Kapitel 31
Am Morgen wollte ich nicht aufstehen, am liebsten nie wieder. Mit Hicks' Arm um mich und eingekuschelt in die dicke Decke, war es schön gemütlich, weshalb sich ein Lächeln auf meine Lippen schlich. Ist es mir erlaubt zu wünschen, den Rest meines Lebens so geborgen aufzuwachen? Dass ich endlich in einer glücklichen Beziehung sein darf? Ich war mir im Klaren darüber, dass ich längst nicht alles über Hicks wusste, dass er aus irgendeinem Grund Geheimnisse hatte, aber jetzt, wo wir so intim miteinander und ein Paar waren, da würde er sich mir bestimmt mit der Zeit öffnen. Er würde merken, dass er mir zu einhundert Prozent vertrauen kann. Das hoffte ich zumindest.
Mein knurrender Magen riss mich aus meine Gedanken und ließ mich meine Augen öffnen. Die ganzen Snacks, die ich gestern auf der Party verputzt habe, hatten ihm wohl nicht gereicht. Oder zumindest nur bis zu diesem Zeitpunkt.
Ein leises Lachen hinter mir verriet mir, dass Hicks es ebenfalls gehört hatte. »Dobroye utro. Da scheint wer Hunger zu haben.« Sein Atem striff meinen Hals, als er dort anfing kleine Küsse zu verteilen. Mir wurde sofort warm.
Oh. Mein. Gott. Diese Morgenstimme wird mein Ende sein, dachte ich mir. Da kamen seine russischen Wurzeln eindeutig zur Geltung. Dass der Unterschied am Morgen wirklich so groß ist, wie man manchmal gesagt bekommt, hätte ich nicht gedacht. Ich hatte aber auch noch nie eine männliche Stimme am Morgen gehört.
Seine Lippen wanderten zu der Stelle unter meinem Ohr, den Kiefer entlang und pressten einen letzten Kuss auf meine Wange, bevor ich mich auf den Rücken drehte, um ihn ansehen zu können. Er strich meine Haare aus meinem Gesicht, legte seine Hand danach an meine Wange und ließ seinen Daumen darüber streichen. Seine wunderschönen grünen Augen strahlten mir entgegen. Er war so sanft, so vorsichtig, auch heute Nacht. Er hat nichts gemacht, ohne vorher ein Nicken als Bestätigung von mir zu bekommen - denn zu sprechen war ich nicht mehr imstande gewesen. Ich wusste, dass wenn ich auf einmal gestoppt hätte, er ohne zu zögern von mir abgelassen hätte. Er wäre nicht einmal sauer gewesen, weil er mein Wohlfühlen vor seine Lust stellte. Ich stand ganz oben auf seiner Prioritätenliste und diese Realisierung ließ mein Herz Achterbahn fahren.
»Ty prekrasna«, flüsterte er, während seine Augen über alles blickten, was er von meinem Körper sehen konnte.
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. »Was bedeutet das?«
Er antwortete nicht, sondern küsste mich liebevoll, wobei ich sein eigenes Lächeln spüren konnte. Ich spielte gerade mit dem Gedanken, meinen Mund zu öffnen, um es zu vertiefen, doch dann meldete sich mein Magen wieder. Er zog sich grinsend zurück.
»Wir sollten dir wohl endlich etwas zu essen geben«, sagte er und nahm seine Hand weg, um sich hinsetzen zu können. Ich seufzte nur, woraufhin er lachte.
Wir zogen uns an, verschwanden jeweils kurz im Badezimmer und gingen dann zusammen in die Küche. »Was hättest du gerne zum Frühstück?«, fragte ich ihn vor dem offenen Kühlschrank stehend.
»Pancakes«, sagte er sofort. Ich zog fragend eine Augenbraue hoch, woraufhin er mit den Schultern zuckte. »Was? Das ist das beste, was die Amerikaner erfunden haben.« Ich lachte und holte Milch und Eier heraus.
Er half mir bei der Zubereitung, briet sie sogar selbst in der Pfanne, denn auch wenn es mein Zuhause und er der Gast war, wollte er nicht nur doof daneben stehen, wie er mir beim Eier aufschlagen erklärte. Außerdem liebte er es, Pancakes zu flippen. Ich verlangte nur von ihm, dass keiner auf dem Boden oder an der Decke landete, woraufhin er lachte. Da wir keinen Sirup hatten, gab es Marmelade oder Nutella dazu. Während er grinsend seiner Beschäftigung nachging, deckte ich den Tisch, schüttete uns jeweils ein Glas Orangensaft ein und schaute nach, ob mein Vater im Bett lag. Den hatte ich nämlich ehrlicherweise total vergessen. Meine Prioritäten hatten heute Nacht woanders gelegen. Es war aber leer, also hatte er zu viel getrunken und bei seinem Kollegen übernachtet, wo er Silvester feiern war.
Nachdem Hicks den gesamten Teig zu lecker riechenden, dicken Pancakes gebraten hatte, setzten wir uns an den Tisch und begannen zu frühstücken. Es war herrlich einfach nur da zu sitzen und Neujahr gemeinsam zu genießen. Er war weiterhin sanft, lächelte mich fast die ganze Zeit an, als wäre ich das Beste, was er je erblickt hat. Würde es Herzaugen in der Realität geben, hätte ich eindeutig welche.
Nachdem wir jeweils unseren dritten Pancake verdrückt hatten und eine kleine Pause einlegten, stolperte mein Vater zur Tür hinein. Wortwörtlich. Ich sprang sofort auf, auch wenn ich nicht schnell genug bei ihm wäre, aber er fing sich lachend wieder und schloss die Tür. Entweder hatten sie bis mindestens vier Uhr morgens getrunken oder mein Vater war nicht resistent genug. Auf jeden Fall hatten Hicks und ich etwas zu lachen. Wir beobachteten ihn vom Türrahmen des Esszimmers aus, wie er seinen Schlüssel anstatt in die vorgesehene Schüssel, auf den Boden fallen ließ. Um seine Jacke aufzuhängen, brauchte er drei Anläufe und bei den Schuhen musste er sich an der Wand festhalten. Die ganze Zeit kicherte er vor sich hin.
»Dad?«, sagte ich, als er seinen Kopf an die Wand lehnte. Ich trat in den Flur. »Alles in Ordnung bei dir?«
Er fuhr herum und schien uns erst jetzt zu bemerken. »Astrid!«, sagte er erfreut und drückte mich an sich. Oh, er war eindeutig noch betrunken. »Ich hab dich soooo lieb.«
Ich musste mein Lachen bei seinem Lallen unterdrücken. »Ich hab dich auch lieb.«
Er gab mir einen Kuss auf den Kopf, ließ mich aber nicht los. »Hallo, Hicks.«
»Hallo, Ned. Schön gefeiert?«, antwortete er.
»Jaaaaa.« Ich spürte das Brummen seiner Stimme durch meinen Schädelknochen. »'S war sehr lustig.«
Mittlerweile konnte ich das leise Lachen nicht mehr unterdrücken. Das war einfach zu absurd, wie er mich hier lallend im Arm hielt und gar nicht darauf einging, dass Hicks so früh hier war. Er bekam die Hälfte um sich herum wahrscheinlich nicht einmal mit.
»Ich denke«, sagte ich und löste mich langsam von ihm, »du solltest ins Bett gehen.« Es war zwar bereits halb elf Uhr morgens, aber er brauchte definitiv noch ein paar Stunden Schlaf.
Er nickte ein paar Mal. »Das'n gute Idee.« Er verschwand torkelnd die Treppe hinauf. Ich drehte mich grinsend zu Hicks, der ebenfalls belustigt lächelte.
»Ich habe erwartet, dass er mich fragt, warum ich so früh hier bin«, sagte er und folgte mir zurück an den Tisch.
»Dasselbe habe ich mir gerade auch gedacht«, sagte ich lachend. »Aber er hat eindeutig noch zu viel Promille. Du warst das letzte halbe Jahr so oft bei uns, wahrscheinlich sieht er es schon als normal an dich morgens zu sehen. Außerdem, wie ich dir gestern gesagt habe, vertraut er mir und würde es mir nicht verbieten, meinen Freund bei mir übernachten zu lassen.«
Er machte eine wegwerfende Geste. »Das ist nun mal neu für mich, es fühlt sich seltsam an.«
»Wie war es denn bei Stacy?«, fragte ich, legte mir einen Pancake auf meinen Teller und nahm die Erdbeermarmelade. Da er nicht antwortete, schaute ich vom Glas zu ihm. Er starrte mich unsicher an. »Oder möchtest du nicht darüber reden?«
»Ich hätte eher gedacht, dass du es nicht möchtest.«
Ich lächelte ihn an. »Nur weil Stacy und ich uns nicht wirklich mögen, heißt es nicht, dass wir nicht über sie sprechen können. Sie war nun mal deine Freundin, so wie Brandon mein Freund war, und über den haben wir auch schon gesprochen. Ich möchte ungerne Details über euer Sexleben hören, aber du kannst mir ruhig erzählen, wie ihre Eltern dich behandelt haben, wenn du es möchtest.«
Er schien sich zu entspannen, zumindest sackten seine Schultern ein wenig runter und die Falte auf seiner Stirn verschwand. »Bei ihnen mussten wir es vorher immer ankündigen. Wann komme ich, wann gehe ich, bleibe ich zum Essen. Manchmal sogar die genauen Uhrzeiten, wenn sie noch irgendwo hinwollten. Es hat sich angefühlt, als würde ich Termine ausmachen, anstatt gemütlich bei meiner Freundin zu übernachten. Und ich musste auf einer Matratze auf dem Boden schlafen.«
Fast hätte ich das Stück Pancake ausgespuckt. »Du verarscht mich.« Er schüttelte den Kopf. »Hast du deshalb gefragt, ob wir eine in mein Zimmer schleppen müssen?« Er nickte. Mir sackte ein wenig das Herz zusammen. Hatte Stacy nichts dagegen gesagt? Hatte sie einfach neben ihm in ihrem gemütlichen Bett geschlafen? »Hast du oft bei ihr übernachtet?«
»Nein«, sagte er und trank einen Schluck Orangensaft. »Ich mochte Stacy, aber ich wollte nicht jedes Wochenende auf dem Boden schlafen. Das war oft ein Streitthema bei uns, auch dass sie nie bei mir übernachten wollte, aber das war meinen Eltern gerecht.« Ich hätte es beinahe nicht bemerkt, aber er stoppte abrupt und verkrampfte sich wieder. Er hatte noch mehr sagen wollen, das sah ich ihm an, doch etwas hielt ihn zurück.
»Mochten sie Stacy nicht?«, fragte ich, als wäre nichts. Er konnte mir vertrauen, das musste ich ihm zeigen.
Er wich meinem Blick aus. »Nicht wirklich.« Er räusperte sich und stellte sein Glas wieder auf den Tisch. Er lächelte, aber es erreichte nicht seine Augen. »Wenigstens ist dein Vater da sehr locker. Tut meinem Rücken gut.« Der letzte Pancake landete auf seinem Teller. Damit war das Thema beendet.
Warum redete er nicht mehr über seine Eltern? Bei deren Roadtrip hatte er es noch getan oder an Weihnachten, als seine Mutter wollte, dass er nach Hause kam. Über seine ganze Familie redete er, seine Babushka, die eine Tante, die ihm immer Schmatzer aufdrückte, wenn sie ihn sah, nur seine Eltern nicht. Was war passiert, seitdem wir uns kennengelernt hatten, dass er über sie schwieg? Und wieso wollte er mich ihnen nicht vorstellen? Irgendetwas stimmte nicht und ich würde herausfinden was genau.
❁
Um halb vier weckte ich meinen Vater, weil Hicks und ich Hunger auf Mittagessen hatten. Ich fragte ihn, was er vom Chinesen wollte und ließ ihn dann in Ruhe aufstehen und sich im Bad fertig machen. Er war zwar nicht mehr betrunken, aber hatte eindeutig einen Kater, weshalb ich ihm eine Aspirin und ein Glas Wasser gab, wofür er sich bedankte. Eine Stunde später saßen wir mit unseren gebratenen Nudeln mit Hähnchenstücken auf der Couch und schauten The Vampire Diaries. Mein Vater hatte die Serie anscheinend mit meiner Mutter mal geguckt, aber nie bis zum Schluss. Da wir erst kurz vorm Ende der dritten Staffel waren, wusste er noch, was passierte.
»Stefans Geschichte wird noch interessant«, sagte er und schob sich eine Gabel Nudeln in den Mund. Er hatte nie gelernt mit Stäbchen zu essen, obwohl meine Mutter immer gesagt hat, dass er einfach keine Lust darauf hatte. »Staffel fünf fand ich gut, das war aber auch die letzte, die ich geschaut habe.«
»Wehe du spoilerst uns, Dad«, sagte ich warnend.
Er grinste mich an. »Würde ich niemals machen.«
Hicks blieb das restliche Wochenende bei uns, musste am Sonntag aber nach Hause, da am nächsten Tag die Schule wieder starten würde. Warum konnten die Weihnachtsferien hier nicht auch zwei Wochen dauern, wie es in Europa der Fall war? Den Gesichtern der Schüler am Montagmorgen nach zu urteilen, wünschten sie sich das ebenfalls. Elsa sah aus, als würde sie an Ort und Stelle einschlafen können.
»Lass uns die Schule abbrechen und Influencer werden«, waren ihre ersten Worte zu mir, weshalb ich schmunzeln musste.
»Nein«, sagte ich nur, woraufhin sie genervt aufstöhnte und zur Tür lief, Jack direkt hinter ihr, der mir aber ein Grinsen zuwarf.
Hicks nahm meine Hand in seine und zog mich mit hinein. »Mir hat sie die Idee auch schon vorgeschlagen und dieselbe Antwort erhalten.« Ich lachte und er lächelte mich von der Seite her an. Es war ihm anscheinend egal, ob Stacy oder irgendwer uns zusammen sah, denn er ließ meine Hand bis zu meinem Spind nicht los und gab mir sogar einen Kuss auf die Wange, bevor er zu seinem ging. Damit war es wohl offiziell für die Öffentlichkeit, was mich schmunzeln ließ.
Die Woche fing mit Aufgaben an und hörte nicht auf. Es war der Endspurt zum Abschluss, also mussten wir die letzten Themen abhaken und danach alles Wichtige für die Prüfungen wiederholen. Die nächsten Monate würden also eine Qual werden, aber dafür hatte ich Hicks, der mir nach wie vor mit allem half und jetzt sogar neue Mittel anwenden konnte, um mich zum intensiven Lernen zu bewegen. Eine davon war mit seinen Fingern Kreise auf meinem Oberschenkel zu zeichnen, während ich versuchte einen spanischen Text zu übersetzen. Je mehr ich übersetzt hatte, desto weiter wanderte seine Hand nach oben. Dass meine Konzentration darunter litt, schien ihn nicht zu interessieren. Ich konnte mich über seine Methoden aber auch nicht beschweren.
Ich arbeitete weiterhin daran, dass er mir mehr über seine Familie erzählte, um herauszufinden, was geschehen war, nur vermied er das Thema Eltern jedes Mal gekonnt. Dafür wusste ich mittlerweile, dass seine Schmatzer gebende Tante insgesamt drei Kinder hatte, zwei Jungs und ein Mädchen, mit denen er allesamt gut auskam. Der Vater war vor ein paar Jahren spurlos verschwunden und hatte sie alleine gelassen. Seine Babushka, die ich am Telefon an Weihnachten gehört habe, war zwar streng, aber liebte sie alle sehr und zeigte das auch. Sein Dedushka, das russische Wort für Opa, war ein ruhiger und sanfter Mann, der sich nicht zurückhielt, seine Liebe zu seiner Frau zu zeigen. Sie hörten sich allesamt wundervoll an, doch trotzdem kam nie das Angebot sie kennenzulernen, wozu ich ihn aber auch nicht drängte.
Die ersten richtigen Zweifel kamen mir am Freitag in der zweiten Woche nach den Ferien. Ich hatte Mr. North ein Update über die Nachhilfe gegeben, woraufhin er ein Gespräch über Hicks und mich angefangen hat. Anscheinend hatte er gesehen, wie wir Hand in Hand zur Cafeteria gegangen sind. Darum habe ich ihn dann erklärt, dass wir uns irgendwie verliebt haben und nun ein Paar waren. Hicks war gar nicht erst mitgekommen, weil er noch etwas holen und danach sofort nach Hause müsste. Er hat mir nicht gesagt, worum es ging, aber er sah dabei aus, als wäre etwas Schlechtes passiert, darum habe ich nicht nachgefragt. Als ich dann aber das Gebäude durch die Seitentür verlassen wollte, weil diese näher zum Büro des Direktors war, sah ich ihn dort bei den Bänken stehen.
Mit Brandon Miller.
———
Du dunnnnn, was jetzt wohl passieren wird? 👀
Und wie immer, hier die Übersetzungen, von denen ich hoffe, dass sie richtig sind:
Dobroye utro: Guten Morgen
Ty prekrasna: Du bist wunderschön
Ich hoffe auch, dass Dedushka stimmt, ich habe bei meiner Suche nämlich zwei Antworten erhalten und diese fand ich passt mehr zu Babushka
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