(62) Gespielte Härte
Alex' Sicht
"Sollen wir sie wirklich hier lassen? Mir ist nicht ganz so wohl dabei, wenn kaum jemand hier ist!", ich schaue ihr nochmal in das blasse Gesicht und ziehe die Decke bis zu ihren Schultern hoch. Franco klopft mir auf die Schulter: "Sie hat heute Nacht auch den Weg zur Wache rüber gefunden. Glaub mir, wenn sie alleine ist, wird sie sich eher darum bemühen, da drüben anzukommen. Außerdem hab ich denen drüben bescheid gesagt, das sie ab und zu mal einen Blick hier rüber werfen sollen!"
Tief durchatmend laufe ich mit Franco und Florian nach draußen und treffe auf Phil, Susi und Paul. "Und? Schläft sie noch?" Phil wirft mir einen fragenden Blick zu, auf den ich nur nickend zustimme. "Eigentlich sträubt sich alles in mir, Josi hier alleine zurückzulassen. Findet ihr das ganze nicht etwas dick aufgetragen?" Florian kann unsere Entscheidung, die wir gestern noch alle zusammen gefällt haben, nicht wirklich akzeptieren. Mir fällt es auch schwer, so abweisend zu ihr zu sein, aber vielleicht muss sie einfach einmal ganz tief fallen, um zu merken, dass sie nicht immer alles im Alleingang schaffen kann und sie auch nicht immer alle von sich wegstoßen sollte.
"Ich fühle mich auch nicht wohl. Als beste Freundin sollte ich wirklich auf ihrer Seite stehen..." Susi lehnt sich an Phil's Schulter und bekommt sogleich von diesem einen kritischen Blick zugeworfen: "Sie hat dich gestern auch wieder total abblitzen lassen. Sie muss es jetzt einfach auf die harte Tour kapieren!" "Auf jetzt, sonst verhungere ich noch!" Paul setzt sich schon in Bewegung, worauf wir anderen folgen. Phil fährt mit Josis Auto, da wir bedenken haben, dass sie einfach nach Hause fährt und das wäre in ihrem jetzigen Zustand im Alleingang nicht so sinnvoll.
Auf dem Fest angekommen, setzen wir uns alle zusammen an einen großen Tisch und bestellen uns etwas zu essen.
Meine kleine Hexe fehlt enorm, aber ich muss mich unbedingt beherrschen und darf nicht schwach werden. Den Anderen, am meisten Susi, macht das ganze auch zu schaffen.
"Hast du Tom schon erreicht?" Franco reißt mich aus meinen Gedanken und fordert meine Aufmerksamkeit. "Ja, ich habe vorhin mit ihm geredet. Begeistert war er nicht von unserem Plan, da er denkt, dass sie sich dann komplett zurückzieht. Aber wir haben uns dann darauf geeinigt, es zu versuchen. Allerdings bricht er sofort ab, wenn er merkt, dass es ihr zu sehr zusetzt!" "Das ist doch genau in unserem Sinne. Wir wollen sie doch nicht fertig machen, sondern nur wachrütteln!", wirft Phil jetzt ein. Wir unterbrechen unsere Diskussion, da uns das Essen serviert wird. Jeder isst stillschweigend und gedankenverloren vor sich hin.
Als der Tisch wieder abgeräumt wird, stoßen Andreas, Simon und Christina zu uns dazu. Christina kenne ich noch vom letzten Jahr und freue mich wirklich sie zu sehen, da wir immer etwas zum Lachen haben.."Was ist denn deiner Freundin zugestoßen, dass sie so ängstlich in dunklen Fluren ist?" Andreas' Gesichtsausdruck ist ernst und er erwartet wohl eine sofortige Antwort. "Wie kommst du jetzt da drauf?", dass sie etwas ängstlicher ist, seit der Sache mit Lukas, ist mir schon ein paar mal aufgefallen. "Naja, als wir heute aus der Dusche raus sind, ist sie mit einem Affentempo in mich rein gerannt und hat am ganzen Körper gezittert. Sie meinte nur, dass sie es nicht so mit dunklen Fluren hätte. Wir haben uns dann entschlossen, sie abzuholen, damit sie uns vor Angst da unten nicht stirbt. Als sie aus dem Bad rauskam und nicht wusste das wir es sind, ist sie komplett versteinert!" Andreas' Erläuterung aufgrund seiner Frage, jagt mir einen Gänsehautschauer über den Rücken, da ich nicht dachte, dass sie solche ausgeprägten Ängste hat. Ich erzähle aufgrund dessen den beiden die Kurzfassung von der Geschichte mit Lukas. "Okay, verständlich. Solltest du aber im Auge behalten. Wenn sich das noch verschlimmert, sollte da mal ein Fachmann drüberschauen!", ich nehme Andreas Empfehlung nickend an. "Wo ist sie denn überhaupt? Als wir losgefahren sind, haben wir sie nirgendwo gesehen..." Simon wirft einen fragenden Blick in die Runde, worauf Phil unseren aufgestellten Plan und unsere Ansichten mit ihm teilt, womit sich erklärt, dass sie nicht hier bei uns ist.
"Na, du kannst auch ein großer Sturkopf sein! Das brauchst du deiner Freundin erst gar nicht zur Last legen!" Christina schenkt mir einen provokanten Blick, worauf ich meinen Arm um ihre Schultern lege: "War ich schon jemals Stur? Quatsch... Du musst mich mit jemandem verwechseln!" Plötzlich dringt eine mir nur allzu vertraute Stimme ans Ohr. "Tag auch. Könntest du mir bitte meinen Autoschlüssel geben?" Josi steht vor Phil und hält ihm fordernd ihre Hand entgegen.
Ihr Anblick versetzt mir einen Stich ins Herz. Sie ist total fertig, hat geweint, ist enorm blass und noch dazu klitschnass. Sie versucht ihren Blick stur auf Phil ruhen zu lassen, der nicht den Anschein macht, als wenn er ihr den Schlüssel übergeben möchte. Sie beteuert kurz darauf, dass sie nirgends hinfahren möchte, sondern nur ihre Flip Flops und ein frisches Oberteil organisieren will und sie den Schlüssel danach auch wieder zurückbringen kann. Phil drückt ihr widerwillig den Schlüssel in die Hand, worauf sie sich abrupt umdreht und davonläuft.
"Glaubt ihr, sie kommt wieder?" Susis Frage ist überaus berechtigt, aber keiner von uns kennt die Antwort. "Sie ist jetzt ohne Witz die drei Kilometer hierher gelaufen? Also Alex, einen starken Willen hat sie schon...", in Simons Worten schwebt schon so etwas wie Bewunderung mit. "Habt ihr gesehen, wie verheult ihre Augen waren? Wenn eure Aktion nur mal gutgeht, Leute!" Flo ist bestimmt der erste, der einknickt, weil er Josi absolut nicht so sehen kann.
Mir fällt es genauso schwer und am liebsten würde ich sie einfach in meine Arme schließen und ihr sagen, dass alles wieder gut wird.
"Warum sind ihre Klamotten so nass?" Susi schaut mich mit einem fragenden Blick an. Ich zucke ahnungslos mit den Schultern. "Die müssen ihr in der Dusche auf den Boden gefallen sein. Das Gebrüll hat definitiv darauf hingewiesen!" Simon lacht vor sich hin, während ich ebenfalls amüsiert über meinen kleinen Tollpatsch den Kopf schüttle. Am Rande bekomme ich mit, wie irgendetwas auf der Tischplatte scheppert und kurz darauf Josis Stimme wieder erklingt. Ich versuche mich konstant mit Christina zu unterhalten und Josi zu ignorieren, da es mir einfach zu sehr zu schaffen macht, sie so fertig zu sehen. Meine Ohren sind komplett auf Durchzug gestellt, was meine Freundin betrifft.
Christina möchte mir wohl unauffällig etwas mitteilen, darum stecken wir unsere Köpfe etwas näher zusammen:
"Deine Freundin zittert wie ein Schlosshund und hat ganz glasige Augen. Willst du das wirklich durchziehen Alexander?"
Am Rande bekomme ich nur noch Josis letzten Satz mit: "Nein, ich schätze alleine komme ich einfach besser klar. Aber danke für dein Angebot!"
Genau das wollen wir eigentlich nicht erreichen...
Ich drehe mich zu ihr um und sehe die frische Röte in und um ihre Augen und fange an schwach zu werden. Josi schenkt mir keinen einzigen Blick, sondern versucht ihre starke Fassade aufrechtzuerhalten. Kurz darauf dreht sie sich um und läuft schnellen Schrittes von uns davon.
"Also Leute, ihr könnt sagen, was ihr wollt. Aber ich gehe ihr jetzt hinterher. Die zittert sich einen Ast ab und ich hab fast schon Angst, dass das Essen nicht rechtzeitig in ihrem Körper ankommt!" Simon erhebt sich und läuft Josi mit ein paar Metern Abstand hinterher. "Ihr braucht gar nicht so auf Hart zu tun. Man sieht es euch an, dass es euch nahe geht. Ich könnte das nicht durchhalten. Brecht das Ganze rechtzeitig ab. Sie wird sich nicht um hundertachtzig Grad drehen können, ein Teil von ihr wird immer so stur bleiben. Ich weis nicht, was sie in der Vergangenheit geprägt hat, aber sowas legt man nicht einfach ab...Oder könnt ihr euren medizinischen Kontrollblick und euer Helfersyndrom einfach so unterdrücken? Ich kann es nicht, das gehört einfach zu mir dazu!", auf Andreas' Worte hin sagt niemand mehr etwas. "Ich hätte nicht erwartet, dass sie den Autoschlüssel zurückbringt...", wirft Phil nach einiger Zeit in die Runde. Das haben wir ehrlicherweise alle nicht erwartet.
Wir lenken uns weiterhin durch sinnlose Gespräche ab, bis Simon nach vierzig Minuten wieder auftaucht. Wir sind alle gespannt, was er zu erzählen hat und starren ihn an. "Also, eure Josi hat ordentlich gegessen und sich Tonnen von Zucker reingehauen, so dass ich schon Angst hatte, dass sie einen Zuckerschock erleiden muss. Vor zehn Minuten hat sie dann ein Sani-Team angesprochen und sich schnell den Blutzucker messen lassen. Ich habe mit ihnen kurz darauf geredet, als sie wieder weg war. Da ich die kenne, haben sie rausgelassen, dass ihr Wert bei hundertdreißig liegt. Also, alles im grünen Bereich."
Super Josi! Sie kann sich ja doch um ihre Gesundheit kümmern!
"Hast du sie jetzt die ganze Zeit nur beobachtet oder wie?" Florian schaut Simon entgeistert an. "Ja, sie hat vorhin schon meine Gesellschaft abgelehnt und ich wollte ihr nicht auf die Pelle rücken. Außerdem hatte ich an jeder Ecke jemanden zum reden", er zuckt mit den Schultern, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. "Ja und wo ist sie jetzt?", fährt Susi ihn gleich an. "Ich vermute, dass sie gerade zurückläuft. Zumindest hat sie mal diese Richtung eingeschlagen!" "Mann, dann fahren wir jetzt auch zurück, sie muss doch nicht wieder den ganzen Weg zurücklaufen!" Susi steht sauer auf und wirft uns einen auffordernden Blick zu: "Na auf! Wird's bald!"
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