Verplappert (13)
Toms Sicht
Fiese Schmerzen im Bein und das Gefühl, ich würde angezogen in einer randvoll gefüllten Badewanne liegen, reißen mich aus dem Schlaf. Das tiefe Brummen kann ich mir absolut nicht verkneifen, denn mein Kopf fühlt sich zusätzlich so an, als hätte mir jemand ein Brett direkt auf die Schädelmitte geschlagen. Nur langsam kann ich meine schweren Augenlider öffnen und einen verschwommenen Blick auf meine Umwelt werfen.
Wo bin ich denn?
Erst nach ein paar mal blinzeln wird meine Sicht etwas klarer und mir wird bewusst, dass ich in einem Krankenhaus liege. Wobei sich dieses Gebäude direkt am Nordpol befinden muss, da die Kälte mich ordentlich zittern lässt. Um mich herum stehen einige Gerätschaften, die unentwegt Piepsen und diverse Schläuche hängen an meinen Armen und in meinem Gesicht. Ich kann mich schwammig daran erinnern, dass Phil mich in die KaS gebracht hat und ich von irgendeinem Arzt angemeckert wurde, da ich mich durch das Kratzen mit einer Stricknadel unter dem Gips verletzt habe.
Wie zum Teufel soll man denn aber diesen Juckreiz aushalten, wenn man sich mit nichts kratzen darf?
Mein Blick fällt auf den Monitor neben mir. Am liebsten würde ich dieses Gerät stumm schalten, aber ich befürchte, dass Bewegung mir nicht sonderlich gut tun würde und nur durch das Ausstrecken meines Armes kann ich das blöde Ding nicht erreichen. Seufzend richte ich meine Aufmerksamkeit auf die Bettdecke, die ich im nächsten Moment zurückschlagen möchte, doch ich bleibe mit meiner rechten Hand an einem Schlauch hängen, der aus meinem Bett herausführt. Ich ahne schon Böses. Als ich mit meinen Fingern den Verlauf der flexiblen Plastikröhre verfolge und letztendlich an meinem besten Stück ankomme, hoffe ich, dass dieses Ding nie wieder entfernt werden muss und wenn doch, mich die Ärzte in ein Kurzzeit Koma versetzen. Eine große Welle Müdigkeit überkommt mich, die mich herzhaft aufgähnen lässt.
Warum bin ich denn so müde?
Hinter der Wandverglasung kann ich sehen, dass es draußen dämmert. Ob es jetzt erst der Morgen anbricht oder doch eher später Abend ist, kann ich nicht einschätzen und es interessiert mich ehrlich gesagt auch nicht. Mich würde viel mehr interessieren, warum ich solche Schmerzen in meinem Schienbein habe, warum mein Krankenhaushemd wie eine zweite Haut an mir klebt und warum niemand die Heizung anstellt, wenn es doch so furchtbar kalt ist. Am liebsten würde ich einen Blick unter die minimalistisch wärmende Decke werfen um zu sehen, was mit meinem Bein nicht stimmt, aber dafür bin ich viel zu erledigt und beschließe daher erst später danach zu schauen. Gerade als meine Augäpfel einen ungewollten Looping einlegen und den Schließmechanismus der Lider aktivieren wollen, öffnet sich schwungvoll die Türe. Mit Mühe und Not kann ich die komplette Verbarrikadierung meiner Sehorgane verhindern und visiere den hereinlaufenden Weißkittel durch minimale Augenschlitze an.
"Hallo, Herr Mayer. Wie geht es Ihnen?", will der Herr wissen und stellt sich neben mein Bett.
Wer ist das? Den kenne ich gar nicht.
Der Unbekannte zieht seine Augenbrauen zusammen und legt mir eine seiner Handflächen auf die Stirn, was total unangenehm ist und mich wieder leicht aufbrummen lässt. "Ist Ihnen kalt, Herr Mayer?" "Ja", kommt es erstaunlich kraftlos aus meinem Munde. "Versuchen Sie ein bisschen wach zu bleiben. Ich ordere eine Schwester, damit Ihnen etwas Frisches angezogen wird. Möchten Sie einen Schluck Wasser?" Der Arzt betätigt das Schwesternknöpfchen und füllt anschließend, ohne auf meine Antwort zu warten, ein bisschen Wasser aus der Flasche, die auf dem Nachttisch steht, in ein Glas. Durch das Hochfahren des Kopfteils entsteht eine unangenehme Reibung an meinem Rücken, weshalb ich sofort das Gesicht verziehe. "Haben Sie Schmerzen?"
Um eine mündliche Antwort zu liefern, fehlt mir unerklärlicherweise die Kraft und darum nicke ich dem Arzt auch nur zu. Der Gesichtsausdruck des Studierten sieht nicht gerade begeistert aus, aber daran kann ich jetzt auch nichts ändern. Als das Glas meine Lippen berührt, bekomme ich die Information, dass ich nur sehr kleine Schlucke trinken soll. Obwohl ich am liebsten den kompletten wässrigen Inhalt auf einmal in mich hinein leeren würde, komme ich der Aufforderung nach. Meine Speiseröhre brennt unangenehm, als das kühle Nass die Schleimhäute benetzt und ich frage mich, wie lange ich tatsächlich weggetreten war. "Ich soll ihnen von ihrer Partnerin ausrichten, dass sie nach ihrem Dienst wieder zu ihnen kommt", informiert mich der Wasserspender, der soeben das Glas auf dem Tisch neben sich abstellt und irgendwas an der Infusion herumfummelt.
Tammy war da?
Jetzt bin ich vollkommen verwirrt, denn das meine Freundin hier war, habe ich absolut nicht mitbekommen. Der Herr Doktor setzt sich auf ein Stück meiner Matratze und nimmt mich genau ins Visier. "Ich weiß nicht inwieweit sie gerade Aufnahmefähig sind, aber ich möchte sie wissen lassen, dass sie auf der Intensivstation liegen. Ihre Wunde unter dem Gips wurde chirurgisch behandelt. Wir vermuten, dass sie sich eine Osteomyelitis zugezogen haben. Das bedeutet, dass durch die infizierte Wunde Bakterien in den Knochen eindringen konnten und diese dort nun ihr Unwesen treiben. Auf den Röntgenbildern konnten wir keine Knochenschäden feststellen, was bedeutet, das sie sich noch im Frühstadium befinden. Meine Kollegen haben während des Eingriffs schon eine Knochengewebeprobe entnommen damit wir den genauen Erreger und seine Antibiotikaempfindlichkeit feststellen können. Da wir keine Zeit verlieren dürfen, haben wir schon mit einer Antibiotikatherapie begonnen, die wir nach dem Erhalt der Ergebnisse genauer anpassen werden. Außerdem bekommen Sie natürlich Schmerzmittel zugeführt. Das Fieber, der Schüttelfrost und alle anderen Symptome, die sie plagen, sind auf die Osteomyelitis zurückzuführen. Ihr Bruch hat sich durch den Sturz nicht verschoben. Anstatt einem Gips, haben wir ihnen eine Schiene angelegt, damit die Wundheilung besser kontrolliert und bei Bedarf sofort gehandelt werden kann. Sie bleiben vorerst auch bitte liegen und stehen nicht auf. Wie sie vielleicht schon bemerkt haben, wurden sie mit einem Katheter versorgt und werden täglich eine Thrombosespritze erhalten." Nach diesen Informationen qualmt mir zwar der Kopf und mir ist bewusst, dass das was der Arzt hier von sich gegeben hat, nicht gerade gute Neuigkeiten sind, aber bei dem Wörtchen "Sturz" ist mir noch etwas viel wichtigeres in den Sinn gekommen. "Was ist... mit meiner Schwester... und den Babys?", frage ich krächzend und völlig außer Atem, obwohl ich nur liege und nichts anstrengendes mache. "Ihre Schwester? Liegt sie auch hier in der Klinik?"
"Weiß nicht!", gebe ich genervt von mir, da das ja genau das ist, was ich wissen will. Bevor ich mich weiter aufregen kann, kommt eine Schwester mit neuem Hemdchen und Waschschüssel angetrabt. "Hallo, Herr Mayer!", begrüßt mich die blonde Frau und ich frage mich ernsthaft, ob sie Gedanken lesen kann oder woher sie jetzt genau wusste, was sie mitbringen muss. Zu meiner Überraschung legt der Arzt selbst Hand an mir an und schiebt mich mit einer Hand an meinem Rücken in eine aufrechte Sitzposition. Die Schwester reißt mir schneller die Klamotten vom Leib, als ich gucken kann, und lässt eine großflächige Gänsehaut auf meinem Oberkörper entstehen, als sie mir mit einem feuchten Waschlappen über die Brust wischt. Als zu meiner Rechten noch ein Fieberthermometer in meinem Ohr andockt, bin ich kurzzeitig überfordert und muss mich beherrschen, die zwei Personen nicht von mir zu schubsen.
Als das Prozedere geschafft ist und ein frisches Stück Stoff meinen Oberkörper ziert, lasse ich mich wie ein nasser Sack zurückfallen. Ich fühle mich fast so, als hätte ich Schwerstarbeit geleistet und möchte einfach nur noch meine Augen schließen. Doch wieder schiebt sich der Gedanke an Josi in meinen Kopf. "Ich muss wissen... was mit meiner... Schwester ist!", krächze ich dem Arzt mit Mühe entgegen. "Ich werde schauen, was ich in Erfahrung bringen kann, in Ordnung? Versuchen Sie sich bitte auf sich selbst zu konzentrieren. Sie brauchen viel Ruhe!"
Meine Gedanken überschlagen sich plötzlich und die Angst um Josi, dass es ihr nicht gut gehen könnte oder den Kindern etwas zugestoßen ist, drückt sich immer weiter in den Vordergrund. Leider verrät das Piepsen des Monitors, dass ich mich gewiss auf etwas konzentriere, aber sicherlich nicht auf mich selbst. "Wie heißt Ihre Schwester denn?" Der Arzt bemerkt, dass ich in Bezug auf dieses Thema nicht locker lassen werde und geht endlich auf meine Frage ein. "Josi Hetkamp... Sie ist schwanger und..." Ich werde in meinen Bemühungen, einen zusammenhängenden Satz zustande zu bringen, unterbrochen, indem der Weißkittel eine Hand auf meine Schulter legt. "Dann werde ich zuerst auf der Gynäkologie nachfragen. Keine Sorge, wenn sie Stationär aufgenommen wurde, dann werde ich das herausfinden", versucht mich der eigentlich ganz nette Arzt zu beruhigen und lächelt mir aufmunternd zu. "Okay", flüstere ich vor mich hin und schließe nur für einen Moment meine Augen, da meine Lider tonnenschwer sind und entlastet werden müssen.
Geräusche im Raum erwecken mich wieder zum Leben. Dieses Mal lassen sich meine Augen etwas besser öffnen, doch so wie es sich anfühlt, habe ich schon wieder mein Oberteil durchgeschwitzt. Die Heizung hat auch noch keiner eingeschaltet. "Na, Tom? Was machst du denn für Sachen, mh?", will eine männliche Stimme mit italienischem Akzent wissen. "Hi, Franco. Was machst du...", weiter komme ich mit meiner Frage gar nicht, da mir meine Stimme versagt. "Ich habe gehört, dass du in der KaS liegst und da wir gerade einen Patienten abgeliefert haben, wollten wir mal schauen, wie es dir geht. Das ist übrigens Linus, unser neuer Notarzt!", sagt Franco und zeigt auf seine Begleitperson, die sich gerade an der Wasserflasche zu schaffen macht. Als das Glas mit einer kleinen Menge Flüssigkeit gefüllt ist, wendet sich der Halbgott mir zu, grinst mich an und schenkt mir ein leises "Hi!"
"Hallo... Ich bin Tom!"
Linus nickt mir zu und macht Anstalten, seine Hand zwischen meinen Rücken und die Matratze zu schieben, um mich für die Flüssigkeitszufuhr aufzurichten. "Ich würde mich... lieber nicht anfassen!", warne ich den Blondschopf vor, doch den scheint das nicht zu interessieren: "Glaub mir, ich habe schon ganz andere Dinge angefasst!" Ich verkneife es mir, meine Augen zu verdrehen, denn wenn jetzt Alex an seiner Stelle hier wäre, hätte er sicherlich den selben Spruch gebracht. Franco kann anscheinend meine Gedanken lesen, denn der lacht nur leise vor sich hin. Mittlerweile glaube ich, dass alle Notärzte aus dem selben Holz geschnitzt sind oder nur unter den Bedingungen, solche Sprüche rauszuhauen, eingestellt werden.
Kaum haben wir den Trinkvorgang beendet, kommt mir in den Sinn, dass ich Herrn Fabiano nach meiner Schwester fragen könnte. Die Buschtrommeln haben sicherlich die Nachrichten schon verbreitet oder zumindest wird Phil etwas erzählt haben, wenn er denn Dienst hatte. "Wie geht es Josi?"
Der Sanitäter verzieht gequält sein Gesicht: "Weiß ich nicht so genau, aber ich kann mir vorstellen, dass sie sich die Augen aus dem Kopf heult. Ich meine, wie soll es einem schon gehen, wenn einem angedroht wird, dass einem die Kinder nach der Geburt weggenommen werden, da man beschuldigt wird, gewalttätig zu sein und seinen Mann misshandelt.... Aua!" Linus stoppt Francos Redefluss, indem er ihm einen Ellenbogen in die Rippen stößt, doch das Gesagte reicht schon aus, um meine Pumpe in Wallung zu bringen und meinen Unterkiefer fast auf die Bettdecke fallen zu lassen. Der Italiener wirft einen kritischen Blick auf den Monitor, runzelt dann die Stirn und klatscht sich anschließend seine Hand ins Gesicht: "Du wusstest nichts davon, oder?"
Kinder wegnehmen? Alex misshandelt? Was zum Geier ist denn da los? Oh mein Gott.. Josi wird durchdrehen..
Während der Monitor schon Alarm schlägt, mobilisiere ich all meine Kräfte, die wie von Geisterhand wieder vorhanden sind und schmeiße die Bettdecke von mir runter. Als ich mir mit beiden Händen in die Kniekehle meines lädierten Beines fasse, um die Stelze von der Erhöhung herunter und auf den Boden zu bekommen, werde ich mit vollem Schwung zurück auf die Matratze gedrückt. "Was soll das?", herrsche ich den neuen Notarzt an und versuche ihn von mir wegzustoßen. "Tom! Sei vernünftig. Du hast ein gebrochenes Bein und bist katheterisiert. Klaus regelt das doch alles!", meckert Franco und hält mein gesundes Bein fest. Bei der Erwähnung meines Chefs brennen mir dann wirklich alle Sicherungen durch, denn wenn die Polizei involviert ist, kann wirklich von keiner Lappalie die Rede sein.
Gerade als ich einen Funken Hoffnung verspüre, diesen Linus von mir stoßen zu können, taucht der Arzt auf, der bei meiner letzten geistigen Anwesenheit bei mir war. Im Schlepptau hat er eine Schwester, die mich mit einem bitterbösen Blick anvisiert. Den kann sie sich hinstecken wo sie will, denn hier geht es um meine Schwester und das ist wichtiger als so ein bißchen Osteodingsbums. "Herr Mayer, beruhigen Sie sich bitte! Sie müssen liegen bleiben und dürfen sich nicht so verausgaben!"
"Nein, verdammt. Ich muss zu meiner Schwester!", knurre ich dem Weißkittel entgegen und schlage mich, dafür dass ich nicht ganz auf der Höhe bin, gar nicht mal so schlecht in meiner Gegnerbekämpfung. "Wenn Sie jetzt nicht einen Gang runter schalten, muss ich ihnen etwas zur Beruhigung verabreichen. Das würde ich nur ungern umsetzen und bitte Sie daher…” Mich interessiert gar nicht, was der Herr neben mir umsetzen will oder nicht, denn jetzt zählt es nur, irgendwie zu meiner Schwester zu kommen. "Franco! Du weißt doch, dass ich Josi versprochen habe, sie nie wieder im Stich zu lassen, also hilf mir doch mal!", schreie ich meinen Kumpel fast schon an, doch der stellt sich tatsächlich gegen mich: "Du hilft ihr nicht, wenn du dich jetzt auf den Weg zu ihr machst. Leg dich wieder hin und komm runter!"
"Nein!" Ich wehre mich so gut wie möglich gegen die drei Männer, doch ich merke, dass meine Kräfte viel zu schnell schwinden. Meine einzige Hoffnung besteht darin, dass alle durch die Explosion des Monitors, der wohl gar nicht mehr schriller piepsen kann, so abgelenkt sind, dass ich mich schnell aus dem Staub machen kann. "Agnes, ziehen sie schnell Midazolam auf!"
Mein Vorhaben, mich bis zum bitteren Ende zu wehren und vielleicht doch noch eine Chance zur Flucht ergreifen zu können, wird noch vor der Beruhigungsspritze durch eine ruppige Bewegung einer der Männer zunichte gemacht. Der fiese Schmerz, der entsteht, wenn jemand an dem Schlauch des Katheters hängen bleibt und diesen in einem Ruck aus der Harnröhre zieht, ist für den Bruchteil einer Sekunde lähmend. Diese Gunst nutzen der Arzt und Linus aus, um meinen Arm festzuhalten und mir eine milchige Flüssigkeit durch die Venen zu jagen. Neben den Tränen des Schmerzes mischen sich jetzt auch welche der Verzweiflung unter, denn ich werde meiner Josi wieder nicht zur Seite stehen können und mein Versprechen brechen. Als die beiden Männer von mir ablassen, stellt sich Franco an meine Seite und fährt mit seinen Fingern ein paar Mal über meine Schläfe bis hin zum Haaransatz. "Kämpf nicht dagegen an. Mach die Augen zu und entspann dich!"
Wie auf Knopfdruck löst mein Körper die angespannte Haltung auf und mir wird ganz duselig im Kopf. Ich höre zwar, dass irgendjemand etwas sagt, doch verstehen kann ich es nicht mehr. Meinem Gefühl nach verflüssigt sich die Muskulatur zuerst im ganzen Körper und anschließend in meinem Gesicht, so dass mir auf einen Schlag die Augenlider zufallen.
Linus' Sicht
Tom ist schneller im Land der Träume als gedacht. Dass er sich dermaßen aufregt und sich sogar sofort auf den Weg zu Josi machen will, hätte ich nicht gedacht. Allerdings bin ich mir sicher, dass Franco das hätte wissen müssen und bedenke ihn daher mit einem rügenden Blick. "Das war nicht gerade förderlich, ich weiß. Aber ich dachte, dass er schon informiert wurde und ihm die Umstände klar sind!", rechtfertigt sich der Italiener und fährt seinem Kumpel nochmals vorsichtig mit seinen Fingern durch die Haare, bevor er sich seufzend von ihm abwendet. Der anwesende Arzt ist verständlicherweise nicht sehr angetan von unserer Anwesenheit und verschränkt die Arme vor der Brust. "Was ist hier los? Wer sind Sie und warum war Herr Mayer so aufgebracht?" Herr Fabiano kratzt sich verlegen am Kopf und versucht sich an einem entschuldigenden Lächeln: "Ich bin ein Kumpel von Tom und wollte nur kurz schauen, wie es ihm geht. Leider habe ich ihm unbedacht ein paar Informationen zukommen lassen, die ihn ziemlich aufgewühlt haben. Das war nicht beabsichtigt. Tut mir leid!" "Sie sollten eigentlich wissen, dass nicht jeder auf der Intensivstation herumlaufen kann, wie es ihm gefällt. Nur die engsten Angehörigen haben Zutritt. Wenn sie dann doch die Frechheit besitzen und sich ungefragt in ein Zimmer schleichen, dann bedenken sie doch bitte, dass die Patienten nicht umsonst hier liegen und eher Ruhe brauchen, als dass ihnen Stoff zum Nachdenken geliefert wird!" Der Kollege ist zu Recht verärgert, denn die Sedierung hätte dem geschwächten Körper jetzt nicht auch noch zugeführt werden müssen.
Die Schwester, die sich in der Zwischenzeit Handschuhe übergezogen hat, schubst Franco zur Seite und sammelt den Urinbeutel inklusive Katheterschlauch ein, um das alles zu entsorgen. Der Kollege atmet ein paar Mal tief ein und wendet sich dann wieder in neutraler Tonlage an den Sanitäter: "Darf ich in Erfahrung bringen, um welche Informationen es sich handelt? Wenn Herr Mayer wieder zu Sinnen kommt und keine Antworten auf die vermutlich entstandenen Fragen bekommt, könnte er abermals so impulsiv reagieren und das möchte ich tunlichst vermeiden!"
Franco nickt vor sich hin und erzählt im Schnelldurchlauf, worum es geht, damit der Herr im Bilde ist. Zufrieden sieht der Arzt nach der Schilderung nicht aus, aber leider können wir die Tatsachen nicht entschärfen, da das nicht in unseren Händen liegt. "Das hätten sie mal lieber vorerst für sich behalten... Gut, daran ist jetzt nichts zu ändern. Was aber wissenswert wäre, da Herr Mayer schon nach seiner Schwester gefragt hat, ist, ob es ihr und den Kindern medizinisch gesehen gut geht." "Ja, in dieser Hinsicht ist alles in Ordnung", kommt die Antwort fast schon im Flüsterton, da meinem Nef-Fahrer bewusst geworden ist, was er da ins Rollen gebracht hat. Damit Tom ordentlich versorgt werden kann und wir schließlich auch wieder los müssen, klopfe ich Franco auffordernd auf die Schulter und nicke Richtung Türe. "Entschuldigung für das entstandene Chaos. Wir machen uns mal wieder auf den Weg!" Franco trottet niedergeschlagen zur Türe hinaus, während mir noch etwas einfällt, womit man den Löwen eventuell bändigen könnte. Phil hat mir Alex' Handynummer geschickt, da ich mich heute im Laufe des Tages nach seinem Zustand erkundigen wollte und denke, dass sie auch dem Arzt von Nutzen sein könnte: "Mir steht die Nummer seines Schwagers zur Verfügung. Soll ich sie ihnen aufschreiben? Für den Fall, dass Herr Mayer nicht locker lässt, könnte er vielleicht ausnahmsweise ein kurzes Telefonat führen und somit wenigstens etwas sein Gemüt beruhigen." "Gar keine schlechte Idee. Solch einen Joker in der Hinterhand zu haben, schadet nie!" Der Kollege greift in die Tasche seines Arztkittels und zieht ein zerknülltes Stück Papier heraus, das er umgehend mit dem Zeige- und Mittelfinger glatt streicht, um es danach an mich weiter zu reichen. Als auch der Kugelschreiber seinen Besitzer gewechselt hat, entnehme ich meiner Hosentasche mein Handy und wähle Alex' Kontakt aus, um die Nummer auf dem Zettel notieren zu können. Nach getaner Arbeit verabschiede ich mich und mache mich auf den Weg ins Erdgeschoss.
Franco finde ich in unserem Nef sitzend vor. Als auch mein Hintern auf dem Beifahrersitz geparkt ist, drückt er mir einen Einwegbecher, der mit Kaffee gefüllt ist, in die Hand und lächelt mir schwach zu. "Jetzt zieh nicht so ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. Passiert ist passiert und du kannst es nicht mehr ändern. Seine Reaktion wäre sicherlich nicht besser ausgefallen, wenn man ihm das alles verschwiegen hätte.” "Nein, sicherlich nicht. Vermutlich würde er uns dann zu Kleinholz verarbeiten!", nuschelt mein Nebensitzer in seinen Kaffeebecher hinein. Ich kann es nicht vermeiden, dass ich lauthals loslachen muss. Diese verschiedenen Charaktere sind einfach bombastisch. Dass ein Zusammenleben und friedliches Miteinander mit dieser kunterbunten Menschenmasse überhaupt möglich ist, kann man als Außenstehender gar nicht glauben, man muss es wirklich live erlebt haben.
Franco wirft mir einen etwas besorgten Blick zu, da er meine Reaktion nicht ganz zuordnen kann, gibt aber keinen Laut von sich. Ich bin gespannt, was diese geballte Mischung aus Chaos und Impulsivität in Zukunft noch zu bieten hat. In einem Punkt bin ich mir aber absolut sicher: Mir wird in dieser Gesellschaft sicherlich niemals langweilig werden.
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