1. Advent
gefährliche Nachtfunken
Es war bereits dunkel geworden. Die Nacht hatte ihren Schleier über den Himmel ausgebreitet und ließ die Sterne hell leuchten. Kaum eine Brise wehte in dieser bitterkalten Nacht, die noch lang werden würde.
Ein leises Seufzen entfuhr Noora, als sie ein weiteres Couvert zufaltete und zur Seite legte. Hinter ihr knisterte das Kaminfeuer. Ein angenehmer Duft von Zimt und Tannenzweigen lag in der Luft.
Die kleine Elfe hob ihren Kopf und blickte aus dem Fenster vor ihr. Es war so kalt draußen, dass sich ein eisiger Frost auf die Scheiben gelegt hatte. Noora lehnte sich über ihren Arbeitstisch und blinzelte.
Die Nacht hatte alles Licht verschlungen, doch der kugelrunde Mond leuchtete dennoch hell und in voller Pracht. Ein Lächeln machte sich auf den fein geschwungenen Lippen der Elfe erkennbar. Sie klemmte sich ihre vorderen Silbersträhnen hinter ihre spitzen Ohren und hielt ihren Blick in die Ferne gerichtet.
Sie spürte, wie der ganze Stress und die Sorgen, die ihr schon seit Wochen den Magen verknoteten, langsam verschwanden. Sie genoss diese friedlichen Winternächte sehr.
Auf einmal vernahm die Elfe ein Ziehen an ihrem tannengrünen Kleid. Etwas knabberte an ihr. Sogleich blickte Noora über die Schulter zurück und erspähte daraufhin Moritz, das freche Hauspony.
„Du wirst von der Kuchen-, der Marmeladen- und der Tortenfee gesucht", merkte die Elfe mit einem strengen Unterton an, konnte sich aber ein Schmunzeln nicht verkneifen. Moritz war ein echter Vielfraß. Zum großen Leidwesen der tüchtigen Feen war keine Süßigkeit vor ihm sicher.
Mit einem schiefen Lächeln sah das Pony zu Noora auf und leckte sich über die Nüstern. „Es war ein anstrengender Tag. Ich musste Energie tanken", erwiderte das Pony mit einem Magenknurren und zog eine süße Schnute.
„Du hast sicher wieder alle Lakritzeleckereien verputzt, stimmt's oder hab ich Recht?" Das kleine Licht der Tischkerze flackerte in Nooras Augen. Sie stemmte die Arme gegen die Hüfte und hob eine Augenbraue.
Das dunkelbraune Pony, dessen struppige Mähne ihm weit ins Gesicht hing, warf Noora noch ein charmantes Lächeln zu, ehe es sich blitzschnell umwandte und durch den Arbeitssaal der Weihnachtselfen tänzelte.
Die morschen Holzwände reichten einige Meter in die Luft empor und stemmten eine große Glaskuppel, die als Dach diente.
Wenn sich Santa spät abends in seiner gemütlichen Dachstube eine Pause von seiner zu erledigenden Arbeit erlaubte, nahm er auf seinem weichen Armsessel Platz und beobachtete die Sterne durch die Dachkuppel. Dabei nippte der alte Langbart gerne an seinem selbst gebrannten Schnaps, während er sich mit frisch gebackenen Plätzchen verköstigte.
Eindrucksvolle Tannenbäume schmückten den Arbeitsplatz der Elfen und Kobolde. Die Lichterketten zwischen den Nadelzweigen sahen aus wie kleine Sterne. Moritz legte sein Augenmerk jedoch stets auf den köstlichen Lebkuchenschmuck, den er immerzu stibitzte. Lebkuchen mochte er nämlich schon immer am liebsten. Und es schmeckte einfach so viel besser, wenn es gestohlen war.
Gierig schnupperte das Pony an einem der Tannenbäume, um den sich zahlreiche Kindergeschenke stapelten. Verpackt in buntes Geschenkpapier und mit eindrucksvollen Schleifen verziert, standen sie nebeneinander und warteten nur darauf verschenkt zu werden.
Als Moritz ein ernstes Räuspern vernahm, schreckte er hoch. Noora hatte ihren Sessel verlassen und stand nun direkt hinter dem Pony.
„Ich glaube du hattest genug für heute", sagte sie mit freundlicher Strenge.
„Jaja, ich hab's kapiert!", erwiderte Moritz und rollte mit den Augen, ehe er grüblerisch fort fuhr. „Was machst du eigentlich noch hier? Es ist doch schon richtig spät! Sogar Santa hat sich schon mit seinem persönlichen Rehntier- Taxi auf den Heimweg zu Mrs Santa gemacht."
Noora zuckte mit den Schultern. „Diese Woche sind gleich drei Elfen auf einmal ausgefallen. Alle liegen krank im Bett. Cynthia und ich müssen die Weihnachtsbriefe alleine durcharbeiten und dieses Jahr sind wieder ein paar richtig lange und anspruchsvolle Wunschlisten dabei", seufzte die Elfe und ging wieder zurück zu ihrem vollgeräumten Arbeitsplatz. Das kleine Pony folgte ihr hastig, als wäre es ihr Schatten.
„Ich dachte die Kobolde sind für die Geschenkproduktion verantwortlich", wandte Moritz verwundert ein. Noora nickte und lächelte auf das Pony herab.
„Ja, da hast du Recht. Die Kobolde sind ausgezeichnete Handwerker, doch wir Elfen müssen erst den richtigen Zauberspruch erfinden, um das perfekte Geschenk erschaffen zu können." Verwirrt verzog das Pony sein Gesicht und neigte seinen Kopf fragend zur Seite.
„Warte, ich dachte die Kinder bekommen das, was sie sich wünschen?" Da lachte die Elfe erheitert auf, so dass es so aussah, als würden die Sommersprossen auf ihrer blassen Haut zu hüpfen beginnen.
„So ein Unsinn! Würden wir den Wunschlisten uneingeschränkt Folge leisten, kämen wir ja gar nicht mehr voran und würden nie fertig werden." Die Elfe kramte einen der Briefe aus dem bereits erledigten Briefestapel und zog ihn aus seinem Couvert. „Anna- Marie hier schreibt zum Beispiel:
Lieber Santa Claus,
Zu Weihnachten will ich mit Iron Man zum Mond fliegen. Ich will so einen Dinosaurier aus Jurassic Park als Haustier haben. Ich will mit Alice und dem Hutmacher Tee trinken. Ich will mit Yoda ein Lichtschwert- Battle austragen. Ich will einen Zauberstab, um Hagrid in einen Drachen verwandeln zu können und dann hätte ich noch gerne neue I Phone Kopfhörer, bitte", las Noora kopfschüttelnd vor, während das Grinsen des Ponys langsam breiter wurde.
"Eine Wunschliste mit Stil würde ich meinen", antwortete Moritz grinsend und sprach sogleich weiter. "Und was hat Anna- Marie schlussendlich bekommen?"
Noora legte den Brief weg und erwiderte nüchtern: "Freikarten für die nächste Comic- Con inklusive Kostümgutscheine."
Für einen Moment sahen sich beide stillschweigend an, ehe sie gleichzeitig zu lachen begannen. "Eine wirklich gute Alternative! Heißt das etwa keine neuen Kopfhörer für Anna- Marie?"
"Ganz recht, keine neuen Kopfhörer", bestätigte Noora grinsend, als ein lauter Rums ertönte, der beide aufschrecken ließ.
Der Boden bebte und ein Geschenk nach dem anderen regnete auf die beiden herab. Noora und Moritz konnten sich noch im letzten Moment retten und liefen zur Hintertür hinaus.
Auf der anderen Seite der von Schnee bedeckten Wiese, wo sich der Rentier- und Pferdestall sowie die Unterkünfte der Kobolde, Wichtel, Feen und Elfen befanden, war ein großes Feuer ausgebrochen. Die heißen Flammen schlugen wie wild um sich und fraßen sich tief ins Holz der Hütten.
Es herrschte ein ziemlicher Tumult. Alle liefen panisch umher und versuchten vergebens das Feuer zu löschen.
"Oh nein, was... was ist denn da passiert?" Noora war schockiert. Mit großen Augen und einem bleichen Gesicht sah sie zu Moritz, dem ebenfalls für einen Moment die Worte fehlten.
"Ohweija... Spring schnell auf, Noora! Wir müssen den anderen unbedingt helfen!", schoss es kurz darauf aus dem Pony heraus, das nun tatkräftig den Hals aufstellte.
Die kleine Elfe tat wie ihr geheißen und setzte sich auf Moritz Rücken. Kaum hatte sie sich an seiner struppigen Mähne festgeklammert, raste das kleine Pony auch schon im vollen Galopp über das Schneefeld, geradewegs auf das Feuer zu.
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