10
Hildegard lag auf dem steinernen Boden und bemühte sich, keinen Muskel zu bewegen, möglichst nicht einmal zu atmen. Bewegung bedeutete Schmerz – mehr Schmerz, denn auch so tat ihr jeder Teil ihres geschundenen Körpers weh.
Es kann nicht sein.
Dieser eine Gedanke war alles, was ihr außer dem Schmerz durch den Kopf ging. Ein letzter Rest ihres Denkens beharrte stur darauf, dass nicht sein konnte, was ihr doch gerade so spürbar widerfahren war. Das Bild der Maid von Wiesingen erschien immer wieder vor ihrem inneren Auge. Ohne Leben in den Augen – aber äußerlich unverletzt.
"Also muss ich mit dir verfahren wie mit den anderen", hatte Atgarion gesagt – und angefangen, unerbittlich auf sie einzuschlagen, überall hin, wo er sie treffen konnte. Sie hatte keine Chance gehabt, seine Schläge abzuwehren, konnte nur ihr Gesicht halbwegs mit ihren Armen schützen. Ohne zu wissen, was sie tun sollte, hatte sie Schlag um Schlag eingesteckt, bis sie zusammengebrochen war. Dann hatte er sie mit Fußtritten weiterbearbeitet. Jetzt hatte er endlich aufgehört.
Es kann nicht sein.
Die Maid von Wiesingen war eine dieser "anderen" – und sie hatte keinerlei Anzeichen gezeigt, dass man sie zusammengeschlagen hatte. Äußerlich unverletzt.
Hildegard wusste nicht, was sie alles für Verletzungen hatte. Blutergüsse, Prellungen, Risse, Platzwunden, Blutungen, wahrscheinlich Knochenbrüche. Sie würde nie wieder aussehen wie jemand, den man nicht zusammengeschlagen hatte.
Es kann nicht sein.
Es passte nicht zusammen. Daran klammerte sich ihr letzter Gedanke, der letzte Funke in ihr, so unsinnig er war. Vielleicht hatte er der Maid von Wiesingen auf andere Art noch grausamer mitgespielt, und es war ihm einerlei, wie er seine Opfer folterte, solange nur die Seele letzten Endes den Körper verließ.
Vielleicht ging er abwechselnd vor und Hildegard würde in einer Kiste enden, wie die Maid von Waldingen. Ein bisschen musste Atgarion sich noch dafür anstrengen, aber nicht mehr viel. Er konnte sie einfach unter seinen Füßen zerquetschen, wenn er wollte.
Warum, würde sie nie erfahren. Vielleicht war sie eine Opfergabe. Vielleicht war er zu dem Schluss gekommen, dass sie nicht das war, was er sich erhofft hatte, und er ließ sie dafür büßen.
Es...
Es war egal. Er sollte es bloß zu Ende bringen. Der Schmerz sollte einfach aufhören.
"Erbärmlich!", knurrte Atgarion. "Leidest du gern?"
Nein, tat Hildegard nicht. Sie wollte lieber sterben. Er sollte sie töten. Jetzt und hier. Sie hätte es ihm gesagt, aber sie konnte es nicht mehr.
"Du hoffst, mir zu entkommen", sagte Atgarion.
Entkommen? Ja, in den Tod.
"So einfach kommst du nicht davon", knurrte Atgarion.
Die Kälte aus dem Stein durchdrang Hildegard. Sie begriff, dass er das Ende noch hinauszögern und ihr Leiden noch verlängern konnte. Sie hätte jetzt fast alles getan, um das zu verhindern. Aber sie konnte nichts tun. Nur auf den nächsten Schmerz warten.
Sie versuchte, sich zu wappnen, für einen weiteren Schlag, einen weiteren Tritt.
Es kam kein Schlag, es kam kein Tritt. Es kam viel schlimmer.
Alle Schläge, alle Tritte, die sie getroffen hatten, schienen sie noch einmal zu treffen – gleichzeitig, überall. Die Luft wurde ihr aus der Brust gepresst, ihre Augen schienen aus ihrem Kopf springen zu wollen, ihr Mund zu reißen, ihr Körper in Flammen zu stehen.
Dann sog ihre Brust Luft gewaltsam ein – und presste sie in einem Schrei wieder hinaus, in den jede Faser ihres Körpers ihren Schmerz legte.
Als der Schrei endete, lag Hildegard ausgestreckt auf dem Boden und rang nach Atem. Nach ein paar Atemzügen fiel es ihr auf: Das Atmen tat nicht weh. Vorsichtig bewegte sie ihre Glieder. Nichts tat ihr mehr weh, nur die Härte und Kälte des Bodens war unangenehm. Die ganzen Schmerzen waren nur noch eine Erinnerung, allerdings eine schreckliche und noch sehr frische. Sie konnte auch keine Spuren der Verletzungen mehr sehen.
In ihrer Überraschung bekam Hildegard kaum mit, dass Atgarion ihre Hände zusammenband. Als er dann zur Wand ging und an einer Winde drehte, die das Seil und damit ihre Hände in die Höhe zog, wusste sie, dass ihr nichts Gutes bevorstand.
Schnell rappelte sie sich auf, um ihren Händen erst sitzend, dann kniend, dann stehend nach oben zu folgen. Aber Atgarion kurbelte weiter, bis sie auf den Zehenspitzen stand und schließlich in die Luft gehoben wurde. Der Zug an den Handgelenken, Armen und Schultern tat weh, wenn es auch kein Vergleich mit den vorherigen Schmerzen war.
"Nun?", fragte Atgarion. "Bereit für die nächste Runde?"
Verzweifelt blickte Hildegard sich um. Sie hing an dem Seil, mit dem Verdächtige aufgezogen wurden, mit immer mehr Gewichten an den Füßen, um sie zum Geständnis zu ermutigen. Mit den Händen vorn zusammengebunden und ohne Gewichte war das noch erträglich, aber an hinten zusammengebundenen Händen mit Gewichten hängend wurde nicht nur der Körper schmerzhaft gestreckt, es wurden sogar die Schultern ausgekugelt. Würde Atgarion sie nach allen Regeln der Kunst foltern? Aber um was aus ihr herauszupressen?
"Was..." Eine andere Frage schob sich dazwischen, während sie noch sprach. "Was ist geschehen?"
"Hast du die Gerüchte nicht gehört?", fragte Atgarion. "Dass ein Kampfmagier seine Wunden schließen kann? Und dass er andere an seinen Kräften teilhaben lassen kann? Nun – sie stimmen."
"Ihr habt mich geheilt? Von den Wunden, die Ihr mir selbst zugefügt habt? Warum? Welchen Sinn hat das?"
"Welchen Sinn hat es, weiterzumachen, wenn du deinem Körper erlaubst, zu versagen?", fragte Atgarion.
Sie hatte ihren Körper "erlaubt", zu versagen? Wer hatte ihn denn beinahe versagen lassen? Aber eine weitere Frage drängte aus ihr heraus: "Was habt Ihr davor mit mir gemacht? Was hat diesen unglaublichen Schmerz verursacht?"
Atgarion lachte. Anscheinend macht ihm ihr Leiden wirklich Spaß – und vielleicht war das der einzige Sinn des Ganzen? Dann hätte sich besser nicht verraten, wie sehr es geschmerzt hatte!
"Das war kein Davor", sagte Atgarion. "Das war die Heilung!"
"Aber..."
"Aber eine Heilung sollte wohltuend sein, sich gut anfühlen, denkst du?", fragte Atgarion und trat näher an sie heran. "Das denken viele – und sie denken falsch! Eine Heilung will erkauft werden, für einen Preis – und der Preis ist Schmerz! So viel Schmerz, wie die Schädigung deines Körpers verursacht hat, und mehr – und alles in einem Augenblick."
Er trat noch näher heran, bis er Hildegards Kopf am Kinn fassen und ihr ungehindert in die Augen sehen konnte. "Denk an alle Wunden, die du jemals gehabt hast, wie sie oft erst nach der Verletzung geschmerzt haben, und wie lange dann noch. Diesen Schmerz musst du bezahlen, den kannst du nicht mit einem Zauber abkaufen!"
Hildegard starrte mit Schrecken in seine Augen zurück. Meinte er das ernst? War es so gewesen, weil er es so wollte, oder musste es bei dieser Magie so sein? Eigentlich musste Schmerz bei einer natürlichen Heilung nicht sein; sie hatte selbst gelernt, wie man Mittel zu seiner Linderung zubereitet.
Bevor sie zu Ende überlegt hatte, ob sie das sagen sollte, hatte Atgarion sie losgelassen und sich abgewandt. Er ging zu einem kleinen Tisch, auf dem eine Tonflasche und ein Tontässchen standen, goss sich ein und trank in einem Zug. Foltern machte offenbar durstig. Er stellte das Tässchen wieder hin und ging zur anderen Seite des Raums, hinter Hildegards Rücken. Sie drehte den Kopf, konnte Atgarion jedoch nichts ins Blickfeld bekommen.
"Was geschieht jetzt?", fragte sie in der Hoffnung, es hinauszuzögern, was immer er vorhatte.
"Nun werden wir sehen, ob du wirklich gern leidest", antwortete er. "Oder ob du endlich etwas tust."
"Ob ich etwas tue? Was soll ich denn tun, wenn ich hier gefesselt hänge?", fragte sie mit aufsteigender Panik. Atgarion war verrückt!
"Mal sehen, ob das hier hilft, darauf zu kommen", sagte er.
Hildegard hörte ein zischendes Geräusch. Dann traf sie der Peitschenhieb.
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