Kapitel 28 - Hicks' Sicht
17:37 Uhr
Hicks, pass auf, das wird jetzt lang werden, aber ich muss das endlich alles los werden. Falls du bisher dachtest, es lag am Alkohol: Nein, es stimmt, was ich auf der Party gesagt habe. Ich bin absolut bedingungslos in dich verliebt. Mein Körper spielt verrückt, wenn du in meiner Nähe bist, ich kann nicht denken, nicht richtig reden, mein Magen fährt Achterbahn und mein Herz flattert. Wenn du meine Hand nimmst oder mich sonst wo berührst, kribbelt meine ganze Haut und ich verliere für einen Moment den Verstand. Du machst mich total verrückt, von Kopf bis Fuß.
Deshalb können wir keine Freunde sein, denn Stacy weiß es, sie hat es schon lange vermutet und natürlich will sie mich deshalb nicht in deiner Nähe haben. Darum kam sie zum Grab meiner Mutter, darum war ich nicht mehr in der Cafeteria, darum gehe ich dir aus dem Weg. Ich halte es nicht aus, wie sie mich versucht mit ihren Blicken zu töten, wie sie dich extra an sich drückt um mir zu zeigen, dass du mit ihr zusammen bist. Wenn du mit ihr glücklich bist, dann bitte, bleib bei ihr, aber ich will nicht diejenige sein, die du heimlich und halb betrunken am hintersten Ende einer Party küsst, nur weil ihr nicht gänzlich miteinander auskommt, und ganz ehrlich, das habe ich nicht verdient. Ich will nicht der Fremdgehgrund sein, nicht einmal ihr würde ich das antun wollen, auch wenn es bereits geschehen ist. Ich will nicht bei jedem Mal mein Herz in tausend kleine Stücke gebrochen bekommen, nur um deine Lippen für zwei Minuten auf meinen zu spüren. Ich will es nicht und ich kann es nicht, es macht mich kaputt.
Hiermit ist dann wohl das Ende von was auch immer wir waren erreicht. Also, danke, dass du mir mit der Schule geholfen hast. Danke, dass du von Anfang an freundlich zu mir warst, obwohl ich abweisend, kalt und gemein war. Danke, dass du mich nicht aufgegeben hast, dass du mich aufgemuntert hast, wenn meine Welt nur noch grau war. Danke, dass ich dir meine Leidenschaft zeigen durfte und dass du dir die Videos wirklich angesehen hast. Danke, dass du mir immer zugehört hast.
Und vor allem danke, dass du mein Freund warst, als ich niemanden hatte. Das hat mir mehr bedeutet, als ich in Worte fassen kann.
Mittlerweile konnte ich die Worte nur noch verschwommen lesen, aber das machte nichts, ich konnte den Text bereits auswendig. Wie hatte ich all das nicht vorher sehen können? Wie hatte ich nicht vorher handeln können? Was war denn nur los mit mir? Warum zur Hölle hatte ich so an Stacy gehangen? Weil sie meine erste Freundin war? Weil ich all meine ersten Male mit ihr hatte? Verdammt, ich hatte keine Ahnung, aber jetzt kam mir das alles so dumm vor. Sie war es nicht wert, sie war es nie wert gewesen.
Und Astrid hatte ich jeden Tag damit verletzt. Natürlich hielt sie sich deshalb von mir fern und nicht, weil sie es bereute, mit mir rumgemacht zu haben. Sie hatte mir doch vorher gesagt, dass sie in mich verliebt ist, wie hatte ich mir sowas einreden können? Was war mit meinem Kopf los? Ich verstand mich selbst nicht mehr.
Stacy war Geschichte. Ich wusste nicht einmal mehr, warum ich mit ihr zusammen war, mir fiel kein guter Grund ein. An dem Samstag hatte mich wirklich nur die Neugier zu ihr gebracht und Astrid hatte mich dort gehalten. Seitdem haben wir uns nur in der Schule gesehen. Sie hatte zwar versucht, mit mir auszugehen, aber ich hatte jedes Mal eine Ausrede parat, denn wie mir endlich klar wurde, wollte ich es nicht. Ich wollte sie nicht, kein bisschen, schon lange nicht mehr. Ich hätte sie längst fallen lassen sollen.
Was sollte ich jetzt tun? Was konnte ich tun? Astrid hatte mir gerade buchstäblich all ihre Gefühle offenbart, aber gleichzeitig unsere Freundschaft, oder was auch immer daraus geworden war, gekündigt. Wie sollte ich ihr erklären, dass ich der größte Vollidiot überhaupt war und eigentlich schon länger wusste, dass ich in sie verknallt war, nur aus irgendeinem Grund, den nicht einmal ich wusste, bei Stacy geblieben bin? Ich musste es irgendwie versuchen, das war ich ihr schuldig. Ich konnte aber auch nicht so einfach aufgeben. Sie bedeutete mir zu viel, diese Chance würde ich mir nicht entgehen lassen.
Aber vorher würde ich noch einen Abstecher bei Stacy machen.
❁
18:04 Uhr
Mach die Tür auf
Es war vorbei mit netten Worten, ich hatte mein Limit erreicht. Das schien sie jedoch nicht zu stören, denn sie brauchte nicht lange, bis sie grinsend im Türrahmen stand. »Hicks, was für-«
Ich unterbrach sie sofort. »Hast du Astrids Nummer auf meinem Handy blockiert? Und wehe du lügst mich an, Stacy.«
Ihr Grinsen blieb, aber etwas in ihrem Gesicht änderte sich. Sie sah mit einem Schlag bitter aus. »Wie kommst du darauf?«
Natürlich versuchte sie auszuweichen, sie ist schuldig. »Beantworte die Frage. Hast du sie blockiert oder nicht?«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Warum schickt sie dir Videos von sich?«
Das ließ mich kurz zurückschrecken. Sie hatte mir eines ihrer Training Videos geschickt, obwohl wir nicht miteinander redeten? War das ihr Versuch gewesen, wieder in Kontakt zu treten? Oh nein, was hatte Stacy nur geantwortet? Hatte Astrid heute deshalb so mies ausgesehen und mich nicht einmal mehr eines Blickes gewürdigt?
Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Sie trieb mich wirklich zur Weißglut. »Was hast du getan?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihr gesagt, dass sie es lassen soll. Sie hat dir keine Videos von sich bei was auch immer zu schicken, wenn du eine Freundin hast.« Ihr selbstgefälliger Ton ließ mich sie schlagen wollen, aber so weit konnte ich mich noch beherrschen.
»Du hast rein gar nicht zu entscheiden, wer mir was schickt!«, schrie ich sie an, denn mittlerweile konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Sie trat erschrocken einen Schritt zurück. »Ich habe ihr gesagt, dass sie mir die Videos von ihrem Training schicken soll, weil ich sie sehen wollte. Ich wollte wissen, welche Fortschritte sie macht, weil ich verdammt nochmal in sie verliebt bin.«
Sie schaute mich mit großen Augen an. Ich konnte die Angst vor meinem lauten Tonfall darin widergespiegelt sehen und die Wut, die sich langsam bildete, als die Bedeutung meiner Worte bei ihr ankamen. Deshalb ließ ich nun die Bombe platzen. »Ich habe sie auf Mitchells Party geküsst.«
Ihr Gesicht fiel in sich zusammen. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, hast du nicht. Du würdest nicht-«
»Doch, habe ich.« Sie starrte mich entgeistert an. Ihre Gefühle waren mir in dem Moment absolut egal, sie hatte die Wahrheit verdient und die legte ich ihr auf den Tisch. »Ich bereue es nicht, auch wenn ich weiß, dass es falsch war. Du magst ein gehässiger, gemeiner, manipulativer, kontrollsüchtiger Psycho sein, aber betrogen zu werden hast selbst du nicht verdient. Das wäre nicht passiert, wenn ich nicht aus irgendeinem Grund an dir gehangen hätte. Ich hätte nicht zu dir kommen sollen, als du mir geschrieben hast. Unsere Beziehung hätte beendet bleiben sollen, das habe ich endlich verstanden. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben.«
Damit drehte ich mich um und ließ sie in der Haustür stehen.
❁
Astrids Haus war dunkel, nur die Weihnachtsdeko im Garten und an den Fenstern leuchtete. Sie war nicht zu Hause. Scheiße.
Ich holte auf dem Weg zur Bushaltestelle mein Handy raus und wählte ihre Nummer; sie drückte mich nach dem zweiten Ton weg. Seufzend fuhr ich mir durch die Haare, in der sich der Schnee sammelte, der vom Himmel rieselte. Ich konnte es ihr nicht verübeln, sie musste mich hassen. Wo könnte sie an einem Montagabend sein? Wer könnte es wissen?
Meine Finger suchten Elsas Nummer heraus, bevor ich überhaupt an sie denken konnte. Sie ging sofort dran. »Was willst du, du Idiot?«
»Weißt du, wo Astrid ist?«
Sie blieb kurz still. »Nein.«
»Du hast gezögert, das heißt, du lügst.«
Sie stöhnte genervt. »Warum willst du das wissen? Um ihr weiter das Herz zu brechen?«
Ich verdrehte meine Augen. »Nein, natürlich nicht. Ich will ihr alles erklären.«
»Und was genau?«
Nun war ich an der Reihe, genervt zu stöhnen. »Man, Elsa. Es war Stacy, okay? Sie hat Astrid auf meinem Handy blockiert und ihr vorher noch irgendwas geschrieben, weshalb es ihr heute so schlecht ging. Glaub mir, ich habe sie gerade darüber ausgefragt.«
»Hast du Schluss gemacht?«
»Scheiße, ja, natürlich habe ich das!« Ich seufzte. »Bitte, Elsa, sag mir wo sie ist, damit ich es irgendwie wieder gutmachen kann.«
Sie war wieder still, einen Herzschlag, zwei Herzschläge, zehn. »Sie ist mit ihrer Familie im Delizioso essen.«
Ich atmete erleichtert aus. »Danke, Elsa.«
»Bedank dich bei mir, wenn sie dir vergeben hat.«
❁
Das Delizioso war ein drei Sterne Restaurant in der Fußgängerzone in der Innenstadt, das immer gut besucht war. Auch heute Abend war es wieder voll, die Schlange der wartenden Gäste ging bis vor die Tür. Ich stellte mich an die Ecke der Fensterfront, um nicht ganz wie ein Spanner auszusehen und weil hier niemand saß. Ich suchte das Restaurant nach meinem Blondschopf ab.
Sie saß an einem der hinteren Tische, an der Ecke, neben ihr war ihr Vater. Ich konnte ihre Cousinen, Tante und Großmutter ausmachen, neben ihrem Vater waren noch eine ältere Frau und neben ihr ein älterer Mann. Das müssten ihre Großeltern aus Kalifornien sein. Eigentlich wollte ich deren Familienzeit nicht stören, aber ich konnte jetzt nicht einfach kehrtmachen. Wir mussten das klären.
Also wählte ich ihre Nummer. Sie schaute auf ihr Handy, was neben ihrem angefangenen Salat auf dem Tisch lag, und drückte mich erneut weg. Ich seufzte. Na gut, dann eben per Nachricht.
18:50 Uhr
Könntest du bitte
rauskommen?
Sie schaute wieder auf ihr Handy, zog ihre Augenbrauen verwirrt zusammen und nahm es in die Hand, als würde sie die Worte vom Nahen betrachtet besser verstehen können. Ihr Kopf schnellte hoch, die Wangen rosa und ihre Augen auf der Suche nach mir. Sie brauchte nicht lange, da fand sie mich. Kurz sah sie aus, als verstünde sie die Welt nicht mehr, aber das legte sich schnell. Sie sagte etwas zu ihrer Familie, stand dabei auf, nahm sich ihre Jacke und steuerte dann auf den Ausgang zu.
Draußen schloss sie noch den Reißverschluss, auch wenn ich bezweifelte, dass das viel half, immerhin trug sie keine Hose sondern eine Strumpfhose und nur Stiefeletten. Schnee landete in ihren Haaren, als sie vor mir stehen blieb und mich verwirrt anschaute. Ihr schien das Licht aufzufallen, was vom Inneren auf uns leuchtete, weshalb sie mich in die Seitengasse neben dem Restaurant schob.
Erst dann sah sie mir in die Augen. »Was zur Hölle machst du hier?«
Ich kam nicht darüber hinweg, wie hübsch sie heute Abend aussah, obwohl sie nichts an sich verändert hat. Ihre Haare fielen offen über ihre Schultern, wie ich es jeden Tag sah, sie hatte keinen Lidschatten oder Lippenstift drauf. Sie war von Natur aus die schönste Person, die ich jemals gesehen habe.
Ich merkte, dass ich sie anstarrte, weshalb ich mich aus meine Gedanken riss und räusperte. »Ich muss mit dir sprechen.«
Sie sah mich für einen Moment nur an, schüttelte dann den Kopf. »Nein, nicht jetzt.« Sie drehte sich um, bereit, mich stehen zu lassen, also ließ ich die Worte einfach aus mir hinaussprudeln.
»Es war Stacy.« Sie blieb stehen, sah mich wieder an. »Sie hat dich auf meinem Handy blockiert. Wir waren Samstag auf einer kleinen Party von einer ihrer Freunde, zu der sie mich mit Gruppenzwang überredet haben hinzugehen, denn eigentlich hatte ich keine Lust auf irgendwen von denen. Ich habe wirklich nur fünf Sekunden mein Handy aus den Augen gelassen, aber in der Zeit musst du mir das Video geschickt haben. Stacy hat es gesehen, dir geantwortet und dich danach blockiert. Ich habe es ehrlich bis vorhin nicht gewusst.«
Sie sah mich weiterhin nur an, weshalb ich fortfuhr. »Welchen Grund hätte ich, dich zu blockieren? Ich habe gehofft, dass du dich meldest.«
»Wieso hast du dich nicht gemeldet?«, unterbrach sie mich. »Wieso hast du mich ignoriert und bist bei Stacy geblieben? Wieso sagst du mir, dass du mich willst, küsst mich, als gäbe es keinen Morgen und lässt mich dann links liegen?« Ihr standen Tränen in den Augen, die sie wegblinzelte.
Ich schluckte. »Ich dachte, du bereust es, weil dir dann aufgefallen ist, wen du eigentlich geküsst hast.«
Sie zog ihre Augenbrauen zusammen. »Wie kommst du darauf?«
»Du bist danach ohne ein weiteres Wort gegangen.«
Sie seufzte. »Hicks, ich bin gegangen, weil ich wollte, dass du die Sache mit Stacy regelst. Du solltest dir endlich klar werden, wen du willst. Dafür wollte ich dir Platz geben und den hast du genutzt, wie ich gesehen habe.«
Oh, das macht viel mehr Sinn als alles, was ich mir eingeredet habe. Zugegebenermaßen war ich aber auch ein Vollidiot. »Ich habe es ihr vorhin gesagt.« Sie hob eine Augenbraue. »Ein wenig spät, ich weiß, aber deine Nachricht hat mir endlich die Augen geöffnet.«
Ihre Wangen färbten sich wieder rosa. »Also hast du mit ihr Schluss gemacht?«
»Ja, endgültig. Ich bin fertig mit ihr, das hätte ich längst seit den Sommerferien sein sollen.« Ich machte einen Schritt auf sie zu. Sie blieb stehen, verschränkte nur ihre Arme vor der Brust. »Ich hätte von Anfang an auf dich hören sollen.«
»Oh ja, das hättest du.«
Noch einen Schritt. »Es tut mir leid. Vor allem, dass es so lange gedauert hat, bis mein Gehirn es verstanden und endlich richtig gehandelt hat.«
»Klar, schieb es alles auf dein Gehirn.«
Ein weiterer Schritt, sodass ich nun direkt vor ihr stand. Sie schaute zu mir hoch, ihre Augen glitzerten im Straßenlaternenlicht. Meinen Herzschlag spürte ich im ganzen Körper. Ich strich ihr die Haare aus dem Gesicht und legte vorsichtig meine Hand an ihre Wange. Sie zuckte nicht weg. »Vergibst du mir?«, flüsterte ich.
»Versprichst du mir, dass sie wirklich Geschichte ist? Abgeschrieben und beendet? Keine Rückfälle oder sonstiges?«
Das Lächeln, was ich immer nur in ihrer Nähe auflegen konnte, stahl sich auf mein Gesicht. »Versprochen.«
Damit legte ich meinen Mund auf ihren und atmete erleichtert aus, als sie mich nicht wegschubste, sondern ihre Hände an meinen Hals legte. Es war nicht wie der Kuss auf der Party, der gierig und leidenschaftlich war. Der hier war sanft und langsam, gefühlvoll. Ich konnte die Form ihrer Lippen spüren und wie perfekt sie zu meinen passten. Es war alles, was ich seit Monaten wollte.
Und natürlich hielt es nicht lange an.
»Astrid, das Essen wurde-OH«, ertönte hinter ihr eine Stimme, wodurch wir sofort auseinanderfuhren. »Whoopsie, tut mir schrecklich leid, ich wollte euch natürlich bei solch wichtigen Angelegenheiten nicht unterbrechen.« Dem Ton nach zu urteilen, war das ihre Großmutter aus Kalifornien gewesen, die bereits beim Reden zum Restaurant zurückgegangen ist.
Astrids Hände rutschten auf meine Brust als sie sich lachend an mich lehnte. Ich stimmte mit ein, legte meine Hände auf ihre Arme. Was ein bizarrer Abend. Erst war ich für den morgigen Chemietest am lernen, dann ruft Jack mich wutentbrannt an, dass ich Astrid blockiert hätte, sie gesteht mir all ihre Gefühle, ich mache mit meiner Psycho-Freundin Schluss und nun stehe ich in einer Seitengasse und habe so eben das Mädchen meiner Träume geküsst, was von ihrer Großmutter unterbrochen wurde.
Sie drückte sich von mir ab und schaute mir mit rotem Gesicht in die Augen. »Ich, äh, gehe dann mal wieder rein.« Sie gab mir einen Kuss auf die Wange und verschwand um die Ecke. Ich blieb noch zwei Minuten dort stehen, bevor ich mich zur Bushaltestelle begab.
Den ganzen Weg nach Hause, grinste ich wie ein Honigkuchenpferd.
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Es ist geschafft, meine Lieben, sie haben alles beredet und ihrer Beziehung steht endlich nichts mehr im Weg! 🥰
Oder etwa doch? 👀
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