K.2_Sonnenhändler, Gezeitenherrscher
Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes stand ein Mann in einem hellgoldenen Gewand, das ihn inmitten der in eher dunkel gekleideten, anwesenden Leute wie einen Heiligen erstrahlen ließ.
Vielleicht, dachte Tartara, lag dies aber auch nicht an dem Gewand, das er trug, sondern an ihm selbst. Da schien Licht von überall an seinem Körper zu kommen. Es schimmerte in seinen Haaren und floss über seine Arme, die er langsam in die Höhe erhob. Das Leuchten wurde immer heller und gleißender, bis es sich schließlich seinen ganzen Körper einhüllte. Dann verteilte es sich wie ein Sonnensturm. Die Zuschauer rissen ihre Hände hoch, um ihre Augen zu schützen, Tartara glaubte, dass die meisten diese auch einfach schlossen. Es war hell, so hell, dass sie beinahe nichts um sich herum sehen konnte außer gleißendes Weiß. Ihre Augen brannten und sie musste sie schließen.
Selbst durch ihre geschlossenen Lider konnte sie sehen, wie hell das Licht war. So wusste sie auch, wann es schwächer zu werden begann. Sie öffnete ihre Augen wieder. Da war immer noch Licht überall um sie herum, aber jetzt war es eher angenehm, wie ein Sonnenstrahl auf mit Salzwasser getränkter Haut oder die letzten Strahlen, die sie auf der Rah berührten, ehe der Feuerball hinter dem Horizont verschwand.
Dann verblasste jedoch auch dieses nach und nach. Der Saal kam ihr mit einem Mal dunkler vor als zuvor, noch immer lichtdurchflutet und ohne Schatten, aber so, dass der Mann, der dort in der Menge auf einem kleinen Podest stand, noch immer zu leuchten schien.
Er hielt noch immer seine Hände erhoben und in ihnen lagen Kugeln aus grellem Licht, die langsam in sich zusammenschrumpften. Als das Licht dann gänzlich verschwunden war, ließ der Mann seine Arme wieder sinken.
Tartara hob ihren Blick zum Gesicht jenes Mannes, nur um zu sehen, dass er direkt zu ihnen emporblickte. In diesem Moment wünschte sie sich, dass sie entweder klein wäre wie der Klabauter und sich hinter dem Geländer hätte verstecken können oder eine der Treppen zu ihren Seiten hinabgestiegen wäre, die in der Mitte zusammentrafen, und dann noch die letzten Stufen hinab, sodass sie sich unter die Menge hätte mischen können. Aus war der Gedanke, dass sie sich hier hätten hineinschleichen können und dem Sonnenhändler in einem Moment der Unachtsamkeit die Macht stehlen können, die er an sich genommen hatte. Denn dass es sich bei dem Mann nicht um den Sonnenhändler handelte, war unwahrscheinlich. Er hatte soeben Licht aus dem Nichts erschaffen, den Raum mit Sonne geflutet.
Daraus würde jetzt wohl nichts mehr werden. Er wusste, dass sie da waren. Er kannte Manannan. Er musste sich denken können, warum sie hier waren. Unachtsam würde er nicht sein, solange Tartara sich in der Hafenstadt aufhielt.
Der Mann verbeugte sich vor dem Publikum, ganz leicht nur, und seine Augen blieben dabei fest auf die Empore gerichtet, auf der Tartara sich befand. Beinahe schien es, als würde der Hauch eines Lächelns über seine Gesichtszüge gleiten, aber sie war zu weit weg, als dass sie es genau hätte erkennen können.
»Und nun: lasst uns die Tatsache feiern, dass wir hier alle zusammengekommen sind, um der Gabe zu danken, mit der wir die Stadt beschützen können«, sagte der Sonnenhändler gerade, woraufhin wieder Gemurmel ausbrach.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Tartara. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Ihr ganzes Leben war sie sicher gewesen, wo ihr Platz war. An der Seite ihres Vaters. Auf der Triton. Im Meer. Und auch, wenn diese Tatsache in letzter Zeit ziemlich verzerrt gewesen war und sie sich ziemlich verloren gefühlt hatte, so wusste sie es doch jetzt. Nur was sie als Nächstes tun sollten, da war sie ein wenig überfragt. Sie wusste zu wenig über den Sonnenhändler, als dass sie es bestimmen wollte. Sie wollte nichts von ihm und sie merkte, wie sich dies in ihren Gedanken niederschlug. So wurde sie nämlich nicht kreativ und erdachte unzählige Möglichkeiten, wie sie nun verfahren könnten. Ihr Kopf war leer. Stattdessen wandte sie sich zu den anderen um und hoffte, dass sie mit einem guten Vorschlag um die Ecke kamen.
Manannan stand da wie zur Salzsäule erstarrt, bewegte sich nicht. Eine ihrer Hände, die sie auf dem Geländer abgelegt hatte, war verkrampft, und ihr Gesicht war starr auf den Sonnenhändler gerichtet. Hatte sie gehofft, ihn nie wieder anzutreffen?
»Also, wenn wir jetzt hier stehen bleiben und starren oder wieder gehen, wo er uns doch schon gesehen hat, machen wir uns lächerlich«, sagte Kip.
»Mit gezücktem Entermesser auf ihn losgehen«. Dieser Vorschlag kam vom Klabauter.
»Finde ich auch gut«, meinte Kip daraufhin und schlug bei dem Klabauter ein. Tartara konnte nur den Kopf schütteln. Der Klabauter bereitete ihr Kopfzerbrechen. Und Kip? Der stand da, lässig und mit einem leichten Grinsen im Gesicht. Ein Lächeln, das ihr Herz erwärmte und die Leere in ihrem Kopf vertrieb.
Tartara stieß Manannan an, die nicht so wirkte, als hätte sie das Gespräch mitbekommen. Langsam wandte sie sich ihnen zu. Ihre Augen waren zur Hälfte geschlossen, als würde das, was folgte, sie auch nur zur Hälfte treffen. Angst konnte Tartara nicht in ihrem Blick erkennen. Wer Jahrhunderte überdauert hatte, dem jagte vermutlich nichts mehr so schnell Angst ein. Sie war im Innersten, tief im Herzen, noch die Göttin, die sie einst gewesen war, jetzt gefangen in einer sterblichen Hülle, ohne jegliche Macht. Und eine Göttin stieg die Treppe wie eine solche hinunter, mit erhobenem Kopf und einer Grazie, die ihresgleichen suchte.
Tartara folgte dicht hinter ihr, gewahrte allerdings genug Abstand, damit es nicht so wirkte, als bräuchte Manannan sie, um sie zu stützen oder ihr beizustehen.
Manannan stolperte nicht und verlangsamte nicht ihren Schritt, mit erhobenen Kopf schritt sie bis zur letzten Treppenstufe. Die Menge, die offensichtlich bemerkte hatte, wo die Aufmerksamkeit des Sonnenhändlers schon seit geraumer Zeit lag, hatte sich zu der Frau umgedreht, die nun durch die Schneise trat, die sich hastig bildete. Niemand wollte der entwaffneten Göttin im Weg stehen, als diese sich erhaben auf dem Weg zu dem Sonnenhändler machte und die Aufmerksamkeit so sehr auf sich zog, wie es nicht einmal seine Spielerei mit Licht und Sonnenstrahlen geschafft hatte.
Tartara ließ sich ein wenig zurückfallen, als sie sicher war, dass Manannan nicht wanken würde.
»Meinst du, das wird gutgehen?«, fragte Kip sie leise, als er mit leisen Schritten zu ihr aufholte. Mit seinem einst weißen Hemd stach auch er aus der eher dunkel gekleideten Menge hervor.
»Wenn du mich fragst, nein«, antwortete der Klabauter an ihrer statt, der sich zwischen sie geschoben hatte und wieder einmal bewies, wie flink er sein konnte. Eilig traten sie durch die Schneise, die sich gebildet hatte und schlossen zu Manannan auf, die soeben die zwei Stufen zum Podest erklommen hatte und nun stehengeblieben war.
»Manannan.« Die Stimme des Sonnenhändlers schnitt durch Raum und Zeit. »Tápholl. Bist du nun endlich zurückgekehrt?« Tartara hatte das Gefühl, nicht mehr in dem lichtdurchfluteten Saal mit den vielen Menschen um sie herum zu stehen. Da war nur noch weiß, weißes Licht und weiße Wände. Sie fühlte sich wie in einem Himmelsreich aus weichen Wolken. Erst Manannans Antwort holte sie in die Gegenwart zurück und selbst dann nahm Tartara nichts um sie herum war, niemanden außer dem Sonnenhändler und Manannan, Kip und dem Klabauter.
»Kren.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Du hast mich eingesperrt. Mir meine Macht geraubt. Das ist keine Rückkehr in eine Heimatstadt. Das ist ein Aufheben der Waffe, mit der ich dein Leben beenden werde.« In ihren Worten lag der Schmerz der Jahrhunderte.
»Aber, aber, Tápholl«, sagte der Sonnenhändler daraufhin und streckte eine Hand nach ihr aus, legte zwei Finger sanft auf ihrer Wange ab. Tartara sah, wie Manannan zurückzuckte. »Du hast deine Macht aufgegeben, als du mich getroffen hast. Du hast sie mir quasi gegeben.«
Tartara warf einen Blick über die Schulter zurück zu Kip und wollte seinen Gesichtsausdruck sehen, versuchen, zu erkennen, ob er ebenso verwirrt war wie sie. Das, was Manannan erzählt hatte, und das, was der Sonnenhändler gerade sprach, stimmte nicht miteinander überein, obwohl sie von derselben Geschichten redeten. Die zwei Seiten einer Münze. Der Mond, der zum Meer gehörte, auf der einen Seite, die brennende Sonne auf der anderen.
»Ich bin hier, um sie mir zurückzuholen«, erklärte Manannan audruckslos. Lediglich ihre Augenlider flatterten leicht. Es fiel ihr schwer, den Blick zu heben, um dem Mann in die Augen zu blicken, der ihr so viel Leid gebracht hatte.
Tartara blieb stumm daneben stehen. Sie hatte in das Gespräch eingreifen wollen, konnte aber nichts tun. Ihr fehlten die Worte. Der Sonnenhändler wirkte freundlich, zu freundlich und er sah noch so jung aus, er konnte kaum älter als ihr Onkel sein. Wenn sie sich nicht irrte, dann leuchteten aus diesem jungen Gesicht die Augen eines Mannes hervor, der Jahrhunderte überstanden hatte.
»Das wird nur ein weiterer von vielen Versuchen«, sagte Kren. »Und wieder wirst du scheitern.«
Das Licht wurde intensiver und Tartara musste die Augen zusammenkneifen. Als das Licht schwächer wurde, öffnete sie sie wieder und mit einem Mal fiel die Aufmerksamkeit des Sonnenhändlers auf Tartara. »Tartara Nautilus«, erklang ihr Name aus seinem Mund und Tartara fragte sich, woher er diesen wohl wusste.
Ihr war ein wenig unwohl. Ihr war es lieber gewesen, als der Sonnenhändler all seine Aufmerksamkeit Manannan gezollt hatte und sie nur als Beobachter daneben stand. Schließlich ging sie das alles gar nichts an. Jetzt jedoch blickten seine hellen Augen sie an und schienen sich tief in ihre Gedanken zu bohren. »Hier ist eine«, sagte sie fest, konnte aber nicht verhindern, dass ihre Beine leicht zu beben begannen.
»Begleite mich doch nach draußen«. Und mit diesen Worten rauschte der Mann an ihr vorbei, sein hellgoldenes Gewand floss wie eine schmelzende Sonne hinter ihm her.
Tartara konnte ihm nur hinterherstarren. Irgendetwas in ihr zog sie in Richtung des Mannes, durch die sich bildende Schneise hindurch. Sie musste ihm folgen. Andernfalls hätten sie keine Chance. Sicher, sie könnten jetzt türmen, aber der Sonnenhändler wusste, dass sie da waren. Und so, wie sie ihn kannte, was erst seit kurzer Zeit war, würde er um jeden Preis zu verhindern suchen, dass sie verschwanden. Offfensichtlich schien er etwas von ihnen zu wollen. Ihr blieb also nicht wirklich eine Wahl.
Sie wandte sich um. Kips und Manannans Blicke fielen auf sie. Sie zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich weiß nicht, ob ich das kann.« Mit einem Mal fiel ihr das Atmen schwer, als sie realisierte, was sie im Inbegriff zu tun war. Sie würde dem Sonnenhändler folgen, hatte es bereits in jenem Moment beschlossen, da sie die Worte ausgesprochen hatte. Mit einem Herzen, das wild flatterte wie ein gefangener Vogel, machte sie sich auf den Weg und blickte nicht mehr zurück. Sie schritt durch die Schneise, die sich gebildet hatte, wusste, dass sie dies nicht annähernd so elegant und erhaben wie Manannan meisterte, und folgte dem Sonnenhändler durch die Menge und eine breite Flügeltür.
Sobald sie auf den Balkon getreten war, schloss der Mann mit der Sonne im Blut diese Türen. Tartara zuckte leicht zusammen. »Ist das nicht wunderbar? All diese Leute sind zusammengekommen, um die Stadt, sich selbst, zu feiern.«
»Jaah«, sagte Tartara. »Wahrscheinlich feiern sie die Stadt.« Das letzte Wort zog sie ein wenig in die Länge.
Es gab jetzt erst einmal keinen Ausweg für sie. Sie musste sich dem stellen, was sie hier erwartete. Ihre Gedanken trieben dann jedoch von diesem Gedanken weg und flogen frei über die Brüstung hinüber und richteten sich auf das, was sich da unter ihr erhob.
Die Stadt erstrahlte im brennenden Licht der untergehenden Sonne. Die Häuser wirkten rein, als wäre Schmutz und Staub und Dreck etwas, das es hier nicht gab. So hatte sie diese Stadt noch nie gesehen.
»Ich glaube, wir wurden uns noch gar nicht so richtig vorgestellt.« Mit diesen Worten zog der Sonnenhändler Tartaras Aufmerksamkeit wieder auf sich und ein wenig widerwillig wandte sie sich von dem Anblick der Stadt ab, über deren rötlich-goldene Dächer man hätte laufen können, bis hin zum Hafen, bis hin zum glitzernden Wasser.
»Ich weiß, wer Sie sind, danke«, meinte Tartara, die sich bereits ein Bild von ihm hatte machen können. »Und Sie kannten meinen Namen bereits.«
»Warum dann immer noch so förmlich?«, fragte ihr Gegenüber mit einem ehrlichen Lächeln. Er streckte ihr die Hand hin. »Nenn mich doch bitte Kren.«
Es kostete Tartara alle Überwindung, diesen Namen auszusprechen. »Kren. Gut, Kren.« Sie nickte, wie um sich selbst aufzumuntern, dass sie fortfuhr. »Was willst du, Kren?«
»Die Frage sollte wohl eher lauten: Was wollen wir?«, sagte Kren und trat neben Tartara an die Brüstung heran. »Wir wollen schließlich dasselbe.«
Tartara hielt sich mit verkrampften Fingern an der Brüstung fest. Sie fühlte sich nicht gut. Ihr war schwindlig und warm. Nur der Anblick der glitzernden, rötlichen Oberfläche des Meeres bewahrte sie davor, unterzugehen.
»Woher willst du wissen, was ich will? Du kennst mich nicht.«
Der Sonnenhändler lächelte geheimnisvoll. Dann hob er seine Arme in Richtung der untergehenden Sonne. Sie schien daraufhin ihre Strahlen auszustrecken, bis sie über seine Arme flossen und Teil seines Gewandes wurden. Die Sonne schien daraufhin an Helligkeit zu verlieren, während der Mann neben ihr immer heller zu leuchten begann. Dunkelheit legte sich über die Stadt und hüllte alles in ein Gewand aus Finsternis. Nacht sickerte über den Hafen und durch die Gassen, die einzige Lichtquelle, die es noch gab, waren der Sonnenhändler selbst und sein Palast.
»Dunkelheit gibt es nicht. Es gibt nur das fehlende Strahlen eines Lichts.«
Und dann lenkte der Mann neben ihr alles Licht in den Nachthimmel, wo es streifenförmig durch die Dunkelheit schnitt und dann explodierte. Ein Feuerwerk, das sich über das Himmelsgewölbe brannte. Ein Schauspiel für jeden, der im Palast stand und dies durch die hohen Fenster erblicken konnte, jeden, der in den Gassen unterwegs war, jeden, der sich in oder in der Näher der Stadt aufhielt. Für Tartara jedoch gab es ein anderes Spektakel.
Unten am Hafen, inmitten all der schlafenden Schiffe, erhob sich aus dem Hafenbecken eine Säule aus dunkel schäumendem Wasser, die anwuchs, bis sie selbst die Masten der größten Schiffe überragte.
»Erinnerst du dich noch, Tartara?«
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