lovino augenblicklich erwidern musste. Isabellas natürlicher Charme war ansteckend.
"Der Bastard hat mir eiskaltes Wasser in den Nacken geleert und im Endeffekt haben wir derartig viel Wasser ausgeleert und mit unserem Scheiß Passanten belästigt, dass die Carabinieri dahergekommen ist und wir abhauen mussten." Lovino überraschte sich selbst mit seiner Offenheit, in der Regel würde er peinliche Momente seiner Lebensgeschichte auslassen, allerdings meinte man auch, dass das lockere Zugeben von Makeln und Dummheiten einen menschlicher und interessanter erscheinen ließ. Und genau das käme ihm entgegen.
Die junge Dame neben Lovino kicherte amüsiert, als sie sich die Szene bildlich in ihrem Kopf ausmalte. Die Vorstellung, dass sich zwei, sogar bereits erwachsene, Männer wie ein Haufen ungebremster, pubertierender Jugendlicher verhielten, war einfach zu komisch. "Und ich dachte, meine Freundin Romana wäre schon speziell, wenn sie heimlich die Hauswände ihrer Rivalinnen ankritzelt. Aber sie wurde noch nie erwischt." Den letzten Bissen von ihrem Eis nehmend, versenkte Isabella ihren Eisbecher in hohem Bogen in dem Mistkübel einige Stufen weiter weg von ihrem Platz. Ihr Herz machte einen Freudensprung, als sie tatsächlich mit einem lockeren Wurf ins Schwarze getroffen hatte.
Lovino winkelte derweil sein linkes Bein an, um es als lässige Armstütze zu benutzen und legte den Kopf schief. Er wollte unbedingt mehr von dieser wunderschönen Frau erfahren, sie schienen nämlich auf einer Wellenlinie zu liegen.
Sofortiges Verständnis seit der ersten Sekunde...Lovino wünschte sich das schon seit Ewigkeiten. Egal ob es sich um Liebe oder Freundschaft auf den ersten Blick handelte.
"Von wo kommst du eigentlich, Isabella? Ich mein, du weißt schon, woher ich bin, aber von dir weiß ich eigentlich nichts..." Neugierig beäugte er Isabella und bewunderte einmal mehr ihre strahlend grünen Augen, die in der Abendsonne umso schöner aussahen. Auch ihr Profil...Lovino könnte schwören, dass sie in Wirklichkeit eine Bilderbuchprinzessin war.
"Ich komm aus Sevilla, liegt im Süden von Spanien. Es ist zwar unerträglich heiß tagsüber, heißer als hier, und du musst auf deine Tasche aufpassen, wenn du unterwegs bist, aber ansonsten ist es wirklich schön dort." Ein warmes Lächeln zeichnete sich auf ihr sonnengebräuntes Gesicht und man sah ihr die Nostalgie an, die sie allein mit dem Namen ihrer Geburtsstadt verknüpfte.
Lovino nickte aufmerksam und bemerkte gar nicht, wie schnell die Zeit verflog und wie es allmählich dämmerte und die ersten Straßenlaternen ihre Lichter entfachten. "Oh, hört sich cool an. Und was machst du so hier in Rom, wenn ich fragen darf?"
"Eigentlich war mein ursprünglicher Plan, Urlaub zu machen und dann im nächsten Semester hier zu studieren. Zwar könnte ich das auch zuhause in Spanien, aber ich wollte etwas Neues! Und du, Lovino?" Schon wieder schenkte sie ihm ein warmes, liebes Lächeln, das Lovino für den Bruchteil einer Sekunde aus der Fassung brachte und er sich neu sammeln musste.
"Ich? Eh, nun...Ich bin eigentlich auch wegen einer Art Studium oder einer Fortbildung hier. Eigentlich ist es ja eher ein Schnellkurs...Wie soll ich sagen...mein Boss hat mich bei sich arbeiten lassen, obwohl ich ohne Vorwissen keine Befugnis hätte. Der alte Sack hätte sich das vielleicht vorher überlegen müssen, für was er mich einstellt!" Augenrollend stützte er seinen Kopf mit der Hand und seufzte genervt. Unwissentlich verfiel er trotz der Gegenwart Isabellas in seine alten Verhaltensweisen zurück. Sein Temperament und seine abwertende Sprache ließen sich nur schwer abgewöhnen.
Doch glücklicherweise schien es Isabella keineswegs zu stören. Sie begann sogar leise zu lachen und hielt sich flott die Hand vor den Mund. "Zumindest hast du jetzt die Chance, etwas nachzuholen. Dann hast du zumindest keine rechtlichen Probleme. Aber es ist doch ganz nett von deinem Boss, dass er sich extra so für dich engagiert."
Lovino schaute nachdenklich zur Seite und schnippte einen kleinen Kieselstein mit den Fingern weg. "Ja, schon. Wahrscheinlich hat mein Nonno ihm das ins Hirn gesetzt. Ich versteh ihn nicht. Einerseits ignoriert mich mein Nonno, andererseits will er, dass jemand auf mich von Weitem aufpasst. Dabei bin ich erwachsen! Er hat sich nirgends einzumischen! Und das kotzt mich an." Auf einmal hielt Lovino inne und stockte.
Er bereute es auf der Stelle Isabella mit diesem Thema belästigt zu haben. Seine passiv-aggressive Wortwahl stand ebenfalls unter keinem guten Stern. Verdammt! Er hatte seine Maske fallen lassen!
"Hm...Hast du ihm das denn schon einmal gesagt?"
"Nein...", schoss es aus Lovino sofort heraus. Der Einwurf Isabellas war allerdings nicht unbedingt unbedeutend. Lovino hatte seinen Großvater noch nie direkt darauf angesprochen, woher sollte dieser dann wissen, wie er sich fühlte? Lovino durfte die Schuld nicht ausschließlich bei anderen suchen...Meistens trugen mindestens zwei Leute dazu bei, dass ein Problem entstand. "Tut mir leid, wir wollten uns eigentlich einen schönen Abend machen und ich plappere dich mit meinen Problemen voll. Das tut mir unglaublich leid."
Reue entfachte, wie eine in Flammen gesetzte Streichholzpackung in seiner Brust und Lovino wünschte sich im Moment nichts sehnlicher, als in die Vergangenheit zu reisen, um sich selbst davon abzuhalten, die Atmosphäre mit seinen Familienproblemen zu versauen.
Isabella tat ihm einfach nur leid, dass sie das mit anhören musste. So war das nicht geplant! Aber dann...eine Antwort, die ihn ungemein beruhigte.
"Ist schon in Ordnung, ehrlich! Ich höre gerne zu!", Isabella grinste ihm freundlich und offen zu und hielt keinerlei Negativität für ihn bereit.
Gott sei Dank, dieses Mädel nahm es ihm nicht böse.
Lovino atmete erleichtert aus. Dennoch wollte er sich für seinen Verpatzer revanchieren. "Grazie mille, Isabella, aber heute ist wirklich nicht der Tag für solche Geschichten. Komm, ich lad dich als Entschädigung auf einen Kaffee ein. Was sagst du dazu?" Auch Lovino bemühte sich um ein Lächeln, obwohl es womöglich eher nervös aussah.
Er war einfach nur peinlich!
Dabei hatte es anfangs so gut geklappt...
Aber Isabella grinste nur erfreut und heiter zurück. "Natürlich!"
***
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