Der Kühlcontainer am Sattelschlepper ist geladen. Zehn Tonnen Milchpulver für die Ostschweiz. Muss heute noch geliefert werden, denn Babys brauchen auch morgen Nahrung und die will produziert sein. An Heiligabend. Zu Beginn hat es noch regen Verkehr auf der Autobahn. Dann aber lässt dieser nach, die Autobahn leert sich wie an keinem anderen Tag. Zwischen Zürich und St. Gallen gehört die Piste mir allein. Seltsames Gefühl, die A1 ganz alleine zu befahren. In beiden Richtungen ist niemand unterwegs. Alle sind bei ihren Familien, Heiligabend ist ein grösserer Strassenfeger als die Championsleague oder das Lauberhornrennen. Ich denke zuerst an die vielen Menschen, welche heute, wie ich, arbeiten oder niemanden haben, zu dem sie hin gehen können. Für sie alle ist Heiligabend der wohl einsamste Tag des Jahres. Kinos haben geschlossen, viele Restaurationsbetriebe auch und Unterhaltung gibt es nur im Fernsehen. Es ist gar nicht so einfach, sich an Heiligabend von echten Menschen zu umgeben. Arbeiten ist da gar nicht so übel. Ich bin ja nicht der einzige, der das tut und somit treffe ich Menschen. Viele Menschen müssen an Heiligabend arbeiten. Ihnen gehört ein spezieller Dank.

Dann denke ich an alle anderen, an jene, welche nun bei ihren Familien sitzen, essen, vielleicht sogar singen und fröhlich sind. Wie oft ist das nur gespielte Fröhlichkeit? Zu oft habe ich den Satz schon gehört: "Ich muss über Weihnachten zu meinen Eltern gehen." In zu vielen Familien ist die Bande, die innige Freundschaft und Verbundenheit irgendwie verloren gegangen. An vielen Orten aber ist Heiligabend wirklich ein Fest der Freude. Überall wo gesungen wird, überall wo gelacht wird, da verströmt dieser eine Abend seine ganz spezielle Energie. Es ist so wertvoll, mit all den Menschen, die man liebt, mit der Familie Zeit zu verbringen. Zeit mit seinen Liebsten ist das einzige Geschenk, das man nicht kaufen kann. Ich wünsche in Gedanken all den Menschen, welche ich habe zu ihrem Fest fahren sehen, ein frohes und glückliches Weihnachtsfest.

Inzwischen habe ich meinen Bestimmungsort erreicht. Zusammen mit dem einzigen Mitarbeiter, der an Heiligabend in dieser Firma tätig ist, laden wir das Milchpulver aus. Wir schwatzen und scherzen, es ist eine willkommene Abwechslung an diesem ruhigen Abend. Ich schliesse die Containertüren und fahre wieder los, lenke den Sattelschlepper heimwärts auf die leere Autobahn. Dann, so um Mitternacht irgendwo am Zürichseeufer, nimmt der Verkehr rasant zu. Alle sind sie auf der Heimfahrt. Ich kann genau erkennen, wo das Weihnachtsfest eine Freude oder wo eher ein Frust war. Da hat es aggressive Drängler, es hat beschwipste Schlangenlinienfahrer, es hat Schleicher und übermüdete Heimkehrer. Auf den Rücksitzen schlafen oder streiten sich Kinder. Das Familienfest ist vorbei, für mindestens ein Jahr. Und anfangs dachte ich, ich sei einsam.

Hej, ich wünsche euch allen ein gesegnetes und fröhliches Weihnachtsfest. Und viel, viel Liebe.