Kapitel 7
Nach Tagen des Herumstöberns in Büchern und Pergamenten fand ich schließlich einen kleinen Fetzen Information über einen der beiden Cousins aus Rom. Einer von ihnen hatte eine Hexe aus Irland geheiratet und sich dort niedergelassen. Leider war es derjenige, bei dem ich mir sicher war, dass er den Zauberstab nicht besessen hatte. Eine Familie zu gründen und in Frieden zu leben, war auch nicht der Lebensstil, der den Zauberstab anzog. Gellert wollte sich in dem Dorf umsehen, in dem Arcus gelebt hatte und womöglich sogar noch lebte, doch ich konnte ihn überzeugen, dass es doch sehr unwahrscheinlich war, dort den Elderstab zu finden. Es wurde immer frustrierender in Godric's Hollow herumzusitzen, während wir die Welt hätten erforschen können. Ich war hier gebunden durch meine Pflichten als Familienoberhaupt und ich glaubte, Gellert hatte das Gefühl ebenfalls gebunden zu sein, durch sein Versprechen an mich. Er hatte gesagt er würde das Dorf nur mit mir an seiner Seite verlassen und jedes Mal, wenn ich ihn von diesem Versprechen erlösen wollte, bekam er eine sture Falte auf der Stirn und wiegelte ab.
Was wir brauchten, war eine Gelegenheit um auf andere Gedanken zu kommen und die würde sich uns nicht bieten, solange wir nur in meinem Zimmer hockten und dieselben alten Pergamente und Bücher durchgingen. Das Märchen von den drei Brüdern, das Gellert mir am ersten Tag auf dem Friedhof gezeigt hatte, konnte ich inzwischen auswendig.
Eines Abends beschloss ich, Gellert abzuholen und auf einen Spaziergang zu der Lichtung mitzunehmen, die er mir an meinem Geburtstag gezeigt hatte. Ich setzte einen unscheinbaren Gesichtsausdruck auf und klopfte bei Bathilda an der Tür.
„Albus!", rief sie überrascht - immerhin hatte sie mich erst vor einer Stunde beim Abendessen zu Gesicht bekommen. „Sag bloß du und Gellert habt noch mehr zu bereden?"
Ich lächelte. „Es ist wahrlich unerschöpflich, Mrs. Bagshot."
Sie winkte mich herein und führte mich ins Wohnzimmer. „Sogar nachts schickt ihr euch noch Eulen." Sie zwinkerte. „So viel zu besprechen, das ist faszinierend."
„Nun ja. Ich habe gedacht, Gellert ist sicher nicht extra hergekommen um den ganzen Tag nur bei mir im Zimmer zu sitzen. Deswegen dachte ich, ich hole ihn für einen Spaziergang ab. Die Sonne ist fast untergegangen, es werden nur wenige Muggel unterwegs sein."
Sie nickte begeistert. „Eine sehr schöne Idee, Albus. Gellert nimmt gerade ein Bad, aber sobald er runterkommt gehört er ganz dir."
Ich gab mir redlich Mühe nicht rot zu werden. Wie gerne hätte ich ihr erzählt, dass Gellert ohnehin mir gehörte, ganz egal wo er gerade war. Bathilda bot mir einen Platz auf dem Sofa an und brachte mir einen Tee und einen Bilderrahmen.
„Sie haben es sich tatsächlich einrahmen lassen", sagte ich ein wenig perplex und betrachtete das Foto von Gellert und mir, das uns vor der Hecke in Bathildas Garten zeigte. Mein Blick hing an ihm fest, obwohl das Foto nicht zeigte, wie grün seine Augen tatsächlich waren und wie sein helles Haar im späten Sonnenlicht geleuchtet hatte. Auf dem Bild bewegten wir uns beide ein wenig, verlagerten hin und wieder das Gewicht und warfen einander verstohlene Blicke zu.
„Zwei stattliche junge Männer", sagte Bathilda voller Wärme und ich stellte hastig das Bild auf den Tisch damit ich mich nicht lächerlich machte. Ich hatte tagsüber genug Zeit, ihn anzusehen, da musste ich es nicht jetzt auf einem Bild tun, das sowieso niemals einfangen könnte, was für ein Mensch Gellert Grindelwald war.
„Einer stattlicher als der andere", sagte Gellerts unverkennbare Stimme und ich verschluckte mich an einem Schluck Tee als ich mich umwandte und ihn am Türrahmen lehnen sah. Seine Haare waren feucht und er trug außer einer Hose und einem Handtuch, das er sich über die Schultern gelegt hatte überhaupt nichts. Es war nicht das erste Mal, dass ich ihn ohne Hemd sah, wahrlich nicht, aber selten sah er so aus wie jetzt. Er grinste minimalistisch, spannte die Bauchmuskeln an und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, sodass ein paar Wassertropfen auf seiner Brust landeten und das alles tat er nur, um mich vor seiner Tante aus der Fassung zu bringen und - was soll ich sagen - es funktionierte.
„Gellert!", rügte Bathilda ihn und klopfte mir mütterlich auf den Rücken. „Schleich dich nicht so an, du erschreckst deinen Freund."
Gellert lachte und biss sich auf die Unterlippe. Ich stellte die Tasse beiseite, bevor ich ihren Inhalt verschütten konnte und stand auf. „Ich wollte dich auf einen Spaziergang einladen", sagte ich förmlich und konnte keine Sekunde vergessen, dass Bathilda hinter mir auf dem Sofa saß.
„Aber wenn du andere Pläne hast ..." Ich wandte mich schon zum Gehen.
„Nein!", rief er und ich drehte mich voller Genugtuung wieder zu ihm um. Diesmal hatte ich ihn sichtlich aus der Ruhe gebracht. „Ich ziehe mir ein Hemd an und dann bin ich bereit."
Ich zwinkerte ihm zu, weil Bathilda das von hier aus nicht sehen konnte. Gellert schluckte sichtbar.
Ein paar Minuten später kam er wieder die Treppe herunter - zu meinem Bedauern vollständig gekleidet. Seine Haare allerdings waren immer noch nicht trocken.
Wortlos und händchenhaltend gingen wir denselben Weg wie beim letzten Mal. Die Lichtung war still und friedlich und als wir uns ins weiche Gras setzten, leuchten Glühwürmchen um uns herum auf.
„Das war eine gute Idee", sagte Gellert leise und legte seinen Kopf auf meine Schulter.
„Ich habe grundsätzlich gute Ideen", erwiderte ich zufrieden und strich geistesabwesend durch sein Haar.
„Meine Tante macht sich über mich lustig, weil wir so unzertrennlich sind", erzählte Gellert und ich hörte das Lächeln in seiner Stimme. „Glaubst du, sie vermutet etwas?"
„Solange wir uns auf ihrem Foto nicht um den Hals fallen, sind wir sicher vor ihr, denke ich."
Wir verfielen in einvernehmliches Schweigen. Gellerts Kopf ruhte auf meiner Schulter, mit einer Hand streichelte ich sein Haar, die andere war verschränkt mit seiner. Ich lauschte seinem Atem und dem Geräusch des Bachs, atmete die kühle Nachtluft ein und dachte, ich war womöglich niemals zuvor glücklicher gewesen als jetzt. Oder vielleicht war ich am glücklichsten, wenn wir diskutierten und er mir widersprach und ich ihm widersprach und keiner von uns darauf achtete, höflich zu sein, weil wir das nicht mussten. Weil wir wussten, am Ende der Argumentation würden seine Lippen auf meinen landen. Weil wir wussten, wir würden zusammen die Welt erobern.
„Albus", wisperte Gellert irgendwann. „Soll ich dir etwas verraten?"
„Ein Geheimnis?", fragte ich schmunzelnd.
„Ja."
„Ich dachte, damit wären wir fertig."
Er zog mich fester an sich. „Es ist das letzte, versprochen. Greif in meine Tasche."
Neugierig leistete ich ihm Folge und fand einen kleinen Fetzen Pergament in seiner Brusttasche. Im Licht meines Zauberstabs erkannte ich meine eigene Schrift. Es war der letzte Brief, den ich geschrieben hatte, kurz nachdem Aberforth müde und unzufrieden in mein Zimmer gekommen war.
„Du ... trägst das seitdem mit dir herum?", fragte ich mit einem hörbaren Zittern in der Stimme.
Er summte bestätigend.
„Und was ist das Geheimnis?", überwand ich mich zu fragen.
„Das Geheimnis ist: Ich liebe dich auch."
Mein Herz versuchte meine Rippen zu sprengen und ich hörte einen Augenblick lang nichts weiter als sein wildes Klopfen und das Echo von Gellerts Stimme in meinem Kopf.
„Ich habe dir gar nicht gesagt, dass ich dich liebe", sagte ich schließlich, als ich es schaffte genug Muskelgruppen unter Kontrolle zu bekommen, um zu sprechen.
„Das musst du auch nicht", sagte Gellert und küsste mich. „Ich weiß es auch so."
Ich löste mich kurz von ihm und er versuchte mich umzuwerfen, damit er mich küssen konnte, ohne dass ich mich dagegen wehren konnte - nicht, dass ich das jemals gewollt hätte. „Du hast recht, Gellert", murmelte ich und gab nach. „Wie so oft."
Er kicherte und verschwendete keine Zeit damit, zu antworten.
~ * ~
Ein paar Tage später begleitete Aberforth mich zum Mittagessen bei Bathilda und Gellert. Der Zeitpunkt hätte nicht ungünstiger sein können.
Wir aßen alle zufrieden ihren Eintopf, als Bathilda in den Sinn kam nach unserer Recherche zu fragen.
„Wir haben etwas über Arcus in Erfahrung bringen können", sagte ich ausweichend.
Sie allerdings harkte nach und ich erzählte ihr, dass er sich in Irland niedergelassen hatte.
„Es ging uns allerdings nicht so sehr um die beiden Zauberer", erklärte Gellert. „Viel mehr interessiert uns der Zauberstab, den einer von ihnen im Duell von Loxias gewonnen hat."
Bathilda legte die Stirn in Falten. „Was ist so besonders an dem Zauberstab?"
Gellert und ich schauten uns an. „Loxias behauptete, sein Zauberstab wäre unbesiegbar", sagte ich vorsichtig.
Kopfschüttelnd schenkte Bathilda sich Wasser nach. „Nun, da lag er offensichtlich falsch, nicht wahr?"
„Wir glauben, der Zauberstab ist im Duell eins gegen eins nicht zu schlagen", erwiderte Gellert. „Loxias trat gegen Arcus und Livius gleichzeitig an."
Bathilda machte ein etwas missbilligendes Geräusch, als hätte sie mehr von ihrem Neffen erwartete. „Ich habe nie an so etwas wie unbesiegbare Zauberstäbe geglaubt. Natürlich tauchen immer wieder Zauberer auf, die glauben, ihrer wäre besonders. Ihr seht ja, wohin das führt.
Sicher hat euch Ollivander dasselbe gesagt. Er scheint mir keiner dieser Zauberstabmacher zu sein, die versuchen ihr Geschäft mit Mythen und Legenden anzukurbeln."
Aberforth schwieg beharrlich, doch ich sah, wie er das Gespräch aufmerksam verfolgte. Ob es ihm behagte oder nicht, war schwer zu sagen.
„Ollivander war in dieser Angelegenheit nicht sonderlich gut informiert", sagte Gellert geringschätzig.
„Tss", machte Bathilda. „Denkst du, Gregorowitsch wäre eher geeignet für dieses Thema?"
Gellert zuckte die Schultern. „Ich habe ihn nie getroffen."
„Ist denn dein Zauberstab nicht von ihm?", fragte ich überrascht.
Gellert nickte. „Gregorowitsch hat sein Geschäft in Deutschland. Ich habe den Zauberstab von einem Händler gekauft, der verschiedene Hersteller in seinem Angebot hatte."
Ich wandte mich an Bathilda. „Warum glauben Sie, Gregorowitsch hätte etwas zu dieser Angelegenheit beizutragen?"
Bathilda winkte ab. „Habt ihr nicht davon gehört? Er behauptet, in letzter Zeit er würde daran arbeiten die Eigenschaften eines unschlagbaren Zauberstabs zu kopieren und mehr davon anzufertigen." Sie schüttelte wieder den Kopf. „Eine törichte Geschäftsstrategie, wenn ihr mich fragt. Seht euch nur an was mit Arturo Cephalopos geschah. Gegen Ende seiner Karriere begann auch er zu behaupten, er wäre im Besitz eines unbesiegbaren Zauberstabs und würde seine Eigenschaften erforschen. Und was passierte? Jemand überfiel sein Geschäft, wurde nicht fündig, und brannte aus Wut seine Werkstatt und seinen Verkaufsraum mit Dämonsfeuer nieder.
Es ruinierte Cephalopos für immer."
Gellert und ich bekamen nur die Hälfte mit, da wir beschäftigt waren, uns wortlos auszutauschen.
„Gregorowitsch behauptet nun dasselbe?", fragte Gellert und ich hoffte Bathilda überhörte das verräterische Vibrieren in seiner Stimme.
„Allerdings", bestätigte sie. „Er hätte das an sich gar nicht nötig. Beinahe alle Schüler von Durmstrang kaufen seine Zauberstäbe, ist es nicht so?"
Gellert nickte abwesend und ich sah wie es hinter seinen Schläfen arbeitete. Ich schlug meinen Löffel einmal absichtlich laut gegen den Tellerrand, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Gellert blinzelte ein paar Mal und aß dann mit doppelter Geschwindigkeit weiter. Als unsere Teller leer waren verabschiedeten wir uns so schnell es ging, ohne offensichtlich unhöflich zu sein. Ohne uns absprechen zu müssen, eilten wir nach nebenan und hoch in mein Zimmer.
„Wo haben wir Aufzeichnungen über Gregorowitsch?", fragte Gellert und durchwühlte fahrig meine sorgsam angelegten Stapel.
„Warte - hier." Ich hielt ihm die Ausgabe einer Zeitschrift über Zauberstabkunde hin, die Interviews mit vielen bekannten Zauberstabmachern enthielt. Behalten hatte ich sie eigentlich wegen Ollivander, aber auch Gregorowitsch war ein Kapitel gewidmet.
Gellert und ich überflogen gemeinsam die Seiten und ich stieß einen leisen Schrei aus, als mein Blick an einem Namen hängen blieb.
„Livius!", rief Gellert, als er wenig später zu der Stelle kam. Mit großen Augen schaute er mich an.
„Weißt du, was das bedeutet?"
„Livius ging nach dem Duell weiter nach Osten", begann ich.
„Und traf in Deutschland auf Gregorowitsch", ergänzte Gellert.
„Er händigte Gregorowitsch den Elderstab aus, um ihn erforschen zu lassen", sagte ich.
Wir sahen einander an. „Gregorowitsch hat den Elderstab", sagten wir gleichzeitig.
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