Kapitel 13
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Ich hatte das Gefühl, dass dieser Kuss tatsächlich eine kleine Ewigkeit gedauert hatte. Die Lippen des Königssohnes waren herrlich weich und warm. Fast bedauerte ich, als er sie von meinen löste. Mit einem selig-dümmlichen Lächeln öffnete ich meine Augen, sah in seine warmherzigen und spürte ein tiefes, unaussprechliches Glücksgefühl in mir. Konnte das Liebe sein?
Ich war so betört, dass ich einen Moment brauchte, ehe ich begriff, hier war etwas ganz und gar nicht richtig.
Ich lag schon wieder!
Da war kein Pferd.
Alles war falsch!
In meinem Kopf drehte es sich. Wo war ich denn nun schon wieder? Von Aschenputtel nach Schneewittchen und jetzt ...
Zweimal hatte mich ein Kuss aus dem Märchen fortgezogen in ein neues Märchen hinein. Dieses Mal hatte mich ein Kuss aufgeweckt. Ich kannte nur ein Märchen, wo ein Königssohn seine zukünftige Gemahlin mit einem Kuss weckte: Dornröschen. Und wenn ich es recht bedachte, war das auch vom Ende her das Schönste. Warum nur war mir das vorher nie aufgefallen? Hier gab es eine Traumhochzeit und ein vergnügtes Leben bis zum Ende. Niemand wurde grausam gefoltert oder mit dem Tode bestraft.
Meine Gesichtszüge entspannten sich. Das hatte wohl auch der Königssohn bemerkt, denn sein Lächeln vertiefte sich, und er beugte sich erneut über mich. Wahrscheinlich wollte er mir vor lauter Freude einen weiteren Kuss geben. Den wollte ich auf gar keinen Fall haben! So schnell wollte ich nicht aus diesem Märchen verschwinden. Hastig drückte ich mich seitlich weg und richtete mich auf. Eigentlich wollte ich ihm etwas sagen, ihm danken oder so, aber ich brachte kein Wort über die Lippen. Auch er schwieg vor sich hin. Natürlich, im Märchen der Gebrüder Grimm hatten sich die beiden nur freundlich angeblickt und waren dann hinunter gegangen. Deshalb auch die Steinmauern. Ich befand mich in dem Turm, in dem die Alte an einem Spinnrad gesessen hatte. Das war nicht mehr hier. Schade eigentlich, ich hätte gern ein echtes Spinnrad gesehen und auch die Spindel, an der sich Dornröschen gestochen hatte.
Ich hob meine rechte Hand und betrachtete meinen Zeigefinger. Wie dumm von mir! Natürlich war da nichts. Selbst wenn ich jetzt in Dornröschens Körper steckte, konnte nach einhundert Jahren Schlaf nichts mehr zu sehen sein. Da war so ein kleiner Pikser längst verheilt.
Der Königssohn reichte mir die Hand, die ich wortlos ergriff. Würde es die ganze Zeit über so stumm weitergehen? Ich kramte in meiner Erinnerung, ob Dornröschen irgendwann im Märchen ein Wort gesprochen hatte. Der Königssohn hatte mit einem alten Mann gesprochen, der von der Dornenhecke erzählt hatte und von mir, die ich in einem Schloss dahinter schlief. Aber ich?
Es dauerte einen Augenblick, bis mir einfiel, dass ich mit der Alten gesprochen hatte, wenn auch nur kurz. Ich hatte sie gefragt, was sie da mache. Dann hatte ich die Spindel neugierig in die Hand genommen, mich gestochen – und aufgeweckt hatte mich der Königssohn, der genauso aussah wie der von Aschenputtel und Schneewittchen. Wahrscheinlich küsste er deshalb so gut. Er war immer derselbe. Die Amerikaner hatten recht, wenn sie von Prince Charming redeten.
Mein Herz wurde schwer, als ich in dem Moment an Elio denken musste. Zwar hatte ich keine Ahnung, wie gut er küsste, aber viel lieber wäre ich jetzt im Klub und würde ihn anhimmeln. Irgendwann, da war ich mir sicher, hatte ich auch genügend Mut, um ihn anzusprechen. Das ging natürlich nur, wenn die Feen mich endlich in meine Welt zurückbrachten und mir die versprochene zweite Chance gaben. Ein Märchen war doch keine zweite Chance!
Der Königssohn zog mich schweigend in Richtung Tür. Sie stand offen, und ich konnte ein paar Stufen sehen. Es ging eine Wendeltreppe nach unten. Geräusche waren keine zu hören, was kein Wunder war, noch schliefen alle. Erst musste ich nach unten kommen, damit alle aufwachten und ihrer Tätigkeit nachgingen. Doch wollte ich das wirklich? Wo hätte ich danach in all dem Trubel die Chance, den Königssohn zu küssen, damit ich aus diesem Märchen herauskam? Ich war mir sicher, dass der Kuss entscheidend war. Denn Prince Charming küsste so perfekt, dass mein Herz immer einen Moment stehenblieb. Und ein Herzstillstand konnte als Tod ausgelegt werden. Der wiederum schien bedeutend für den Sprung ins nächste Leben zu sein.
Reinkarnation huschte es durch meinen Kopf, denn sprechen konnte ich noch immer nichts. Allerdings war es doch wohl eher Inkarnation, da ich zuvor nie in diesen Körpern gesteckt hatte. Also kam ich nicht wieder in sie hinein oder zurück in sie. Andererseits bedeutete das Re ja nicht, dass ich in meinen Körper zurück musste. Es bedeutete nur, dass ich zurück ins Fleisch kam – und das war ich, im Fleisch. Auch wenn die Körper, in denen ich erwachte, Märchenfiguren gehörten. Ich seufzte, das war alles viel zu kompliziert. Ich wollte doch nur in meinen realen, irdischen, menschlichen Körper zurück. Weg von Märchenwelten. Zurück auf die reale Erde.
Ich folgte dem Königssohn eher widerwillig zwei Schritte, danach blieb ich stehen. Er drehte sich zu mir um und blickte fragend. Ich musste hier weg. Sofort. Automatisch lächelte ich ihn so liebreizend an, wie es mir möglich war. Schon war er wieder bei mir. Sein Lächeln war charmant, betörend und absolut zum Dahinschmelzen. Wärme flutete meinen Körper. Und als er seinen Kopf neigte, freute ich mich bereits auf die Sanftheit seiner Lippen. Auch wenn ich unbedingt nach Hause wollte, diese Küsse würde ich vermissen.
Tatsächlich war es erneut ein perfekter Kuss, so zart und leicht, kaum wahrnehmbar. Dennoch so intensiv und erfüllend, dass mein Herz sich anfühlte, als würde es in meiner Brust zerspringen. Das Glücksgefühl war übermächtig und erfüllte mich wie in einem Rausch. Ich schloss die Augen, genoss das Prickeln und Kribbeln, das sich von den Haarspitzen bis zu den Fußzehen ausbreitete. In meinem Unterleib flatterten Millionen von Schmetterlingen. Ich fühlte mich eingehüllt in eine wohltuende Wärme. Ein sehnsuchtsvolles Seufzen entrang sich mir – und dann setzte mein Herz einen Schlag lang aus.
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