4. Advent
Leise rieselt die Magie
Ein Klingeln der Eingangstür ertönte, als Noora und Cynthia, gefolgt von Moritz, Amarettos Café betraten. Es roch nach frischen Früchten und süßen Bonbons. Während Amaretto und seine Wichtel- Arbeiter hinter dem Tresen die Bestellungen aufnahmen, fleißig Cocktails mixten und gutes Essen zubereiteten, flogen die fertigen Bestellungen ganz von selbst zu den Tischen.
„Welchem Umstand verdanke ich euren verfrühten Besuch?", richtete Amaretto das Wort an die drei Freunde. Keinen Moment später war Amaretto hinter dem Tresen hervorgekommen und hielt unmittelbar vor seinen Gästen an.
„Kannst du hier heute möglicherweise etwas früher Schluss machen?" Noora zog eine Grimasse und trat schüchtern von einem Fuß auf den anderen. Amaretto war sehr gefragt und hatte immer viel zu tun. Besonders die Wochen vor Weihnachten waren gespickt mit Überstunden. Nur ein äußerst wichtiges Anliegen konnte ihn dazu bringen seine Arbeit früher zu beenden.
Nachdenklich legte Amaretto seinen Kopf schief. Das Licht der Sterne schimmerte durch die Fenstergläser des Ladens und verlieh Amarettos Fell einen hellen Schein. „Wieso fragst du, Elflein?"
Noora holte tief Luft und räusperte sich Mut fassend. Obwohl sie mit aller Kraft probierte ruhig zu bleiben, lief ihr Kopf hochrot an. „Naja... ich, also eigentlich wir haben da so eine mega tolle Idee für Weihnachten und deswegen bräuchten wir eine Mitfahrgelegenheit, schätze ich..."
Amaretto hatte seine Augen streng zusammengekniffen. Er konnte nicht ganz nachvollziehen, was die Elfe ihm mitzuteilen versuchte. „So so eine Mitfahrgelegenheit, sagst du? Für euch drei etwa?"
Cynthia machte mit verschränkten Armen einen großen Schritt zu Amaretto und nickte entschieden. „Ja, genau. Noora, Moritz und ich müssen zu den Spitzbergen, übers Meer und du bist eben der beste und schnellste Flieger."
Amarettos grüblerischer Blick fiel auf Cynthia. Ein Hauch von Überraschung glomm in seinen hellgrauen Wolfsaugen auf. „Alles kein Problem. Noora und du seid die süßesten Elfen am Nordpol. Ich helfe euch gerne, aber wollen wir offen sein. Ist euer kleines Krümelmonster nicht nur überflüssiger Balast?"
Amaretto schüttelte seine strahlend weißen Flügel aus und lachte kopfschüttelnd. „Ich glaube, für euren diebischen Freund benötigt ihr ein zusätzliches Schiff, das ihn übers Meer transportiert."
„Hey!", warf das Pony protestierend ein und stampfte ärgerlich mit seinem vorderen Bein auf. „So schwer bin ich nun wirklich nicht!"
„Aber so schwer wiegen deine Verbrechen, du Bonbondieb! Du schuldest mir den Vorrat von drei Monaten!", erwiderte Amaretto daraufhin und beugte sich zu dem Pony hinunter. Er musterte Moritz eingehend von oben bis unten und schnaubte dann.
„Wohin verschwindet das alles bloß", murmelte er mehr zu sich selbst und schien in Gedanken abzudriften, als Noora den Namen des geflügelten Wolfes aussprach.
„Amaretto? Bedeutet das, du hilfst uns?", fragte die Elfe mit großen Augen, woraufhin der Wolf gefasst aufsah und mit einem sanften Lächeln nickte.
„Aber natürlich, mein Zuckerpüppchen. Ich würde jede Last der Welt tragen, wenn es dazu beiträgt den da von meiner Vorratskammer fernzuhalten." Amarettos anklagender Blick fiel auf Moritz, der nur ein schiefes Grinsen zustande brachte.
„Wohin genau soll ich euch eigentlich bringen?" Erst jetzt war dem Wolf aufgefallen, dass er das genaue Ziel der Elfen noch gar nicht kannte.
Die beiden Elfen grinsten sich an. „Nah Taesi", sprachen sie ihm Einklang und beobachteten wie auf Amarettos Gesicht ein versierter Ausdruck entstand.
„So sei es. Dann lasst uns mal keine Zeit verlieren."
***
Noora und Cynthia saßen auf Amarettos Rücken und klammerten sich fest an einigen Haarbüscheln fest, während der arme Moritz in einer Art Hängematte lag, die um Amarettos Rücken geschnürt wurde und unaufhörlich in alle Richtungen baumelte. Der Himmel war bereits so dunkel, dass sich die Sterne in voller Pracht am Firmament zu erkennen gaben.
In unweiter Entfernung erhaschte Noora das Festland. Ein erleichtertes Seufzen entfuhr ihr. Die peitschenden Wellen des unzähmbaren Eiswassers behagten ihr ganz und gar nicht. In den Tiefen des pechschwarzen Meeres lauerten Haie und so manch andere Gefahr, auf dessen Bekanntschaft sie nur zu gerne verzichten konnte .
„Sind sie das, die Spitzberge?", verlangte Cynthia zu wissen. Der Gegenwind war kräftig. Cynthias Arme schlangen sich allmählich immer krampfhafter um Nooras Oberkörper, die viel zu sehr auf das Meer unter ihnen fokussiert war.
Amaretto linste über seine Schulter zu Cynthia und lächelte leicht. „Ganz recht, kleines Elflein. Wir sollten jeden Moment ankommen." Innerhalb weniger Minuten kreisten sie über der Insel.
Trotz der Dunkelheit erkannte man, dass das Wasser an den Küsten türkisblau gefärbt war. Die Wellen wogten stürmisch und sacht zugleich mit dem nächtlichen Wind, während die Wasseroberfläche vom blassen Sternenlicht mit einem glänzenden Pinselstrich versehen wurde.
Amaretto steuerte auf eine große Bucht zu, in der sich einige kleinere Inseln befanden, die vom dichten Nebelschleier teilweise verdeckt wurden. Langsam setzte der geflügelte Wolf zur Landung an. Als erstes berührte Moritz den Boden. Kaum hatten die kleinen Hufe des Ponies den Schnee gestreift, löste sich der Knoten der Hängematte. Moritz wurde von der Macht der Gravitation wortwörtlich in die Knie gezwungen und rollte wie eine Walze einige Meter über den feuchtkalten Schnee.
Kichernd sahen die beiden Elfen dem Pony nach, ehe auch sie wegen Amarettos ruckartiger Landung geradewegs in den tiefen Schnee katapultiert wurden.
„Das war ja eine Glanzlandung", stöhnte Cynthia und grub sich aus dem Schnee, der den Elfen bis zu den Schultern reichte.
„Seht nur!" Amaretto machte große Augen und betrachtete die außergewöhnlichen Nordlichter am Himmel.
Grüne und sogar hellblaue Lichtbalken wirbelten schlangenartig durch die Luft, als führten sie einen Tanz auf. Und plötzlich, als das Spektakel seinen Höhepunkt erreicht zu haben schien, öffnete sich wenige Meter vor ihnen ein riesiges Portal. Es war jenes magische Portal, welches sie zu Elfina nach Nah Taesi bringen würde.
Ein zufriedenes Grinsen stahl sich auf Nooras Lippen. Sie hatte also doch Recht behalten. Nah Taesi, das verzauberte Winterreich war nicht bloß ein Mythos oder ein Ammenmärchen gewesen. Diesen Ort gab es tatsächlich.
Cynthia hielt ihren Blick perplex auf das Portal gerichtet, das wie eine senkrechte Wasseroberfläche glänzte und putzte sich den Schnee von ihrer Kleidung. „Hah", entwich es ihr beeindruckt. „Ich hab dich ehrlich unterschätzt, Noora."
Nun kam auch Moritz hinzu. Das Pony kämpfte sich mit aller Mühe durch den hohen Schnee und lief dabei entschlossen auf das Portal zu. „Beeilt euch lieber und kommt in die Hufe. Wir haben nicht ewig Zeit!"
Geschwind folgten die beiden Elfen und der Wolf Moritz durch das verschwommene Rechteck und gelangten in eine Welt die so voller Licht und Glanz war, dass Noora plötzlich klar wurde wieso jegliche Erzählungen über Nah Taesi so vertraulich behandelt wurden. Jeder würde eine Reise in dieses Traumland antreten wollen und bald darauf wäre diese unberührte Natur komplett verwüstet.
Noora seufzte und ließ ihren Blick schweifen. Zwischen den mit Schnee bestäubten Hügeln flossen rauschende Flüsse, die sich ihren eigenen Weg hinunter ins Tal bahnten. Doch das wahre Herzstück von Nah Taesi befand sich verborgen hinter einigen Fichten und Tannen. Es handelte sich um den legendären Eispalast der mächtigen Zauberin Elfina.
Einige wundersame Wesen kreisten um die spitzen Dächer des Eisschlosses. Sie brachten die kalte Festung mit ihren freudigen Luftsaltos förmlich zum Schmelzen.
Die Freunde konnten sich nicht satt sehen an diesem famosen Anblick. Ihr Staunen wurde allerdings von etwas Ungewöhnlichem unterbrochen, das ihre Aufmerksamkeit forderte. Auf einem Thron aus gläsernen Weihnachtskugeln sitzend, näherte sich ihnen eine Gestalt, die sie bei einem Blick auf ihre rechte Hand zweifelsohne als die legendäre Zauberin identifizierten.
Elfina schwang ihren Zauberstab mit einer eleganten Bewegung, woraufhin vereiste Seifenblasen unter den Freunden entstanden die sie ebenfalls schweben ließen. Wenn eine Blase platzte, wurde sie sofort durch eine Neue ersetzt. Es war verrückt und magisch zugleich.
Die Zauberin warf den Freunden ein charmantes Lächeln zu und rückte dabei ihre schulterlangen Engelslocken zurecht.
„Gäste! Wie mich das entzückt! Es gibt kaum noch Leute, die halsbrecherisch und fantasievoll genug sind, um mich hier aufzusuchen... Ihr seid doch gekommen, um mich zu sehen... oder?", gab die Frau mit hoher Stimme einen Wortschwall von sich.
Noora und Cynthia stimmten ein eifriges Nicken an, das Elfinas eindringliches Lächeln noch heller wirken ließ. „Welch eine Ehre... und Freude! Ach, es ist so schön Gäste zu haben! Ihr wisst ja nicht wie mürrisch diese Eisknuffelbären auf Dauer sein können. Ein Fell aus weichster Watte, doch einen Sturkopf so hart wie Stein." Schulterzuckend seufzte die Zauberin. Die Seifenblasen und ihr Thron schwebten direkt auf ihr Schloss zu.
„Na ist auch egal, jetzt bin ich ja wieder in guter Gesellschaft. Übrigens nennt man mich Elfina in diesen äußerst glamourösen Gestaden, zumindest von denen, die sprechen können. In den frühlingshaften Regionen gibt es viele gesprächige Tierwesen, in den nördlichen Gebieten allerdings... tja wie soll ich's sagen... weiße Struppelriesen, eigensinnige Knuffelbären und begriffsstutzige Glubschfittiche sind eben nicht die besten Gesprächspartner, zumal die Glubschfittiche meist als Abendessen der Knuffelbären enden."
„Glubschfittiche?", fuhr Moritz der Zauberin irritiert dazwischen. Kurz herrschte Stille. Elfina hob prüfend ihre fein gezupften Augenbrauen und zog die Nase kraus.
„Ein sprechendes Pony? Ist das niedlich!", kicherte sie amüsiert. „Genau. Aber versteh mich nicht falsch, Glubschfittiche sind die reinsten Augensterne! Kleine, bunt gefiederte Wesen mit winzigen Flügeln und riesigen Knopfaugen. Die sind so süß, kein Wunder, dass sie immerzu als Dessert enden." Eine heitere Laune schwang in Elfinas Worten mit, die irgendwie alle ansteckte.
Nachdem sie auf einem mit Mosaiken verzierten Balkon gelandet waren, begann Noora erstmals zu sprechen. „Wir brauchen Ihre Hilfe", sagte sie ohne Umschweife gerade heraus.
Die Zauberin hielt in ihrer Bewegung Inne. Das Lächeln verschwand langsam aber doch von ihren Lippen. „Lasst uns drinnen bei einer heißen Schokolade reden", schlug sie ernst vor und sah durch die Runde.
Als die Elfen der Zauberin die momentane Situation ausführlich geschildert hatten, hofften sie auf die Unterstützung der Zauberin. Doch anscheinend verband Elfina und Santa mehr, als man auf den ersten Blick sah.
„Sie waren mal die Frau von Santa?", schoss es empört aus Moritz heraus, der sich schon wieder an fremden Süßigkeiten vergriffen hatte. Kaum hatte er den Saal betreten, roch er, dass die Eisfigurensammlung nicht aus Eis, sondern aus besprühter Schokolade bestand.
„Und mehr noch. Ich war seine rechte Hand. Allerdings bin ich zu leichtfertig mit meinem Zaubersprüchen umgegangen. Meine Geschenke wurden zu ausgefallen, zu pompös, zu extrem eben. Die Kinder sollten zwar an Santa, den lieben, weißbärtigen Weihnachtsmann glauben, aber nicht an die Existenz von unbegrenzter Magie. Da ich meinen Hang zum Extravaganten jedoch nicht zügeln konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als mir mein eigenes, kleines Reich zu erschaffen. Hier ist es mir möglich meiner Leidenschaft ungestört nachzugehen."
„Und Santa hat dich einfach gehen lassen?", fragte Noora verdutzt.
Elfina nickte. „Ja, aber ich wollte das auch so. In Nah Taesi bin ich glücklich und zufrieden. Santa hat mich in Wahrheit nur aufgehalten. Erst ohne ihn konnte ich mich richtig entfalten, wisst ihr."
„Mag sein, dass Sie Santa nicht brauchen, aber glauben Sie uns, Santa braucht sie gewiss!" Cynthia sprang von ihrem Stuhl auf und durchbohrte Elfina mit flehenden Blicken.
Die Zauberin kicherte amüsiert. Sie stellte ihr Getränk aus der Hand und schüttelte den Kopf. „So ein Unsinn!"
„Ohne Sie verblasst die Erinnerung an Santa zunehmenst. Ohne Sie glaubt niemand mehr an Magie. Das müssen wir schleunigst ändern!", insistierte Cynthia so überzeugend, dass sogar Moritz überrascht aufsah und von dem verführerischen Hüftgold abließ.
„Ihr Elfen seid wirklich zielstrebige und unnachgiebige Wesen", murmelte die Zauberin und tippte sich nachdenklich auf die Lippen, ehe sie kurz in sich ging. Als Elfina wieder aufsah, schien sie eine Entscheidung gefällt zu haben.
„Wisst ihr was, ich habe Santas Wichtel, Kobolde und Rentiere schon seit Ewigkeiten nicht mehr zu Gesicht gekommen... ein kleiner Besuch klingt nach einer gar nicht so schlechten Idee, wenn ich recht überlege."
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