Die Tänzerin
Tanzen. Rhythmus ist das ganze Leben. Sobald irgendwo Musik erklingt, gerät ihr Körper in Bewegung. Im Büro, in der Schule, im Zug, auf dem Gehsteig, im Supermarkt, im Wald. Ihr Körper übernimmt den Rhythmus der Musik, schwingt mit und trägt sie in eine andere Welt. Plötzlich ist nichts mehr wichtig. Sie schwebt in anderen Sphären und ist glücklich. Oftmals sitzt sie bei der Arbeit und beginnt sich zu einer Musik zu bewegen, welche nur sie hören kann, welche in ihrem Kopf erklingt. Ihre Mitarbeiter schauen sie verstohlen an und fragen sich, was das soll. Sie können nicht verstehen, was ihr die Musik bedeutet. Über ihr Gesicht huscht ein charmantes, schelmisches Lächeln.
Als ungeborenes Menschlein hat sie den Herzschlag ihrer Mutter als rhythmischen Bass wahrgenommen und sich dadurch die Musik eingesogen. Seither lässt es sie nicht mehr los. Ihre eigene Babymusik hat die Eltern ach so einige Male an den Rand der Verzweiflung getrieben. Sie aber wunderte sich bloss: "Warum tanzen sie nicht? Ich singe doch so schön." Als Kind ging das schon einfacher, denn sie konnte die Eltern mit Worten zum Mitmachen motivieren. Die tanzende Teenagerin schliesslich heimst sich mit ihren Bewegungen während den öden Mathestunden ihren Übernamen ein - aber das stört sie nicht, denn tanzen beruhigt. Tanzen ist Medizin. Es heilt Nerven, reinigt den Körper und die Seele. Tanzen hilft bei der Konzentration.
Die Tänzerin lässt sich durch nichts stören, gleitet in ihre eigene Welt und verzaubert mit ihrem Lächeln und ihrem Tanz die Umgebung. Damit wird sie ein Teil der Musik, ein Teil der Heilkraft. Sie ist die Tänzerin, eine Botschafterin der Freude, der Liebe und der Menschlichkeit, der Anmut. Sie holt Menschen aus deren trostlosen Umgebung und zeigt ihnen einen einfachen, fröhlichen Weg. Sie nimmt weder sich noch ihre Umwelt ernst und fragt sich: "Warum tanzen sie nicht?"
Manchmal möchte ich wie sie sein. Alles vergessen. Musik in die Ohren und lostanzen. Den ganzen Frust und Druck der Welt einfach wegtanzen. Amerikanische Politiker haben jüngst versucht, eine Parlamentarierin schlecht zu machen, nur weil sie öffentlich getanzt hat. Man fühlt sich im Buch 1984, tanzen und Freude verboten, Big Brother überall. Eine Welt, die nicht mehr tanzt, ist eine trostlose, freudlose Welt. Aber die Mächtigen unseres Planeten verstehen das nicht. In vielen Ländern ist Tanzen vergessen gegangen. Als Rhythmus gilt allein das Klingeln der Kasse. Die sogenannte erste Welt ist ziemlich hilflos, wenn man die unbeholfenen Bewegungen der steifen Financiers mit den freudigen Tänzen der Bauern in Afrika vergleicht. Oft wäre es wohl besser, an einer Sitzung zuerst zu tanzen, bevor man sich wieder den Geschäften widmet.
Das Leben ist ein Tanz. Die Kunst besteht darin, den Rhythmus zu bestimmen und die Choreo festzulegen. Je weniger Vorgaben dabei eingehalten werden, desto fröhlicher und bunter wird der Lebenstanz. Ein freudiger und glücklicher Tanz mit interessanten Menschen, zur Feier des Lebens. Und ganz plötzlich beginnst du mitten an der Arbeit mit den Füssen zu scharren, mit den Hüften zu wippen, die Schultern zu bewegen, mit dem Kopf zu nicken. Wenn du dabei die fragenden Blicke deiner Mitarbeiter siehst, dann lächle, wie die Tänzerin. Sie hat verstanden, worum es wirklich geht. Sie nimmt dich an der Hand und tanzt mit dir einmal ans Ende der Welt und zurück.
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