Kapitel 3
Ungeduldig mit dem Fuß wippend saß ich in der Küche und wartete auf Gellert. Als es an der Haustür klopfte, stand ich auf, um zu öffnen und da stand er.
„Gellert", sagte ich verwundert, denn er hatte seit dem zweiten oder dritten Tag aufgehört zu klopfen und war einfach hereingekommen, „du brauchst nicht zu klopfen. Das weißt du doch."
Er winkte ab. „Sicher, sicher. Aber heute ist das was anderes. Los, komm mit. Wir gehen ein Stück."
Neugierig schob ich meinen Zauberstab in die Westentasche und folgte ihm nach draußen. Der Tag war noch angenehm, aber zur Mittagszeit würde es in der Sonne kaum auszuhalten sein.
Gellert führte mich weiter weg vom Dorf und bald wich er von der befestigten Straße ab auf einen ausgetrampelten Pfad. Ich muss gestehen, ich habe Godric's Hollow nie sonderlich spannend gefunden und deshalb auch nicht viel erkundet. Aberforth kannte jeden Winkel des Dorfes, ich hingegen war schon immer lieber drinnen bei meinen Büchern gewesen. Gellert vergewisserte sich, dass wir allein waren, dann nahm er meine Hand und zog mich hinter sich her, den immer schmaler werdenden Pfad entlang, durch Brombeersträucher und hüfthohe Fingerhutblumen.
„Gellert, wohin gehen wir?"
„Hast du schon mal von einer Überraschung gehört?", erwiderte er belustigt. „Entspann dich, Albus. Es wird dir gefallen."
Ich seufzte, entspannte mich aber tatsächlich. Immerhin war ich mit Gellert unterwegs, es war also sehr unwahrscheinlich, dass es, was auch immer es sein mochte, mir nicht gefiel.
Bald schon ertönte das angenehme Geräusch von fließendem Wasser und wenig später brachen wir durch das Dickicht auf eine kleine Lichtung, an der ein Bach vorbeiplätscherte.
Gellert drückte meine Finger, ehe er mich losließ, um seinen Zauberstab zu heben. „Repello Muggeltum", sagte er deutlich und ließ die Stabspitze nach oben zeigen. Als nächstes führte er einen Aufrufezauber aus, aber ich konnte nicht verstehen, was er damit aufrief, denn er sprach seine Muttersprache. Ehe ich fragen konnte, erschienen wie aus dem Nichts eine Picknickdecke und ein Korb.
„Was - wie hast du ...?"
Er lachte. „Hab ich alles letzte Nacht vorbereitet. Los, setz dich."
Gehorsam und gleichzeitig verwirrt und geschmeichelt setzte ich mich ihm gegenüber auf die Decke. Er grinste und rutschte näher zu mir heran.
„Alsoooo", sagte er und zog das Wort in die Länge. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Albus."
Ich wusste, dass ich rot wurde. „Deine Tante hat es dir gesagt."
„Natürlich hat sie das. Wie konntest du annehmen, sie würde es nicht tun?"
Wieder seufzte ich tief. „Ich - ich dachte nicht, dass sie das Datum noch weiß."
Gellert zerzauste mir mit beiden Händen die Haare und war mir plötzlich so nah, dass unsere Nasen sich fast berührten. Ich hielt den Atem an. „Albus", sagte er, „sie ist Historikerin, ihr ganzes Leben besteht daraus, sich Daten zu merken, du Pflaume."
Er ließ mich los und wir mussten beide lachen. Ich durchsuchte den Picknickkorb und verteilte die Sandwiches auf zwei Teller. Wir schwiegen friedlich, während wir kauten, und schauten dem Bach zu. Und immer wieder schielte ich verstohlen zu Gellert hinüber, nur um zu merken, dass er mich bereits ansah.
„Warum hast du es mir nicht gesagt?", fragte er, als wir nach dem Essen nebeneinander auf der Decke lagen und in den blauen Himmel hinaufschauten.
„Ich weiß es nicht", antwortete ich ehrlich. „Ich wollte nicht feiern, schätze ich. Es ist ... der erste Geburtstag ohne meine Mutter."
„Hmm", summte er. „Das verstehe ich. Aber ich glaube, du wusstest, ich finde es auch so heraus."
Ich drehte mich auf die Seite, um ihn sehen zu können. Ein selbstzufriedenes Grinsen auf den Lippen, tat er, als merkte er es nicht. „Nur weil du so überzeugt von deinem Intellekt bist, muss ich es nicht auch sein", sagte ich scherzhaft.
Er drehte sich ebenfalls auf die Seite. „Aber du bist es."
Als ich sagte „Ja, bin ich", wirkte er überrascht.
„Weißt du", begann er nachdenklich und schaute über meinen Kopf hinweg in den Wald. „In Durmstrang gab es diese uralte Tradition. An seinem Geburtstag durfte man sich jemanden zum Duellieren aussuchen. Angeblich war das eine Charakterprüfung, um zu sehen, ob du dir einen ebenbürtigen oder einen schwächeren Gegner aussuchen würdest."
„Was für einen Gegner hast du dir genommen?"
Seine Augen fanden den Weg zurück zu meinen. „Einen, von dem ich dachte, er wäre stärker."
Ich sah ihn schweigend an und stellte ihn mir im Duell vor. In seiner schwarzen Schuluniform mit den Stiefeln, den Zauberstab erhoben, das blonde Haar zerzaust, schwer atmend und doch mit gekräuselten Lippen. Auf den Zehenspitzen, elegant, anmutig, agil. Er hatte nie ein Duell verloren, das musste er mir nicht sagen. Ob ihm seine Überlegenheit je zu Kopf stieg?
„Jeder kann sehen, wer von uns beiden gewinnen würde", sagte ich.
Er stimmte mir zu und dann sagten wir beide gleichzeitig „ich" und mussten wieder lachen.
Plötzlich sprang er auf und zog mich am Arm mit sich hoch.
„Gellert -"
Er schoss einen Zauber auf mich ab und tänzelte lachend davon, als er mich mitten auf die Brust traf. Meine einst weiße Weste hatte nun einen leuchtend blauen Fleck. Ich stieß entrüstet Luft aus und zog meinen Zauberstab. Er wollte ein Kinderduell? Konnte er gern haben. Und mit Sicherheit würden meine Farbwechselzauber hübscher sein als seine. Seinem nächsten Zauber wich ich knapp aus und traf ihn auf dem Rücken, als er sich wegzudrehen versuchte. Wir sprangen umeinander herum, schreiend und kreischend und laut lachend wie die Jungen, die wir waren. Er traf mich mit einem Regenbogenfarbwechsel mitten auf dem Hintern, ich schoss ihm einen Sternenhimmel direkt ins Gesicht. Am Ende rannten wir aufeinander zu, keiner wich dem Anderen aus und wir fielen außer Atem zusammen ins Gras. Gellert stützte sich auf den Ellbogen und betrachtete die verschmierte Farbe in meinem Gesicht. Über seine Stirn und eine Wange zog sich ein breiter dunkelblauer Streifen mit winzigen, funkelnden Sternen. Er rückte näher an mich heran, sodass ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte.
„Ich hoffe, wir werden nie herausfinden, wer von uns den anderen schlagen würde", flüsterte er und ehe ich zustimmen konnte, küsste er mich.
Es war mein erster Kuss und er ließ mich mit geschlossenen Augen und sehr benommen zurück. Gellert war in diesem Gebiet offensichtlich mehr bewandert als ich, denn ich hörte ihn kichern.
Er legte eine Hand auf meine Wange und sagte: „Albus, du glühst wie die Brust eines Drachen."
Ich konnte nicht viel mehr tun, als ihn hilflos anzulächeln. Er fand die Situation wahnsinnig komisch und konnte es nicht verbergen. Trotz allem schimmerte auch etwas Sorge hindurch - oder tatsächlich Nervosität?
„Hat es dir gefallen?", fragte er leise.
„Dir ist nicht klar, dass es mir gefallen hat?", entgegnete ich und zog zaghaft an seinem Haar.
Bereitwillig senkte er seine Lippen wieder auf meine und dieses Mal war ich vorbereitet und konnte mehr tun als bloß staunend dazuliegen. Ich konnte spüren wie weich seine Lippen waren und wie gut sie zu meinen zu passen schienen. Ich krallte eine Hand in Gellerts Haar und zog ihn noch näher zu mir, immer noch näher bis keine Luft mehr zwischen uns war. Vorsichtig strich ich mit der Zungenspitze über seine Unterlippe und entlockte ihm ein zufriedenes Geräusch.
„Und ich dachte, du machst das zum ersten Mal", murmelte er und folgte mit einem Finger meiner Wirbelsäule entlang abwärts. Mein ganzer Körper erschauerte.
„Tue ich auch." Meine Stimme klang ganz anders als sonst; rau und atemlos.
Er lachte leise und ich fühlte wie sein Brustkorb vibrierte. „Dann bist du ein Naturtalent. Was habe ich anderes erwartet?"
„Oh, du hattest Erwartungen?", sagte ich gleichzeitig spöttisch und zärtlich.
„Mh-hm", machte er und schob sein Knie zwischen meine Beine. „Und du übertriffst sie alle."
Wir machten eine Weile so weiter, bis er sich von mir löste und sich aufsetzte. Das Geräusch, das aus meinem Mund kam war alles andere als schmeichelhaft. Aber Gellert grinste bloß wissend.
„Fast hätte ich es vergessen - ich soll dich und Aberforth zum Abendessen einladen. Bathilda kocht dein Lieblingsessen."
Überrascht blickte ich auf. „Sie kennt mein Lieblingsessen?"
Er zuckte die Achseln. „Sie war mit deiner Mutter befreundet, oder nicht?"
Ich nickte, schwieg aber. Mein Geburtstag hatte nichts Besonderes werden sollen, eigentlich wäre ich liebend gerne darüber hinweggegangen. Nicht, dass ich diesen Ausflug nicht zu würdigen wusste.
„Zieh nicht so ein Gesicht", mahnte Gellert und rückte wieder näher zu mir heran. „Komm schon, Albus. Sag ja."
Ich wandte den Blick ab, doch ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. „Soll das ein Rendez-vous sein, Gellert? Fragst du, ob ich mit dir ausgehe?"
„Muss ich denn fragen?"
„Ja", sagte ich trotzig. „Wenn du willst, dass ich mitgehe."
Er nahm mein Gesicht in beide Hände und hielt meinen Blick mit seinem fest. „Geh heute Abend mit mir aus, Albus."
Er schloss die Augen und küsste mich wieder und ich verzieh ihm, dass er streng genommen keine Frage gestellt hatte.
Vor dem Abendessen trennten wir uns, um uns zurechtzumachen, denn wir hatten beide ein Bad nötig. Nicht nur wegen der Farbe. Ich trug ein deutliches Zeichen des Tagesgeschehens in der Nähe meines Schlüsselbeins. Ich hätte es mit einem Zauber beseitigen können, aber unter dem Hemd würde es ohnehin niemand sehen.
Und es gefiel mir. Es war eine Spur, die Gellert auf meiner Haut hinterlassen hatte, und da ich alles andere abwusch, war es eine willkommene Erinnerung an den Morgen.
~ * ~
Aberforth begleitete mich zum Abendessen. Gellert öffnete uns die Haustür und sein Blick fiel auf meinen Bruder, der ungeduldig neben mir stand.
„Hallo Aberforth", sagte Gellert mit überraschtem Unterton. „Du bist mitgekommen."
„Ich war doch eingeladen, oder nicht?", entgegnete Aberforth ruppig und drängte sich an Gellert vorbei, um Bathilda zu begrüßen.
Gellert und ich schauten einander an. Er trug ein schwarzes Hemd mit hochgeklapptem Kragen, darüber eine ebenfalls schwarze Jacke. Seine leuchtend grünen Augen funkelten noch lebendiger als sonst. In seinem Blick lag Hunger.
„Ich hab dich vermisst", murmelte er und drückte mir einen kurzen Kuss auf die Lippen.
Wir gesellten uns zu Bathilda und Aberforth und ich versuchte, Gellert nicht andauernd anzusehen. Er gab sich deutlich weniger Mühe, aber es schien niemandem aufzufallen, wie oft er mich wie zufällig berührte. Bathilda hatte drei Gänge vorbereitet und auf meinen verlegenen Hinweis, dass es nicht nötig gewesen wäre, winkte sie nur gutmütig ab.
Über dem Hauptgang beugte sie sich verschwörerisch über den Tisch und ihr Blick wechselte zwischen Gellert und mir hin und her. „Also sagt einmal, ihr beiden, woran arbeitet ihr den ganzen Tag?"
„Das würde ich auch zu gerne wissen", fügte Aberforth hinzu und durchlöcherte mich mit Blicken.
Ich nahm schnell mein Wasserglas zur Hand und überließ es Gellert, zu antworten.
„Wir recherchieren über eine sehr alte magische Familie", erklärte Gellert gelassen. „Wir glauben, sie haben drei kraftvolle magische Artefakte erschaffen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch wenn man alle drei zusammenbringt arbeiten sie höchst wahrscheinlich auf eine Art und Weise zusammen, die dem Besitzer unfassbare Macht verleiht."
Bathilda begann uns mit Fragen zu löchern, während Aberforth Gellert eine ganze Weile lang mit zusammengezogenen Brauen ansah.
Nach dem Dessert drängte Bathilda Gellert und mich dazu, im Garten für ein Foto zu posieren. Sie sagte, sie wolle es sich einrahmen. Aberforth machte sich aus dem Staub und Gellert und ich standen peinlich berührt vor der Hecke und gehorchten Bathilda, die uns befahl uns „noch ein bisschen" enger zusammenzustellen. Gellert verschränkte die Arme hinter seinem Rücken und wirkte allgemein sehr herrschaftlich. Ich versuchte seinen Ausdruck so gut es ging zu imitieren.
„Wunderbar", verkündete Bathilda dann und lächelte zufrieden. „Gellert, Schatz, hilfst du mir mit dem Geschirr?"
„Selbstverständlich. Ich verabschiede mich nur kurz von Albus."
Er brachte mich zum Gartentor, packte mich an der Hüfte, drückte mich gegen den Zaun und küsste mich stürmisch.
„Gellert", protestierte ich halbherzig, „was ist wenn sie uns sieht?"
„Und wenn schon", raunte er und biss zärtlich auf meine Unterlippe.
Wir hörten erst auf, als Bathilda im Garten nach ihrem Neffen rief. Gellert lachte atemlos, brachte meine Haare in Unordnung und ging mit federnden Schritten ins Haus zurück. Ich blieb reglos stehen, bis er um die Ecke außer Sicht verschwunden war.
An Schlaf war nicht zu denken, also sortierte ich alle unsere Aufzeichnungen, Pergamentrollen und Bücher. Selbst mein Zimmer wirkte ohne seine Anwesenheit leer, dabei kannte ich ihn erst seit ein paar Wochen. Alles an ihm hatte mich so in seinen Bann gezogen, und zu erfahren, dass es ihm bei mir nicht anders ging, ließ mein Herz schneller schlagen. Nach all den Ferien, die ich mit Aberforth verbracht hatte, der mich verachtete, weil ich mich für etwas Besonderes hielt, war es unaussprechlich erfrischend, jemanden zu treffen, der mich aus denselben Gründen anziehend fand, aus denen Aberforth sich nichts aus mir machte.
Ein klackerndes Geräusch am Fenster riss mich aus meinen Gedanken. Mit einer Kerze in der Hand ging ich nachsehen - es war Gellerts kleiner Sperlingskauz, der mit dem Schnabel an meine Fensterscheibe klopfte. Ich ließ ihn herein und nahm ihm die kleine Pergamentrolle ab, die er am Bein trug.
Ich wette, du kannst auch nicht schlafen. Wie lächerlich, jemanden zu vermissen, von dem man sich gerade erst verabschiedet hat.
Gellert
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