Kapitel 23
Er konnte seine Augen nicht von mir losreißen. Ich glaube, er merkte nicht einmal, dass er mich mittlerweile anstarrte. Erst nachdem Jack und ich unsere Jacken aufgehangen haben und uns in Bewegung setzten, blinzelte er und schaute woanders hin. Jack drehte seinen Kopf zu mir nach hinten.
»So intensiv hat er Stacy nie angesehen«, sagte er grinsend. Elsa unterstützte das mit ihrem eigenen Grinsen und einem Nicken.
Auch wenn das die Schmetterlinge in meinem Bauch ihre Kreise fliegen ließ, erlaubte ich mir nicht zu hoffen. Er würde seine Beziehung nicht beenden, zumindest nicht heute. Für ein neues Outfit erst recht nicht, ab morgen sah man mich wieder in Jeans und Pullis rumlaufen. Ich wollte auch nicht, dass er mich aufgrund der freizügigeren Kleidung wählte, was ich mir bei ihm schwer vorstellen konnte. Er war nicht oberflächlich, für ihn zählte der Charakter. Bei Stacy hatte er nur ziemlich daneben gegriffen.
Anstatt zu Hicks zu gehen, wie ich dachte, folgte ich den beiden zur Küche, in der die Getränke inklusive der typischen Plastikbecher und sogar Shotgläser aufgestellt waren. Ob die am Ende des Abends alle noch heile waren, bezweifelte ich. Elsa wusste bereits, was sie trinken wollte und bereitete sich ihren Becher zu, während Jack sich eine Dose Cola aus dem Kühlschrank nahm. Ich sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an.
»Was?«, sagte er über die laute Musik hinweg, die hier wenigstens nicht mehr allzu ohrenbetäubend war. »Ich bin verantwortungsbewusst.« Elsa nickte wieder unterstützend.
»Was möchtest du?«, fragte sie mich und nippte an ihrer Mischung.
Ich zuckte mit den Schultern. »Weiß noch nicht.«
»Hey, da seid ihr ja!«, brüllte eine Stimme in den Raum hinein. Es war einer aus dem Football Team, Mike glaube ich, der Jack und Elsa entdeckt hatte und diese gerade mit einem Handschlag begrüßte. »Haben uns schon gefragt, wo ihr steckt. Wir sind hinten und zocken Karten. Macht ihr die nächste Runde mit?«
Elsa sah mich fragend an. Ich lächelte. »Alles gut, geht ruhig. Ich brauche noch ein wenig.« Sie winkte mir kurz und verschwand mit den zwei Jungs im Tumult.
Der schreckliche Technosong wurde von einem Remix eines '80er Hits abgelöst, es müsste Sweet Dreams (Are Made of This) sein, wenn ich mich nicht irrte. So einige Lieder der damaligen Zeit kannte ich dank dem Musikgeschmack meiner Eltern. Während ich mir die verschiedenen Flaschen anschaute, wippte ich ein wenig zum Takt mit. Vodka, Whiskey, mehrere Liköre, Sekt, Schnaps, Bier, sogar Tequila mit Zitronen und Salz standen bereit. Mitchell sparte wohl an nichts und wollte, dass sich alle die Kante gaben.
Als ich das Etikett von einer der Biersorten am lesen war, sah ich in meinem Augenwinkel jemanden zur Tür hereinkommen. Ich hatte bereits eine Ahnung wer es sein konnte und hob daher nur langsam meinen Blick. Dieser fiel sofort auf grüne Augen, die mich fixiert haben.
»Biertrinker?«, fragte Hicks grinsend und stellte sich neben mich.
Seine Nähe ließ meinen Körper sofort wärmer werden. »Nicht wirklich«, antwortete ich und stellte die Flasche zurück an ihren Platz. »Es gibt zu viel zur Auswahl.«
Er lachte leise. »Mit einem Shot lässt es sich immer gut anfangen.« Er sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Eindeutig eine Frage, ob ich mitmachen würde. Wahrscheinlich dachte er, ich trinke keinen Alkohol, weil ich auf der Halloweenparty bei Wasser geblieben war.
Ich sah ihn ebenso zurück an. »Hast du schon deinen ersten getrunken?«
»Keinen Shot, aber einen Becher mit fünf Prozent Vodka und fünfundneunzig Prozent Cola.«
Ich lachte. »Dann wird es wohl Zeit.«
Er grinste weiterhin, während er zwei der Shotgläser nahm, vor uns hinstellte und dann die Vodkaflasche öffnete, um die Gläser zu befüllen. Er wollte ernsthaft Vodka pur exen? Wenn er jedes Mal so anfing, konnte ich verstehen, warum er zu Stacy gegangen ist. Bei dem harten Zeug kann man nicht mehr richtig denken.
Er stellte die Flasche wieder weg und wir nahmen die Gläser in die Hand, als mir etwas einfiel. »Wie sagt man Prost auf Russisch?«
Sein Mundwinkel hob sich. »Sa Sdorówje.«
»Ich versuche nicht einmal, das auszusprechen, bevor ich noch jemanden aus Versehen beleidige.«
Wir lachten, stießen an und exten den Vodka weg, während der Beat der Musik den Boden vibrieren ließ. Er vertrug es eindeutig besser als ich, denn nachdem ich geschluckt habe, musste ich husten. Ich schüttelte mich, wobei er lachte.
»Noch nie Vodka pur getrunken?«, fragte er eindeutig belustigt.
»Noch nie Vodka getrunken«, war meine Antwort. Er schaute mich mit großen Augen an. »Sieh mich nicht so überrascht an, es hat mich einfach nie angesprochen. Ich hab lieber die süßen Liköre verputzt.«
»Verstehe ich.«
»Du tust deinen russischen Wurzeln alle Ehre«, sagte ich.
Er lachte. »Es liegt in meinem Blut.«
Jetzt war ich an der Reihe zu lachen. »Und was kommt nach dem ersten Shot?«
»Der nächste.«
»Und danach?«
Er grinste. »Der nächste.«
Ich spürte, wie sich meine Mundwinkel von selbst hoben. So würden wir also heute Abend spielen.
Er sah mein Lächeln wohl als Antwort an, denn er ging zum Kühlschrank und holte zwei Klopfer aus der Packung. Einen hielt er mir hin. Die hatte ich wenigstens schon mal getrunken, also wusste ich, dass ich nach der Zahl am Flaschenboden sehen musste. Fünfundsiebzig, natürlich. Ich fing also an auf der Arbeitsplatte zu klopfen. Hicks war nach dem elften Mal fertig und wartete lachend darauf, dass ich es auch war. Dann tranken wir zusammen.
❁
Ich hatte keine Ahnung, wie wir es geschafft haben, zum hinteren Teil des Hauses zu gelangen, aber hier standen wir nun an einem hohen Stehtisch, im wenigen Licht der Terrassenlampen, zusammen mit Jack und Elsa und hauten uns einen Shot nach dem anderen rein. Wir hatten aber ein Spiel daraus gemacht, jede Runde durfte jeder eine Frage an irgendwen stellen. Bisher hatte ich herausgefunden, dass Hicks es anscheinend auch mal mit Football ausprobiert hat und es offentlich nicht geklappt hat. Elsa lebte nur mit ihrer Mom, da ihr Vater sie ein paar Monate nach ihrer Geburt verlassen hat, ihre Lieblingsfarbe war Blau, was eine Überraschung, und das erste Mal, als ihr Jack ins Auge gefallen war, hatte er sich volle Kanne auf die Fresse gelegt. Über Jack wusste ich nun, dass er eine kleine Schwester namens Emma hat, Hicks seit über fünf Jahren kannte und später mit Elsa in den Journalismus einsteigen möchte, nur als der Mann hinter der Kamera.
An mich waren die meisten Fragen gegangen. »Wie war deine letzte Beziehung?« Beschissen. »Was ist deine Lieblingsfarbe?« Rot. »Was war der verrückteste Ort, an dem du Sex hattest?« Im Auto auf dem Parkplatz, wo die Treffen von Brandon und seinen Freunden immer waren. Ich mochte es nicht, außerhalb eines Hauses Sex zu haben und das war schon meine Schmerzgrenze gewesen, aber er wollte es unbedingt. Im Nachhinein hätte ich es besser lassen sollen. Dank meiner Paranoia, erwischt zu werden, hat es mir sowieso keinen Spaß gemacht.
Jetzt tranken wir erneut und die nächste Runde begann. Ich fing an. »Hicks, was ist das Beste an Stacy?«
Ich war eindeutig angetrunken, denn ich begab mich in gefährliche Gewässer. War es mir jedoch egal? Aber sowasvon. Ich wollte hören, was Stacy so toll machte, dass er lieber zu ihr gegangen war an diesem beschissen Samstag nach der Halloweenparty. Was hatte sie so anzüglich für ihn gemacht, außer der Sache, dass sie mit ihm reden wollte?
Elsa sah ihn herausfordernd an und Jack musste sich ein Grinsen verkneifen. Ich liebte es, dass die beiden auf meiner Seite waren und Stacy genauso wenig mochten. Hicks schien zu überlegen und fühlte sich eindeutig nicht mehr wohl in seiner Haut. Er öffnete ein paar Mal seinen Mund, schloss ihn aber immer wieder.
Dann schaute er mir in die Augen. »Keine Ahnung.«
Mein Herz wusste nicht, ob es aufhören oder schneller schlagen sollte. Hatte er gerade zugegeben, dass ihn nichts Besonderes an Stacy hielt? Hatte er langsam kapiert, wer sie wirklich war und war bereit, sie fallen zu lassen?
»Gegenfrage«, sagte er. »Wie haben du und Brandon eigentlich Schluss gemacht? Du hast mir so ziemlich alles über ihn erzählt, nur das nicht.«
Der Alkohol in meinem Blut ließ nicht zu, dass ich genau analysieren konnte, weshalb er Brandon hier reinzog. Oder wollte er etwa wissen, wie man am besten mit dem toxischen Partner Schluss machte? Sein Gesicht verriet nichts, Jack und Elsas dagegen sehr viel. Sie wussten nicht, in welche Richtung dieses Gespräch gehen würde und beobachteten uns wie bei einem Tennismatch.
»Ich habe ihn vergessen«, sagte ich und gab es somit das erste Mal zu. »Ich habe vergessen, dass ich in einer Beziehung bin, weil er mich bereits aufgegeben hatte und ich anderweitig beschäftigt war, wie du weißt.«
Eine Weile hatte ich mich dafür schlecht gefühlt. Wer vergaß seinen Partner? Aber dann war mir in den Sinn gekommen, dass er mich nicht unterstützt hatte, nicht eine Sekunde lang. Es war immer um ihn gegangen. Wieso sollte ich mich also schlecht fühlen? Für ihn war sein Image und sein Auto sowieso wichtiger gewesen, selbst am Anfang, als er noch der reinste Gentleman war.
Ich holte tief Luft. »Ein paar Tage nach dem Tod meiner Mutter, holte er mich von der Schule ab und fuhr mit mir zu dem Parkplatz, wo die Autotreffen stattfanden. Er ist ohne ein Wort ausgestiegen, hat sich die Haare gerauft und als ich ebenfalls draußen war, fing er an mich anzuschreien. ›Wie kannst du nur so eine schlechte Freundin sein? Ist dir jemals in den Sinn gekommen, wie das aussieht? Du lässt dich nicht mehr blicken, bist Wochen lang verschwunden, lehnst alle Einladungen ab! Was soll das, Astrid, ernsthaft?‹«
»Wie bitte?«, sagte Elsa und sah mich ungläubig an, genauso wie die anderen beiden.
Ich nickte. »Das hat er gesagt, und dann bin ich ausgetickt. Ich war noch nie so wütend gewesen. Ich hab sogar auf sein beschissenes teures Auto geschlagen dabei und es war mir scheiß egal. Ich hab alles rausgelassen, was ich in mir hatte. Wie er nur so sein konnte, dass meine Mutter gerade erst gestorben war, nicht mal unter der Erde lag, und er mir so kam. Er war absolut sprachlos.« Ich schaute wieder Hicks in die Augen. »Zum Schluss habe ich gesagt, dass er der egoistischste Wichser ist, den ich je kennengelernt habe und er sich nie wieder in meine Nähe trauen soll, sonst erlaube ich meinem Vater, ihn zu erschießen. Somit war die Beziehung beendet.«
Er war ebenso sprachlos, sein Mund ein kleines Stück geöffnet, als könne er nicht glauben, was ich gerade erzählt habe. Konnte er wahrscheinlich auch nicht, immerhin war er ein herzensguter Mensch und glaubte selbst bei den verrücktesten Menschen an das Gute in ihnen. Bei Brandon würde er wohl nichts finden.
Du siehst, ich habe mit meinem Ex abgeschlossen und bin mehr als bereit für was neues, wann bist du es?, dachte ich und schenkte ihm ein kleines Lächeln. Er sollte nicht denken, dass er mit der Frage meinen Abend ruiniert hat.
»Das ruft nach noch einer Runde«, sagte Elsa. Sie kippte Eierlikör in drei Gläser, Jack schenkte sich seine Cola nach. Wir nahmen sie in die Hand. »Prost!«
»Sa Sdorówje«, konnte ich Hicks murmeln hören, bevor wir tranken. Der Likör lief mir warm den Hals hinunter und gab mir neue Wärme. Mittlerweile hatte ich davon ganz schön viel.
»Astrid«, sagte Elsa dann mit einem Grinsen im Gesicht, bereit, die Stimmung wieder zu bessern. »Wann warst du das letzte Mal so richtig betrunken?«
Oh, Elsa, das war wirklich die falsche Frage für eine bessere Stimmung. Ich antwortete ihr trotzdem wahrheitsgemäß. »Nachdem ich das Todesurteil meiner Mutter gelesen habe.« Ihr Gesicht fiel sofort in sich zusammen. »Mit Brandon, der nämlich immer wusste, wo eine Feier mit viel Alkohol stattfand.«
»Vielleicht sollten wir mit den Fragen aufhören«, warf Jack ein und trank von seiner Cola. Wir anderen nickten zustimmend.
»Einen Shot noch, dann gehen wir tanzen«, sagte ich und füllte dieses Mal auf.
»Ich dachte, du magst es nicht vor anderen zu tanzen«, sagte Hicks mit einem wissenden Grinsen im Gesicht und nahm sein Glas entgegen.
»Da war ich auch nicht absolut betrunken.« Sie lachten, wir stießen an und tranken.
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