Das Unheil meiner Augen
,,Eilmeldung! Die seit fünf Tagen vermisste Elizabeth Monroe wurde am heutigen Tag um 07.44 Uhr tot aufgefunden. Der Polizeichef Officer Stone berichtet vor Ort", sprach angespannt der Reporter durch sein rundes blaues Mikrofon wie man das bei Nachrichtensprechern auch kennt. Augenblicklich wurde der Bildschirm umgeschaltet und man erkannte nun den allzu bekannten Wald von Wisconsin. Der berühmte Ghost-Forest in welchem es angeblich spuken sollte. Ebenso war der höchste Offizier unserer Stadt zu sehen, wie er monoton in die Kamera schaute und sich kurz räusperte bevor er begann in das Mikro vor seiner Nase zu sprechen.
,,Die Leiche der 17-jährigen wird nun in die Leichenhalle gebracht. Die Angehörigen der Verstorbene wurden selbstverständlich sofort kontaktiert", erklärte er kurzerhand und wendete seine Augen von der Kamera ab. Sein Blick hatte alles andere als Gutes in sich. Er wirkte, als wäre er nicht ganz bei Sache. Auf seiner Stirn war ein leichter Schweißfilm, seine Haut kreidebleich. Einzelne Strähnen klebten an seiner feuchten Haut. ,,Können Sie uns Weiteres über den Tod des Mädchens berichten, Officer?", ertönte die weibliche Stimme einer weiteren Reporterin.
Wieder seufzte Stone. Dann blickte er wieder direkt in die Kameralinse. ,,Wir konnten keinerlei Verletzungen am Körper ausmachen..", er atmete laut aus. ,,Ihr fehlten ihre Augen", sagte er kalt und räusperte sich. ,,Wir denken, dass es kein Tier war. Wir glauben, dass sich da jemand im Wald umhertreibt. Jemand, der-", plötzlich war der Bildschirm schwarz.
,,Hey!", rief ich empört, von der Neugierde gefasst wollte ich die Liveübertragung zu Ende sehen. Doch selbstverständlich war da nun meine Mutter, welche mit einem wütenden Ausdruck neben dem Fernseher stand, mit dem Stecker in der Hand.. ,,Ich wollte das noch schauen Mama!", murrte ich entnervt und lehnte mich mit gekreuzten Armen zurück an die weiche Lehne der Couch. ,,Jetzt ist genug! Ich habe dir schon oft genug gesagt, dass du diesen Horror nicht gucken sollst, Marienne!", antwortete meine Mutter und gab mir einen giftigen Blick. Ich rollte leicht meine Augen. ,,Und wage es ja nochmal die Augen so frech zu verdrehen. Geh in dein Zimmer und mach deine Hausaufgaben. Du hast morgen Schule Fräulein", schnauzte sie und marschierte zurück in die Küche.
Mit meiner Laune nun tief im Keller schlurfte ich die Treppen hinauf in mein Zimmer. Doch anstatt meine Hausaufgaben zu machen, setze ich mich an meinen Laptop und begann zu tippen.
'Todesfall Elizabeth Monroe'. Augenblicklich sprangen mir unzählige Suchbegriffe entgegen. Aufgeregt scrollte ich durch die Internetseiten, bis ich plötzlich auf einen Livestream auf YouTube stieß. Ein junger Mann mit langen, hellblauen Dreadlocks saß in einem dunklen Raum, wenige Kerzen erleuchteten das Zimmer. Doch was mir sofort aufgefallen ist, war die Augenklappe, die über seinem linken Auge lag. Sein nichtverdecktes Auge, starrte geradewegs direkt in die Kamera. Seine helle smaragdgrüne Iris, leuchtete fast schon heller als die Kerzen, welche in einen angenehmen Orange flackerten.
Er räusperte sich. Seine tiefe, raue Stimme hallte in dem ganzen Raum und es fühlte sich so an, als käme aus den Lautsprechern meines Gerätes ein leichter Windstoß. Ich bekam Gänsehaut.
,,Elizabeth Monroe", sagte er ruhig. ,,Das Unheil hat sie gewählt. Sie war die Auserwählte", murmelte er und starrte geradewegs in die Kamera. Es fühlte sich so an, als wollte er in meine Seele sehen. Jede Ecke erkunden, jede Erinnerung auskosten. Dieser Mann war gruselig. ,,Das Unheil unserer Augen kommt zurück", raunt er leise. Er blinzelte, atmete tief durch, doch sein Blick heftete weiterhin auf der Kameralinse. Dann, ohne Vorwarnung schnellte seine Hand zu seiner Augenklappe und riss diese ab. Was dort zum Vorschein kam, raubte mir ungemein den Atem. Sein Auge fehlte. Es war nicht da. Stattdessen war dort eine Glaskugel, welche in einem kühlen Indigo Blau schimmerte.
,,WIR ALLE WERDEN STERBEN", er schrie. Er schrie so laut, dass ich meinte, mein Trommelfell würde platzen. Erschrocken wich ich zurück, mein Rücken knallte gegen die Lehne meines Stuhles. Ich fürchtete mich. Der Mann, der auf dem Bildschirm zu sehen war stand nun vor der Kamera, seinen Stuhl hatte er umgeworfen. Sein Ausdruck war nun zornig, gar angsteinflößend. Ohne überhaupt darüber nachzudenken schloss ich meinen Laptop und schob ihn weg von mir.
Ich musste tief durchatmen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich zu schwitzen begann. Auch spürte ich erst jetzt das unangenehme Gefühl in meinem Bauch, welches sich bei Gefahren immer zu melden wusste. Mein Blick galt meinen Fingern, welche leicht zitterten. Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken.
Mir war bewusst, dass hinter dem Tod Elizabeths mehr steckte. Mir war bewusst, dass es kein psychopathischer Mörder war, der sich in den tiefen des Waldes versteckt. Hier handelte es sich um mehr. Und ich wusste, ich wollte es herausfinden.
Und aus diesem Grund schlich ich mich um genau zwei Uhr dreiundzwanzig aus dem Haus. In meinem Pyjama. Wozu auch umziehen? Niemand wird mich sehen, und mein dunkelgrüner Strickpullover ist zumal auch sehr gemütlich. Auf Zehenspitzen tapste ich an den Nachbarhäusern vorbei, nahm eine Abkürzung durch eine schmale Gabelung und erreichte somit auch rasch ein riesengroßes Maisfeld. An diesen grenzte der Wald. Mein Ziel.
Aber vielleicht... vielleicht hätte ich da niemals hingehen sollen. Vielleicht hätte ich auf meine Mama hören sollen. Ich hätte mich nicht in Gefahr begeben sollen. Ich wusste es würde gefährlich werden. Trotzdem nahm meine sture Neugier Überhand.
Da stand ich also, mitten im Wald. Es war so dunkel, dass ich kaum meine eigene Hand erkennen konnte. Ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung was ich machen sollte, wenn ich erstmal da wäre. Ich stand einfach ahnungslos neben einer gewaltigen Fichte und starrte ins Nichts. Ein wenig Angst hatte ich schon. Wer denn auch nicht? So mitten im Wald, nachts...
Doch plötzlich sah ich es. Gelbe Augen, die vorsichtig hinter einem Felsen hervor lugten. War das ein Tier? Eine Katze? Die Augen verschwanden. Stattdessen trat ein Nebel auf. Ein unheimlich dichter Nebel, welcher in wenigen Sekunden den ganzen Wald überschwemmte. Ein unangenehmer Geruch stieg in meine Nase. Ich konnte weder identifizieren wonach es so seltsam roch, noch wusste ich was das überhaupt für Dunst war. Ich versuchte wenig durch die Nase zu atmen, um nicht zu Erbrechen, so ekelerregend war dieser Gestank.
,,Marienne", hauchte es plötzlich. Hm? Jetzt hatte ich wohl offiziell Angst.. Es war eine tiefe, raue Stimme. Etwas kratzig, fast schon röchelnd. ,,Marienne", summte die Stimme. ,,Wieso bist du hier?". Ich wusste es nicht. Ich hatte keine Ahnung weshalb ich auf diese dumme Idee kam.
,,Schatz! Marienne mein Schatz", ertönte auf einmal die Stimme meiner Mutter. ,,Mama", murmelte ich leise und schaute umher. ,,Mama wo bist du?", rief ich nun etwas lauter. Sie sagte seelenruhig: ,,Ich bin hier". Ich drehte mich um. Da war sie, meine Mutter. Sollte sie nicht Zuhause sein und schlafen?
,,Wa- was machst du hier?", wollte ich wissen und für den Bruchteil einer Sekunde blieb es still. Völlig unerwartet begann sie zu schreien. Ich zuckte heftig zusammen und fiel zu Boden.
,,Ich bin hier um dir zu sagen, dass du böse bist!", schrie sie und beugte sich zu mir hinunter. Meine Augen waren so weit aufgerissen, dass sie beinahe wie Billardkugeln aussahen. Angsterfüllt starrte ich meine Mutter an. Ihre Augen waren weiß. Schneeweiß. Feine schwarze Adern erstreckten sich um diese herum.
Das was ich sah, war keinesfalls ein Mensch. Und es konnte auch nicht meine Mutter gewesen sein. Was genau war also dieses Wesen?
,,Warum böse?", antwortete ich. Noch immer versuchte ich Ruhe zu bewahren. Ich wollte dieses Ding vor mir nicht noch wütender machen als es ohnehin schon war.
‚Werde ich sterben?', war mein einziger bitterer Gedanke.
,,Du dummes dummes Mädchen. Du hättest hier nie herkommen dürfen. Weißt du nicht was in diesem Wald mit von Neugier besessenen Menschen passiert?", sprach es und nahm eine verstellte hohe Stimme an. ,,Wer so töricht ist und es wagt meine Ruhe zu stören, der wird bezahlen". Die Frau, soweit bei diesem Monster von einer Frau überhaupt die Rede ist, knurrt und entblößt ihre schwarzen kaputten Zähne. ,,W-wie bezahlen?", ich wollte nicht sterben. Ich wollte nicht sterben. Ich wollte niemals so verdammt früh sterben. Trotzdem ging ich in den Wald. Ich wusste es werde gefährlich. Ich wusste, dass diese Idee dumm war. Idiotisch. Trotz dessen lag ich nun auf dem verdreckten Waldboden und über mir stand ein nicht identifizierbares Wesen, drohte mir den Tod.
,,Dein Augenlicht soll auf ewig sterben. Damit du nie wieder, niemals wieder auf die Idee kommst nach Dingen zu suchen, die du nicht finden sollst", nun kicherte sie während ich vor Schreck erstarrte. Ich wollte weinen, schreien, um mich treten und versuchen zu flüchten. Ich wollte überleben und trotzdem konnte ich mich nicht rühren. Nicht einen einzigen Zentimeter. ,,B-bitte nicht", hauchte ich still. Meine Stimme war fort. Um Hilfe schreien konnte ich nicht, mein Hals fühlte sich so kratzig an, bloß ein elendes Krächzen kam raus.
Sie kam näher. Zentimeter und Zentimeter bewegte sie sich zu mir herunter. Ihre langen knochigen Finger legten sich um meinen Hals um meine Schreie zu dämpfen. Ihre Hand hielt sie über meinem Gesicht. Das letzte was ich sah, war ihr hämisches Grinsen. Dann erfüllte mich der absolute Horror. Meine Augen begannen zu brennen, bis es tatsächlich feuerheiß wurde. Mein Mund öffnete sich um zu schreien, doch wieder kam ein erbärmliches Keuchen raus. In diesem Moment hoffte ich bloß es würde aufhören. Ich hoffte zu sterben. Dieser Schmerz sollte einfach aufhören. Doch ich starb nicht. Der höllische Schmerz hielt an. Ich konnte Rauch riechen. Es roch nach verbranntem Fleisch. Ich wusste auch was es war.
Sirenen ertönten. Das Feuer hörte auf. Die Schmerzen die ich spürte wurden nicht weiter herausgefordert. Ihre Hand um meinen Hals verschwand, so auch sie. Die Sirenen kamen näher. Gedämpftes Zuschlagen von Türen. Gedämpfte Rufe und gedämpfte Schreie. Ich nahm alles nur noch durch einen Schleier wahr. Ein Schleier, welcher mich von der Welt trennte. Ich fühlte mich so, als wäre kein Teil mehr davon. Ich spürte Hände auf mir. Jemand der mich rüttelte, mich anschrie. Mama? Ich wollte sie sehen, ihr Gesicht.
Meine Augen.
Ab diesem Moment wusste ich, das Unheil hatte nun auch mich geschnappt. Und dann fiel ich in einen belanglosen Traum, ein Traum der nie enden würde.
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