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Das Heer des Herzogs rückte vor. Es war kein wilder Ansturm, wie er in manchen Heldenliedern geschildert wurde. Die Kriegsknechte blieben ordentlich in einer Reihe, Schulter an Schulter, und marschierten Schritt für Schritt vorwärts.
Das Heer der Freien Städte blieb stehen und wartete ab. Hildegards Griff um ihren Spieß wurde abwechselnd fester und wieder lockerer.
Auf halbem Weg kam das Heer des Herzogs wieder zum Stehen. Die erste Reihe bestand aus Schildträgern, die ihre großen Setzschilde jetzt auf den Boden stellten und sich dahinterknieten. Bogenschützen stellten sich hinter dieser Deckung auf.
"Schilde hoch!", erscholl der Befehl im Heer der Freien Städte in mehrfachem Echo. Kurz darauf hörte Hildegard bereits ein leichtes, unheilvolles Sirren, dann schlugen die Pfeile schon ein, hämmerten gegen Schilde, knallten gegen Helme, bohrten sich in Rüstungen. Selbst in der dritten Reihe fand ein Pfeil den Weg zu Hildegards Schild, ein anderer trudelte, irgendwo abgelenkt, gegen ihren Helm. Vereinzelt schrien oder stöhnten Leute auf. Die Entfernung war noch recht groß und die Spießknechte waren gut geschützt.
Die Schilde blieben oben, und schon wenige Atemzüge später traf sie die nächste Salve. Eine dritte folgte, dann eine vierte. Mehr und mehr Schreie waren zu hören, in den Pausen zwischen den Salven Stöhnen und Wimmern. Die Pausen wurden immer länger. Hildegard war schon kurz davor, den Schild zu senken, als nach einiger Verzögerung doch noch eine fünfte Salve aufschlug. Es kam ihr so vor, als wären es diesmal weniger Pfeile gewesen. Sie wartete auf die sechste Salve. Keine kam.
"Schilde runter!", erscholl ein neuer Befehl. Hildegard befolge ihn und sah, dass Schildträger und Bogenschützen zu den Flanken hin abzogen. Wenn sie es richtig erkennen konnte, hatten die Schützen sogar ihre Bogen abgespannt. Natürlich, die Sehnen mochten die Nässe nicht.
Schildträger und Bogenschützen hatten das Feld noch nicht ganz geräumt, da rückten die Spießknechte wieder vor. Ihre Formation geriet ein bisschen in Unordnung, die Mitte kam schneller vorwärts, da die Knechte an den Flanken nicht mit den Abziehenden zusammenstoßen wollten. Hildegard war zu nahe an der Mitte, um viel davon zu haben.
"Bereit machen!", erscholl der nächste Befehl. Die vorderste Reihe nahm die Spieße auf und senkte die Spitzen direkt dem Feind entgegen, die zweite Reihe senkte die Spitzen nur halb. Dem Feind präsentierte sich ein Wall aus aufsteigenden Stacheln, bereit alles aufzuspießen, was ihm zu nahe kam.
Die Angreifer rückten noch ein wenig näher heran, bis ihre ersten Reihen ebenfalls die Spieße senkten, bereit zum Kampf Stachel gegen Stachel. Weiter und weiter rückten sie vor. Aber auch langsamer und langsamer.
Hildegard bemerkte, dass sich die Reihe der Feinde noch weiter deformiert hatte. Nicht nur zu den Flanken hin war sie zurückgefallen, sondern auch in der Mitte. Offenbar waren die Herzoglichen dort nicht sehr darauf erpicht, dem Kampfmagier nahezukommen. Ausgerechnet direkt vor ihr waren die feindlichen Knechte am weitesten vorgerückt, am dichtesten herangekommen.
Gerade außerhalb der Reichweite der Spieße kamen sie ganz zum Halt. Rufe und Gebrüll gingen unter ihnen hin und her, Beleidigungen und verschiedene Schlachtrufe wurden geschrien. Schließlich vereinigten sie sich zu einem Ruf, dem Namen des Herzogtums: "Kuhnen! Kuhnen!"
"Freiheit!", rief eine Stimme aus dem Heer der Freien Städte zurück, andere fielen ein. Auch Hildegard rief mit, und schließlich schmetterten alle: "Freiheit! Freiheit!"
Ein Horn tutete, Befehle wurden geschrien. Die Kriegsknechte des Herzogs sollten offenbar endlich angreifen, doch die an der Spitze zögerten. Ihr Schlachtruf wich einem wilden Brüllen, mit dem sie sich selbst Mut machten, dann erst taten sie die letzten Schritte, um ihre Spieße einsetzen zu können. Das Heer der Freien Städte brüllte genauso wild zurück, das Gefecht begann. Spieße zuckten vor, suchten Schwachstellen beim Gegner, wurden von Schilden geblockt oder vom Spieß des Gegenübers pariert.
Hildegard verfolgte, wie Siewald in der ersten Reihe sich des Ansturms erwehrte, einen Stoß nach dem anderen abwehrte, selbst plötzlich zustieß, nach links einen Gegner unverhofft über dessen Deckung ins Gesicht traf, nach rechts einen anderen unter dessen Deckung hindurch. Schließlich stürzte sich sein Gegenüber geradezu auf ihn, rammte seinen Spieß in Siewald – und stürzte selbst in dessen. Beide gingen zu Boden.
Hartmann rückte schnell nach und Hildegard folgte ihm. Rasch teilte Hartmann nach links und rechts aus, bevor die Lücke vor ihm geschlossen war. Feindliche Knechte rückten nach. Hartmann und seine Nebenmänner stachen flink und unbarmherzig auf sie ein, drei weitere Herzogliche gingen nieder. Doch für jeden rückte sofort einer nach, der noch ungestümer angriff.
Mit Grausen sah Hildegard Hartmanns Nebenmänner fast gleichzeitig fallen. Hartmann stieß beinahe gegen sie, als er einen Schritt zurücktrat, um drei Spießen zugleich zu entkommen. Hildegard gab ihm Raum und wehrte einen der Spieße ab, er selbst einen zweiten – doch dann sackte er zusammen.
Nun war Hildegard an vorderster Front. Gerade mal einen halben Schritt weit konnte sie nachrücken, dann war sie schon mitten im Spießgefecht. Sie blockte einen hohen Stoß mit dem Schild, wehrte einen tiefen mit dem Spieß ab, fand selbst keine Lücken. Wie bei Siewald stürzte sich ihr Gegenüber auf sie, trieb seinen Spieß mit Wucht auf ihr Gesicht zu. Gerade noch konnte sie ihren Schild hochreißen und den Stoß über ihren Kopf lenken. Gleichzeitig fasste sie ihren Speer kürzer und stach von unten am Schild ihres Gegenübers vorbei. Sein Aufschrei wurde von einem Spießstoß von rechts in seinen Hals abgewürgt und er fiel.
Hildegard warf ihrem Nebenmann schnell einen dankbaren Blick zu, doch der erwies sich als Nebenfrau: Ranhild, mit einem triumphierenden Schrei auf den Lippen.
Ausgerechnet.
Der nächste Gegner rückte nach und versuchte, Hildegards Fuß zu durchbohren. Hildegard wechselte den Stand und den Griff, trat auf den Spieß ihres Gegners und erwischte ihn an der Schulter. Wieder stieß ein anderer Spieß todbringend nach, diesmal von links. Baldo.
Für den gefallenen Gegner rückte ein weiterer Herzoglicher nach, eigentlich zwei, so dicht waren die Feinde jetzt gedrängt. Sie hatten Mühe, sich nicht gegenseitig in die Quere zu kommen, was es Hildegard erleichterte, sie in Schach zu halten. Gerade wollte sie in eine vielversprechende Lücke stoßen, als sie von links dermaßen angerempelt wurde, dass sie stattdessen zufällig einen tödlichen Treffer bei Ranhilds Gegenüber landete, was diese zu einem wütenden Aufschrei veranlasste.
Hildegard konnte gerade noch wieder Halt finden und einen zum Glück vorsichtigen Stoß ihres linken Gegenübers mit dem Schild abwehren. Der Rechte dagegen sprang sie geradezu an – und rammte sich in Hildegards eilig zurückgezogenen Spieß. Er fiel, ihren Spieß unter sich begrabend.
Schnell zog Hildegard ihr Schwert. Im Augenwinkel sah sie Baldo zusammensinken und sein Gegenüber sich ihr zuwenden. Auch zu ihrer Rechten rückte einer nach, und sie stand mit Schild und Schwert drei Spießen gegenüber. In schneller Folge wehrte sie Stöße ab. Sie musste näher ran, die fehlende Reichweite ausgleichen. Ihre Gegner standen sich gegenseitig im Weg, boten ihr die nötige Lücke. Sie machte einen Schritt – und blieb mit dem Fuß hängen. Unwillkürlich riss sie beide Arme hoch, um den Sturz abzuwenden.
Drei feindliche Spieße stießen vor, in die riesige Lücke in ihrer Deckung.
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