(84) Besuch
“Ich glaube ich will die gar nicht kennenlernen! Was denken die denn von mir? Die kleine Sanitäterin, die sich von dem Notarzt gleich beim ersten Mal hat schwängern lassen. Toller Eindruck den ich da vermittle!" Ich stöhne gequält auf und drücke mein Gesicht fest an Toms Brust. "Jetzt hör aber auf. So sind die beiden nicht." "Ach, stimmt. Wenn ihr Sohn schon so lebensmüde ist und sich auf so eine zickige sture Kuh einlässt, können die sich vielleicht auch auf das zukünftige Schwiegermonster einlassen!" Ich merke schon, dass die Aufregung absolutes Gift für meinen Magen ist. Eventuell könnte es auch die Fruchtsäure sein. Oder beides.
"Warum denkst du denn bitte so schlecht von dir? Josi, jeder hat seine Macken, Ecken und Kanten. Wenn man unsere Vergangenheit betrachtet, kann man auch verstehen, warum du oft so bist, wie du nunmal bist! Trotzdem lieben wir dich."
Trotzdem.... Ich hätte lieber einen Satz, in dem "Genau deswegen lieben wir dich" drin vorkommt. Das schaffe ich wohl nie...
Da ich keine Lust mehr habe, meine schlechte Persönlichkeit weiterhin zu erörtern, brumme ich ihm nur ein "hmmmm" entgegen. Tom merkt natürlich, dass die Stimmung sowas von gekippt ist, sagt aber kein Wort, sondern streicht mir stattdessen in einer Dauerschleife über den Kopf.
"Ich bin ja total gespannt, welche Geschlechter da in deinem Bauch heranwachsen. Vielleicht gibt es ja ein Pärchen! Hast du einen Favorit oder ist es dir egal?" Tom's Versuch, das Gespräch auf etwas Positives zu lenken, schafft leider nicht den gewünschten positiven Effekt. "Bei einem Mädchen hätte ich viel zu sehr Angst, dass es total nach mir kommt. Lieber zwei Jungs, die so werden wie Alex!" "Josi, jetzt hör aber auf! Du stellst dich gerade als schlechtesten Mensch auf der Welt hin. Was ist denn heute mit dir los?" "Ach, ich sollte vielleicht einfach meinen Mund halten! Ich kann heute leider nur pessimistisch", ich seufze schwer auf und schließe die Augen, auch wenn ich nicht müde bin. Mein Handy vibriert fröhlich auf meinem Nachttisch vor sich hin, worauf mir Tom das nervtötende Gerät in die Hand drückt.
Ich: "Jaaa?"
Alex: "Ich bin’s, Schatz. Also wir haben am Montag in einer Woche bei Finn einen Termin. Ich hoffe, das ist in Ordnung?"
Ich: "Finn?"
Alex: "Na, der Gynäkologe."
Ich: "Aha..."
Alex: "Warum jetzt aha? Doch nicht so gut?"
Ich: "Wieso nennst du den Finn?"
Alex: "Erkläre ich dir, wenn ich zuhause bin. Wie geht's dir?"
Ich: "Ganz gut. Tom hat mich mit Kirschen, Erdbeeren und Mango versorgt und jetzt dient er mir als Kissen."
Alex: "Hört sich gut an. Iss nicht allzu viele Früchte, wegen der Säure. Das gibt sonst Sodbrennen!"
Ja, ich merke es!
Ich: "Ja... bei dir auch alles klar?"
Alex: "Natürlich.. Oh, Einsatz. Ich muss. Bis später"
Und schon hat er aufgelegt.
Hundertpro kennt Alex den Gynäkologen.. Ach was solls… Solange sie sich beim Kaffeetrinken nicht über meine Geschlechtsteile unterhalten, soll es mir recht sein.
"Josi, ich muss leider gleich los zum Dienst. Du bist ein, zwei Stunden alleine. Wenn was ist, meldest du dich bitte sofort, okay?" Toms mahnenden Blick nehme ich mal einfach so hin. "Natürlich. Versprochen!", ich rolle mich von meinem Bruder runter und gebe ihn somit frei. Nach einem Kuss auf die Stirn, verschwindet er aus meinem Zimmer. Bevor ich noch mit der Matratze verwachse, nehme ich mir vor, zuerst mein Fieber zu kontrollieren und dann zu duschen.
Nachdem ich meinen Arm mit frischen Klamotten vollgepackt habe, laufe ich nach unten ins Badezimmer. Dort wo letztens Franco das Fieberthermometer herausgezogen hat, finde ich es auch wieder vor. "Sechsunddreißig Komma sechs. Na wer sagt's denn?" Voller Freude springe ich unter die Dusche und ziehe mir danach eine schwarze Sport Leggins und ein T-Shirt drüber. Meine Haare binde ich zu einem Zopf, da ich absolut keine Lust habe, ewig meine Mähne zu föhnen. Mein Spiegelbild sieht nicht gerade umwerfend aus, wie ich feststellen muss: Immer noch blasse Haut, dunkle Augenringe und ganz trockene Lippen.
Du musst mehr trinken, Josi!
Als ich mich gerade in die Küche begeben will, klingelt es an der Haustüre. Seufzend lenke ich nun meinen Weg dorthin. Davor steht ein Mann in einem dunkelblauen Anzug. Seine schwarzen kurzen Haare, die schon leicht grau meliert sind, liegen leicht verwirrt auf seinem Kopf. Der Drei-Tage-Bart verleiht seinem Gesicht irgendetwas Sympathisches. Alterstechnisch würde ich ihn auf Ende Fünfzig schätzen. Um die grünen Augen bilden sich, auf das freundliche Lächeln hin, kleine Fältchen.
Irgendwoher kenne ich den doch.
"Hallo, ich wollte zu Alexander. Ist der zufällig antreffbar?", ich starre den Mann total perplex an und überlege, ob es irgendein Vertreter ist oder ein ärztlicher Kollege. "Alles in Ordnung?" Er mustert mich mit schief gelegtem Kopf und kneift die Augen zusammen.
"Entschuldigung. Alex ist noch arbeiten. Er wird voraussichtlich in zwei Stunden nach Hause kommen. Also, ich gebe keine Garantie, das ist wirklich unmöglich, das vorauszusagen! Möchten Sie reinkommen und auf ihn warten? Ich kann Ihnen leider nur mit meiner alleinigen Gesellschaft dienen, aber bisher haben es alle überlebt!" Meine Einladung wird angenommen und der Unbekannte tritt ein.
Toll… Attraktiver Anzugträger gegen Zombie in Sport Leggins und Schlabbershirt… Hoffentlich begegne ich dem nie wieder!
"Kommen Sie mit, gehen wir in die Küche. Möchten Sie einen Kaffe, Tee oder ein Wasser?" Der Herr folgt mir direkt und möchte gerne einen schwarzen Kaffee. Während die Kaffeemaschine ihre Dienste tut, schmeiße ich den Wasserkocher für einen Ingwertee an und schneide ein paar Stücke der Wurzel ab. "Trinken Sie Ingwertee?" Ganz schön neugierig, der Gute. "Ja, genau. Der schmeckt mir einfach gut!"
Und lindert die Übelkeit.
Nachdem beide Heißgetränke fertig sind, setze ich mich gegenüber des Mannes an den Tisch. "Dankeschön. Ich bin übrigens Christopher", er reicht mir seine Hand, worauf ich es ihm gleich tue: "Josi Mayer. Freut mich!" "Sagen Sie doch bitte "Du" zu mir. Sonst fühle ich mich immer wie ein uraltes Gestein". Christopher legt ein sympathisches Lächeln auf, das ich erwidere. Ich biete ihm ebenfalls das "Du" an, worauf wir mit unseren Tassen anstoßen. "Gehörst du zu Tom?" "Ja, ich bin seine Schwester. Ich wohne noch nicht allzu lange hier", ich muss mir ein Gähnen unterdrücken, da sich natürlich jetzt eine Müdigkeitswelle anbahnen muss.
"Ich wusste gar nicht, dass er eine Schwester hat", er mustert mich verblüfft und nickt dann anerkennend: "Wenn man es weiß, sieht man es!" "Möglich. Im Grunde sind wir aber ganz verschieden. Tom ist das Gute und ich bin das Böse hahahaha".
Josi? Halt einfach dein Maul!
Christopher lacht und schüttelt dezent den Kopf: "Du scheinst mir etwas temperamentvoller als Tom zu sein, aber das ist lange nichts Schlechtes!"
Hahaha, du kennst mich nicht!
"Eventuell sollten wir das unter der Kategorie "Ansichtssache" verbuchen!”, ich schlürfe etwas von meinem Tee und versuche das Thema in eine andere Richtung zu lenken: "Und Sie? Äh, du. Was machen...", momentan komme ich einfach nicht mit meinem Leben klar und fahre mir mit der Hand durchs Gesicht.
Jetzt bist du nicht nur ein Zombie mit böser Persönlichkeit, sondern ein verwirrter noch dazu.
Ich starte mit meinem Satz nochmal neu: "Was treibt dich hierher?" "Meine Frau hält hier in Köln heute ein paar Vorträge. Wir sind noch bis morgen Abend hier und wollten Alexander morgen zum Essen einladen. Ich würde mich freuen, wenn du auch mitkommst. Natürlich nur wenn du möchtest. Deine Art ist irgendwie erfrischend!"
Hat der sich irgendwas eingeschmissen?
"Ähm, ich weiß nicht. Vielleicht sollten wir erst ihre Frau und Alex fragen, ob das für beide in Ordnung wäre!" Ich hoffe, mich so aus der Affäre ziehen zu können. "Ach, Pustekuchen. Ich nehme an, du verstehst dich mit Alexander, wenn ihr unter einem Dach wohnt und meine Frau tratsch gerne über ihre Arbeit. Sie ist gewiss nicht menschenscheu". Christopher zieht mir knallhart einen Strich durch meine Rechnung. "Wir könnten doch Brunchen gehen, oder?" Er scheint von seiner Idee selbst sehr angetan zu sein.
Dann stehst du am besten mitten in der Nacht auf, damit du ausgekotzt hast, Fräulein.
"Ich bin da flexibel und passe mich an. Kein Problem! Danke für die Einladung", mein Blick schweift zur Haustüre, da sie gerade wieder ins Schloss fällt. "JOSI, ich bin wieder da! Lebst du noch oder muss man dich irgendwo vom Boden abkratzen?" Stephans Humor finde ich gerade wirklich sehr unpassend und schäme mich in Grund und Boden, da Christopher mich jetzt fragend beäugt.
Karma, eindeutig. Hoffentlich wird das nicht noch schlimmer!
"Entschuldige mich kurz!", ich setze ein falsches Lächeln auf und gehe in den Flur, um mich Stephan zu zeigen. "Könntest du deine Witze mal stecken lassen. Wir haben Besuch!" Ich zeige mit meinem Finger in die Küche und ziehe eine Augenbraue nach oben. "Dann hab ich mich doch nicht getäuscht und das Auto vor der Türe gehört zu Christopher!" Stephan läuft freudig in die Küche und umarmt den eigentlich fremden Mann, wie einen guten Bekannten. Ich folge ihm kurz darauf und stelle mich schon an die Kaffeemaschine: "Kaffee, Stephan? "Natürlich! Danke Josi, wie zuvorkommend!"
Ich kann mich gerade noch beherrschen ihm nicht eine Faust gegen die Schulter zu hauen und verdrehe einfach heimlich die Augen. Es läuft ebenfalls eine weitere Tasse für Christopher und auch für mich durch die Maschine. Während sich Stephan und Christopher ziemlich viel zu erzählen haben, vegetiere ich vor mich hin und höre einfach nur zu.
"Bin wieder daaa!", endlich trifft Alex ein und ich mache auch ihm schnell einen Kaffee und stelle ihn auf den Tisch. "Hey, was machst du denn hier?" Alex scheint sich riesig zu freuen und umarmt Christopher sofort.
Während ich den letzten Schluck meines kalten Kaffee in den Rachen laufen lasse, mustere ich Christopher und Alex genau und stelle eine verdammte Ähnlichkeit fest. "Deine Mutter hält gerade einen Vortrag und ich wollte die Zeit sinnvoll nutzen und endlich mal wieder meinen Sohn sehen!"
Aaaaah, na klar.. Alex' Vater...
Während ich die beiden Grinsebacken weiterhin mustere, wird mir mein Gedanke erst richtig bewusst.
DAS IST ALEX' VATER!
Ich kann nicht verhindern, dass der Kaffee ungehindert meine Kehle hinunterfließt, ohne auch nur ansatzweise zu schlucken.
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