Ertrunken
Wie mich dieser Vollidiot nur aufregte! Mason, ein drahtiger, blonder Typ aus meiner Klasse. Der Kerl, der dachte, dass er der Stärkste an unserer Schule ist. Aber nur, weil ich meine besondere Fähigkeit noch nicht entdeckt hatte, hieß das noch lange nicht, dass er immer so auf mir rumhacken konnte!
Ich hätte diesem Idioten jetzt bestimmt ordentlich meine Meinung gesagt, doch ganz so einfach war das nicht, wenn man von zwei Jungen gleichzeitig unter Wasser gedrückt wurde. Dem ersten, dem ich meine Meinung heute also sagen würde, war unser Lehrer für Elementbezwingung. Das war unser aktuelles Fach, in dem wir unsere Angst vor den Elementen und allem, was damit zu tun hatte, trainierten. Dazu gehörte natürlich auch das Anhalten der Luft unter Wasser - leider. Ich und Wasser - die reinste Katastrophe! Im Sportbecken sah ich immer aus wie eine betrunkene Ente, da ich vor meiner Zeit an der C-SE , der Cheshire-School für Elementarmagier das Schwimmen nie erlernt hatte. Mein strenger Vater hatte es nicht für nötig gehalten mich zu einem Schwimmkurs zu schicken, seiner Meinung war das bloß Zeitverschwendung. Hätte er vor seinem Tod bei einem Terroranschlag am Bahnhof gewusst, dass er mir das Ganze hier damit erspart hätte, hätte er vielleicht seine Prioritäten anders gesetzt.
So langsam ging mir die Puste aus und ich versuchte, mich aus den festen Griffen meiner Mitschüler zu befreien. Doch ich hatte keine Chance, einer der Typen hatte einen unfassbar festen Griff, während der andere allgemein superstark war. Erdenbezwinger eben. Fast alle dieser Erdmagier an der C-SE waren stark - das lag ihnen wohl einfach im Blut. Ich konnte mir jedenfalls sicher sein, dass ich keine Erdenbezwingerin war. Jeder Grundschüler war stärker als ich. Und bei meinen sechzehn Jahren sollte das schon etwas heißen!
Eine Flutenspringerin - also ein Wassermagier - war ich bei meinem grauenhaften Verhältnis zum Wasser garantiert auch nicht. Da kamen eigentlich nur noch Wind und Feuer in Frage.
Für meine Kräfte wäre es sicher jetzt ein guter Zeitpunkt, sich genau in diesem Moment zu zeigen. Vielleicht hörten dann die anderen auf, mich wegen meiner Kraftlosigkeit so behandeln, als wäre ich ein Stück Dreck. Während ich immer noch verzweifelt versuchte, mich aus den Griffen meiner Mitschüler zu befreien, ging mein Kopf die Wahrscheinlichkeiten für die anderen Elemente durch.
Ein Windbezwinger war ich vielleicht, trotz meiner Höhenangst wies womöglich die Tatsache, schlecht die Luft anhalten zu können, auf das himmlische Element hin.
Zu dem Feuer hatte ich nie eine besondere Bindung gehabt, aber immerhin hasste ich Wasser wie so viele Feuerfänger an dieser Schule, die sich wahrscheinlich gerade auf dem Klo und in den Duschen vor dem Schwimm- und Tauchunterricht drückten.
Mein Kopf versuchte sich gerade an irrsinnigen Wahrscheinlichkeitsrechnungen, als ganz plötzlich die beiden Muskelprotze ihre Griffe lockerten und meinen Kopf für einen Moment über Wasser hielten. Augenblicklich rang ich nach Luft, doch schon bei meinem zweiten Atemzug drücken mich diese Vollidioten wieder unter Wasser.
Ich atmete auf einmal keine Luft mehr sondern Wasser, unter der Oberfläche versuchte ich ein Husten, was nur dazu brachte, dass noch mehr von dem scheußlich nassen Zeug in meine Nase, meinen Mund und meine Augen gelangte.
Es dauerte nicht mehr lange, bis mir schwindelig wurde und mein Kopf unheilvoll dröhnte. Die Geräusche meiner Klassenkameraden, von denen sich kein einziger um mich kümmerte, verschwammen und waren nur noch als undeutliches Rauschen zu hören. Ungehalten schwappte ein Schluck Wasser in mich hinein, ich konnte es nicht mehr verhindern. Ich blinzelte und meine Sicht wurde noch verschwommener, als es in dieser Umgebung üblich war. Mein Puls erfüllte die gespenstische Stille, ich hörte Blut und Wasser in meinen Ohren rauschen. Ich spürte, wie mein Herzschlag langsamer wurde, meine Muskeln erschlafften und meine Sicht allmählich schwarz wurde.
Ein Teil von mir hoffte, dass die Jungs mich noch herausziehen würden, doch der größte Teil von mir hatte schon längst aufgegeben. Mein Körper wurde schwer und ich sank herab. Tief in eine bodenlose Schwärze. Langsamer wurde mein Herz, bis es sich endlich zu Ruhe legte. Ein hohes Piepen erfüllte meine Ohren, danach war es totenstill um mich herum. Und so würde es für immer sein.
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Teil zwei: Funke in der Dunkelheit
Langsam öffnete ich meine Augen. War ich noch am Leben? Hatte mich jemand gerettet und wiederbelebt? Doch alles um mich herum war grenzenlose Schwärze.
Urplötzlich glomm ein Punkt vor mir auf. Nur ein halber Meter vor meiner Brust schwebte ein roter Punkt, der glimmende Funken nach unten sprühte. Aber unten und oben... Was war das schon in dieser Dunkelheit? Hier gab es keine Richtungen, keine Orte, hier war alles alles und alles war nichts.
War der Funke meine Seele? Das Licht? Das Tor zum Himmel? Instinktiv streckte ich meine Hand danach aus, ohne überhaupt zu wissen, ob ich überhaupt noch einen Körper besaß.
Aber ja, ich hatte noch einen. Allerdings war meine Haut dunkelgrau, fast schwarz und ein wenig transparent. Wie ein Geist.
Ein Schauer kroch über meinen Rücken und ich fröstelte.
Hier war es gruselig.
Verdammt gruselig.
Wie hypnotisiert streckte ich meine Finger dem kleinen Punkt entgegen. Vorsichtig, fast zärtlich berührte mein Zeigefinger den winzigen Glühpunkt und ein seichtes, quirliges Geräusch drang daraus hervor. Erschrocken zuckte ich zurück und das Geräusch erklang erneut. Überrascht stellte ich fest, dass es wie eine Art Lachen klang. Der Funke lachte.
Nun flog er auf mich zu, wie eine Sternschnuppe zog er einen leuchtenden Schweif aus kleinen Partikeln hinter sich her.
Diesmal wich ich nicht zurück, sondern ließ zu, wie das geradezu niedliche Ding meine Wange streifte, sie liebkoste. Meine dunkle Haut spiegelte das feurige Glimmen wider und fasziniert beobachtete ich das Fünkchen, das erste, was ich nach meinem eigenartig lächerlichen Tod zu Gesicht bekam. Den Punkt spürte ich kaum auf meiner Haut, lediglich ein wenig Wärme breitete sich in meinem geisterhaften Gesicht aus.
Fünkchen gab erneut sein eigenartiges Lachen von sich und flitzte nach vorne, in die Dunkelheit hinein. Sein helles Licht durchschnitt die Dunkelheit und je weiter es weg war, desto heller wurde sein Leuchten.
Ein Ruck durchfuhr meinen Körper und ich folgte diesem kleinen Wesen.
Keine Ahnung, wie ich es machte, doch ich schwebte. Flog nach vorne, wie von allein. Als hätte ich nie etwas anderes gemacht.
Ich hatte Mühe, mit Fünkchen mitzuhalten. Sein Glimmen war trügerisch, denn je weiter es weg war, desto heller erschien es ihn der Dunkelheit.
Doch nach wenigen Augenblicken - die vielleicht sieben von meinen verstummten Herzschlägen gedauert hätten - hatte ich es erreicht. Aber Fünkchen beschleunigte plötzlich und veränderte sich dabei. Sein Schweif wurde länger, die Partikel zusammenhängender, der Funke verschwand und wich einer Kugel aus weißer Luft. Nun war das kleine Fünkchen nur noch ein Strom aus weiß-gräulicher Luft, der in mordsmäßigem Tempo nach vorne schoss, ein paar Drehungen vollzog und dann auf etwas zusteuerte.
Obwohl das Leuchten des Funkens verschwunden war, war es nicht dunkler geworden. Nun erfüllte ein schummriges Licht die Dunkelheit, doch ich wusste nicht, woher es kam.
In einigen Metern Entfernung kam jetzt eine Art Stab in Sicht, in etwa so lang wie mein Arm bis zum Handgelenk maß. In wilden Kreisen flog das Windband auf den Stab zu, ließ noch einmal sein Lachen erklingen, das jetzt hallender klang, und stoppte auf der Spitze.
Beim Näherkommen erkannte ich, dass sich das ehemalige Fünkchen nicht nur in eine Kugel aus Wasser verwandelt hatte, sondern in eine ganze Flamme aus Wasser, die Tropfen wie Funken um sich spritzte.
Der Stab, auf dem sie saß, war gewundenes, schwarzes Holz, das an einigen Stellen von einem dunklen Lila durchzogen wurde. Wie eine Fackel wirkte er nun, mit dem schwach bläulich glimmenden Feuer aus Wasser an der Spitze.
Vorsichtig schwebte ich näher. Das Lachen erklang erneut, diesmal drang es direkt aus der Flamme und wirkte von seinem Klang auch, als käme es aus dem Wasser. Die Fackel bewegte sich langsam nach oben und sog dabei das Wasser in sich auf. In winzigen blauen Linien schlängelte es sich durch den Stab. Dieser schoss nun mit einer schnellen Bewegung nach unten und das Wasser, dass aus der unteren Spitze kam, verwandelte sich zu Stein. Ein kleiner, steinerner Berg, der Ähnlichkeit mit erstarrter Lava hatte, hielt nun den Stab. Wie ein Altar baute sich der Berg auf und wirkte dabei mit dem verankerten schwarzen Holz in der Spitze fast wie eine etwas andere Version von König Arthurs Schwert Excalibur.
Schnell wich ich zurück und meine ruckartige Bewegung nach hinten ließ meinen geisterhaften Körper mehrere Meter zurückschnellen. Doch der Stab zog mich wie magisch an.
Leises Flüstern erfüllte die Stille, in meinen Ohren klang es wie ein Ruf. Ein Ruf nach mir.
Und ich folgte dem Ruf. Langsam schwebte ich näher, vorsichtig und darauf bedacht, selbst auf die kleinste Bewegungen zu achten. Ich endeckte einen schwarzen Stein an der Spitze des Stabes. In der bodenlosen Schwärze der Umgebung hätte ich ihn fast übersehen. Es handelte sich um einen blanken Onyx, der fein geschliffen in das obere Ende gelassen worden war.
Das Flüstern drang aus diesem Stein und als ich das bemerkte, lachte es wieder. Diesmal klang es fast bedrohlich, doch irgendwie verlockend. Verführerisch. Es zwang mich, den Stab aus dem groben Stein zu ziehen.
Vorsichtig schloss ich meine geisterhaften Hände um das längliche Stück Holz. Es war glatt und kühl, irgendwie angenehm. Mit einem kleinen Ruck und ohne viel Mühe zog ich es heraus. Da ich etwas mehr Widerstand erwartet hatte, schnellten meine Arme ein wenig nach oben.
Einige Augenblicke später begannen plötzlich meine Hände, sich zu verändern. Es fing bei der Handfläche an, dann veränderten sich meine Arme und wie eine Welle zog es sich über meinen ganzen Körper. Als wäre ich der Nachthimmel, zogen sich nun winzige Sternformationen durch meinen Körper und nein, nicht auf meiner Haut - durch mein transparentes Fleisch hindurch. Wenn man das bei Geistern wie mir so sagen konnte. Ich schrak zurück, wollte den Stab fallenlassen, doch wie auf magische Weise konnte ich es nicht. Meine Finger wollten sich nicht davon lösen, wie festgeklebt hingen sie an dem Holz fest.
Je mehr meine Verwandlung fortschritt, desto panischer wurde ich. Ich konnte spüren, wie die Sterne mein Gesicht überzogen und als meine Transformation vollendet war, glomm der Onyx an der Spitze auf. Er sendete ein helles Licht aus und ich verlor - wieder einmal an diesem Tag - mein Bewusstsein. In meinem letzten Augenblick fragte ich mich, ob der Tod mich gleich empfangen würde.
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Teil drei: Runen auf meiner Haut
Blinzelnd kam ich wieder zu Bewusstsein. Instinktiv schnappte ich nach Luft. Doch Fehlanzeige - noch immer befand ich mich im Wasser, das widerlich nach Chlor schmeckte. Aber es machte mir nichts aus. Ich atmete ruhig das Schwimmbadwasser wieder aus und musste nicht einmal husten. Was war wohl geschehen? War das eben alles nur ein verrückter Traum gewesen? Allerdings hatte alles so echt gewirkt! Jeden einzelnen der Sterne auf ihrer Haut hatte ich noch in Erinnerung, ganz anders als in einem Traum. Gerettet hatte mich auch keiner, sonst würde ich jetzt wohl kaum im Wasser.
Schlagartig erinnerte ich mich an die Jungen, die mich unter Wasser gedrückt hatten und wegen denen ich nun bewegungslos am Grund des Beckens trieb. Komischerweise hörte ich ihre Stimmen durch das Wasser sofort, als wäre nicht nur mein Gehör geschärft, sondern das Wasser auch die Geräusche direkt zu mir hintrug.
Von dem einen auf den anderen Moment keimte eine unbändige Wut in mir auf und vevrdrengte alle restlichen Gefühle.
Meine Verwunderung. Weg.
Meine Sorge. Weg.
Meine Verblüffung. Auch weg.
Einzig und allein die Wut regierte meinen Körper und ich stieß mich kraftvoll vom Boden ab. Wie ein Pfeil schoss ich in die Höhe, durch das Wasser, auf direktem Weg zu den Vollidioten. Perfekt und mit der Eleganz einer Katze landete ich auf den nassen Fliesen, ohne auszurutschen oder nur einmal zu wanken.
Augenblicklich verstummten die Typen und blickten mich verblüfft an.
"Aber...", stammelte der Junge mit der Superkraft. "Du warst doch..."
Mason - der Vollidiot - stand ungerührt auf und ging mit festen Schritten auf mich zu.
Genauso wie ich ignorierte er unseren Lehrer, der - wohl um mich zu retten - nur wenige Herzschläge vor meinem Sprung ins Wasser gehechtet war und jetzt halb wütend, halb verwundert und besorgt auf uns zugepaddelt kam.
"Na, was ist?", fragte Mason herausfordernd. "Hast du noch nicht genug?" In jeder anderen Situation hätte es mich gewundert, warum der Kerl plötzlich so versessen auf meinen Tod war, obwohl er mich normalerweise nur schikanierte. Jetzt, wo die Wut mein einziges Gefühl war, war es mir gänzlich egal. Mason wollte mich an der Schulter packen und schubsen, doch kaum hatte seine Hand meine Haut berührt, schreckte er zurück. Ein verbrannter Geruch erfüllte die Luft. Mit schmerzverzerrtem Gesicht und leicht gebeugt hielt der größte Vollidiot der Schule seine Hand und blickte mich an, doch in seinen Augen lag nicht nur Wut, sondern auch Angst.
"Scheiße verdammt!", fluchte er. "Du Schlampe hast mich verbrannt!" Jetzt wurden auch ein paar andere Schüler auf uns aufmerksam. Unbeeindruckt legte ich den Kopf schief und ballte meine rechte Faust, um gegen meine sonst so gewaltfreie Art diesem Typen einen Schlag zu verpassen.
Doch auch seine Kumpel hatten ihre Verwirrung überwundern und sprangen nun auf. Der Kerl mit der Superstärke wollte nun auf mich losgehen, aber er hielt mitten in der Bewegung inne und riss erschrocken die Augen auf. "Was zur Hölle ist das?", entfuhr es ihm. Der andere Junge hatte sich zu ihm gesellt und starrte mit vor Schreck geweiteten Augen meine linke Schulter an, die, an der sich Mason verbrannt hatte. Nun blickte ich auch auf diese Stelle an meinem Oberarm und entdeckte eine violette Rune darauf. Ein Kreis, ein Strich und ein Viereck prangten glühend auf meinem Arm. Die Wut kontrollierte mich und ließ keine Erschrockenheit zu, mein Blick richtete sich wieder nach vorne. Ich spürte mit einem Brennen an beiden Armen, dass sich weitere Runen auf meiner Haut erschienen, sie alle waren unterschiedlich, doch die Muster an beiden Seiten war gleich.
Den Schreckmoment ausnutzend trat ich Mason in den Bauch und erkannte, dass auch dort Runen erschienen. Mason krümmte sich vor der ungewöhnlichen Wucht meines Schlags und ging zu Boden, mit einem Schlag in die Seite kullterte auch sein einer Kumpel in eine Gruppe meiner Mitschüler.
Der Typ mit der Superstärke holte nun selber zum Schlag aus, doch als er mich berührte, verbrannte seine Haut wie die von Mason. Der Schlag an sich versetzte mich nur in kurzen Taumel, auch wenn der Kerl angeblich zehnmal so stark sein soll, wie andere seines Alters. Ohne darüber nachzudenken, packte ich ihn am Hals und schleuderte ihn mit aller Kraft auf die harten Fliesen. Regungslos blieb er liegen, eine Blutlache breitete auf dem Boden aus.
Die übrigen Schüler schrien auf, ein Erdenbezwinger mit heilenden Kräften stürzte auf den verletzten Typen zu.
Das Blut kümmerte mich nicht, die Schreie aller anderen auch nicht, Gleichgültigkeit und Kälte hatten den Platz meiner Menschlichkeit und meines Mitgefühls eingenommen und die Wut verdrängte alles andere. Ich hatte keine Ahnung, was mir in der Trance passiert war, was der Onyx mit mir gemacht hatte oder ob ich tot war oder lebte. Doch was ich machte, fühlte sich gut an. Irgendwie erfüllend und befriedigend.
Die Schritte und das erschrockene Keuchen meines Lehrers hörte ich noch, bevor er mich packen konnte. Blitzschnell fuhr ich herum und beförderte ihn zurück ins Wasser, ehe er es überhaupt merkte. Das war der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Mehrere Windbändiger und Flutenspringer liefen auf mich zu - sowohl über die rutschigen Fliesen als auch übers Wasser.
Auf einmal drang aus den Runen an meinen Armen und Beinen ein seltsamer schwarzer Nebel, in dem eigenartige, schwarze Partikel umhertrieben. Er wirbelte bedrohlich auf meine Mitschüler zu. Diejenigen, die diesen Rauch einatmeten, krümmten sich und sanken bewusstlos zu Boden.
In einem raschen Slalom umrundete ich die auf den Fliesen liegenden Jugendlichen, ohne zu wissen, ob sie noch lebten. Es kümmerte mich auch nicht.
Alle anderen wichen mir auf meinem Weg aus, keiner wollte mich mehr angreifen. Der Rauch breitete sich ungehindert aus und streckte seine nebligen Finger nach allem Lebenden aus. Nach und nach verloren immer mehr ihr Bewusstsein. Einige Flutenspringer retteten sich unter Wasser, doch der Rauch kam auch dorthin und setzte auch sie außer Gefecht. Als ich bei dem Gang, der zu den Duschen führte, ankam, stand keiner mehr auf seinen Füßen. Die Schreie schwanden nach und nach, bis sie endgültig verstummt waren.
Allmählich ebbte meine Wut ab. Mein Auftrag war erfüllt, ich hatte meine Rache bekommen. Sogar noch mehr, als ich eigentlich wollte. Aber die anderen Schüler hatten mich nie aktzeptiert und mich nur verachtet, dafür hatten sie gebüßt.
Meine Wut machte Platz für Neugierde, Neugierde über mein Aussehen und meine entfachten Kräfte. Ich stapfte durch den Gang zu den Duschen und machte mir dabei keine Mühe leise zu bleiben - auch wenn etwas in mir sagte, dass ich mich lautlos fortbewegen könnte.
Leise hörte ich die Stimmen einiger Feuerfänger, die sich in den Duschen aufgehalten hatten. Ich verschwendete nur einen kurzen, verachteten Gedanken über ihren törichten Fehler, sich nicht aus dem Staub zu machen.
Als sie meine Schritte hörten, hielten meine Mitschüler - ungefähr fünf Mädchen - klugerweise den Mund. Doch das brachte nichts, ich hörte sie trotzdem. Ihren schnellen, unruhigen Atem, ihre Herzen, die das Blut aufgeregt und ängstlich durch ihre Adern pumpten.
So viel Angst spürte ich....Es gefiel mir. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen trat ich in die Mädchenduschen und entdeckte tatsächlich fünf Mädchen, die ängstlich in den Ecken hockten. Links zwei, rechts drei, ich kannte alle von ihnen mit Namen. Ella und Bella, die schwarzhaarigen Feuerfinger-Zwillinge; Sophie, eine zierliche blonde Windbändigerin; Jasmin und Marisa, ebenfalls Feuerfinger und die besten Freundinnen. Ich ließ mir erst einmal nichts anmerken und ging zu der Dusche, die in der viereckigen Gruppendusche ganz hinten in der Mitte war. Nur einen Moment nachdem ich eingetreten war, hatte ich nämlich bemerkt, dass der Rauch aufgehört hatte und meine Runen verblasst waren, sie waren mit der Wut verschwunden. Nur als feine Linien, wie Narben, schienen sie auf meiner Haut und an den beruhigteren Blicken meiner Mitschülerinnen erkannte ich, dass sie sie nicht gesehen hatten. Zeit für ein kleines Schauspiel.
Unschuldig richtete ich meinen Blick zu den Mädchen und ließ mich an die Wand sinken. Derweil standen die anderen auf und durchbohrten mich mit fragend-ängstlichen Blicken.
"Weißt du, was das war?", fragte Jasmin - sonst eine Zicke durch und durch - mit dünner Stimme. "Warum haben sie geschrien?"
"Geht es dir gut?", fragte mich nun Bella, ein immer freundliches und hilfsbereites Mädchen. Sie und ihr Zwilling gehörten zu den wenigen Leuten, die mich nicht verachteten. Irgendwie schade, dass auch sie leiden musste. Ich rümpfte die Nase. "Alles gut", antwortete ich ihr und wandte mich Jasmin zu. Dieses Miststück hatte ich noch nie leiden können. "Weiß auch nicht, was die haben", entgegnete ich ihrer Frage und richtete mein Blick auf meine Hände, die ich auf meine angewinkelten Knie gelegt hatte. Mit meinem Daumen drückte ich meinen Zeigefinger herunter, sodass er knackste. Ich wiederholte es mit allen Fingern an dieser Hand
"Ich gebe euch fünf Sekunden", sagte ich auf einmal und die Mädchen, die gerade stumm nach draußen gespät hatten, um die Lage zu peilen, zuckten zusammen. Fünf Augenpaare richteten sich erschrocken auf mich.
Die Wut floss wieder durch meine Adern und ließen die Runen auf meiner Haut erscheinen.
Ich hörte eins der Mädchen schlucken, als sie ihre verhängnisvolle Lage begriff. "Du warst das!", entfuhr es Marisa.
"Fünf...", erwiederte ich unbeeindruckt und knackte mit dem Zeigefinger meiner anderen Hand.
"Du hast sie zum Schreien gebracht!"
"Vier..." Ich ignorierte sie und knackste mit dem Mittelfinger.
Nun ging Marisa auf mich los. Ihre Hand wirbelte kurz und sie schleuderte einen flammenden Strahl zu mir. Ich hob geistesgegenwärtig die Hand und fing zu der Verblüffung meines inneren Bewusstseins - das im Moment von der neuen Seite kontrolliert wurde - das Feuer und schleuderte es zurück zu seinem Absender. Marisa wich aus, der Feuerschweif hinterließ einen schwarzen Abdruck in der Wand.
Eigenartigerweise flüchteten die Mädchen nicht. Vielleicht vor Schreck erstarrt oder so.
"Drei..." Nun war Sophie es, die mich angriff. Ein Blitzstrahl kam ihren nackten Arm heruntergekrochen und schoss knisternd auf mich zu. Auch diesen fing ich locker ab. Diesmal ging er zurück zu Jasmin, die hatte im Gegensatz zu der verträumten und absolut unschuldigen Sophie noch etwas Derartiges verdient.
"Zwei..." Ich knackste mit dem kleinen Finger. Ich erhob mich. Die Runen pulsierten erwartungsvoll auf meiner Haut und einige meiner Gegenüber wichen langsam nach hinten, anscheinend kam endlich wieder Leben in ihre Glieder.
"Eins..." Ich drehte meinen Hals und es knackte. Bella floh. Der Rauch drang aus den leuchtenden Zeichen und schwebte auf Ella, Jasmin, Marisa und Sophie zu.
"Null..." Ich lächelte. "Lauft."
Jasmin entfuhr ein gellender Schrei. Der Rauch richtete sich zu ihr und eine gewaltige Wolke umhüllte sie. Mit lautlosen Schritten ging ich näher zu ihr. Überall kam der Rauch aus meinem Körper und er labte nach dem hilflosen Mädchen, dass zusammengekauert, vor Schmerzen schreiend und weinend auf den harten Fliesen saß. Ich spürte Jasmins Leid und während der bewusste Teil von mir dagegen anschrie und so etwas nicht tun würde, war der pechschwarze Teil ganz in seinem Element.
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Teil vier: Gut und Böse
Die anderen begannen um ihr Leben zu laufen, doch ich musste lediglich meine Hand heben und ein Teil des Rauchs richtete sich auf sie aus. Nur geleitet von ihren wild pochenden Herzen und den ängstlichen Schreien ihrer Seelen erreichte er sie augenblicklich. Ella und Sophie blieben bei den Duschen liegen, Marisa brach in dem Gang zu den Umkleiden zusammen.
Nach einigen Sekunden ließ ich von Jasmin ab. Gebrochen und mit tränenüberströmten Gesicht lag das Mädchen da, fast wie tot. Das Schlagen ihres Herzens hörte ich kaum, doch es war da. Eigenartigerweise zog sich eine Blutspur quer über ihre Seite. Ich hatte keine Ahnung, ob, wie oder warum ich das getan hatte, doch es kümmerte den schwarzen Teil von mir nicht, also ging ich aus der Gruppendusche zu den Toiletten, wo ein breiter Spiegel hing, in dem ich mich betrachten konnte.
Meine schwarzen Haare hatten sich nicht verändert, auch sonst nichts an meinem bleichen, schmalen Körper und den dunkelbraunen Augen, von den Runen mal abgesehen. Aber warte mal! Ich ließ den Rauch erneut aus den Malen dringen und meine Augen leuchteten plötzlich blutrot auf. Ein eigenartiger Kontrast zu den violetten Runen. Diese wollte ich nun genauer betrachten.
Von meinen Oberarmen bis zu meinen Handgelenken zogen sich die Zeichen, auf jeder Seite waren sie gleich. Die meisten setzten sich aus einem Kreis, Viereck, Dreieck oder einer anderen Form; einem Strich und einem individuellen Symbol zusammen. Auf beiden Armen war die Anordnung der Runen gleich, ebenso bei meinen Beinen. Auch hier waren die Runen außen. Selbst meine Hände trugen solche Zeichen. Ein Rechteck, dessen kurze Seite zu meinem Handgelenk zeigte, zierte meinen Handrücken. Es war gefüllt von einem gewundenem Muster, das mich ein wenig an das Rauschen eines Fernsehers erinnerte, der keinSignal empfangen konnte. Meinen Fußrücken zierte dasselbe Zeichen. Auf meinen Fingern - den Mittelfinger ausgenommen - waren Dreiecke zu sehen, deren Spitzen nach unten zeigten. Sie trugen das gleiche Muster, wie auch das Rechteck. Auf meinem Mittelfinger zeigte sich ein Kreis mit ebendieser Füllung. Um meine Mittleren Fingerknochen des Zeige und Ringfingers zog sich ein gepunkteter Kreis, der auf dem Mittelfinger war eine durchgehende Linie, auf meinem kleinen Finger waren es zwei gezackte. Winzige Rauten zierten die Stellen unter den Nägeln. Auf meinen Handflächen prangte ein großer Kreis.
Irgendwie sah es hübsch aus, fand ich.
Zum Glück sahen meine Zehen nicht auch so aus, sie zierten keine Runen, nur um den großen Zeh schlangen sich zwei Ringe. Im Spiegel betrachtete ich mein Gesicht. Auch das war nicht verschont geblieben. Ein Sichelmond hatte sich zwischen meinen Augenbrauen gebildet und auf meiner Stirn zeigte sich eine Raute, die mit dem Muster wie auch auf meinen Händen gefüllt war. Über meiner linken Augenbraue saßen vier leuchtende Punkte. Ein schmaler Strich lief von der einen Gesichtshälfte zur anderen über mein Nasenbein. Irgendwie erinnerte es mich an eine Elfe. Eine tödliche Elfe. Vorsichtig schaute ich nach, ob an meinem Oberkörper Runen zu sehen waren, aber abgesehen von der Raute, die meine Stirn schmückte und auch auf meiner Brust gebrannt war, war nichts zu sehen. Zum Glück. An meinem Rücken allerdings entdeckte ich noch eine ganze Reihe breiter Runen und musste schlucken. Doch irgendwie sah ich hübsch aus, wirklich wie eine Art Elfe.
Seufzend beugte ich mich über das Waschbecken und ließ die Runen verblassen. Jetzt war ich nur noch irgendein schwarzhaariges Mädchen, kein Monster, dass gerade fast gestorben wäre und knapp zwanzig Schüler bewusstlos gezaubert hatte. Mit einer Macht, die sich keinem Element zuordnen ließ und doch alle Elemente beherrschte. Unter Wasser hatte ich atmen können, Wind und Feuer zurückschlagen können und mit unglaublicher Kraft einen der stärksten Typen der Schule zu Boden geschleudert. Fassungslos vergrub ich meine Hände in meinen Haaren und blickte geschockt aus der Tür hinaus, wo ich Ellas leblosen Körper sah. Die Wut war fast ganz verschwunden und mein eigentliches Ich kam wieder zutage. Die Fassungslosigkeit über mein sadistisches Verhalten überwältigte mich. Nur mit Mühe konnte ich die Tränen zurückhalten. Mit Erschrecken stellte ich fest, dass sich die Stimme in meinem Kopf zweigeteilt hatte. Die dunkle Stimme der Alisha, die vor einer Minute noch mit den Fingern geknackst hatte, flüsterte böse : "Das ist dein richtiges Ich. Hab nur Vertrauen. Wir werden hier verschwinden!"
Doch die helle, gute Stimme meiner Moral widersprach: "Nein, so ein Mensch bist du nicht! Du bringst keine Menschen um. Das ist falsch und unmenschlich!"
Aber ich merkte schon selbst, wie dünn und gebrechlich die gute Stimme klang. Heuchlerisch. Als wolle sie leugnen, dass ich wirklich so war!
Verdammt! Da hatte die dunkle Alisha in mir gesprochen. Ich fühlte mich wie zwischen den Fronten. Wusste nicht, ob das Gute richtig war und das Böse falsch oder umgekehrt. Die dunkle Stimme klang verlockend. Ich wollte es. Böse sein.
Aber was redete ich denn da? Ich war nur irgendein Mädchen aus einem Ort in der Nähe von Oxford. Nichts mit böse!
Mein innerer Konflikt wurde von schnellen Schritten im Gang unterbrochen und ich fuhr herum. Mit einem fast triumphierenden Lachen breitete sich die böse Welle in mir aus und die Runen leuchteten auf.
Als aber die Schulleiteren höchstpersönlich vor der Tür stand, war ich überrascht. Mit ihren hochgesteckten, schwarzen Haaren, dem dunkelblauen Blazer, Jeans und schwarzen Stiefeletten passte sie gar nicht in eine Schwimmbaddusche.
Trotzdem dauerte es nur einen Moment, bis der Rauch hervortrat. Die Schulleiterin fuhr herum, sah mich, riss die Augen auf und dann die Hand nach vorne. Erst dachte ich, sie wolle mich angreifen, aber dann erkenne ich den violett leuchtenden Ring auf ihrer Handfläche. Ein Ring wie meiner! Die Schulleiterin war wie ich!
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Teil fünf: Nicht allein
Seite an Seite gingen die Schulleiterin und ich durch den langen Flur bei den Schränken. Hinter einer Biegung entdeckte ich Bella, bewusstlos lehnte sie an einem der Schließfächer. Ich warf meiner Schulleiterin einen überraschten Blick zu. "Waren Sie das?"
Die Frau mittleren Alters nickte.
"Du bist nicht die Einzige mit diesem außergewöhnlichen Talent", meinte sie und zog mich in eine Umkleide.
In meinem Kopf sammelten sich unzählige Fragen, die der dunkle Teil von mir zurückhielt.
"Was machen wir hier?", fragte ich misstrauisch, die einzige Frage, die beide Seiten meines gespaltenen Ichs zuließ.
"Gib mir deinen Arm", forderte meine Schulleiterin, doch instinktiv zuckte ich zurück.
"Vertrau mir. Ich bin die Einzige, die dir helfen kann."
Ein gutes Argument, fand der normale Teil von mir. Und zum höllischen Protest der anderen Seite hielt ich ihr den Arm hin.
"Nicht erschrecken", warnte mich die Schulleiterin - die übrigens Ms Blackwood hieß - und umfasste mein Handgelenk. Ich stellte fest, dass ihre Hände eiskalt waren und begriff, warum sie den Leuten nie die Hand gab. Nicht, weil sie irgendeinen Hygiene-Tick hatte, wie viele vermuteten, sondern weil sie anders war. Die Tatsache, dass sie vor der Schule auch noch nie ihre Fähigkeit gezeigt hatte, erklärte sich nun ebenfalls von selbst.
Gegen meinen Willen wich ich zurück, als sich die Augen von Ms Blackwood plötzlich blutrot verfärbten, sie ihren Mund öffnete und ihre Eckzähne wuchsen. Nur ein dumpfer Schmerz machte sich in dem Moment, in dem sie ihre Zähne in meine Haut grub, bemerkbar.
Dunkles Blut quoll aus der Wunde hervor.
Ms Blackwood ließ mich los, mein Blut tropfte von ihren Zähnen, die nun langsam wieder schrumpften. Sie wühlte in ihrer Handtasche, die sie anscheinend in dieser Umkleide deponiert hatte, und holte etwas heraus, das Ähnlichkeit mit einem kleinen Reazenzglas hatte. Es war mit einer Gerätschaft verschlossen, die nach einer Mischung aus Pipette und Spritze aussah. Mit diesem Ding stocherte meine Schulleiterin nun in meiner Wunde herum und sog es mit meinem Blut voll.
"Sind wir jetzt auch noch Vampire?", fragte meine dunkle Seite trocken. "Wofür nehmen Sie mir Blut ab?", drang der normale Teil sich nach außen.
"Ich sehe, in deinem Kopf herrschen einige Unstimmigkeiten", stellte Ms Blackwood fest und fülte mein Blut in das Reagenzglas um. Sie schien zu prüfen, ob das ausreichte.
"Das ist ganz normal."
"Vampire sind wir nicht, wir können uns lediglich in mehrere solcher mythischen Kreaturen verwandeln. Das ist manchmal ganz nützlich." Sie schloss ihre Tasche und hängte sie sich um. "Die Opfer deines Schwarzrauchs erwachen nach fünfzehn Stunden von allein, aber unter Höllenqualen. Danach sind sie tagelang paranoid und nicht bei Sinnen. Das Blut von demjenigen, der ihre Seele stillgelegt hat, heilt sie wieder. So sparen wir beide nur unnötigen Ärger."
Sie öffnete die Türder Umkleide und fügte hinzu: "Ich werde diesen kleinen Unfall kurz beseitigen, in der Zwischenzeit ziehst du dich um und gehst in mein Büro. Wir treffen uns dort ."
Ich nickte und ging stumm zu meinem Schrank, in dem sich meine Sachen befanden. Bella lag noch immer am Boden, Ms Blackwood kniete neben ihr und flößte ihr einen Tropfen von meinem Blut ein. Dann hob sie das Mädchen mit Leichtigkeit hoch und trug es zum Sportbecken zurück.
Ich schluckte. Die dunkle Seite zog sich immer weiter zuück, es ging mir immer mieser.
Kurze Zeit später hastete ich durch die Flure zu der Schulleitung. Dem Hausmeistser, der wissen wollte, warum ich nicht im Unterricht war, sagte ich nur, dass ich Mist gebaut habe und jetzt zur Schulleiterin müsste. Er ließ mich ohne Weiteres gehen und erleichtert atmete ich aus. Ich hätte es nicht ertragen, noch jemandem an diesem Tag seine Seele stillzulegen. So merkwürdig wie das auch klang.
Bald erreichte ich die hölzerne Tür, auf der in goldenen Buchstaben Principal stand. Als ich in den Vorraum trat, empfing mich die etwas ältere Sekretärin. Sie hatte kurze rötliche Locken, Lachfältchen um die hellen Augen und eine eher rundliche Statur.
"Sie wartet schon auf dich", verkündete mir die Frau, die von ihrem Aussehen her eher in die Rolle der Schulleiterin gepasst hätte. Mit einem Lächeln wies sie mich zu der zweiten Tür, die links hinter ihrem Schreibtisch war. Als ich schüchtern zurücklächelte, sah ich zwar die herzliche Wärme einer Frau wie unserer Sekretärin in ihren Augen, doch auch Angst.
Ich schaute schnell weg und wusste sofort, dass diese Frau über mich Bescheid wusste. Krampfkaft schloss ich meine Finger fester um die Träger meines Rucksacks und ging ohne einen weiteren Blick in den Raum.
Ms Blackwood lehnte bereits mit verschränkten Armen an ihrem Schreibtisch und wies auf einen Stuhl, als ich durch die Tür platzte.
"Setz dich", wies sie mich an und wortlos stellte ich meine Tasche daneben ab und setzte mich.
"Wie sind Sie so schnell hergekommen?", war die erste Frage, die aus mir herauskam. Sicherlich nicht die wichtigste, aber immerhin ein Anfang.
"Teleportation", gab sie knapp zur Antwort.
"Wie viele Kräfte haben wir denn?", fragte ich neugierig. "Anscheinend kann ich alle vier Elemente kontrollieren und dann auch noch diesen Rauch"
"Immer langsam", bremste mich Ms Blackwood, stieß sich von der Tischkante ab und ging um den Tisch herum. Aus einer Schublade holte sie etwas, das wie eine Art Brosche oder Anstecker aussah. Beim näheren Hingucken erkannte ich das Schulwappen darauf: Ein vierzackiger Stern auf schwarzem Grund. Jede Zacke hatte eine andere Farbe:
Oben Rot für Feuer. Unten Blau für Wasser. Rechts grün für Erde. Und links weiß für Wind.
Die kurze Schreibweise unserer Schule war von links, nach oben, bis rechts in die Zacken eingraviert. In dem weißen war ein C, in dem roten ein S und in dem grünen ein E. Nur das blaue blieb frei.
"Siehst du den Stern?", fragte mich meine Schulleiterin. Ihr Finger wanderte am Rand des runden Wappens entlang. "Der Stern, dass sind die Elemente. Das Schwarz um ihn herum hüllt ihn ein. Der Stern liegt mitten in dem Schwarz, er ist von ihm eingeschlossen. Und das Schwarz - tja, dass sind wir. Unser Element ist Schwarz. Schatten, die Dunkelheit, wie auch immer du es nennen willst."
Meine Augen waren groß geworden. Mein eigenes Element war sogar auf dem Wappen zu sehen, ohne dass es je jemand bemerkt hatte!
"Schwarz umschließt die anderen Elemente, daher haben wir Schwarzmagier oder Runenmagier auch alle Elemente, sogar in stärkerer Form. Runenmagier ist für mich übrigens der bessere Name, immerhin haben wir nicht viel mit schwarzer Magie zu tun."
Ich nickte. "Aber was ist überhaupt heute passiert? Ich war in so einer Dunkelheit, da war ein Funke, ein Stab und ein Edelstein...", versuchte ich meine Trance zu erklären.
Ms Blackwood seufzte. "Jetzt kommen wir zu dem eher unschönen Teil. Der Grund, warum du deine Kraft nicht von Geburt an hast, kommt weil das Schwarze Element nur durch zwei Wege ausgelöst werden kann: Entweder man bringt jemanden um oder man wird umgebracht."
Ich sog scharf die Luft ein. "Die Jungs wollten mich umbringen!?", entfuhr es mir und ich sprang auf. Doch ein Teil von mir fand diese Aussage heuchlerisch und naiv. So als wäre das nicht schlimm. Als hätte das Leben eines Menschen keine Bedeutung mehr. Nicht mal mein eigenes.
Sie haben dich unter Wasser gedrückt und dich dann im Stich gelassen. Was glaubst du, was sie vorhatten?, fauchte meine böse Stimme.
"Da kann ich dich beruhigen - gewissermaßen", behauptete Ms Blackwood. "Ich habe die Jungs dazu angestiftet, beziehungsweise habe ihre Gedanken manipuliert."
Noch eine Kraft! "Aber wieso?", fragte ich. Meine Blackwood schüttelte den Kopf.
"Eins nach dem anderen. Ich war noch nicht fertig. Deine Bösartigkeit hängt von der Stärke und dem Willen dich zu töten ab, den dein Mörder verspürt. Je brutaler und gewollter dein Tod, desto bösartiger wird die andere Seite von dir. Da die Jungs deinen Tod nicht wirklich wollten, bist du auch nicht so böse. Da wir gerade von Gedankenmanipulation sprechen: Die Kräfte."
Fast feierlich breitete Ms Blackwood ihre Arme aus und ließ sich auf ihren Ledersessel fallen. Ohne zu beachten, dass das alles viel zu schnell ging und sie alle Fakten einfach im Raum stehenließ, fuhr sie fort:
"Wir haben unzählige. Buchstäblich. In keinem Buch über Runenmagier ist jede einzelne Kraft von ihnen aufgelistet. Im Laufe deines Lebens wirst du viele von ihnen entdecken, manche sofort, andere später, einige wahrscheinlich nie. Fangen wir doch einfach mit ein paar grundlegenden an: Uns stehen alle Elementarfähigkeiten zur Verfügung, alle mindestens doppelt so stark wie die der normalen Elementarmagier. Außerdem Teleportation, Telepathie, Gedankenmanipulation, Telekinese, Phasenverschiebung - also durch Wände gehen - Unsichtbarkeit, Hypergeschwindigkeit, übermenschliche Reflexe. Auch so etwas praktisches wie schnelle Zellregenerierung."
Mit einem Zwinkern wies sie auf meinen Arm. Mit Überraschung stellte ich fest, dass die Bisswunde komplett verheilt war. Nicht mal eine Narbe war zu sehen!
"Toll, nicht?" Die Schulleiterin lachte hell. "Gerne zeige ich dir ein paar von meinen Kräften, doch jeder von uns hat seine eigene Art, nicht alle Kräfte lernen wir gleich und zur selben Zeit."
"Aber warum sind wir denn so böse?", fragte ich verwirrt. "Mit so vielen Kräften könnte man doch viel Gutes bewirken."
Heuchler, flüsterte die dunkle Stimme. Zur Abwechslung ignorierte ich sie.
"Leider geht das nicht", meinte meine Gegenüber bedauernd. "Runenmagier können ihre Kräfte entweder zu ihrem eigenen Nutzen verwenden oder um anderen zu schaden. Zwar kann man mit der Zeit lernen, dieses Gesetz geschickt zu umgehen, aber Helden werden wir nie sein können." Sie seufzte.
"Aber warum?", wiederholte ich. "Warum sind wir so?"
"Weil wir die Jäger sind." Mein Herz setzte einen Schlag lang aus.
"Die Jäger nach den Elementarmagiern."
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