Kapitel 25
Meine Musik wurde die ganze Zeit von dem Benachrichtigungston unterbrochen, der durch Elsa ausgelöst wurde. Sie textete mich seitdem sie wach ist zu, denn sie wollte wissen, was letzte Nacht passiert war. Ich hatte es ihnen auf dem Rückweg nicht erzählt und sie hatten nicht gefragt. Dass sie etwas ahnten, war mir natürlich klar, immerhin war mein Lippenstift total verschmiert gewesen und mein Oberteil hatte schief aus dem Rock hinaus gehangen. Sie hatten es wahrscheinlich aus Höflichkeit nicht angesprochen, aber Elsas Geduld war wohl am Ende.
Daher stoppte ich meine Übungen nach einem Sprung mit anschließender Drehung und holte mein Handy aus der Jackentasche. Der ganze Sperrbildschirm war voll mit Nachrichten von ihr.
12:34 Uhr
Astrid
12:34 Uhr
Ich
12:34 Uhr
Schwöre
12:34 Uhr
Bei
12:34 Uhr
Gott
12:34 Uhr
Wenn du mir nicht
antwortest
12:34 Uhr
Werde ich dich orten
12:34 Uhr
Und dir so hart in den Arsch
treten
12:34 Uhr
Du wirst eine Woche nicht
sitzen können
Und so weiter und so fort. Ich seufzte tief. Auf einer Seite wollte ich es ihr erzählen, um die Last nicht alleine tragen zu müssen, auf der anderen hatte ich Angst davor, dass sie mich verurteilen und unsere Freundschaft kündigen wird. Es war nach wie vor Betrug gewesen und ich hatte ihn initiiert, und immer noch fühlte ich mich nur teilweise schlecht dafür, obwohl ich mich hassen sollte. Das war genau das, was nicht passieren sollte. Das, was ich mir gesagt habe, würde niemals passieren, habe ich getan. Und nun stand ich hier, mitten im Eisring und wusste nicht, ob ich es meiner besten Freundin erzählen sollte oder nicht.
Sie schickte eine weitere Nachricht.
12:37 Uhr
Ich kann sehen, dass du
online bist
Das war ihre Art unterschwellig zu sagen, dass ich ihr nicht mehr davon kam. Also fing ich an zu tippen.
12:38 Uhr
Hol mich in der Eishalle in der
Stadt ab, wir können zu einem
Café gehen und reden
12:38 Uhr
Und bitte hör auf mich
vollzuspamen
❁
Sie hatte Jack im Schlepptau, was ich mir eigentlich hatte denken können. Sie staunten nicht schlecht, als sie mich meine Runden und Pirouetten drehen sahen. Erst dann fiel mir wieder ein, dass ich ihnen noch gar nicht von meinem Hobby erzählt habe.
Ich schlitterte zu ihnen hinüber, steckte dabei meine Kopfhörer ins Case und versuchte ihren bohrenden Blicken auszuweichen.
»Du machst Eiskunstlauf?«, sagte Elsa, als ich bei ihnen am Tor ankam.
»Ja«, war meine einfache Antwort. Ich trat hinaus, um meine Schuhe anzuziehen. »Meine Mutter war eine professionelle Eiskunstläuferin. Sie hat es mir beigebracht, als ich noch klein war. Ich habe erst letzten Monat wieder angefangen.«
»Das ist richtig cool«, sagte Jack mit erstaunter Miene. »Wahrscheinlich auch ziemlich schwer, oder? Du musst ja ständig deine Balance auf den Kufen halten.«
Ich versuchte mich an einem Lächeln. »Am Anfang, ja, aber irgendwann ist es, als würde man mit dem Fuß auf dem Boden auftreten. Man gewöhnt sich daran und der Körper auch.«
Sie warteten geduldig, bis ich meine Sachen verräumt und geschultert habe. »Zu welchem Café wollt ihr gehen?«
»Wir gehen oft zu Bernd's, kennst du das?«, sagte Elsa neben mir, als wir die Stufen erklommen.
Ich schüttelte den Kopf. »Noch nie von gehört.«
Sie grinste mich von der Seite her an. »Dann mach dich gefasst auf das beste Tiramisu, was du je essen wirst.«
Bernd's war ein mittelgroßes, zweistöckiges Café im rustikalen Look. Es gab eine Fensterfront, an der hohe Tische und Hocker standen, die von Leuten mit ihren Laptops besetzt waren. Die Theke bestand zur Hälfte aus einer Auslage für Kuchen und Gebäck, jetzt besonders Plätzchen für die Weihnachtszeit. An der Wand hing ein breites Schild mit all den Kaffee- und Kakaovariationen, die sie anboten. Links in der Ecke gab es mehrere gemütliche Sitznieschen, die es laut Jack im zweiten Stock nur gab.
Elsa fragte mich, ob ich lieber Kakao oder Kaffee trank - meine Antwort war Kakao - und bestellte für mich die beste Auswahl, zumindest ihrer Meinung nach. Sie und Jack nahmen jeweils einen Cappuccino und ein Tiramisu. Nachdem unsere Bestellung zur Abholung aufgerufen wurde, folgte ich ihnen die hölzerne Treppe hinauf und zu ihrer Stammniesche, wie sie es nannten.
»Wir versuchen immer hier zu sitzen, weil es der Platz ist, an dem wir bei unserem ersten Besuch saßen«, erklärte Elsa, die ihre Jacke auszog und hinter sich auf der Bank liegen ließ. Jack und ich taten es ihr gleich.
Sie gab mir mein Tiramisu und Kakao, der mit Sahne und Zimt behäuft war. Es duftete herrlich, nach einem gemütlichen Abend auf der Couch, während Santa Clause auf dem Fernseher lief. So hatten wir die letzten Jahre den Weihnachtsabend verbracht, der dadurch immer der beste Tag des Jahres gewesen war.
»Du musst es probieren«, sagte Elsa breit lächelnd, bereits ihre Gabel in der Hand. »Mit uns zusammen.«
Wir taten uns alle ein Stück drauf, prosteten uns zu und aßen. Sie hatten recht, das war wirklich das beste Tiramisu, was ich je essen werde. Der Geschmack der verschiedenen Zutaten explodierte förmlich in meinem Mund. Ich seufzte glücklich und schob mir direkt das nächste Stück in den Mund.
»Noch eine auf unserer Seite«, sagte Jack grinsend. Elsa lachte und trank einen Schluck von ihrem Cappuccino.
Sie schaffte es, mich noch ein Stück in Ruhe essen zu lassen, dann starrte sie mich an und wartete darauf, dass ich endlich anfing auszupacken. Jack drückte zwar vorsichtig seinen Ellenbogen in ihre Seite, um sie auf ihr Starren aufmerksam zu machen, aber sie ließ sich nicht beirren.
Also schaute ich sie beide an, wie sie mir neugierig gegenüber saßen, und sagte ihnen mit klopfendem Herzen die Wahrheit. »Hicks und ich haben uns geküsst.«
Bevor ich in meinen Gedanken die schlimmen Szenarien durchgehen konnte, grinste Elsa mich bereits an und haute ihre Hand auf den Tisch. »Ich wusste es!« Die Leute vom Nachbartisch schauten sie kurz genervt an, aber das interessierte sie nicht. »Der Lippenstift, das Oberteil, dein absolut verwirrter Gesichtsausdruck. Man musste nur eins und eins zusammenzählen.«
Ihr Grinsen verschwand nicht, Jacks ebenfalls nicht. »Okay, aber es war nicht mehr nur küssen, wir haben richtig rumgemacht.«
Jacks Augenbrauen schossen in die Höhe, während Elsa ein fast manisches Kichern von sich gab. »Noch besser! Wie war's? Gut? Fantastisch? Hast du Lust auf mehr bekommen?«
Ich sah sie verwirrt an. »Elsa, ich ... versteht ihr es nicht? Es war falsch, es hätte nicht passieren sollen.«
»Warum nicht?«, fragte Jack mit gekrauster Stirn. »Ihr wolltet es beide.«
Sie haben es vergessen, genauso wie ich in dem Moment, dachte ich mir, denn anders konnte ich es mir nicht erklären. »Er ist noch mit Stacy zusammen. Er hat sie gestern Nacht betrogen, mit mir, und ich habe es angefangen, obwohl ich ihr versprochen habe, so etwas nicht zu tun.«
Da schien Jack sich wieder zu erinnern. »Oh, stimmt.«
»Wann hast du ihr das denn versprochen?«, fragte Elsa, die mal wieder das Wichtigste ansprach.
Also erzählte ich ihnen nochmal von dem Tag, als ich am Grab meiner Mutter war, dieses Mal die komplette Geschichte.
»Sie hat wie bitte was getan?«, sagte Elsa lauter als es in einem Café erwünscht ist. Sie schnaubte. »Nach so einer Aktion hat sie es verdient, dass Hicks dich hinter ihrem Rücken küsst.«
»Elsa«, sagte Jack warnend.
Sie sah ihn an. »Was denn? Das ist verrückt.«
»Natürlich ist es das, aber Astrid hat recht, Betrügen ist falsch.«
Sie rollte mit den Augen. »Wie auch immer.« Sie nahm meine Hände in ihre, die angefangen haben zu zittern. »Hör mir zu, Astrid. Fühl dich nicht schlecht dafür, okay? Ja, für Stacy ist es scheiße, aber die Zeit kann keiner zurückdrehen. Es ist in einem emotionalen Moment passiert, wie ich mir denken kann, und auch wenn es falsch war, hat es vielleicht endlich Hicks geholfen, die Augen zu öffnen. Immerhin hat er genauso mitgemacht und sich nicht gebremst. Ihr seid beide daran schuld.«
Ich könnte weinen. Sie ließen mich nicht fallen, sie hassten und verurteilten mich nicht. Wie große Angst ich davor hatte, fiel mir in diesem Augenblick erst auf, als ich in Elsas Gesicht schaute, die mich verständnisvoll ansah. Ihre Hände drückten meine und am liebsten würde ich nie mehr loslassen.
»Ich glaube, er hat es ihr nicht gesagt«, flüsterte ich dann und sah sie beide an. »Als wir gegangen sind, habe ich ihn bei ihr stehen sehen. Sie hat gelacht. Das hätte sie nicht getan, wenn sie es wüsste.«
Elsas Miene schlug sofort um. »Wahrscheinlich hat er sich nicht getraut.«
»Oder«, sagte Jack, »er wollte es ihr im Privaten sagen, damit sie keine Szene macht.« Elsa sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. »Pass auf, er ist mein bester Freund. Ich kenne ihn so gut wie niemand sonst. In letzter Zeit hat er viele falsche Entscheidungen getroffen, aber du weißt genauso gut wie ich, dass er ein ehrlicher Mensch ist. Er kann das nicht für sich behalten, er wird es ihr sagen. Nur wie und wann wird er entscheiden.«
Sie seufzte. »Ja, ich weiß. Ich kann ihn auch nicht hassen, so sehr ich es wollte.«
Das entlockte mir ein Lächeln. »Das Gefühl kenne ich.«
Jack sah mich traurig an. »Gib ihm die Chance, diese eine noch. Ich glaube wirklich, dass er es jetzt verstanden hat.«
Ich nickte. »Mache ich. Mal sehen, was am Montag sein wird.«
Elsa nahm ihre Hände zurück. »Das ist das Problem für die Zukunft. Jetzt isst du erst mal dein Tiramisu auf und erzählst uns danach, wie lecker es war.«
Ich lachte und nahm die Gabel in die Hand. Es war schnell verputzt und während wir danach noch unsere Getränke tranken - meines schmeckte übrigens fantastisch -, redeten wir über die restliche Party, was wir gesehen haben, wer mit wem gegangen ist und was wir über Weihnachten machen würden. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mit Freunden unterwegs war und mich nicht fehl am Platz fühlte. Es war ein gutes Gefühl.
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