
(89) Wir passen doch gut zusammen!
Am Nebentisch bekommt so ein schnöseliger Typ gerade ein richtig dickes Steak, das allem Anschein nach direkt aus dem Tier herausgeschnitten und danach auf den Teller geklatscht wurde.
Steak-Rare, wie ich es hasse!
Mir wird sowas von Kotzübel, das glaubt mir kein Mensch. Der Duft legt sich wie ein Schleier um meine Nase und scheint viele lange Nadeln bis in meinen Magen hinunter zu schieben.
Meinem Gefühl nach, bewegt sich das Farbspektrum in meinem Gesicht schon in allen möglichen Grüntönen.
An meinen Armen zieht ein Gänsehautschauer auf, der schon auf tausend Meter Entfernung sichtbar sein muss. "Josi, ist alles in Ordnung?" Christopher beobachtet mich schon die ganze Zeit und am liebsten würde ich jetzt kreischend davonrennen. Ich lächle es aber tapfer weg: "Na, klar. Alles prima."
Du ruinierst jetzt nicht den schönen Abend, Fräulein Mayer!
Auf die Gespräche kann ich mich schon lange nicht mehr konzentrieren und je länger dieses Stück Fleisch am Nebentisch vor sich hin blutet, desto mehr Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn.
Kann man sich auch wegen einem Stück Fleisch so anstellen?
Als der Nebenmann dann noch mit vollem Mund anfängt zu sprechen und ihm ein Blutstropfen aus dem Mund tropft, ist es vorbei: "Alex, ich muss hier weg, ich sterbe sonst!" Meine Hand klammert sich panisch in Alex' Arm, worauf dieser bei meinem Anblick wohl total erschreckt: "Atme tief durch!" "Im Leben nicht!" Als ich versuchen will aufzustehen, merke ich kaum ein Gefühl in meinen Beinen, was wohl auf meine komplett angespannte Muskulatur zurückzuführen ist. Mein Kopf findet das allerdings nicht so witzig und schält auf Panikmodus um. Von da an geht dann auch alles ganz schnell: Mein Herz rast, meine Atmung stockt, das Flimmern vor meinen Augen setzt ein und zack, bin ich weg.
Als ich ein leises Stimmengewirr und ein Brennen auf meinem Brustbein wahrnehme, öffne ich langsam die Augen. Zu meiner Rechten hängen Christopher und Alex über mir, zu meiner Linken Phil und Florian. "Oh mein Gott. Sorry! Das ging alles so schnell und..." Phil legt mir einen Finger auf den Mund: "Du regst dich nicht auf, sondern atmest ganz ruhig weiter. Du bekommst jetzt mindestens zwei Infusionen mit Flüssigkeit, das wird dann auch regelmäßig durchgeführt. Dein Flüssigkeitsverlust ist morgens in letzter Zeit enorm und den restlichen Tag trinkst du nicht viel." "Der Typ am Nebentisch hat so ein ekelhaftes Fleisch gegessen, das hat mich echt fertig gemacht und als ich vorhin aufstehen wollte, habe ich meine Beine nicht mehr gespürt und Panik bekommen!" Meine Erklärung wird von Phil abgenickt: "Du hast dich verkrampft und bist vielleicht noch blöd gesessen. Als ich deine Beine vorhin von dem Stuhl runtergenommen habe, hast du sie weggezogen. Vielleicht sollte Alex dich mal massieren!" "Lieber nicht, sonst gibt's womöglich nachher noch Vierlinge hahahaha!" Zumindest habe ich meinen Humor nicht verloren, was Christopher ebenso zu gefallen scheint. Ich drehe mich zu ihm und verziehe das Gesicht:
"Es tut mir wirklich sowas von Leid, jetzt habe ich den kompletten Abend versaut!" "Diesen Tag kann man überhaupt nicht versauen, glaub mir! Du kannst nichts dafür! Anne sagt gerade unsere Termine für die nächsten zwei Tage ab und wir verlängern unseren Aufenthalt etwas".
Ich nicke nur vor mich hin, da die Hetkamp-Sippe eh nichts von ihren Vorhaben abbringen lässt. "Phil, kann ich mal wieder aufstehen? Langsam wird's peinlich", ich erdolche alle gaffenden Restaurantbesucher, die sich extra langsam an uns vorbeischieben, mit meinen Blicken.
Phil richtet sich an Florian: "Holt ihr die Trage? Dann packen wir die junge Frau mal ein!" Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen und mustere ihn kritisch: "So war das nicht gemeint. Ich will mich einfach nur wie ein normaler Mensch auf einen der Stühle setzten." Phils Grinsen verheißt mir nichts Gutes: "Du wirst jetzt wie ein normaler Mensch in den RTW gepackt und in die KaS gefahren! Yannick, bereitest du schonmal die nächste Infusion vor, bitte?" Da ich gar nicht mitbekommen habe, dass ausser Phil und Flo noch andere Rettungskräfte anwesend sind, drehe ich meinen Kopf etwas auf die Seite und werde von Yannick und Marion angegrinst. "Phil.... muss das sein? Das bisschen umkippen kennen wir doch schon und..." Herr Funke schüttelt so energisch mit dem Kopf, dass ich meinen Satz schon von ganz alleine abbreche. "Ja, muss sein. Keine Widerrede. Alex willst du mit oder soll ich Josi nach Schichtende mitbringen? Muss nicht mehr lang". Der im Dienst befindliche Notarzt kontrolliert nebenher nochmal meinen Puls und den Blutdruck, womit er zufrieden zu sein scheint. "Ich komm mit!" Alex dreht sich kurzerhand zu seinem Vater: "Kannst du mein Auto nach Hause fahren?" "Wir fahren euch hinterher! Schließlich muss ich doch ein Auge auf meine zukünftige Schwiegertochter werfen." Christopher zwinkert mir zu und ich stöhne nur innerlich auf, da ich zukünftig einen weiteren Arzt an der Backe kleben habe.
Alex gähnt heftig vor sich hin und fährt sich durchs Gesicht, die nächtliche Kotzorgie hat auch Spuren bei ihm hinterlassen. Christopher beäugt ihn kritisch: "Alexander, wann hast du das letzte Mal deine Schilddrüsenwerte kontrollieren lassen?" Alex verdreht seine Augen, da er jetzt die volle Aufmerksamkeit von Phil, Yannick Marion, Florian und mir bekommt.
"Letztes Jahr irgendwann. Sind wie immer grenzwertig, aber im Rahmen. Nicht der Rede wert", winkt er schnell ab, da er dieses Thema anscheinend unter den Teppich kehren will. "Ich hab dir gesagt, dass du das halbjährlich kontrollieren lassen sollst. Damit ist nicht zu spaßen! Außerdem bist du Notarzt und solltest selbst auf dich achten, damit du deine Patienten ordentlich versorgen kannst!" Christopher scheint etwas angefressen zu sein und funkelt seinen Sohn böse an.
Ich würde Alex jetzt am liebsten lauthals auslachen, da er wie ein ertappter kleiner Junge neben mir sitzt, aber diese autoritäre Art, die Christopher ans Tageslicht legt, ist mir dann doch nicht so ganz geheuer.
Phil scheint auch nicht so begeistert zu sein: "Warum sagst du denn nichts? Mensch Alex, du bist andauernd in der Klinik, da könntest du dir schon alleine zwischen zwei Patienten das bisschen Blut abzapfen lassen und hast dann Gewissheit. In dem Fall kommst du so oder so mit. Das wird gleich veranlasst!” Phil's ebenfalls klare Ansage hat gesessen und mein Freund scheint sich etwas über seinen Vater aufzuregen. Im Grunde genommen muss ich aber sagen, dass wir doch ganz gut zusammenpassen und ich bin gespannt, was ich noch so alles über Alex herausfinden werde.
Während ich auf die Trage verfrachtet werde, stößt Anne wieder zu uns:
"Christopher, es hat alles soweit geklappt. Aber deine OP in zwei Tagen wurde auf acht Uhr morgens verlegt. Das ist diese Hoheit von Arzt... Du weißt wen ich meine?" Alex' Vater verdreht die Augen: "Die Götter in weis sind die Schlimmsten und schwierigsten Patienten. Genauso wie die in rot/neongelb!" Auf mein Lachen hin trifft mich ebenfalls ein harter Blick: "Die kleinen Götter sind auch nicht ohne!" Ich kann mich gerade noch so beherrschen, ihm nicht die Zunge rauszustrecken und werde im nächsten Moment geradewegs in den RTW geschoben.
Als sich die Türen schließen überfällt mich eine extreme Müdigkeit und ich erahne, dass Phil mir irgendetwas in die Infusion untergejubelt hat: "Hast du mir Vomex verabreicht?" "Wirkt es schon?", während Phil auf dem Tablet die Befunde erfasst, gähne ich ihm ein "Ja" entgegen. "Mach doch deine Augen zu, ich weck dich, wenn wir da sind!" Er wirft einen kurzen Blick auf mich, während der RTW sich langsam in Bewegung setzt. "Ich kann doch nicht immer nur den ganzen Tag schlafen...." "Wenn die kleinen Racker erst Mal da sind, wirst du dir wünschen, du könntest schlafen. Also, nutze es aus, solange es noch geht!", auf Phil's Worte hin schließe ich meine Augen und döse eine Weile vor mich hin.
"Fräulein Mayer, wollen wir nicht gleich ein Zimmer für dich einrichten? Wäre wesentlich unkomplizierter, wenn du mich fragst!" Oli weckt mich mit einem lachenden Kopfschütteln, während gefühlt tausend Hände an mir kleben, um mich umzulagern. "Erscheint mir langsam auch sinnvoll!" Ich schaue mich kurz im Raum um, da ich nach Alex suche, finde aber nur Christopher, in einer Ecke stehend, vor. "Alex kommt gleich, dem wird kurz Blut abgezapft!" Als hätte Phil meine Gedanken gelesen, gibt er mir die Antwort auf meine unausgesprochene Frage.
Kurz nach der Übergabe verabschiedet sich Herr Funke und überlässt Oli das Zepter. "Hmmm. Kann es sein, dass du enorm abgenommen hast? Das letzte Mal warst du noch nicht so dürr." Oli's kritischer Blick verheißt nichts Gutes.
"Ja, hat seine Gründe. Ist aber nicht schlimm." Das ich mit dieser Antwort mehr Fragen aufwerfe als nötig, hätte mir auch früher einleuchten können.
"Naja, egal welche Gründe es sind, das ist ein bisschen schnell und viel, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben. Jetzt schauen wir aber erst mal nach deinen Beinen. Ist das Gefühl wieder da?" Nebenher streicht mir Oli über die besagten Körperteile und schaut mich erwartungsvoll an, worauf ich ihm zunicke. "Vielleicht sollten wir zur Kontrolle ein Röntgenbild machen!"
"NEIN! Das ist nicht nötig. Das sind Verspannungen und sonst nichts." Mein panischer Blick entgeht Oli nicht.
"Seit wann haben wir denn Angst vor Röntgenbilder? Ich kenn dich ja jetzt langsam und ich weiß, dass du gerne widersprichst...aber...", bevor ich hier jetzt wieder mit einer elend langen Belehrung vollgelabert werde, lass ich den wahren Grund lieber raus: "Ich bin schwanger, Oli. Nicht mehr und nicht weniger". "Okay, gut. Also.... Ähm, was? Du bist schwanger?" Sein verblüffter Gesichtsausdruck bringt mich zum Schmunzeln: "Ja, aber behalte es noch für dich. Wir haben erst nächste Woche einen Termin beim Frauenarzt und danach muss ich es noch Michael sagen. Es weiß Großartig noch keiner, ok?!" "Herzlichen Glückwunsch! Das überrascht mich jetzt wirklich... Aber erklärt auch so einiges! Wenn das mit dem Essen nicht besser wird, solltest du dir Nährstoffe zuführen lassen. Das ist wichtig für das Kind", er atmet schwer auf und notiert sich irgendetwas im PC. "Kinder... es sind zwei...", ich schaue zu Christopher, der da in seiner Ecke steht und vor Stolz fast zu platzen scheint.
Genau in diesem Moment kommt Alex in den Behandlungsraum reingestürmt und wird gleich von Oli begrüßt: "Herzlichen Glückwunsch du Teufelskerl! Du machst auch keine halbe Sachen!" Auf Alex' Gesicht legt sich ein lächeln ab: "Wer kann, der kann. Alles okay soweit?" "Ihr solltet das Thema Nährstoffzufuhr mit dem Frauenarzt besprechen, wenn es nicht besser wird mit dem Essen! Das Röntgenbild sparen wir uns in diesem Fall, ich taste mal die Rückenregion ab und wenn die Infusion durch ist, könnt ihr im Normalfall wieder abhauen. WIR beide sprechen uns demnächst. Dich erwartet ein Termin und eine regelmäßige Kontrolle deiner Schilddrüsenwerte! Eigentlich solltest gerade DU vernünftiger sein!" Mir gefällt ja, dass nicht immer ich zusammengestaucht werde, sondern auch der Herr, der mich immer anmeckert.
Als ich mich auf den Bauch gelegt habe, fängt Oli an meinen Rücken abzutasten. Ich könnte ihm schon in der oberen Region ins Gesicht springen, aber als er im unteren Rückenbereich ankommt, schreie ich laut und deutlich "Stop!" bevor ich ihm ausversehen noch eine verpasse. "Mir scheint, es hat dir einen Wirbel verschoben. Du wirst viel mehr liegen als sonst und somit baut sich die Muskulatur ab und sorgt nicht mehr für genug Stabilität. Darum hattest du auch kaum Gefühl in den Beinen. Jetzt muss ich mal schauen, ob ich so schnell einen Orthopäden herbekomme!" "Ich kann das auch gerne übernehmen!" Christopher kommt ein paar Schritte auf mich zu, was mich jetzt etwas stutzig macht.
"Ich dachte du bist Chirurg!" Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen und mustere ihn ganz genau. "Ich setze oft Hüftprothesen ein und wenn man da eine orthopädische Ausbildung genossen hat, ist das klar von Vorteil für die Patienten!"
Ich muss Christopher ans andere Ende der Welt schicken, wenn die Geburt ansteht. Nachher entbindet der seine Enkel noch selbst!
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