Trauerbewältigung
„Kevin...? Bist du da?", fragt die sanfte Stimme Black Cats vorsichtig in das Schlafzimmer hinein, in welchem ich mich bereits keine-Ahnung-wie-lange eingepfercht habe. In völliger Dunkelheit. Gardinen zugezogen. Vielleicht ein paar Tage. Vielleicht schon eine Woche? Ich weiß es nicht. Habe mein Zeitgefühl irgendwann verloren. Ist mir auch herzlich egal. Seit Sera tot ist, ist mir vieles egal geworden. Auch wenn sie potentiell gefährlich gewesen ist, so ist sie mir so unglaublich ans Herz gewachsen. Wie eine kleine Schwester? Vielleicht sogar wie eine Adoptivtochter.
„Ich habe für sie sorgen wollen.", beginne ich mit vom tagelangen Weinen und Schreien brüchiger und heiserer Stimme. Leichte Schritte von Black Cat. Das Bett gibt die Reaktionsempfindungen einer sich auf es setzenden Person wieder. „Ihr ein normales Leben innerhalb ihrer Unnormalität bieten wollen. Beschützt. Behütet. Geliebt. Ich habe versagt. Versagt auf sie aufzupassen. Versagt ihr das Leben zu bieten, dass sie nach all der Scheiße innerhalb der SCP-Foundation, verdammt nochmal verdient hat. Versagt sie zu beschützen."
Zärtliche Umarmung. Die katzenhafte Traumfrau legt ihre Arme um mich und lässt mich wortlos ihre Anwesenheit spüren. Ihr Kopf an meinen gelehnt. Warme Tränen rinnen über mein Gesicht. Nicht nur meine.
„Ich vermisse sie so sehr.", schluchze ich verzweifelt. Es ist, als hätte Seras Tod das letzte bisschen meiner intakten Welt in die Unendlichkeit des schwarzen Nichts geworfen.
„Ich auch", haucht Black Cat so vorsichtig in mein Ohr, als befürchte sie, dass der unvorsichtige Gebrauch ihrer Stimme mich zerbrechen könnte.
So sitzen wir auf unbestimmte Zeit einfach nur da. Die meiste Zeit wortlos. Nur Sie, ich und diese erdrückende Dunkelheit des Schlafzimmers.
„Wir werden die Person finden, die das zu verantworten hat. Und dann lassen wir den Verantwortlichen leiden. Auf die grausamste Art und Weise.", flüstert Black Cat schluchzend und mit spürbarem Schmerz in der Stimme. Ich reagiere nicht darauf. Bin zu schwach dazu. Doch innerlich stimme ich ihr zu.„Lass uns einfach nur hier sitzen. Bitte.", hauche ich fast tonlos. Ein Kuss auf meine Stirn. Sie bejaht.
Einige Tage später
Mit knappen Worten beendet ein Grabredner die letzte Rede. Untermalt von der gräulichen Tagesatmosphäre und leichtem Regenfall. Als würde der Himmel selbst um Sera trauern. Ein glänzender schwarzer Grabstein trägt in weiß eingravierten Lettern die Aufschrift: „Hier ruht Sera. Möge sie im Himmel ewiglich Frieden finden. Niemals vergessen."Es sind nicht viele anwesend und das ist auch gut so. Black Cat in einem schwarzen langen Kleid. Serena im schwarzen Pullover mit gleichfarbiger Jeans. Paleo in einem dunkelgrauen, unauffälligen Anzug und ich. Mehr Leute hätte ich an diesem Ort ohnehin nicht geduldet. Sera hat uns vier in unserem Leben bereichert. Alle auf eine ganz eigene Art und Weise, sodass selbst Serena einige Tränen während der Beerdigung verloren hat. Allein, dass sie und Paleo hier sind, rechne ich den beiden hoch an.
„Wenn es etwas gibt, dass ich für Sie tun kann, Boss.", beginnt Paleo nach der Beerdigung respektvoll und legt mir das erste Mal freundschaftlich die Hand auf die Schulter. Ich nicke ihm dankbar zu und lege meine Hand kurz kumpelhaft auf seinen Handrücken.
„Ja, du kannst etwas für ihn tun.", sagt Black Cat entschlossen, obwohl ihr verweintes Gesicht nicht viel von Entschlossenheit vermuten lassen würde. Paleo schaut sie mit interessiertem Blick an und nickt im Zeichen, dass er zuhört.
„Finde diese Missgeburt, die unsere Sera getötet hat."
Mein Berater mit der Löwenmähne lächelt kurz.
„Das versteht sich von selbst. Ich habe bereits die Informanten darauf angesetzt. Und zwar alle, die derzeit verfügbar gewesen sind, was sich auf eine Anzahl von 22 bezieht." Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Das erklärt, warum die Informanten momentan so in Aufruhr sind. Das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit, in welcher sich mein Mund wieder zu einem leichten Lächeln verzieht. Darauf folgt eine brüderliche Umarmung, von mir ausgehend. Es hat noch drei weitere Tage gedauert, eh der Drang meiner Arbeit nachzugehen, meine Trauer besiegt hat. Meine Untergebenen haben mich in schweigender Aufmunterung begrüßt. Innerhalb meines typisch dunklen Büros, dessen edler Mahagonischreibtisch mich völlig aufgeräumt begrüßt. Es ist ein unbeschreiblich gutes Gefühl, wieder auf meinem drehbaren Schreibtischstuhl Platz zu nehmen. Diese Empfindung, dass ich nach all der Zeit noch immer die Kontrolle über meine Loge besitze.
„Schön Sie wiederzusehen. Und das sogar früher als erwartet.", begrüßt mich Paleo, dessen zahlreiche Dokumente auf seinem Arm, Arbeit bedeuten. Ich nicke ihm kurz lächelnd zu.
„Zuerst sollte Sie wissen, dass die Suche nach dem Mörder bisher ergebnislos-"
„Das weiß ich selbst.", schneide ich meinem Berater das Wort ab. Dieser blinzelt kurz.
„Du scheinst vergessen zu haben, dass ich unmittelbar mit den Informanten verbunden bin. Wenn sie also bereits etwas wüssten, hätten sie es mir bereits mitgeteilt.", erkläre ich mein Verhalten etwas schroff, mehr an den Akten in Paleos Arm interessiert, als an diesen Gesprächen.
„Natürlich, Einauge. Dann noch eine Info am Rande: Sleepless wird derzeit noch von Sunny behandelt, sodass ein weiteres Eingreifen vorerst nicht notwendig sein wird.", setzt er seinen Bericht fort und scheint meine Reaktion darauf beobachten zu wollen. Zumindest ruhen seine Augen, ohne einmal zu blinzeln, unentwegt auf mir.
„Gut. Danke. Noch weitere Informationen?", frage ich, versucht keine Reaktion zu zeigen. Keine Ahnung warum, aber mir ist gerade nicht danach, eine erkennbare emotionale Färbung in meine Reaktion zu legen. Paleo nickt, tritt an meinen Schreibtisch heran und legt behutsam drei Akten vor mich. Danach tritt er, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, aus meinem Büro heraus. Kurz schaue ich ihm nach, mich fragend, ob ich hätte netter sein sollen. Verliere jedoch ziemlich schnell das Interesse an diesen Gedanken und vertiefe mich in die Auftragsakten. Nichts großartig interessantes. Zwei Auftragsmorde und eine Waffenlieferungseskorte. Keine Herausforderung für meine Leute. Könnte es selbst erledigen.
„So ein Auftrag könnte dich auf andere Gedanken bringen, Kevin.", dröhnt Asmodis Stimme durch meinen Geist.
„Damit hast du ja auch nicht ganz unrecht.", beginne ich und seufze schwer, während ich mich in meinem schwarzen Drehstuhl zurücklehne. Der Blick meines letzten verbliebenen Auges, schweift durch den abgedunkelten, recht leeren Raum.
"Aber?"
„Ist es seltsam anzumerken, dass mir gerade nicht nach töten zumute ist?", frage ich nachdenklich. Ein dumpfes, kopfschmerzerregendes Grummeln rumpelt durch mein Innerstes. Ich habe Asmodi scheinbar verärgert. Oder ihn genervt. Oder er hat hunger. Ich habe keine Ahnung. Irgendetwas in der Art.
„Du wirst diesen Auftrag ausführen! Es ist ein Mord, der keine besondere Mittel benötigt. Du gehst hin. Ziehst dein krankes Ding durch. Tötest den armen Teufel. Bekommst Kohle und fertig! Keine Widerrede, Wirt!" , murrt der Dämon in mir und mich beschleicht das unangenehme Gefühl, dass es jetzt unklug wäre, dem Wesen zu widersprechen.
„Also gut.", seufze ich schwer, nehme die eine Mordakte an mich, bevor ich das Büro verlasse und die restlichen beiden Akten ausgewählten Problemlösern übertrage.
Der Auftrag
Habe keine Zeit verloren. Mein Zielort ist Berlin. Binnen weniger Sekunden, befinde ich mich auf einem Hochhaus nahe des Gefängnisses, aus dem in wenigen Momenten das Subjekt verlegt wird. Irgendein dubioses Gangmitglied. Verknackt aufgrund von Körperverletzung, Waffenbesitz und Brandstiftung. Im Gegensatz zu dem, was ich alles bereits getan habe, ist das echt niedlich. Keine Ahnung, warum man uns beauftragt so jemand Unbedeutenden zu töten. Langsam lasse ich meinen Blick über die Umgebung schweifen. Mitten am Tag. Sehr belebter Straßenverkehr. Viele Menschen auf den Gehwegen. Die können einem schon fast Leid tun, als ich den kleinen Fernzünder betrachte, den ich in meiner rechten Hand halte. In Ermangelung einer Kraft, die Autos in die Luft sprengt, habe ich anderweitige Vorkehrungen treffen müssen. Nette Erfindungen des Syndikats. Nunja... keine Erfindung in dem Sinne. Wohl eher eine... Weiterentwicklung. Winzige Sprengkörper, die per Fernzünder detonieren und genug Feuerkraft besitzen, um sämtliche Autos auf beiden Fahrtseiten quer durch die Gegend zu schleudern. Es werden vermutlich auch unbeteiligte zu Schaden kommen. Nett. Muss zum ersten Mal wieder grinsen.
„Ich sagte zwar, dass es dich auf andere Gedanken bringt, aber glaubst du wirklich, dass das notwendig ist?", gibt Asmodis Stimme zu bedenken. Ein desinteressiertes „hmpf", ist meine Reaktion darauf.
Schaue kurz auf mein Handy. 14:29 Uhr.
„Gleich geht die Party ab.", sage ich mit düsterer Vorfreude zu mir selbst und beobachte die Tore des Gefängnisses. Mein Herz tätigt einen schweren Schlag, als ich mehrere blau-weiße Polizeiwagen das Gefängnis verlassen sehe. Insgesamt vier. Entweder werden mehrere Insassen verlegt, oder die passen aufeinander auf. Kann ich so nicht genau bestimmen, doch ist dies auch nicht weiter von Belang.
Drei. Mein Herz pocht vor bestialischer Euphorie in scheinbar alle Richtungen.
Zwei. Mein Finger zuckt ungeduldig. Meine Blutbahnen sind wieder mit alter Düsternis gefüllt.
Eins. „Bang", flüstere ich leise. Ein ohrenbetäubender Lärm bestätigt mein Flüstern. Explosionen. Metall, dass durch die Gegend geschleudert wird. Menschen, die erschrocken, panisch und schmerzverzerrt Schreien. Klirren von Fensterscheiben, die durch die Druckwelle zerbrechen. Dazu ein schriller, fast schon manischer Lachanfall, der von mir kommt. Ich habe in meinem Leben noch nie so viel lachen müssen. Hilfeschreie. Zerstörte Autos. Reglos herumliegende Menschen. Teleportiere mich direkt in das Geschehen. Muss sichergehen, dass meine Zielperson auch wirklich tot ist. Steige über die Leiche einer jungen Frau, dessen Blut den Bordstein verschönert. Wenn Sleepless das nur sehen könnte. Der hat doch so ein Faible für die blutrote Farbe. Ich werde von einem Mann angerempelt, der mich verzweifelten Blickes fragt, ob ich seinen Sohn gesehen habe. Zwei Schüssen in seinen Oberkörper. Er sackt leblos zusammen. Gehe weiter auf die Polizeiautos zu, die es seltsamerweise nicht in verschiedene Richtungen zerflext hat. Dabei trete ich den leblosen Körper eines Jugendlichen aus dem Weg. Etwas seltsames rührt sich in meinem Innersten. Etwas, dass nicht zu mir gehört. Eine Gefühlsregung von Asmodi. Seine Überraschung ist beinahe zu schmecken.
„Anmerkungen, Dämon?", sage ich in einer kalten Ruhe, die ich so noch nie von mir mitbekommen habe. Keine Antwort. So setze ich meine Suche fort. Die Tür eines Polizeiautos, direkt vor mir, wird von innen herausgetreten. Ein blutverschmierter Polizist kriecht ächzend aus den Trümmern hervor. Sieht mich. Hält seine Hand ausgestreckt. Erst um mich nach Hilfe anzuflehen. Dann, weil er um sein Leben fleht. Nachdem die Kugel aus meiner Pistole sein Kopfinnenfleisch begrüßt, sinkt seine Hand. Mein inneres Dämonenauge nimmt Lebenszeichen aus dem Inneren des Wagens wahr. Mein Bauchgefühl verrät mir, dass dort mein Zielobjekt vor sich hinstirbt.
Klopfe drei Mal auf das Wrack dessen, was einmal ein Polizeiauto gewesen ist.
„Hallöchen. Jemand Zuhause!?", rufe ich vergnügt. Ein gequältes „Hilfe!", reagiert. Rolle mit meinen Augen.
„Hilfe ist also Zuhause!? Seltsamer Name. Du hattest es wohl nicht leicht in der Schule, oder?", frage ich grinsend und verkneife mir einen weiteren Lachanfall.
„Um Gottes Willen. Jetzt hilf mir doch, du Arschloch!", ruft der junge Mann, der hier eindeutig im Nachteil ist. Ich schnalze drei Mal mit der Zunge.
„Aber Aber. Mein werter Hilfe. Wozu denn gleich beleidigend werden. Wenn man Hilfe möchte, sollte man etwas netter sein. Eine Frage. Gehörst du zu einer Gang?" , erwidere ich erheitert. Kurze Stille.
„Ja. Aber was hat das mit all der Sache zu tun? Bitte. Hilf mir hier einfach heraus.", knickt mein Zielobjekt ein. Ich kann mich nicht mehr beherrschen. Im Zuge meiner deutlichen Überlegenheit, verfalle ich in einen nicht enden wollenden Lachanfall, schüttel dabei meinen Kopf und werfe eine weitere Minisprengladung direkt in das Innere des Wagens.
„Nun denn. Schöne Grüße vom Syndikat. Schönes Ableben.", sage ich, noch immer lachend und stehe im nächsten Moment wieder sicher auf dem Hochhaus. Sein Todesschrei wird von der letzten Detonation überdeckt. Eine tiefe Befriedigung breitet sich in meinem Körper aus.
„Du hattest Recht, Asmodi. Genau das habe ich gebraucht.", sage ich mit einer so erleichterten Stimme, als hätte ich nach fünf Jahren Abstinenz, das erste Mal wieder ordentlich gevögelt.
„Ist dies also dein wahres Ich? Die pure Form dessen, wozu deine Grausamkeit imstande ist? Ich bin ehrlich. Selten habe ich einen Sterblichen erlebt, der solch ein hohes Maß an Mordlust und Skrupellosigkeit besitzt.", dröhnt Asmodi in meinem Kopf. Ich kann dies nicht deuten, aber ein gewisser Stolz macht sich in mir breit. Mission ausgeführt. Hätte nicht gedacht, dass Trauerbewältigung so genial sein kann.
„Ist das wirklich notwendig gewesen?", ist die erste Frage Paleos, als er am Abend des selben Tages, in mein Büro stürmt. Fast schon liebevoll, puste ich den Zigarettenrauch gen Bürodecke. Hätte schon früher mit seiner Ankunft gerechnet. Mein eines Auge ruht auf Paleo.
„Hat Spaß gemacht.", gebe ich knapp zurück und grinse ihn zufrieden an. Er tritt an meinen Schreibtisch heran. Sein Blick so ernst, wie üblich. Nur dieses Mal liegt eine solche Strenge darin, dass es soziemlich jeden, der nicht ich ist, einschüchtern würde.
„21 Tote. 15 Schwerverletzte. Darunter ein kleiner Junge. Ich frage Sie nochmal, Kevin. War. Das. Notwendig!?", redet mir Paleo ins Gewissen.
„Hey. Ein Junge sagst du? Dann sind Vater und Sohn wieder vereint. Weißt du. Ein Mann hat mich nach seinem Sohn gefragt. Da habe ich ihn in weiser Vorraussicht direkt zu ihm geschickt.", sage ich völlig befreit von jedweder Reue. Fühlt sich geil an, mein wahres Ich entfesselt zu haben.
„Scheinbar.", beginnt Paleo wieder ruhiger, „Ist dies für ihre Trauerbewältigung tatsächlich vonnöten gewesen, Kevin. Bitte sehen Sie mir meine Sorge nach."Ich bin keinesfalls wütend auf meinen Berater. Tatsächlich schätze ich seine Worte.
„Schon in Ordnung." Just in dem Moment, als sich Paleo zum Gehen wendet, ist mir, als würden 22 Nadeln gleichzeitig sämtliche Nervenende durchstechen. Von 22 Verbindungen zu 22 Informanten, entfaltet sich eine einzige Nachricht, die ich laut wiederhole.
„Wir haben Informationen zum Mord von Sera. Der Alpha möchte Sie sehen, Sir."
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