Kapitel 14
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„Wer ist Dornröschen?", fragte Fauna verwirrt.
Flora musterte die junge Frau, die sehr edel aussah und sehr jung, überaus jung. Sie war jünger als die anderen beiden, die hier gewesen waren. Vielleicht gab es in dem Land, aus dem die Nebelgestalt gekommen war, Märchen, die es in ihrer Märchenwelt nicht gab. An ein Märchen mit dornigen Rosen konnte sie sich nicht erinnern.
„Wer bist du?", fragte Sonnenschein energisch und flog zu der jungen, bildschönen Frau. „Dornröschen ist doch kein Name. Und wo kommst du her?"
„Ich heiße aber Dornröschen. Einen anderen Namen kenne ich nicht. Und wo ich herkomme?" Sie blickte umher und tippte mit einem Finger auf ihre Lippen. „Meine Eltern waren auf Reisen. Da bin ich den Turm hochgestiegen. Dort saß ein altes Mütterchen und hat so ein seltsames Gerät gehabt. Sie sagte, sie würde spinnen. Ich habe ein Teil angefasst und mir in den Finger gestochen." Sie zeigte als Beweis den Finger vor, an dem tatsächlich ein kleiner Blutstropfen klebte. „Und mit einem Mal war ich hier."
Die drei Feen flogen in einen Kreis. „Es ist ein klein wenig anders als bei uns", begann Flora, „aber es scheint so, als wäre sie Aurora."
„Aurora?", rief Fauna bestürzt.
„Niemals", widersprach Sonnenschein und schwang hektisch ihren Zauberstab. „Aurora sieht ganz anders aus. Außerdem lebt sie glücklich mit ihrem Gemahl ..."
„Es ist Aurora", unterbrach Flora mit Nachdruck. „Und wir sollten tun, was wir vorher geplant hatten. Auch wenn sie nicht Aschenputtel ist. Sie kann unmöglich hierbleiben."
„Vielleicht lockt sie ja ..." Fauna machte eine Pause und blickte vorsichtig nach rechts und links. „Vielleicht lockt sie ja ... jene an", vollendete sie schließlich ihren Satz, ohne den Namen auszusprechen.
„Oh, nun tu nicht so, Fauna, du kannst ruhig auch Malefiz sagen", empörte sich Sonnenschein.
„Shh", sagte die Fee und drehte sich besorgt im Kreis, „vielleicht sollten wir ausnahmsweise auf diesen Namen verzichten. Solange Aurora bei uns ist, könnte das gefährlich sein."
„Aber es ist doch nicht Aurora, es ist Dornröschen. Ob es bei ihr auch eine ..." Ehe Sonnenschein den verbotenen Namen sprechen konnte, machten die beiden anderen Feen laut „Shh" und sie unterließ es, das Wort zu sagen. „... böse Fee gibt, wissen wir nicht."
„Es ist eigentlich egal", sagte Flora, „wir werden wie vorher besprochen nun den Zauber anders rückwärts aufsagen. Schlimmer kann es gewiss nicht werden."
Fauna lächelte erleichtert. „Da hast du sicherlich recht, Flora. Wir sollten es versuchen."
„Na schön, aber wenn dann nicht die Nebelgestalt hier ist, werde ich so laut nach Ma..." Sonnenschein erntete böse Blicke der beiden Feen und wählte eine andere Umschreibung, obwohl sie das ein klein wenig lächerlich fand. „... nach der bösen Fee rufen, dass sie auf jeden Fall hier auftaucht. Und sie kann dann ihr Durcheinander selbst wieder in Ordnung bringen."
Flora sagte nichts dazu. Ganz sicher war sie nämlich nicht, ob tatsächlich die Hexe hinter allem steckte. Aber sie hatte keine Ahnung, wer sonst schuld an allem sein konnte. War es möglich, dass diese nebelhafte Gestalt all die Probleme verursachte? Immerhin war sie einfach so aufgetaucht und hatte einen dummen Wunsch geäußert. Wer bekam denn schon eine zweite Chance? Tauchten die Märchenfiguren nach einem langen, schönen Leben hier auf, mussten sie das Märchen in den Anfangszustand versetzen und der Kreislauf begann von vorn. Da gab es keine zweite oder dritte Chance. Alles blieb, wie es schon immer gewesen war. Anders machte es schließlich keinen Sinn.
„Flora, können wir jetzt anfangen?" Fauna und Sonnenschein stupsten mit ihren Zauberstäben gegen Floras Schultern.
„Oh, ja, natürlich, ich war wohl ein klein wenig in Gedanken." Was auch kein Wunder war bei all dem Tumult hier im Märchenparadies.
„Was habt ihr vor?", fragte Dornröschen, und für einen Moment starrten die drei Feen überrascht zu dem hübschen Mädchen. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass sie sich zu Wort melden könnte.
„Wir versuchen, dich nach Hause zu bringen", erklärte Flora mit ernster Stimme, „also schweig und beweg dich nicht. Es soll schließlich nicht misslingen."
Dornröschen faltete die Hände und blieb schweigend stehen. Flora war ein klein wenig enttäuscht, wie sie vor sich selbst zugeben musste. Falls der Zauber misslang, hätte sie sagen können, Dornröschen sei schuld, weil sie gesprochen oder sich bewegt hatte. So aber wären wohl wieder sie selbst schuld.
Wieder einmal schwangen alle drei Feen ihre Zauberstäbe. Diesmal kamen rundherum wirbelnde silbrige und goldene Funken auf Dornröschen zugeflogen. Sie schwirrten um die Körpermitte und breiteten sich nach oben und unten aus, wurden immer mehr, bis die glitzernden Funken die Gestalt komplett verhüllten. Einige Augenblicke war nur ein heftiges Flirren zu sehen, bis der Feenglitzer nach oben in den Himmel und nach unten in die Wiese verschwand.
Dornröschen war verschwunden.
So weit war alles gut.
Die drei Feen drehten sich zum kleinen Wäldchen um.
„Niemand da", sagte Fauna erleichtert. Schon fing sie an zu trällern. „Es ist niemand da, alles ist gut, der Zauber hat gewirkt."
„Wie wunderbar", fiel Sonnenschein in den Gesang mit ein, „es ist niemand da."
Nur Flora blickte noch skeptisch.
Und sie behielt recht.
Kaum eine Sekunde später bemerkte sie ein leichtes Flirren aus den Augenwinkeln.
„Oh, nein. Oh, nein", klagte sie und drehte sich nach links, wo genau in der Mitte zwischen Waldrand und blühender Wiese eine Nebelgestalt auftauchte.
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