(75) Die Stunde der Wahrheit
Nach einer geschlagenen Stunde schaffe ich es endlich, diesen Laden zu verlassen. Ich könnte wirklich den ganzen Laden leer kaufen, aber dazu fehlt mir das nötige Kleingeld.
Franco kommt fast zeitgleich mit mir aus dem Schuhgeschäft und scheint ebenso fündig geworden zu sein: "Warst du jetzt ehrlich eine geschlagene Stunde in dem Schuhladen?" "Ja, ich hab fast jeden Schuh anprobiert. Hahahaha. Wollte dir nur etwas Zeit verschaffen. Irgendwie war mir klar, dass du da nicht mehr so schnell wieder rauskommst. Bist du wenigstens fündig geworden?", sein Blick fällt auf die Tüte, worauf er mir zufrieden zunickt. "Ja, zum Glück. Wegen mir können wir wieder zurück". Franco scheint wohl damit einverstanden zu sein und läuft in Richtung Auto.
Zuhause angekommen, treffen wir auf Phil, Stephan und Alex. Die drei flößen sich gerade einen Kaffee ein und essen Kekse. Bei dem Anblick des Gebäck läuft mir gleich das Wasser im Mund zusammen und ich versuche mich zu beherrschen, nicht gleich auf den Tisch zu hechten und die ganze Schüssel samt Inhalt zu vernichten. "Willst du auch einen Kaffee?" Franco läuft schon Richtung Kaffeemaschine und wirft einen Blick auf mich.
Ist Kaffee jetzt schlecht wegen dem Coffein oder kann ich den trotzdem noch trinken?
"Seit wann überlegst du bei dem Wort Kaffee überhaupt?" Phils Anspielung lässt mich echt hart schlucken und ich hoffe, dass mir daraus keiner einen Strick dreht. "Ne du. Mir ist gerade eh zu warm. Ich trinke lieber irgendwas kühles. Muss nur kurz die Sachen wegräumen!" Während ich die Treppen hochlaufe, höre ich Alex mit Franco reden: "Ich hoffe du hattest nicht allzu viel mit meinem Sturkopf zu kämpfen!", das laute Seufzen von Alex, höre ich sogar bis zur Treppe hoch. "Nein, stell dir vor, deine Freundin hat mich gefragt, ob ich sie kurz fahren könnte und sie ist sogar selbst auf die Idee mit der Nachricht gekommen. Ich glaube, das wird langsam mit der Frau Mayer!"
Den Rest bekomme ich leider nicht mehr mit, da Paul und Florian nach Hause kommen und ich somit schlecht auf der Treppe zum Lauschen stehen bleiben kann.
Als ich die Tasse aus der Tüte raus krame, betrachte ich sie nochmal richtig. Von außen nichts besonderes, sondern schlicht in weis. Aber innen, auf dem Tassenboden ist die Aufschrift "Du wirst Papa ♡" zu finden.
Keine Ahnung, ob ihm das so gefällt, ob die Tasse ihm morgen nach dem letzten Schluck aus der Hand fällt oder ob er die Tasse gleich hinter mir her schmeißt… Mir gefällt sie jedenfalls.
Die Tasse verstaue ich zusammen mit Tom's Überraschung in meinem Kleiderschrank und öffne ganz schnell eine der versteckten Erdnussflip-Tüten, die ich bei meiner Tankstellentour ergattert habe. Genüsslich verschlinge ich die halbe Tüte, bis es an der Türe klopft. Vor lauter Schreck schmeiße ich die Tüte in den Schrank, wische mir schnell die Krümel von meinem Mund und erlaube den Zutritt. "Hey Schwesterchen, alles in Ordnung?" "Hey Tom, ja, alles klar. Ich konnte mich gar nicht mehr bei dir bedanken, dass du mich aus dem Badezimmer getragen hast und verabschiedet hatte ich mich auch nicht mehr", ich laufe auf ihn zu und ziehe ihn in eine Umarmung. "Nicht der Rede wert. Ich musste leider auch schnell wieder weg, ich war im Dienst und habe einen Einsatz reinbekommen. Kommst du wieder mit runter?" Ich nicke ihm auf seine Frage hin zu und folge ihm nach unten.
Wir gehen alle zusammen nach draußen auf die Terrasse. Flo, Stephan, Paul und ich spielen Uno, während die anderen irgendwelche Gespräche miteinander führen. "Uno-Uno!", ich werfe die letzte Karte auf den Stapel, worauf Florian seine Karten bockig auf den Tisch schmeißt: "Mit dir spiele ich nie wieder! Das macht gar keinen Spaß!", während Flo von Stephan und Paul bearbeitet wird, damit er nicht mehr die beleidigte Leberwurst spielt, kommt bei mir langsam aber sicher Sodbrennen zum Vorschein. Ich trinke schnell ein Glas Wasser und hoffe, dass es ein bisschen besser wird, allerdings klettert die brennende Flüssigkeit kurz darauf wieder meine Speiseröhre hinauf. "Warum ziehst du so eine Grimasse?" Phil legt einen Arm um mich und rüttelt leicht an mir. Ich verziehe mein Gesicht in alle Richtungen und kurz darauf muss ich mich kräftig schütteln: "Sodbrennen!"
"Das ist übel. Kann eventuell von der Folsäure kommen. Wenn es nicht mehr geht, sag Bescheid. Wir haben glaube ich noch irgendwo ein Mittelchen!" Phil zwinkert mir zu, während ich mir ein gequältes Lächeln aufzwinge.
BESCHEID! Ich muss da jetzt durch! Nachher ist das irgendwas, dass man in der Schwangerschaft nicht nehmen darf und dann steh ich da...
"Ich gehe lieber ins Bett. Vielleicht hilft ein bisschen Schlaf! Nacht Jungs!", ich küsse Alex noch schnell, der mir versichert, dass er auch bald ins Bett kommt und laufe direkt ins Bad. Nachdem ich körperlich voll betttauglich hergerichtet bin, begebe ich mich ins Bett. Damit mein Kopf etwas höher liegt und die Magensäure eher dort bleibt, wo sie hingehört, stopfe ich mir noch zusätzlich Alex' Kopfkissen unter mein Gesicht. Tatsächlich schlafe ich trotz dem verätzenden Magensaft in meiner Speiseröhre schnell ein und werde nur kurz wach, als Alex mich in seine Arme zieht und nochmals küsst.
◇◇◇◇◇◇◇◇
Der Morgen beginnt gleich richtig wundervoll! Durch das aufkommende Würgen öffne ich schnell meine Augen und hoffe, dass Alex nichts mitbekommt. Der Weg in das Badezimmer scheint ewig lang zu sein, doch ich schaffe es noch rechtzeitig, meinen Mageninhalt direkt in der Toilette zu versenken. Heute geht die Kotzerei schneller vonstatten, vermutlich weil auch keine nächtliche Fressattacke meinen Magen unnötig gefüllt hat.
Nach einem Blick auf die Uhr breche ich fast in Panik aus. Ich putze mir schnell die Zähne, damit die Minze den penetranten Geschmack in meinem Mund vertreibt. Alex wird bald aufstehen und dann ist die Stunde der Wahrheit angesagt. Im Turbomodus renne ich nach oben, krame die Tasse aus dem Schrank und renne damit in die Küche zur Spüle, damit ich sie noch schnell durchspülen kann.
"Morgen! Warum bist du denn schon wach, mh?" Alex kommt noch ziemlich verschlafen in die Küche gelaufen, schlingt seine Arme von hinten um meinen Bauch und küsst mich sanft in den Nacken. "Ich konnte einfach nicht mehr schlafen!", meine Stimme wird schon leicht zittrig und ich hoffe, dass ich die nächsten paar Minuten überlebe. "Setz dich, ich mach dir einen Kaffee", meinem Befehl wird Folge geleistet und Alex setzt sich an den Tisch. Die Tasse findet ihren Platz unter der Kaffeemaschine und meine Übelkeit steigt gleichzeitig mit dem Füllstand der Tasse.
Tief durchatmen! Das wird schon werden.
Ich muss mich wirklich zusammenreißen, um nicht den Kaffee überschwappen zu lassen, da meine Hand schon im Turbomodus zittert. Mir wird heiß und kalt, während ich das Gefühl habe, den Halt auf meinen Beinen zu verlieren. Alex nimmt mir die Tasse ab und schnappt kurz darauf meine Hand, als ich mich neben ihn auf den Stuhl setze. "Was macht dein Sodbrennen?"
Das ist gerade mein geringstes Problem!
"Wieder gut. Also, es ist weg!", mein Fuß fängt an, nervös auf und ab zu wippen und ich erhasche die letzten Blicke auf Alex' entspanntes Gesicht.
"Warum bist du so nervös?" Er hält mein Gesicht mit seiner Hand fest und küsst mich liebevoll. "Keine Ahnung. Vielleicht fehlt meinen Füßen die Bewegung!" In meinem Inneren wächst die Angst, wodurch mein Brustbein fast zu explodieren droht. Zu allem Übel kommt jetzt noch Stephan in die Küche: "Guten Morgen!"
Ob der so gut wird, wissen wir erst in ein paar Minuten.
"Morgen!", kommt es von Alex und mir fast gleichzeitig. Während Stephan sich einen Kaffee macht, frage ich mich, ob Alex immer so lange braucht, bis seine Tasse endlich mal leer ist. Mir kommt es so vor, als würde er sich heute extra Zeit lassen, um das Unvermeidliche hinauszögern.
Die Männer starten ein Gesprächsthema über ihre Autos, da wohl Stephans Karre demnächst in die Werkstatt muss. Vor Aufregung würde ich am liebsten quer über den Tisch kotzen, aber das kann ich nun wirklich nicht bringen. Mein Blick versucht Alex zu hypnotisieren, damit er endlich diesen scheiß Kaffee austrinkt, bevor ich hier einen Herzinfarkt erleide. "Du gefällst mir heute gar nicht! Was ist denn los?", die plötzliche Ansprache von Alex schreckt mich kurz auf, da ich mit meiner nicht funktionierenden Hypnose beschäftigt bin. "Das wirst du nachher noch rausfinden!", mit einem gequältem Lächeln stehe ich auf, um mir neben dem Spülbecken ein Glas Wasser einzuschenken. Alex dreht sich zu mir und mustert mich fragend:
"Du kannst es mir auch gleich sagen!" Ich schüttle mit meinem Kopf: "Nein, erst wenn du deinen Kaffee leer hast!" Er dreht sich zu seiner Tasse und leert den Inhalt mit einem Zug.
Babys, jetzt weiß Papa gleich Bescheid!
"Also?", er starrt mich eindringlich an, während meine Augen schon ganz feucht werden. "Hast du ihn ganz leer?", mein Flüstern scheint ihn etwas zu irritieren, deshalb wirft er nochmals einen Blick in die Tasse.
Zuerst sagt er gar nichts. Sein Blick haftet auf dem Tassenboden. Mir kullern die ersten Tränen über die Wange, worauf Stephan besorgt fragt, was denn plötzlich los ist. Er bekommt vorerst keine Antwort, da ich mich gerade darauf konzentrieren muss, nicht an Ort und Stelle zu sterben.
Alex' Blick ist immer noch stur auf den Tassenboden gerichtet: "Wem gehört die Tasse?" Ich atme tief durch und setze zur Antwort an, während meine Hand sich auf meinen Mund legt: "Dir!"
Ich schließe meine Augen, da ich seinen Blick auf einmal doch nicht mehr sehen will. Meine Tränen rasen meine Wange hinunter, während sich mein Zittern immens verstärkt.
Es ist zu hören, dass Alex die Tasse auf dem Tisch abstellt. Ansonsten herrscht Stille. Ich sterbe fast vor Anspannung, traue mich jedoch nicht, meine Augen zu öffnen.
Als mich zwei Arme umklammern und ich an eine Brust gezogen werde, brechen bei mir alle Dämme. Alex' Mund schiebt sich an mein Ohr: "Ich werde wirklich Papa?" Zu mehr als einem Nicken bin ich nicht im Stande.
Seine Umarmung wird fester und tausend Küsse treffen auf meinem Hals ein. Nach ein paar Minuten wischt mir Alex die Tränen aus dem Gesicht und als ich mich endlich wieder traue, meine Augen zu öffnen, sehe ich etwas, womit ich nicht gerechnet hätte.
Alex grinst mir entgegen, ebenfalls mit Tränen in den Augen.
"Ich will ja echt nicht stören, aber kann man euch irgendwie helfen?" Stephan flüstert die Frage schon eher, da er bei unserem Anblick mehr als überfordert sein muss. Alex starrt mich immer noch an und grinst mit aufeinmal noch breiter: "Ja, das kannst du. Allerdings erst in ein paar Monaten!" "Okaaaay und das heißt was genau?" Wir drehen uns beide zu Stephan und mustern ihn kurz schweigend. "Schau in die Tasse!" Alex zeigt mit dem Finger auf das genannte Porzellan. Stephan zieht die Augenbrauen zusammen und schnappt sich die Tasse: "Im Kaffeesatz lesen war ich noch nie..... oh!" Total überrascht, hebt er seinen Blick und scheint auch etwas sprachlos zu sein. Nach ein paar Sekunden fängt er sich wieder und lässt ein breites Lächeln über die Lippen huschen. Unerwartet stürmisch springt er vom Tisch auf, kommt auf uns zu und drückt uns mit einer Umarmung an sich: "Herzlichen Glückwunsch! Natürlich stehe ich zur Stelle! Jederzeit! Da kommt Leben in die Bude. Boah Leute, das ist eine Aufregung am frühen Morgen. Ich lass euch mal alleine....und keine Sorge, ich bewahre stillschweigen!" Stephan verlässt die Küche und spurtet die Treppe nach oben in sein Zimmer.
Ich drehe mich zu Alex und bin immer noch etwas verunsichert. "Jetzt wird mir so einiges klar. Wie konnte ich nur so ein Brett vor dem Kopf haben...Hör auf zu zittern, es wird alles gut! Wir schaffen das schon!" Alex' Arme empfangen mich erneut. "Ich hatte solche Angst... weil... wir sind noch nicht so lange zusammen und..." Alex legt einen Finger auf meine Lippen: "Das spielt doch jetzt überhaupt keine Rolle. Klar bin ich überrascht und das kommt ein bisschen plötzlich, aber wir drei werden das schon schaffen!" Ich räuspere mich leicht und atme nochmal tief durch: "Vier, Alex. Wir Vier!" "Wie, Vier?" "Eventuell bekommen wir Zwillinge!", eine weitere Träne huscht über mein Gesicht. Seine Mimik scheint kurz eingefroren zu sein.
"Wow, okay. Wenn schon, dann schon. Warum nicht.... Dann eben zu viert!", überraschend packt mich Alex auf seine Arme und will mich im Brautstyle aus der Küche entführen. "Stopp! Die Tasse!", ich fuchtel wie wild mit den Armen, worauf er zum Tisch läuft und ich mir die Tasse schnappe.
Mit dem Botschaftsverkünder im Arm, trägt er mich die Treppe hoch und legt mich in seinem Zimmer sanft auf das Bett. "Stell das Ding jetzt mal weg!" Ich führe Alex' Befehl aus und schaue ihn verwirrt an, weil ich nicht weiß was er vor hat.
Er legt sich neben mich ins Bett und zieht mein T- Shirt weit nach oben. Sein Mund trifft auf meinem Bauch ein: "Hey Babys. Papa weiß jetzt Bescheid. Ich freue mich auf euch!" Mit solch einer Reaktion hätte ich nie gerechnet, was mir die nächste Tränenfront in die Augen treibt. Diesmal allerdings vor Freude.
Alex platziert seine Hand auf meinem Bauch, während seine Lippen auf meine treffen. "Wie weit sind die Kleinen?" "Fünf plus drei. In zwei/drei Wochen soll ich wieder zum Frauenarzt und da sieht man dann, ob es beide geschafft haben und man kann die Herzen schlagen hören!" "Warte mit dem Termin, bis mein neuer Dienstplan draußen ist. Ich will bei jedem Termin dabei sein! Hast du schon eine Ahnung, zu welchem Arzt du gehen willst?" Die Aussage, dass er bei jedem Termin dabei sein will, bringt mein Herz zum schmelzen. "Naja, auf jedenfall nicht zu diesem Dr. Marten. Der war ziemlich unsensibel. Das war übrigens die Untersuchung, von der dir keiner genauere Infos gegeben hat!", ich drücke ihm nochmals einen Kuss auf die Lippen und platziere meine Hand auf seiner. "Nein, zu diesem gefühllosen Arsch gehst du nicht. Ich höre mich mal nach einem kompetenten Arzt um!"
Er verschränkt unsere Finger miteinander und sieht mir tief in die Augen: "Ich liebe dich, Josi!"
"Ich liebe dich auch Alex!"
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