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Meine Kinder reißen mich aus meinem erholsamen Schlaf. Obwohl ich allem Anschein nach das Babyphon vergessen habe, sind die Schreie nicht zu überhören. Wie ich feststelle, liege ich immer noch in Stephans Armen, genauso wie wir eingeschlafen sind. Nur habe ich das komplette Bartgestrüpp in meinem Gesicht hängen.
Memo an mich selbst: Stephan dazu nötigen, seinen Bart zu stutzen.
Ich kämpfe mich aus der Umarmung frei und friere augenblicklich, als ich nicht mehr in den Armen meines Sorgenfressers liege. Bevor ich gehe, drücke ich ihm noch einen Kuss auf den Kopf und quäle mich dann, irgendwie aus dem Bettdeckengefängnis frei zu kommen. Als das endlich geschafft ist, verlasse ich auf Zehenspitzen das Zimmer und begebe mich zu den Kindern ins Zimmer. Aaron schreit herzzerreißend laut und aus vollen Leibeskräften, was in mir schon eine leise Vorahnung erwachen lässt. Als ich dann den heißen Kinderkörper in meinen Armen halte, habe ich auch schon meine Bestätigung: "Wäre toll, wenn deine Zähne auch endlich mal ankommen und nicht mehr solche Probleme machen würden!" Der kleine Mann ist total fertig und verdreht vor lauter Müdigkeit immer wieder die Augen. Ich staune nicht schlecht, als ich sehe, dass Malea noch tief und fest schläft.
Somit laufe ich heute ausnahmsweise mit nur einem Kind in die untere Etage.
"Morgen!" Als ich an der Küche vorbeilaufe, grüße ich Phil, der mich anstarrt wie ein Auto. "Was machst du um diese Uhrzeit schon hier unten?" Seine Frage bringt mich leicht aus dem Konzept, deshalb stoppe ich meinen geplanten Gang ins Badezimmer und marschiere in die Küche ein. Als ich einen Blick auf die Uhr werfe, entfährt mir ein lautes Stöhnen. Hätte nicht gedacht, dass es erst halb fünf morgens ist. "Zahnt Aaron schon wieder?" Phil trifft den Nagel sofort auf den Kopf, worauf ich einen Blick auf das besagte Kind werfe, da er plötzlich so ruhig ist.
Siehe da, das Kind schläft wieder.
"Ja. Das macht mich noch wahnsinnig. Kann man nicht das Zahnfleisch aufschneiden und die ganzen Zähne bis zum Anschlag rausziehen?" "Ziemlich rabiat, findest du nicht?" Herr Funke grinst nur leicht vor sich hin und erhebt sich kurz darauf, um zur Kaffeemaschine zu laufen. "Bist du wieder aus deiner selbsternannten Quarantäne entlassen?" Ich setzte mich auf einen der Stühle und gähne lauthals vor mich hin. "Ja. Jetzt sollte eigentlich nichts mehr passieren. Ich halte noch etwas Abstand und schlabbere einfach niemanden durchs Gesicht, dann wird auch alles glatt laufen!" "Guter Plan!", lache ich leise vor mich hin und bedanke mich kurz darauf bei Phil, als er mir eine gefüllte Kaffeetasse auf den Tisch stellt.
"Hat Susi schon einen Termin beim Frauenarzt?" "Ja, morgen. Wenn wir dann dort die Bestätigung bekommen, dann werden wir am Abend an alle die frohe Botschaft verkünden!", der Herr Doktor strahlt über beide Ohren, was mich wiederum ansteckt: "Ich freue mich so sehr für euch!" "Danke. Wir freuen uns auch sehr.... Ich muss dich etwas fragen... aber wehe, du lässt etwas verlauten!" Der böse Blick irritiert mich jetzt etwas und ich bin sehr gespannt, was Phil genau von mir wissen will. "Schwöre es!" "Jaja, schon gut! Ich schwöre auf Alex und meine Kinder, das ich nichts von dem verraten werde, was ich momentan noch gar nicht weiß!", meine Worte verwirren meinen Gegenüber leicht, denn er schüttelt den Kopf und holt tief luft: "Würdest du es zu voreilig finden...", bevor Phil überhaupt weiterreden kann, platzt in meinem Kopf ein großer Sack Konfetti und wartet darauf, in die Freiheit entlassen zu werden: "Wenn du Susi gleich heiratest? NEIN! Heiratet doch uns... Äh, mit uns!... Boah, also Doppelhochzeit und so!" Bei meinem breiten Grinsen könnte man mir jetzt eine Wagenladung Salzstangen quer in den Mund schieben. "Stopp! Eins nach dem anderen! Also, du würdest das nicht zu früh finden?", der Herr Notarzt ist sichtlich nervös, was ich von seinem ruhigen und ausgeglichenen Gemüt gar nicht gewohnt bin. "Ne, quatsch. Ihr seid doch auch schon bald drei Jahre zusammen. Alles fein soweit!" "Naja, zwei Jahre und drei Monate!", korrigiert mich der Herr mit hochgezogenen Augenbrauen.
"Erbsenzähler! Auf die paar Monate ist doch geschissen!", ich winke ihm ab und gönne mir den ersten Schluck von meinem Kaffee.
"Der Gedanke an eine Doppelhochzeit ist wirklich süß, aber du weißt ganz genau, dass das nicht funktioniert!", der entschuldigende Blick, lässt mich meine Lippen schürzen: "Warum denn nicht? Es ist doch schon fast alles organisiert!" "Josi... Susi hat bei einer Hochzeit ganz andere Ansprüche! Das fängt schon alleine bei den Blumen an... ihr beide würdet nicht glücklich werden!" Diesen Aspekt habe ich noch gar nie durchdacht und lässt mich enttäuscht aufbrummen. "Sei nicht traurig. Aber wenn ihr euch beide für den anderen verbiegen müsstet, wäre das doch auch nicht in eurem Sinn. Beste Freundinnen hin oder her. Ich schätze, dass wir dann eh erst nächstes Jahr die Hochzeit veranstalten. In erster Linie muss Madame auch erstmal "Ja" sagen!" "Hahahaha, als ob Susi das nicht tun würde!" "Meinst du?" "Seit wann so unsicher, Herr Funke?" "Keine Ahnung. Ist halt schon ein großer Schritt!" Phil's Wangen färben sich leicht rot, worauf ich grinsend den Kopf schüttle: "Glaub mir! Susi wird "ja" sagen. Ihr passt perfekt zusammen und sie will dich! Aber... wisst ihr schon, wie ihr die Wohnsituation regelt?", in meinem Magen bildet sich ein großer Klumpen, der augenblicklich für ein unbehagliches Gefühl sorgt. "Ich hoffe, du liegst mit deinen Worten richtig! Über die Wohnsituation haben wir noch nicht gesprochen, nein. Aber ich gehe davon aus, dass ich zu ihr ziehen werde. Du weißt, dass Susi nicht immer diesen Trubel gebrauchen kann und deswegen hat sie schon von Anfang an ihre eigene Wohnung!" Meine Mundwinkel fallen sofort drei Etagen tiefer, genauso wie meine Schultern. "Josi! Lass den Kopf nicht hängen. Wir sind doch nicht aus der Welt und werden oft genug vorbeikommen und ihr könnt uns doch auch besuchen. Ich weiß, dass es am Anfang komisch werden wird, aber daran gewöhnt man sich!", für mich hört es sich so an, als hätte Phil sich schon längst entschieden. Eigentlich möchte ich echt kein Miesepeter sein, aber ich kann jetzt auch keine falsche "natürlich ist das nicht schlimm" Schiene fahren.
Die Haustürklingel rettet mich vor einer emotionalen Diskussion.
Welcher Gestörte klingelt morgens, kurz nach Fünf, an unserer Haustüre?
"Ich geh schon!", unser bald ausziehender Notarzt rafft sich auf und begibt sich an die Türe. "Christopher?", höre ich Herrn Funke irritiert fragen.
Warum war es mir nicht schon direkt beim Klingeln klar?
"Morgen Josi!" Christopher kommt wie ein Wilder in die Küche gestürmt und drückt mich so fest er nur kann und ich bete zu Gott, dass er dadurch nicht seinen Enkel zu Mus verarbeitet. "Morgen. Ich will nicht unhöflich sein... Aber was machst du hier? Vor allem morgens um kurz nach fünf!" "Phil hat mich gestern über Alexanders Zustand informiert und ich war dann doch etwas in Sorge. Außerdem hatte ich gedacht, das du Unterstützung brauchst, wenn die Männer dauernd arbeiten und Alexander komplett ausfällt. Deswegen bin ich auch so früh da. Die Kinder sind doch meistens zwischen fünf und sechs wach!", plappert der Herr ohne Punkt und Komma einfach drauf los.
Wow.... Okay, das nenne ich mal selbstlos!
"Danke! Aber das wäre doch nicht nötig gewesen", grinse ich ihm entgegen, worauf er mir über den Kopf streicht und zur Kaffeemaschine läuft.
"Doch, das denke ich schon! Außerdem wollte ich doch eh nächste Woche kommen... Ob ich jetzt vier, fünf Tage eher hier bin oder nicht, spielt doch gar keine Rolle!" Als ich gerade zu einer weiteren Antwort ansetzen will, wirft mir Phil das Wort "Erbsenzähler" an den Kopf und zwinkert mir zu.
Ich hasse es, wenn ich mit meinen eigenen Waffen geschlagen werde.
"Hast du Termine zwecks der Parkinson Untersuchung nächste Woche?", da schält sich der Wunderfitz wieder bei Herrn Funke ein. "Nein!", haut Christopher nebensächlich raus und lässt Phil mit seiner Frage unbeantwortet sitzen.
"Was ist denn mit meinem Enkel los, dass er wie Schippe sieben in deinen Armen hängt?" Alex' Vater setzt sich mit seinem Kaffee neben mich und wirft einen prüfenden Blick auf den halb komatösen Jungen in meinen Armen. "Zähne!", ich verziehe mein Gesicht, worauf Christopher wissend nickt und dann seinen Kaffee trinkt.
Der restliche Morgen verläuft ziemlich unspektakulär. Die Männer sind nach und nach aufgestanden und zu ihrer Arbeit aufgebrochen, während Christopher sich beiden Kinder angenommen hat. Somit konnte ich mich endlich mal wieder in Ruhe im Bad fertig machen und habe die dreißig Minuten sehr genossen.
Ich könnte fast schon sagen, dass ich es heute wirklich prickelnd finde, dass Christopher anwesend ist und mir einiges an Arbeit abnimmt. Anne kommt die Tage anscheinend auch noch nach und wird uns dann ebenfalls unter die Arme greifen. Gegen Mittag laufen wir zusammen mit dem Kinderwagen zu meiner Physio, worauf sich mein zukünftiger Schwiegervater abseilt und ich mich in Nico's Hände begebe.
"Hallo Josi. Und wie geht es dir heute? Wo hast du die Kinder gelassen?" "Hi. Soweit prima, danke. Die sind gut untergebracht, bei meiner spontan aufgetauchten Hilfe. Bei dir auch alles in Ordnung?", ich lege mich auf die Behandlungsliege und lasse meine Wade wieder ordentlich durchkneten. "Du sag mal... Dein Bruder hat das Gespräch für Freitag abgesagt... wenn du jetzt aber Unterstützung hast, könntet ihr euch doch vielleicht nochmal überlegen, ob es stattfinden kann!"
Eigentlich nicht, nein… Aber dann hätte ich es von der Backe und das Thema wäre endlich erledigt.
"Ich rede mit Tom und wenn wir es doch irgendwie unterbringen können, meldet er sich. Okay?", meinen leicht genervten Unterton kann ich leider nicht verbergen, aber das scheint Nico nicht großartig zu stören. "Das hört sich prima an!", damit ist das Thema, Gott sei Dank, erledigt und wir unterhalten uns darauf nur noch über belanglose Dinge.
Als ich die Praxis verlasse, verselbstständigen sich meine Füße von ganz alleine. Ich lasse mich überraschen, wohin mich meine Füße tragen werden.
Irgendwann finde ich mich vor den Pforten der KaS wieder und grinse leicht vor mich hin. Man soll ja schließlich auf seine innere Stimme hören und seiner Seele das gönnen, nach was sie verlangt. Ich schleiche vorsichtig in den Empfangsbereich und bin überaus erleichtert, als ich sehe, dass die Dame am Empfang heute nicht Gisela ist. So laufe ich etwas lockerer, aber schnellen Schrittes zu den Aufzügen und lasse mich zur Intensivstation kutschieren. Zu meiner Freude begegne ich auch hier niemandem Bekanntes auf dem Flur. Somit mache ich mich auf den Weg zu Alex' Zimmer. Mein Herz klopft schon aufgeregt vor lauter Vorfreude, als ich an dem Sichtfenster ankomme und meinen Liebsten erblicke. Heute sieht er etwas besser aus als gestern. Zwar immer noch beschissen, aber besser.
Nachdem ich mich nochmals vergewissert habe, dass niemand auf dem Flur herumlungert und mich sieht, schlüpfe ich durch den Spalt der angelehnten Türe hindurch und laufe schnurstracks auf Alex zu. Allem Anschein nach schläft er tief und fest, weshalb ich auch bemüht bin, leise zu sein. Genau wie gestern, setze ich mich auf das kleine Stück Matratze neben seinem Körper, schnappe mir seine Hand und lasse meine Finger zwischen seine gleiten. Mich stört es nicht, dass er schläft, mir genügt schon sein alleiniger Anblick, um mich besser fühlen zu lassen. Nach einem Blick auf den Monitor stelle ich mit Freude fest, dass seine Werte heute besser ausfallen als gestern. "Ich hoffe, dir geht es besser! Wir vermissen dich sehr... Ich will dich endlich wieder an meiner Seite haben!", flüstere ich ihm entgegen und hauche ihm einen kleinen Kuss auf seine Stirn. Als darauf das Piepen des Monitors etwas an Geschwindigkeit zulegt, muss ich sofort grinsen. "Diese Dinger sind gemeine Verräter!", krächzt mir Alex entgegen und öffnet langsam seine Augen. Seine Hand drück schwach die meine, worauf mein Herz einen kleinen Sprung macht:
"Wie geht es dir?" "Ein bisschen besser!", flüstert er mir entgegen und ich merke sofort, wie sehr es ihn anstrengt. "Willst du was trinken?" Auf meine Frage hin schüttelt Alex nur den Kopf.
Sein Blick wirkt fast verzweifelt, da er gerne mit mir reden möchte, aber ihm einfach die Kraft dazu fehlt. "Du musst nicht reden. Wenn du müde bist, dann schlaf ruhig. Ich wollte nur schnell nach dir sehen. Eigentlich darf ich gar nicht hier sein!", ich lege meine freie Hand an seine Wange, worauf er sich leicht dagegen drückt und lächelt: "Ich weiß!" Seine linke Hand streicht sanft über meinen Arm und hält ihn fest. Wie gerne würde ich mich jetzt neben ihn legen und ihn schützend an mich drücken.
"Frau Mayer! Sie sind schwerer von ihrem Verlobten fernzuhalten, als ein Sack voller Flöhe von einem Hund!" Freddy's Stimme lässt mich erschrocken zusammenzucken, worauf ich schnell den Kopf einziehe.
Herr Seehauser kommt hereingelaufen und stellt sich räuspernd an das Bettende. "Wohnst du neuerdings hier oder warum trifft man dich dauernd hier an?" "Schonmal was von vierundzwanzig Stunden Schicht gehört?" "Möglich...!", ich vermeide absichtlich den Blickkontakt, da ich hoffe, dass ich so noch ein paar Minuten rausschlagen kann. "Das nächste Mal, wenn einer von euch beiden stationär aufgenommen wird, sperre ich denjenigen in den Keller, damit ihr die Besuchsverbote auch endlich mal einhaltet!", giftet Freddy rum, was Alex und mir jedoch nur wieder ein leichtes Grinsen auf die Lippen zaubert.."Wie sieht's denn soweit aus?", jetzt muss ich den Meckerfritzen leider doch anschauen, da es sonst von Unhöflichkeit und schlechter Erziehung zeugt, wenn man keinen Blickkontakt zu seinem Gesprächspartner aufbaut.
Hahahaha, genau Josi.... Da hast du wohl schon ganz andere Shows abgezogen, die die komplett fehlende Erziehung offenbart haben.
"Die letzten vier Stunden hat er sich nicht mehr übergeben. Entweder schlagen die Medikamente endlich an oder es flacht an sich endlich wieder ab. Oder beides. Alles soweit auf Kurs der Besserung!" Mir fällt ein Stein vom Herzen, was man an dem erleichterten Seufzen deutlich hören kann. "Jetzt aber abmarsch, Josi. Alex braucht Ruhe und er ist immer noch ansteckend. Ich möchte nachher nicht dich und die Kinder auch noch hier liegen haben!", der strenge Tonfall lässt keine Widerrede zu. Mein Blick fällt wieder auf Alex, wie er mit geschlossenen Augen an meine Hand geschmiegt daliegt. "Bald habt ihr euch doch wieder! Man könnte gerade meinen, ihr seht euch die nächsten vier Wochen nicht!" "Jeder Tag ist zu viel!", ich beuge mich schnell nach vorne und drücke Alex einen Kuss auf die Wange. Er schläft schon wieder und bekommt gar nicht mehr mit, dass ich wieder das Feld räumen muss. Vorsichtig entziehe ich ihm meine Hand, streiche nochmal schnell durch seine Haare und verlasse dann schweren Herzens das Zimmer.
"Wenn ich dich morgen wieder hier antreffen sollte, klebe ich unten an die Eingangstüre, ein Verbotsschild mit einem Foto deines Gesichts!" Freddy wirft mir einen giftigen Blick über den oberen Rand seiner Brille zu. "Schonmal was von vierundzwanzig Stunden Schicht gehört, mh? Da hat man dann zwischendurch auch ein bisschen länger Pause. Von daher werden wir uns so oder so nicht sehen!", zwinkere ich ihm zu und mache mich auf den Weg zu den Aufzügen. "Ich händige allen Kollegen einen Steckbrief von dir aus! Dann kommst du gar nicht unbemerkt hier rein!", brüllt mir Freddy hinterher. Ich drehe mich um und laufe ein paar Schritte rückwärts: "Angenommen!"
"Was angenommen?" Ich lache leise auf und strecke ihm die Zunge raus: "Deine Kampfansage!" Während ich mich wieder umdrehe und am Aufzug ankomme, hallt Freddy's genervtes Stöhnen durch den kompletten Flur.
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