Ein Winter im Schnee
Winterliebe
Du musst nicht mit mir sprechen, aber deine Worte haben Wärme. Und du musst mir nicht zuhören. Aber wenn du es tust, bin ich glücklich.
Fröstelnd zog ich meine Jacke enger an meinen Körper. Es war verdammt kalt geworden. Einzelne Schneeflocken fielen vom Himmel und setzten sich am Boden ab. Einige landeten auf meinen Schultern und meiner Mütze, andere schmolzen auf der geteerten Straße.
"Es ist wirklich kalt", meckerte Ammie und schüttelte sich leicht.
"Dann lass uns wieder nach Hause gehen", schlug ich vor und zog ihre Mütze etwas tiefer ins Gesicht, damit ihre Ohren nicht kalt wurden.
"Nein", sagte sie entschlossen und grinste. Zwischen ihren Zähnen hatte sich eine Lücke gebildet und ich musste schmunzeln. Ich konnte mich noch ganz genau daran erinnern, wie ich beinahe verzweifelt bin, als ich ihr den Zahn unter dem Kopfkissen stehlen und ihr etwas anderes hinlegen wollte. Fast wäre sie dabei aufgewacht. Außerdem hatte ich fast eine ganze Stunde gebraucht, bis sie schließlich eingeschlafen war. Aber dafür war die Freude am nächsten Tag so groß, dass ich ihr die ganze Mühe glatt verziehen habe. Ich konnte ich auch nicht mehr böse sein, es ging nicht mehr.
Meine Schritte wurden langsamer, mein Blick schweifte über das mit Schnee bedeckte Feld. Und ich sah sie.
"Guck mal, sie ist schon wieder da!", rief Ammie und zeigte mit ihrer Hand, die ihn einem dicken Handschuh eingepackt war, auf die Frau, die eine dunkle Jeans und lange Winterjacke trug. Ihre Haare waren kürzer, das war mir schon die letzten Tage und Wochen aufgefallen.
Sie hatte mich gesehen, mich beobachtet und gemustert. Wie ein Objekt hat sie mich studiert und die Auffälligkeiten notiert. Es gefiel mir, wie sie mich ansah, wie sie manchmal lächelnd in den Himmel guckte und ich somit das schönste Portrai habe, das ich je in meinem Leben sehen durfte.
Gesprochen haben wir jedoch nie. Wir beobachteten, anstatt zu reden, wir genossen die Natur, das Rauschen des Windes, die Vögel und Grillen, Bienen und Mäuse. An Abenden sahen wir uns den Sternenhimmel an, während Ammie bei ihrer Freundin Lina war.
Sie hatte recht gehabt. Diese Frau machte mich glücklich und das nur mit ihren Blicken. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ich bald alleine sein würde. Wann genau dieser Zeitpunkt war, wusste ich noch nicht, niemand wusste es. Doch nach jedem neuen Tag hatte ich das Gefühl, dass Ammi genau wusste, wann es Zeit für sie war. Ich hoffte bloß, sie würde es mir nie sagen.
"Ich möchte zu ihr", meinte mein Sonnenschein und schaute mich mit ihren riesigen Augen an, die sie definitiv nicht von mir geerbt hatte.
Etwas unsicher sah ich sie an. "Bist du dir sicher?", fragte ich sie, bevor ich mich vor ihr hinhockte und ihre Hand nahm. Etwas belustigt stellte ich fest, dass die Handschuhe fast dreimal so groß waren wie ihre eigentliche Hand. Mit den großen Händen sah sie so aus wie ein Affe. Sie mochte Affen, nur vor Gorillas hatte sie Angst.
"Ganz sicher!" Sie lachte.
Die Sicherheit in ihrer Stimme brachte mich dazu, die Bremsen des Rollstuhls festzustellen und ihre Hände zu nehmen. Der pinker Schneeanzug ließ sie wie ein Seestern aussehen.
"Langsam", sagte ich und hielt sie an den Armen fest, da ich Angst hatte, dass sie doch umkippen könnte.
Aber sie stand und schaute mich mit vor Stolz leuchtenden Augen an. "Ich hab doch gesagt, ich schaff' das", meinte sie vergnügt und schaute über das ehemalige Maisfeld in Richtung der Frau. Dann setzte sie die ersten, unsicheren Schritte und ich war mir anfangs nicht sicher, ob sie ihren Körper wirklich noch beherrschen konnte.
Zusammen gingen wir durch den Schnee, der zwischendurch so tief war, dass ich sie auf den Arm nahm und danach wieder absetzte. Nach nur wenigen Metern schien sie müde zu werden.
"Ich hatte Schnee irgendwie spaßiger in Erinnerung. Kann ich auf deinem Arm bleiben?"
Ich nickte und kuschelte sie eng an mich. Dies waren wieder Worte gewesen, die ich nie vergessen würde. Ich hatte den Schnee geliebt und nun fehlte ihr die Kraft, um überhaupt einige Meter voran zu kommen. Es war wenigstens mehr als gar nichts und ich versuchte, den Kopf stehst hochzuhalten. So manchen Abend lag ich in meinem Bett und fragte mich, wieso wir beide unsere Schicksale nicht tauschen könnten. Sie war so jung.
Wir waren bei der Frau angekommen. Wieder schwiegen wir und warfen uns zwischendurch kleine, aber vielsagende Blicke zu.
Irgendwann war Ammie eingeschlafen und ich gab ihr einen leisen Kuss auf die Stirn. Ich sah aus dem Augenwinkel, dass die Frau mich anguckte, dann sah sie meinen Sonnenschein an.
"Wie lange hat die Kleine noch?", fragte sie mich. Es war das erste Mal, dass ich ihre Stimme hörte. Ein warmes Kribbeln ließ mich tief einatmen. Ich war so verliebt.
"Ich weiß es nicht." Und so verzweifelt.
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