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Der restliche Tag verging wie im Flug. Bis in der sechsten Unterrichtsstunde Frau Tatja uns über unsere Reise nach Frankreich aufklärte. In diesem Moment wurde mir wieder schlagartig bewusst, dass wir morgen nach Frankreich fahren würden. Ich hatte es vergessen und deshalb hatte ich meinen Eltern nichts gesagt. Jetzt allerdings würden sie ausrasten, wenn ich es ihnen beichte. Das Geld für die Fahrt hatten sie aber schon bezahlt. Sie haben nur nicht nachgefragt, wofür das Geld war. Natürlich konnten sie dann nicht wissen, dass meine Klassenfahrt bald stattfindet. Ich musste es ihnen heute wirklich sagen. Eigentlich freute ich mich schon sehr darauf, ich hatte es einfach nur vergessen. In dieser Stunde hörte ich nur zu, was meine Klassenkameraden und meine Lehrerin sagten. Ich schrieb alles innerlich auf, um es meinen Eltern später zu erklären. Dann war die Schule endlich zu Ende und wir durften nach Hause gehen.
Alisa redete den ganzen Weg bis zu den Fahrrädern über nichts anderes als diese Klassenfahrt nach Paris, wie Alisa sie nannte, die Stadt der Liebe und der Lichter. Als wir endlich angekommen waren, verabschiedete sie sich und fuhr los.
Den restlichen Weg bis nach Hause war es still. Ich war die ganze Zeit in Gedanken. Da ich nicht wusste, wie ich es meinen Eltern erzählen soll. Dabei bemerkte ich nicht, wie aus den leichten Nieseln, ein Sturm wurde.
Erst als der erste Blitz den Himmel erhellte, schreckte ich auf. Es war, als würde er mich warnen wollen. Ich wusste nur nicht vor was. In diesem Moment war ich Zuhause angekommen.
Ich öffnete die Tür. Es war alles still, das Einzige, was ich hörte, war die waschende Spülmaschine.
War denn noch niemand hier? Wo waren meine Eltern? Eigentlich sollten beide jetzt schon hier sein. Ich durchsuchte jeden Raum im unteren Stock des Hauses. Nichts. Ich ging die schmale zirkulierende Treppe nach oben. Überall hingen Bilder von mir und meiner Familie, die ich heute mal nicht beachtete. Oben angekommen, suchte ich auch dort nach meinen Eltern. Nichts. Langsam fing ich an, mir Sorgen zu machen. Wo waren meine Eltern? Allmählich spürte ich wie die Tränen anfingen sich zu bilden. Es gab nur noch einen Raum, wo ich noch nicht gewesen war. Das Elternzimmer. Ich ging geradewegs auf die Tür zu. Als ich angekommen war, griff ich nach den Türknauf. Ein Blitz. Ich erschreckte mich zwar, doch ich drückte den Türknauf runter. Ich öffnete langsam die Tür. Ich hörte ein Weinen aus dem Zimmer. Ich schaute mich um. Langsam wagte ich den Schritt ins Zimmer. Ein weiterer Blitz. Ich ging zu der Stelle, wo ich dachte, dass da das Heulen herkommt. Ich ging hinter das Bett und sah meine Mutter zusammengesunken auf dem Boden weinen. Ein Blitz, den ich nicht beachtete.
,, Mom? Alles okay? ", fragte ich mit zitternder Stimme. ,, Lira...ich muss...dir etwas sagen...", wisperte sie mit bebender Stimme, die noch einen Nachklang vom Weinen hatte. Sie sprach weiter:,, Dein Vater...er...er hat mich...verlassen.". ,,WAS!?" schrie ich ungezügelt. Nun konnte ich die Tränen nicht mehr zurück halten. ,,Warum...?!" fragte ich weinend. ,,Wir...hatten einen Streit...wegen...deiner Schule. Dein Vater...hat gesagt...dass...er...wieder... zurück nach...England...fliegen will." antwortete sie weinend und zugleich so, als ob sie keine Gefühle hätte. Denn sie hatte sich in die Finsternis, den sicheren Ort in ihrem Inneren, zurückgezogen. Dort gab es keine Gefühle, also auch keine Schmerzen. Ich wollte mich auch dort auch zurückziehen, aber ich war viel zu aufgewühlt dafür. ,,Warum habt ihr wegen meiner Schule gestritten",fragte ich behutsam und mitleidend. ,,Er...meinte die Schule wäre nicht gut genug für dich und er...würde die Schule in England besser finden, denn dort würdest du mehr wertgeschätzt werden. Ich...war dagegen, da es dir hier gefällt und du tolle Freunde hast. Außerdem habe ich gesagt, dass die Schule hier, doch mindestens genauso gut ist. Das hat ihn so verärgert, dass er mich angeschrien hat und gesagt hat, dass er zurück nach England zu seinen Eltern fahren will", sagte meine Mutter trocken, ohne jegliche Emotionen. Ich konnte es nicht glauben. Er hatte meine Mutter, die er liebte, verlassen, nur wegen meiner Schule. Das konnte einfach nicht sein. Plötzlich konnte ich nicht mehr stehen, mir fehlte die Kraft. Ich rutschte auf dem Boden neben meiner Mutter. Mein Kopf zerbrach. Ich wollte einfach nichts fühlen, aber dennoch kamen die Tränen. Ein Schrei wollte aus mir ausbrechen. Es war so, so schwer ihn nicht rauszulassen. Ich weinte die ganze Zeit, ich konnte einfach nicht aufhören, selbst das Gewitter hörte ich nicht mehr. Irgendwann stand dann meine Mutter auf und sagte genauso trocken wie davor, dass sie jetzt anfangen wollte, Frühstück zu machen. Ich erwiderte nichts. Ich hörte nichts. Ich spürte nichts. Jedes Gefühl war eingesperrt in der Finsternis. In mir war es genauso kalt, wie die Temperatur an einem, der kältesten Tage im Jahr.
Dann nach etwa ein paar Stunden - ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren - sagte meine Mutter, ich solle mich für die Schule fertig machen. Langsam ohne Kraft versuchte ich aufzustehen. Was mir beim ersten Mal nicht gelang, da mein ganzer Körper taub war. Beim zweiten oder dritten Versuch gelang es mir dann endlich und ich begab mich in mein Zimmer. Ich ging zum Kleiderschrank und nahm einfach jedes Kleidungsstück, was ich in die Finger bekommen konnte. Danach setzte ich mich auf den Boden und zog alles an, was mein Outfit vollendete. Dabei schaute ich aus dem Fenster. Das Gewitter hatte sich schon längst verzogen, dafür schien jetzt die grässliche Sonne. Wieso musste sie ausgerechnet jetzt scheinen? Mir wäre Regen viel lieber gewesen, es hätte perfekt zu meinem nicht mehr existierenden Gefühlen gepasst. Ich starrte weiter das Wetter an, als könnte ich nur mit meinen Gedanken es dazu bringen, es regnen zu lassen. Nichts. Ich seufzte innerlich. Alle Gefühle, die ich eingesperrt hatte, überschwemmten mich. Nicht weinen, nicht weinen, sagte ich mir. Ganz ruhig. Ich atmete tief durch. Am Besten sollte ich keine Gedanken daran verschwenden. Dann ging ich runter zum Frühstück. Meine Mama hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich anzuziehen und so saß sie im Schlafanzug am Küchenschrank und aß ihr unbeschmiertes und ungetoastetes Toast. Mir hatte sie auf den Tisch ebenfalls ein Toast hingelegt. Ich setzte mich und fing an zu essen. Ich ignorierte die Stille, die sich wie ein Unheil über uns gelegt hatte. Eigentlich wollte ich sie nicht brechen, da sie so befriedigend war, aber ich musste es tun. ,,Mum..." ,wollte ich ein Gespräch anfangen. Sie schaute mich lustlos an. Es sah aus, als würde sie gleich wieder anfangen zu Weinen. Dann probierte sie nett klingend zu sagen: ,, Ja,...mein Schatz?". ,, Wir machen heute...eine Klassenfahrt nach Paris. " sprach ich zögernd. ,,Ohhh...dann musst du noch Sachen packen " ,erwiderte meine Mutter so, dass ich fasst dachte, dass sie mir nicht zugehört hätte. ,, Ich wollte auch gleich anfangen, da ich heute zum Glück erst 9:00 Uhr in der Schule sein muss und ich somit noch etwa eine Stunde zum Packen habe. Gestern ging es ja nicht " ,erklärte ich meiner Mutter, die sofort mit netter Stimme sagte : ,, Tu das, ich helfe dir später dann auch beim Packen. " ,, Danke, Mum. " sprach ich zufrieden. Ich ging aus dem Zimmer. Wenn ich es wirklich schaffen wollte, pünktlich zu kommen, musste ich mich beeilen. Ich war zwar immer noch traurig, dennoch fand ich, dass eine Reise nach Paris immer noch besser war, als normalen Unterricht zu machen.
Nach etwa 30 Minuten hatte ich die Anziehsachen alle zusammen. Es fehlten nur noch meine persönlichen Sachen und etwas zu essen. Genau in diesem Moment kam meine Mutter herein. Sie hatte Süßigkeiten, saubere Klamotten und meine Brot-Dose dabei. ,, Hier, das brauchst du sicher" ,sagte sie und gab mir die Sachen. Dankend nahm ich sie entgegen. Ich fing an, die Sachen in meinen Rucksack zu quetschen. Währendessen meine Mutter sagte: ,, Ich muss leider schon los, es gab ein Problem auf meiner Arbeit und sie brauchen jeden Arbeiter, um es zu beheben. Da ich dich jetzt eine ganze Woche nicht sehen werde, möchte ich, dass du mir jeden Tag schreibst. Verstanden? ". ,, Okay, mach ich. Bis in eine Woche. " ,sagte ich mit fixiertem Blick auf meinen Koffer. Aus dem Augenwinkel her konnte ich sehen, wie meine Mutter nickte, dann ging sie zu mir und drückte mich. Dabei spürte ich wie mein Bauch sich mit warmer Flüssigkeit füllte, als sie von mir abließ, wurde die warme Flüssigkeit augenblicklich durch Kälte ersetzt. Ich wusste, dass ich Mama vermissen würde, allerdings konnte ich nicht hier bleiben, denn ich musste mich doch irgendwie von...meinem Vater ablenken. Als ich ihn gedanklich erwähnte, fühlte ich einen Stich in meinem Herzen. Sofort füllten sich meine Augen mit Tränen. Hör auf, an ihn zu denken, du fährst nach Paris, du solltest glücklich sein. Ich biss die Zähne zusammen. Atme, atme Lira. Es ist alles gut. Es ist nur...dein Vater. Es brachte nichts. Die Luft, die ich bisher zurückgehalten hatte, ließ ich nun aus. Ich konnte
die Tränen nicht aufhalten, als sie langsam meine Wangen runterliefen. Langsam fing mein Körper an zu beben. Das einzige worauf ich mich konzentrierte war das Atmen, weil ich Angst hatte, mir würde jeden Augenblick ein Schrei entfahren. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Langsam beruhigte ich mich. Auch das Beben ließ nach. Also stand ich da und starrte in die Leere. Unbewusst wischte ich die Tränen von meinen Wangen. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, konnte ich mich aus meiner Starre befreien. Nach und nach packte ich wieder traurig meine Sachen, die ich mitnehmen wollte, wie mein Handyladekabel oder ein Buch zum Lesen. Bald war ich fertig, obwohl es sich ewig in die Länge gezogen hatte. Als ich auf eine Uhr schaute, sah ich das es schon 8:00 Uhr war. Ich musste los. Ich nahm meinen Rucksack und die schwere Reisetasche und ging hinunter, dann setzte ich sie ab, zog meine Jacke und Schuhe an und ging mit dem schweren Gepäck los.
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