(66) Das etwas andere Muskeltraining
Die Sonnenstrahlen zwingen meine Augen sich zu öffnen und gleichzeitig scheint sich auch der Würgereiz wieder willkommen zu fühlen. Dieses Mal habe ich ein mehr als schlechtes Gefühl und strample schnell die Decke weg. Mein Gleichgewichtssinn liegt noch unter der Bettdecke und hält es gar nicht für nötig, sich mit meinem Körper zu verbinden. Unter grausamen Schwankungen und mit einer Hand vor dem Mund treffe ich auf dem Flur ein.
Der Würgereiz wird heftiger und das, was da bald auf mich zukommt, wird auch nicht mehr lange auf sich warten lassen. Eigentlich sollte ich die Treppe im Eiltempo runterrennen, aber diese verhält sich wie eine schwankende Hängebrücke.
"Josi, was machst du da?", mein Bruder legt eine Hand auf meinen Rücken und im selben Moment kommt mir das erste Mal eine Ladung halbverdauter Erdnussflips-Smartie-Brei den Hals hoch, den ich abartigerweise wieder runterschlucke. Nachdem ich meine Augen geschlossen und mein Gesicht in alle Richtungen verzogen habe, stellt Tom eine richtige Vermutung auf:
"Musst du dich übergeben?" Ich nicke panisch mit dem Kopf, während Tom mich am Arm packt und die Treppe mit sich runterziehen möchte.
Ziemlich schnell wird er auf meinen fehlenden Gleichgewichtssinn aufmerksam und fackelt darauf nicht lange. Mit mir auf seinen Armen springt er an Phil und Franco vorbei, direkt ins Badezimmer. Im wirklich allerletzten Moment öffnet er den Toilettendeckel und das Desaster nimmt seinen Lauf.
Ich schwöre mir NIE, aber auch wirklich NIE WIEDER morgens um drei Uhr Erdnussflips, mit Smarties und Smoothie zu mir zu nehmen.
Nach etlichen Minuten hänge ich schon mehr als leblos über dem Klo. Meine Bauchmuskeln brennen schon vor lauter Anstrengung, aber mein Körper drängt mich weiterhin zu würgen. Meiner Meinung nach müsste ich komplett leer sein. Tom reicht mir ein Glas Wasser, mit dem ich mir meinen Mund ausspüle und ebenfalls im Anschluss meinen Durst lösche. "Geht's wieder?" Tom nimmt mir das Glas ab und streicht mir meine Haare aus dem Gesicht. "Weiß nicht...Ich hätte heute Nacht oder heute Morgen, wie auch immer, nicht so viel essen sollen!", ich zittere vor lauter Kälte, was auch meinem Bruder sofort auffällt. "Ich bring dich ins Wohnzimmer, dann kuschelst du dich in eine Decke ein, okay?" Ich schüttle meinen Kopf, da in mir schon wieder die Übelkeit aufsteigt. Das Wasser möchte gerne befreit werden! Als Tom gerade wieder zu sprechen ansetzt, geht mein Muskeltraining in die zweite Runde. Am Rande bekomme ich mit, wie Phil ins Badezimmer kommt und sich nach meinem Zustand erkundigt.
Verschwindet doch mal! Ich hasse Publikum beim Kotzen...
Leider sind die Ärzte in diesen vier Wänden mehr als abgehärtet und es stört sie keinesfalls, wenn du neben ihnen irgendwelche weltfremden Geräusche von dir gibst. Die Anstrengung des Würgens und des zeitgleichen Zitterns rauben mir die Kräfte und ich schließe immer wieder die Augen. "Na komm, hier drin wollen wir aber nicht schlafen!" Tom bringt mich ins Wohnzimmer, legt mich auf dem Sofa ab und deckt mich bis zum Anschlag zu. "Ich geh Alex wecken!", höre ich Franco durch das halbe Haus brüllen. "Nein...ist nicht nötig!", meine geflüsterten Worte erreichen ausschließlich Tom, der neben mir auf dem Sofa sitzt und an meinem Bein hoch und runter streicht. "Das geht schon in Ordnung, Josi. Der würde uns kurz und klein hauen, wenn wir ihm nicht Bescheid sagen!" "Da wäre ich mir nicht mehr so sicher!" "Quatsch, denk doch sowas nicht!", sein Blick mischt sich mit Besorgnis und Traurigkeit.
"Hey, was ist los?" Alex kommt ins Wohnzimmer reingestürmt, mit nichts weiter als einer Boxershorts an seinem Körper. Seine Haare stehen in alle Richtungen ab und sein halb verschlafener Blick verschwindet schlagartig, als er mir ins Gesicht sieht. "Ich habe sie vorhin vor der Treppe mit der Hand vor dem Mund vorgefunden. Sie hat es nicht alleine die Treppe runter geschafft, da sie stark am Schwanken war. Danach hat sie sich dann die Seele aus dem Leib gekotzt!" Tom trifft den Nagel auf den Kopf und dem ist auch nichts mehr hinzuzufügen. "Hmmm, wann hast du das letzte Mal was gegessen?" Alex geht bestimmt davon aus, dass ich gestern auf dem Schützenfest meine letzte Mahlzeit hatte. "Heute morgen irgendwann nach drei Uhr", gebe ich leise von mir. Die erstaunten Gesichter von Alex und Tom bestätigen meine Vermutung.
"Okay und was hast du gegessen?",
sein Blick liegt gespannt auf mir und würde es mir jetzt nicht so schlecht gehen, würde ich mich über sein darauffolgendes blödes Gesicht köstlich amüsieren. "Eine Tüte Erdnussflips und eine Packung Smarties... Achja und eine Flasche Smoothie", als wäre es das Normalste auf der Welt, zucke ich mit einer Augenbraue und nicke leicht vor mich hin. Es folgen saublöde Gesichtsausdrücke, gemischt mit Ungläubigkeit: "Ist das jetzt dein Ernst?" "Klar. Warum sollte ich denn lügen?"
Phil kommt ins Wohnzimmer gelaufen und stellt sich dicht an die Rückenlehne: "Wer hat Josis Auto umgeparkt? Das stand gestern noch an anderer Stelle!" Ich erhebe meine Hand mit letzter Kraft. "Warum?" Phil mustert mich überrascht. "Ich war heute morgen an der Tankstelle!" "Was hast du da gemacht?" Tom schüttelt ungläubig seinen Kopf. "Na, Erdnussflips gekauft. Wir hatten ja keine!", das die das nicht in ihren Schädel reinbekommen... unglaublich. "Du bist um drei Uhr morgens an die Tanke gefahren, um Erdnussflips zu kaufen?", jetzt scheint es auch Alex zu kapieren. "Ja und Smarties, Kekse, Kaugummi und einen Smoothie! Musste sich ja lohnen". "Langsam machst du mir wirklich Sorgen, Mädchen!" Phil schüttelt mit dem Kopf und ich verstehe nicht, was an meiner Tat nun so verwerflich sein soll.
"Du wirst mir doch kein Diabetes entwickelt haben?", die Sorge in Alex' Gesicht nimmt zu. "Aber doch nicht wegen dem bisschen Heißhunger. Ich habe so lange viel zu wenig gegessen, da kam jetzt eben eine kleine Welle über mich. Mach kein Fass auf!", ich winke ihm ab und schließe für einen kurzen Moment die Augen. "Bevor du schläfst, trinkst du bitte erst was." Dank Alex hänge ich nach zehn Minuten wieder über der Kloschüssel und entlasse das Wasser in die Freiheit. "Josi, ich rufe einen RTW. Mir ist das zu heiß mit deinem ständigen Unterzucker und dass du jetzt nichts bei dir behalten kannst. Außerdem kannst du keinen Schritt laufen ohne zu schwanken!" Alex steht schon mit dem Handy in der Hand neben mir.
Ich wehre mich nicht, da es mir echt beschissen geht, sondern nicke ihm einfach zu. Vielleicht behalten die mich auch gleich dort und schauen nach meinem Herz. Das wollte ich die Tage so oder so machen.
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