Nyfain
Nun war auch noch Nyfain Morgan tot. Ich schmiss das verfluchte Notizbuch gegen das verdammte Radio, nur um diese bescheuerten Nachrichten nicht mehr hören zu müssen. Irgendein Gedudel ertönte und ich stapfte stinksauer zu diesem Kasten herüber, um diesem Ding den Garaus zu machen. Nach ein paar Faustschlägen hielt es endlich die Klappe, ob ich den richtigen Knopf getroffen oder etwas zerstört hatte, wusste ich nicht und es war mir auch herzlich egal. Weshalb hatte sich Eira überhaupt so etwas zugelegt? Um alle paar Tage Schreckensnachrichten zu hören zu bekommen? Reichte es nicht schon, wenn alle paar Minuten auf dem Handy irgendwelche News geschickt wurden? Es war absolut zum Kotzen. Ich wollte nicht wissen, wenn wieder jemand starb, den ich kannte. Jetzt sogar eine ehemalige Klassenkameradin. Nyfain Morgan, die eigebildete Schnepfe mit den abscheulichen Korkenzieherlocken, war tot. Ihr grauenhaftes Hexenlachen hatte ich immer noch im Ohr, aber wieso sollte sie jemand deswegen umbringen? Ich meine, sie war doch bestimmt zu dumm gewesen, um etwas wirklich Böses zu tun! Gehässig war sie gewesen, keine Frage, aber wie sollte eine vierfache Klassenwiederholerin einem den Grund geben, sie zu töten? Na gut, als Kind hätte es vermutlich jeder gerne getan, aber so etwas konnte doch kein Erwachsener tun, der noch bei Trost war!
Eigentlich war ihr Tod nur der kleinere Schock. Der größere war, dass es wieder jemand aus meinem engsten Bekanntenkreis war. Und auch wenn ich sie früher einmal meine allerschlimmste Feindin genannt hatte, gehörte sie trotzdem irgendwie zu meinen besten Bekannten. Immerhin, sie hatte mir eine Karte zu Weihnachten geschickt, obwohl sie das vermutlich an alle ihre Kontakte auf Whats-App getan hatte. Zudem würde ihre nervenaufreibende Stimme mir wahrscheinlich ewig in Erinnerung bleiben. Wieso nur konnten es nicht immer vollkommen fremde Menschen sein, die starben? Wieso schien es nur so, als würden all die Leute um mich herum sterben?
Verzweifelt ließ ich mich auf den Boden sinken. Irgendetwas an dieser Mordreihe übersah ich gewaltig. Wenn ich diejenigen kannte, die starben, musste mir auch der Mörder bekannt sein, oder? Doch es fiel mir niemand ein, der auch nur annähernd dazu fähig sein konnte. "Du bist zu naiv, Heulwen", vernahm ich Eiras Stimme irgendwoher. Wieder mit Tränen in den Augen presste ich mir die Hände gegen die Ohren. Das durfte nicht wahr sein! Ich musste diesen Fall lösen, da konnte ich nicht noch herumspinnen! Gefühle mussten warten. Eira hatte sich immer zusammenreißen können, also konnte das nicht so schwer sein. Ich musste logisch bleiben, wenigstens ein Mal in meinem Leben.
Ich atmete tief durch und konzentrierte mich wieder auf den Fall. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Aber natürlich! Das Datum! Beide Male hatten die Morde an einem neunundzwanzigsten begonnen, danach war zwei Tage Ruhe, dann wieder ein Mord und nur einen Tag Pause vor dem folgenden. Doch jetzt fiel es aus dem Muster heraus. Der nächste Mord sollte erst morgen stattfinden. Das Ungeheuer war einen Tag zu früh dran; Nyfain sollte heute gar nicht sterben. Es war der falsche Zeitpunkt, es passte nicht zusammen. Irgendetwas lief hier gehörig schief.
Da ich das Notizbuch beim besten Willen nicht mehr wiederfand und keinen Bock hatte, zum Suchen aufzustehen, machte ich mir eine Gedankenliste. Auch wenn ich mir das alles sicher keine Stunde lang merken würde, ging ich alle möglichen Gründe für so eine seltsame Änderung durch. Vielleicht war ihm einfach ein Fehler unterlaufen? Nein, das war absolut unmöglich. Solche Biester konnten keine Fehler machen, niemals. Vielleicht war es auch ein Signal? Nein, das klang absolut bescheuert. Wie war das denn in den ganzen Büchern und Filmen, wenn ein Mörder plötzlich etwas anderes tat, als alle erwarteten? Entweder wollte derjenige von seiner Spur ablenken oder jemand brachte das eigentliche Vorhaben durcheinander. Das mit der Spur konnte ich gleich vergessen, denn ich hatte nicht den leisesten Verdacht und die Polizei schien tatsächlich noch blöder. Aber vielleicht hatte jemand unabsichtlich irgendwo dazwischen gepfuscht? Vielleicht war es sogar jemand von der Polizei, die erst Eira und nun mich von den Tatorten verscheucht hatten? Das würde auch erklären, weshalb es keinen offiziellen Verdächtigen gab und weshalb bis jetzt noch alles ungeklärt war. Bis jetzt hatte ich daran noch gar nicht gedacht ...
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro