- Merry Christmas everyone -
Der Baum war geschmückt und im ganzen Haus roch es nach einer Mischung aus Weihnachtsbraten und Tannenzweigen. Skyla wuselte geschäftig um den Herd herum und streute mal hier mal da ein zimtiges Gewürz in die brodelnden Töpfe. Auch Mallory und Feivel waren da. Die vier Freunde hatten beschlossen, zusammen bei den Sheppards zu feiern, da deren Haus etwas geräumiger war als die Wohnung der anderen beiden. Außerdem hatte sich Feivel partout geweigert, einen Weihnachtsbaum zu kaufen.
„Warum sollte ich ein Lebewesen töten, nur um es mit Kugeln zu behängen und eine Woche später aus dem Fenster zu werfen?", hatte er gemault und dabei einen mitleidigen Blick zu den eingepackten Tannen am Verkaufsstand auf dem Weihnachtsmarkt hinüber geworfen.
So kam es also, dass sie alle heute an Heilig Abend in Simons und Skylas Bude hockten und den Abend vorbereiteten. Die Stuten waren fleißig am Kochen, während Feivel den Tisch deckte und das Feuer hütete. Ebenso wie Simon verstand er nicht sonderlich viel von der Zubereitung eines Festmahls. Skyla dagegen war ganz in ihrem Element. Da sie sich an der Winters Academy so gut wie jeden Tag um die Versorgung der Studenten kümmerte, war sie so etwas wie eine Meisterköchin geworden. Simon war sich sicher, dass es weit und breit keine Uni gab, in der das Kantinenessen so gut schmeckte.
Noch schien die von weißem Nebel gedämpfte Sonne mit hellblauem Schein in die Fenster des Hauses hinein. Es würde jedoch nicht mehr lange dauern, bis sich die Dunkelheit über die Stadt senkte. Mit hängenden Ohren sah Simon nach draußen. Wie schön wäre es jetzt, die Weihnachts-CD seiner Oma auf dem alten Radio auf dem Dachboden spielen zu lassen. Schon wieder klangen ihm die sanften Melodien in den Ohren und er pfiff sie leise mit.
Langsam und anmutig fielen dicke, flauschige Schneeflocken an der mit Eisblumen gespickten Fensterscheibe vorbei. Wenn das so weiter ging, würden sie noch eingeschneit werden. Er beobachtete eine Horde Fohlen, die mit ihren Schlitten über die verschneite Straße zogen. Wahrscheinlich machten sie sich auf dem Weg nach Hause, wo ihre Eltern gerade die letzten Geschenke für sie verpackten. Die ersten Straßenlaternen leuchteten auf und zunehmend wurde die Atmosphäre ruhiger und geborgener. Die Sonne sank schnell wie noch nie und ließ in ihrem letzten Schein die Schneedecke am Boden und auf den Dächern aufglitzern. Die bunten Lichter der Geschäfte waren nur als winzige und unendlich weit entfernte Punkte wahrzunehmen.
Seufzend wandte Simon sich um. Heute war das erste Weihnachten, bei dem er sich nicht wie ein Fohlen auf die Geschenke freute und einfach glücklich war, mit seinen Lieben zusammen zu sein. Es fehlte einfach ein wesentlicher Teil.
„Essen!", wieherte Skyla in diesem Moment freudig rufend zu ihm hinüber.
Alle versammelten sich am festlich gedeckten Tisch und Mallory füllte die vergoldeten Teller auf. Dicke rote Kerzen brannten und überall standen Schalen voller Plätzchen herum. Lächelnd betrachtete Simon die fröhliche Runde. Er beschloss, die Gedanken an die CD, die er wahrscheinlich sowieso niemals wieder sehen würde, endlich abzulegen und einfach das Weihnachtsfest zu genießen.
Wie erwartet schmeckte der Braten vorzüglich. Natürlich musste der Schecke sogleich eine zweite Portion verlangen. Feivel dagegen hielt sich lieber an den nicht minder schmackhaften Pudding. Irgendwie hatte Skyla es geschafft, dass er gestreift war. Schokolade und Vanille waren nacheinander in eine große Schüssel gegossen worden.
„Wollen wir endlich die Geschenke auspacken?" fragte Mallory schließlich mit Unschuldsmiene, während sie auf ein Paar Traubenstängeln herumkaute.
„Na klar!"
Wie eine Horde Fohlen ließen alle ihr bis gerade eben noch höchst beachtetes Essen stehen und liegen, um zum festlich geschmückten Baum zu stürzen. Nach und nach hatte jeder dort seine Geschenke platziert. Es war ein richtiger Haufen geworden. Große und kleine Päckchen lugten unter den dunkelgrünen Zweigen der Tanne hervor. Das flackernde Licht des Kamins überzog das Schaubild mit einem güldenen Glanz. Glitzerndes Geschenkpapier funkelte mit den silbern glänzenden Sternen um die Wette.
„Wer ist zuerst an der Reihe?", fragte Feivel mit schelmischem Gesichtsausdruck und fixierte eine besonders große Kiste.
Skyla verdrehte daraufhin nur die Augen, ehe die kleine Palominostute zu den Geschenken huschte und zielstrebig nach einem flachen Exemplar griff. Mit einem sanften Lächeln schritt sie auf Simon zu. Erstaunt wich er zurück. Seine Augen wurden groß. Sollte also tatsächlich er zuerst auserwählt werden? Sonst hatten sich immer Mallory oder Feivel vorgedrängelt.
Aber heute war es anders. Eine andächtige Stimmung herrschte, als Skyla das Wort erhob. „Dieses Geschenk ist von uns allen für dich, Simon." Sie reichte es ihm.
Trotz dessen, dass es nur eine unscheinbare Geste ohne viel Schnickschnack zu sein schien, lies es sein Herz höher schlagen. „Danke", stotterte er überrumpelt und blickte in die drei kerzenbeschienenen Gesichter, die ihn erwartungsvoll ansahen. Vorsichtig löste er das Geschenkpapier und zog es bei Seite. Zum Vorschein kam ein hübscher, roter Bilderrahmen. Um das darin eingelassene Photo besser betrachten zu können, hielt Simon es ein Stück von seinen Nüstern weg.
„Nein, das gibt es noch?", hauchte er ungläubig. Tränen standen in seinen Augen. Bei dem Bild handelte es sich doch tatsächlich um das, welches auch in der Hülle seiner CD lag. Das Bild, das am letzten Weihnachten geschossen wurde, an dem seine Oma noch lebte. Alle waren da. Er, sie, seine Eltern und sogar Skyla, Feivel und Mallory. Ein tiefer Stich durchfuhr Simons Brust, als er daran dachte, dass er niemals wieder auf diese Weise neben seiner Oma stehen würde. Sie war tot, für immer.
Ohne wirklich zu realisieren, was er überhaupt tat, ließ Simon das Bild fallen und stürmte nach draußen in die eisige Nacht. Obwohl unter seinen Freunden zuerst Verwirrung herrschte, waren sie klug genug, ihn nicht aufzuhalten. Sie wussten, dass er einfach einen Augenblick für sich brauchte.
Kalte Flocken rieselten auf den pelzigen Rücken des gescheckten Hengstes. In der Einfahrt türmten sich hohe Schneeberge, die stetig zu wachsen schienen. Seine Tränen tropften lautlos zu Boden. Nahezu sofort verwandelten sie sich in kleine Eisperlen und versanken in der weißen Masse. Vor Kälte zitternd zog Simon seinen grünen Schal enger um sich. Doch er nahm kaum wahr, dass er fror. All seine Gedanken hingen bei seiner Oma. Diese Stute hatte ihm in seinem Leben so viel Liebe gegeben und jetzt sollte sie einfach weg sein, nie wieder kehren. Und natürlich hatte er Idiot seinem Freund auch noch indirekt erlaubt, die einzige Erinnerung, die er an sie hatte, auf dem Flohmarkt zu verscherbeln. Schluchzend lehnte er seinen Schädel gegen die Hauswand. Über ihm erzitterten die langen Eiszapfen, die das fahle Mondlicht reflektierten.
Auf ein Mal ertönten hinter ihm knirschende Schritte.
„Hey, Simon", wieherte es gedämpft zu ihm hinüber.
Er wandte sich langsam um und erblickte zu seiner Überraschung einen schwarzen Hengst, der in einen dicken Wintermantel gehüllt war.
„Dr. Baker!", rief Simon aus. Hastig wischte er seine eisigen Tränen weg. „Connor, meine ich..." Zögernd trat er einen Schritt auf den Älteren zu. „Was machst du denn hier?"
Mit geheimnisvoller Miene lächelte der Rappe ihn an. „Ich habe da etwas, das du vielleicht bekommen solltest..." Er kramte in der Tasche seines Umhangs und zog ein kleines, flaches Etwas hervor.
Simon starrte ihn vollkommen überrumpelt an. „Woher...", brachte er stockend hervor.
Noch immer lächelnd reichte Connor ihm die hufbeschriftete CD. „Als ihr mir vor ein paar Tagen erzählt habt, dass du sowas suchst, habe ich mich daran erinnert, wie ich sie damals aus der Fundkiste genommen habe... Und hier bin ich nun."
Vor Freude schnaubend nahm Simon endlich seine Weihnachts-CD entgegen und presste sie an sich. Ein unglaubliches Gefühl des Behagens breitete sich in ihm auf. Alle Trauer war verflogen. Er hatte sie wieder, die CD seiner geliebten Oma.
„Danke...", flüsterte Simon fast schon andächtig und schloss seinen alten Dozenten in eine stürmische Umhalsung.
„„Snow is fallin'
All around me
Children playin'
Having fun
It's the season
Love and understanding
Merry Christmas everyone", klimperte es durch das Haus.
Glücklich wie nie zuvor saßen die fünf Pferde (Connor war natürlich auch eingeladen worden) um den Baum herum, lachten und packten die restlichen Geschenke aus. Simon grinste in die Runde. So war es wohl doch zu einem der schönsten Weihnachtsfeste geworden, die er jemals erlebt hatte.
Im Chor sangen alle lauthals wiehernd mit: „Merry Christmas everyone!"
Kurz schweifte Simons Blick aus dem Fenster in die dunkle Ferne der Nacht hinaus. Er meinte einen einzelnen Stern kurz silbrig aufblitzen zu sehen. Dann sah er hinüber zu all den lieben Pferden, die er um sich hatte. Alle lachten und sangen sie und wahren einfach glücklich beisammen zu sein.
Ein letzter Blick hinauf zu dem erleuchtenden Stern. „Danke Oma..."
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