Ein Herbst im Mais
Herbstliebe
Du musst nicht in meiner Nähe sein und du musst mich nicht ansehen, mit deinen blaugrauen Augen. Doch wenn du es tust, bin ich glücklich.
"Nicht so schnell, Ammie!", rief ich ihr genervt hinterher.
Ich konnte kaum gucken, da war der kleine Kopf mit dem roten Kopftuch auch schon zwischen den Farnen verschwunden.
Ich seufzte. Es war frisch und der Wind schien es zu diesem Tage auch nicht gut mit uns gemeint zu haben. Er zog an meinen Haaren und ich begann zu tränen, als er auch auf meine Augen schlug. Ich nahm nur das Rascheln der Blätterdächer wahr, wie sie sich bogen und versuchen, sich aus den Klauen des beißenden Windes zu winden.
Mit lauten Schritten folgte ich Ammie durch den hochstehenden Farn, der mir bis zum Hals reichte und ich fragte mich, wie sie es schaffte, den ganzen Tag im Freien zu verbringen, im Unterholz zu spielen und dabei vollkommen im Blattwerk zu verschwinden. Es reichte mir schon, dass mich die Spitzen der Blätter am Hals kitzelten und ich immer dabei denken musste, was alles an Insekten und Mutantenspinnen in meiner Nähe sein könnten. Jedoch versuchte ich es, diesen Gedanken wenigstens ein mal außer Acht zu lassen.
Ich folgte ihren Schritten, sie hatte trotz ihrer kleinen Größe eine Schneise im Farn hinterlassen, der ich einfach nachgehen konnte. Zwischendurch hörte ich ihre weiche Stimme, dass ich schneller laufen sollte. Ich drosselte mein Tempo, um mich umzusehen.
Die Farne wuchsen mir plötzlich über den Kopf hinaus, an ihnen hingen dicke, längliche Früchte und ich erkannte, dass ich in einem Maisfeld war.
Mein Herz begann schneller zu klopfen. Ich mochte keine Maisfelder, schon bei dem Anblick eines Feldes wurde mir unwohl und als ich Ammies Spuren am Boden verlor, glaubte ich, verrückt zu werden. Auch meine Wut staute sich weiter auf, sodass ich am Ende nur noch hoffte, sie zu finden, um ihr eine Standpauke zu erteilen.
Plötzlich hörte ich ihre Schritte wieder. Sie waren schnell und laut, es erschreckte mich sehr, als ich meinen Blick hektisch durch das Maisfeld schweifen ließ und sie erst erkannte, als es schon zu spät war.
Mit einem laufen Aufschrei lief sie in mich hinein, ich hatte noch nie so ein schrilles Kreischen von mir gegeben. Und noch bevor wir wieder aufgestanden waren, begann sie schallend zu lachen. Auf meinen Wangen breitete sich die Schamesröte aus und ich verfluchte meine Empfindlichkeit. Es war meine einzige Schwäche, die ich nicht einmal im Ernstfall unterdrücken konnte.
"Komm! Wir müssen weiter", meinte sie dann im Flüsterton.
Wieder verdrehte ich die Augen. Wieso flüsterte sie, wenn ich eben so laut geschrien hatte? Es brachte zwar rein gar nichts, doch ich unterbrach sie nicht. Kinder hatten eine so seltsame Fantasie. Ob ich dies auch mal gehabt hatte, wusste ich nicht mehr. Meine Kindheit war einfach zu lange her, als dass ich mich an irgendwas erinnern könnte.
Sie nahm meine Hand und führte mich durch das Feld. Ich schaute in den Himmel und sah, wie schnell die Wolken sich über uns bewegten. Der Mais raschelte stark wegen einer Windböe und für einen Moment sah es so aus, als würden die Pflanzen am oberen Ende zusammenwachsen und uns die Sicht auf den Himmel versperren. Kurz verschnellerte sich mein Puls, das Bedrängunggefühl ließ meinen Magen zusammenfahren und es schien, als tanzten kleine, schwarze Punkte vor meiner Sicht.
"Was ist überhaupt so dringend, dass du es mir zeigen musst?", fragte ich sie, während ich sie ausbremste. Sie gab ein empörtes Geräusch von sich, sagte jedoch nichts, was eigentlich nicht ihr Stil war.
Vor uns wurde es plötzlich heller und sie blieb so abrupt stehen, dass ich in sie hineinstolperte. Sie schaute mich böse an, doch ich beachtete sie nicht. Zwischen dem Mais konnte ich etwas viel interessanteres sehen.
Eine Frau.
"Sie saß auch schon gestern, vorgestern und auch vor einer Woche dort. Lina und ich haben sie beim Spielen gesehen und dann beobachtet." Ihre Stimme wurde mit jedem Wort leiser.
Eigentlich wollte ich ihr sagen, dass man so etwas nicht tat, dass Menschen ihre Freiheit und Privatsphäre bräuchten. Aber ich sagte nichts. Ich konnte nichts sagen. Aus meinem Mund kamen keine Wörter, nur heißer Atem.
Wir standen da und sahen die Frau an. Wie sie am Boden kniete, ihre langen braunen Haare lagen weich auf ihren Schultern und einzelne Strähnen wurden vom Wind durch die Luft gewirbelt. Erst nach einem langen Moment bemerkte ich, dass um sie herum der Mais plattgetreten war; Sie war umgeben von einem Ring aus Mais. Und es schien sie nicht zu stören.
"Wieso zeigst du sie mir?", fragte ich sie nach einer ganzen Weile.
Ammie drückte meine Hand fester. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass sie überhaupt noch meine Hand hielt. Dann schaute sie mich an und ihre großen braunen Augen strahlten pure Traurigkeit aus.
"Damit du glücklich bist, wenn ich weg bin."
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