JP.2_Die Macht über die Ozeane
Es war über sie gekommen, ohne dass sie genau wusste, wie sie es bewerkstelligt hatte.
Sie stand inmitten der Lache aus Wasser und einzelne, dunkle Tropfen erhoben sich aus dieser, flossen ineinander und bildeteten einen Ring aus Wasser, der um Tartara herum schwebte.
Ohne Tartaras Zutun schoss der Strahl aus Wasser nun auf Kren zu, der von der Wucht des Aufpralls mehrere stolpernde Schritte nach hinten gestoßen wurde. Der Sonnenhändler jedoch strich bloß mit fliegenden Fingern über sein Gewand und innerhalb kürzester Zeit war es wieder trocken, das konnte Tartara daran erkennen, dass es wieder die helle Farbe annahm und der Fleck verschwunden war. Viel hatte ihn ihr Angriff wohl nicht geschadet, doch es hatte gereicht, damit er von Kip abließ, der nun auf die Knie sank.
Tartara warf einen Blick zu dem Jungen, der ihren Blick aus glühenden Augen erwiderte, nachdem er sich die nassen Strähnen aus dem Gesicht gestrichen hatte. Er sang keine Melodie wie unter Wasser und sie sah keine Bilder in ihrem Kopf, die das Wasser über jenen feinen Gesang durch das Meer trug, doch ihr war, als könnte sie sehen, was in Kips Gedanken vorging.
Sie konnte nur hoffen, dass er in ihrem Ausdruck las, was sie dachte. Er zögerte, wurde abgelenkt von Kren, der nun wieder auf sie zutrat und seine Arme hob. Dann jedoch holte Kip aus und die Kugel flog schimmernd und Tropfen abgebend durch die Luft, auf Tartara zu. Kren hielt inne, während Tartara einen riesigen Satz nach vorne machte, um die Schatulle aufzufangen. Sie wusste nicht, was passierte, sollte diese auf den Boden fallen. Es konnte sein, dass sie sich wieder öffnete und das wollte sie nicht riskieren. Sie hatte nicht gelogen, als sie Kren die Kugel gereicht hatte. Sie wusste nicht, wie sich die Schatulle öffnete und wieso sie sich am Strand der Bucht geöffnet hatte. Aber sie hatte darauf gehofft, dass es ihnen Zeit verschaffen würde. Sie hatte nicht darüber nachgedacht und Kren tatsächlich das Horn geben wollen. Als Bree ihr die Wahrheit erzählt hatte war sie zurückgeschreckt wie fließendes Wasser an einem Strand. Erst, als ihr eingefallen war, dass die Schatulle sich nicht öffnen ließ, hatte sie die Idee gehabt.
Der Mechanismus der Schatulle surrte leise, als Tartara ihre Hände darum schloss und im ersten Moment befürchtete sie, dass die Kugel sich öffnete und das Muschelhorn wieder freigab. Als sie jedoch auch nach mehreren Sekunden noch verschlossen war, wusste Tartara, dass sie nicht aus Versehen die Schatulle geöffnet und Kren das Objekt seiner Begierde auf einem Silberteller präsentiert hatte.
»Tartara.« Kren sprach leise, doch seine Stimme kam so laut und deutlich bei ihr an, als würde er neben ihr stehen.
»Ich dachte, wir wollen dasselbe. Willst du nicht den Urozean zerstören und dein Schiff retten? Deine Heimat?«
»Nein«, sagte Tartara und verstärkte ihren Griff um die Schatulle. Die silbernen Beschläge drückten ihr in die Handfläche. »Ich werde nicht zulassen, dass Wellenlichter und Sturmflossen dabei draufgehen. Nala und Narvi sind meine Freunde. Kip ist mein Freund. Dann lasse ich den Urozean halt Urozean sein.«
Kren nickte, sein Mund verzog sich zu einem schmalen Lächeln. »Du hast dein Herz verschenkt.«
»Mein Herz gehört der See und auch der Urozean ist ein Teil davon.«
Wie um ihren Worten mehr Bedeutung zu verleihen, erschuf Tartara um sich herum einen Wall aus Wasser, durch den sie Kren sehen konnte.
Kren seinerseits trat wieder auf sie zu und um seine Arme webten sich Stränge aus Gold und Leuchten. Er war der Sonnenhändler, bevor er Besitzer der Macht Manannans war. Erst, als Tartara eine riesige Welle aus der fließenden Wand schuf und diese auf den Mann zurollen ließ, riss er die Hände hoch und ließ das Wasser abprallen an einer eigenen Mauer aus Wellen und Salz und Gischt.
Die Erde unter ihnen bebte leicht. Die Luft um sie herum schien zu flimmern. Die Welt erzitterte, als Wasser gegen Wasser pralle, die Macht über die Meere aufeinandertraf.
Tartara spürte Tränen über ihr Gesicht laufe, konnte sich aber im ersten Moment nicht erklären, wieso. Sie war dabei, darum zu kämpfen, was ihr wichtig war. Wasser strömte ununterbrochen über ihre Haut und floss zu der riesigen Wand aus Wasser, die sich mittlerweile erhoben hatte und beinahe bis zum Dach des Pavillons ragte. Die Wassermassen verformten sich stets und dann und wann sah es so aus, als kämpften dort zwei Meeresgiganten verbissen um die Überhand.
Tropfen peitschten durch die Luft, doch Tartara nahm diese kaum war. Stattdessen gab sie sich dem Gefühl hin, das bereits ein paar mal wie eine zögerliche Brandung an ihr geleckt hatte und nun einer Sturmflut gleich über sie hereingebrochen war.
Dies war ihre Bestimmung. Hier, inmitten von brechenden Fluten fühlte sie sich zum ersten Mal wie die Person, die sie hätte sein können, wenn ihr der Urozean nicht so viel genommen hätte. Sie befehligte das Wasser und trug einen Teil der Ozeane bei sich. Sie konnte die Wellen am Hafen schäumen hören und jedes einzelne Schiff, das seinen Bug dann und wann tiefer ins Wasser senkte, spüren. Stünde sie jetzt auf der Brücke der Triton, in voller Fahrt über glänzendes Wasser, sie würde sich wie die Herrin über die ganze Welt fühlen und das Lachen wäre ihr nicht mehr vom Gesicht zu wischen.
Sie hatte immer am Meer gelebt und war öfter hinausgefahren als sie zu zählen vermochte. Zu Beginn hatte sie noch eine Strichliste geführt und in ihr eigenes Logbuch geschrieben, doch irgendwann reichte der Platz nicht mehr aus, um all ihre Reisen niederzuschreiben. Dann jedoch war sie ins Inland zu ihrer Schwester gefahren und ihr war etwas klar geworden. Wie sehr sie ans Meer gehörte. Bei ihrer Rückkehr hatte sie alles so vorgefunden, wie sie es hinterlassen hatte und doch war alles anders gewesen. Sie hatte das Salz in der Luft intensiver wahrgenommen und sie war immer mal wieder stehengeblieben, um den Wellen zuzusehen, wie sie am Strand oder den kleinen Klippen brachen, wie als würde sie sie zum ersten Mal in ihrem gesamten Leben sehen. Dann schlug ihr Herz immer ganz wild. Sie hatte das Meer immer geliebt, doch bei ihrer Rückkehr war es gewesen, als hätte sie sich noch einmal neu verliebt.
Tartara steckte all ihre Liebe und Hingabe für das Meer in ihre Gedanken und ihr kam es so vor, als würde das Wasser immer schneller und stärker gischten und auf die wirbelnde Wand aus Wassermassen zuschnellen.
Kren hatte gesagt, der letzte Teil von Manannans Macht bestand aus der Herrschaft über die Tiefsee. Doch er musste sich geirrt haben. Vor Tartaras innerem Auge flossen all jene Momente vorbei, die sie erlebt hatte. Wie die Fische ihr um die Insel herum gefolgt waren, wie der Orca und sie kommuniziert hatten, wie sie viel mehr Schwingungen im Meer hatte spüren können und darob wusste, was durch Fluten auf sie zukam.
Es war nicht notwendig, dass Kren und sie sich zusammenschlossen, um den Urozean aufzuhalten. Tartara konnte es alleine schaffen. Der fehlende Teil der Macht war so viel mehr als nur die Tiefsee und die dunkelsten Gewässer, die kein Sonnenstrahl erreichte. Er war das und noch viel mehr. Sonst hätte sie nie die Wassermassen erschaffen können, die das Dach des Pavillons von seinen Stützen rissen.
Die Luft um sie herum war feucht und es wehte eine warme Brise, die Tartara zuvor nicht aufgefallen war. Sie wusste nur, dass es nicht lange dauern würde, ehe all die Besucher des Sonnenpalastes in dem Saal mit den hohen Fenstern bemerken würden, was dort im Innenhof passierte. Doch ihre Gedanken kreisten noch immer darum, dass sie hohe Säulen aus stürmenden und gischtenden Fluten erschaffen konnte. Sie machte das nicht aus dem Nichts, auch wenn es ihr ein wenig so vorkam. Sie bediente sich des Wassers, das bereits da war, in ihr, in der Luft um sie herum und in den Fugen zwischen den Steinen.
Die Macht über die Ozeane. Sie besaß sie. Salz schoss durch ihre Adern, als sie abermals ihre Arme hob, um den nächsten Angriff des Sonnenhändlers abzuwehren.
Erneut prallte Wasser gegen Wasser und Tropfen und Gischt spritzten in alle Himmelsrichtungen.
»Ihr müsst aufhören!«, rief Bree und Kip stimmte in ihre Rufe mit ein. Als Tartara ihren Blick zu den beiden wandern ließ, erkannte sie, dass Manannan neben ihnen kniete. Die Göttin hielt ihren Kopf gesenkt und ihre Haare aus Algen und Muscheln fielen ihr vor das Gesicht, sodass Tartara nicht in die Augen Manannans sehen konnte.
Ein Schwall aus Wasser traf sie und ließ sie zurücktaumeln. Kren hatten den Moment ihrer Unachtsamkeit genutzt und einen erneuten Angriff gestartet. Sein Fokus war fest auf die kleine Schatulle in ihrer Hand gerichtet. Tartara wischte sich mit dem Handrücken über ihre Augen und blinzelte das brennende Salz fort, das hineingelangt war.
Was war mit Manannan? Tartara erhaschte noch einen weiteren, kurzen Blick auf die ehemalige Göttin, doch nach wie vor kniete diese auf dem Boden. Hatte womöglich einer der Angriffe sie getroffen? Wenn sie ihre Macht verloren hatte, konnte ihr das Wasser ernsthaft schaden.
Tartara war dazu übergegangen, pfeilähnliche Geschosse aus Wasser zu erschaffen, sie pflückte sie aus der feuchten Luft und ließ sie dann auf Kren zusausen. Sie wollte ihn nicht verletzen. Sie hatte sogar für einen Moment geglaubt, gehofft, dass er und sie gemeinsam hinausfahren würden und den Urozean zum Erliegen brächten. Sie glaubte, dass er noch immer eine große Hilfe wäre, wenn sie der Legende entgegentrat.
Sie wünschte sich, sie könnten dies friedlich klären wie vor nicht allzu langer Zeit auf dem Balkon des Sonnenpalastes. Doch Kren kämpfte verbissen und schien nicht mit sich reden lassen zu wollen. Er wollte den Urozean zerstört wissen. Er würde die Stadt schützen, um jeden Preis. Das waren seine Worte gewesen.
»Stopp! Bitte!«, rief Bree und ihr Rufen vermochte es kaum, gegen das Tosen der Wassermassen anzukommen. Es grenzte an ein Wunder, dass die Mannschaft bisher unversehrt war, so sehr, wie die Meereskämpfer um sich schlugen. Sicher, sie hatten eine Menge Gischt und Tropfen abbekommen und da war auch eine kleine Welle zu ihren Füßen gewesen, dicht nichts, was sie ernsthaft verletzen konnte oder von den Füßen riss. Und das, wo sie direkt neben dem Kampffeld standen.
Tartara spürte ihre Glieder kaum noch. Immer und immer wieder schlugen eisige Wellen gegen ihre Beine, ihre Arme, ihren Bauch, ließen ihr die Klamotten an der Haut kleben und brachte sie zum Zittern. Sie wusste nicht, wie lange sie das noch durchhielt. Ihre Sicht war verschleiert vom Salz des Wassers und noch der Wucht des Stoßes von Kren, der sie von den Füßen gerissen hatte. Das Meer war eine Kraft die sie nicht lenken und kaum anweisen musste, es bahnte sich seinen Weg von alleine und peitschte mit unberechenbarer Macht um sich. Tartara jedoch gab die Richtung vor, hob ihre Arme und spürte jeden einzelnen Tropfen, der vor ihr durch die Luft wirbelte, und sie ließ nicht zu, dass das Wasser irgendjemanden aus ihrer Mannschaft zu schaden kommen ließ. Und das strengte sie mehr an, als gut für sie war. Sie wankte. Ihre Beine bebten.
Lange würde sie nicht mehr durchhalten. Sie wollte einen letzten Angriff starten, als die Winde plötzlich innehielten. Die Welt stand still. Dann erklang ein tosendes Brüllen wie von einem Wasserfall, der hunderte Fuß in die Tiefe stürzte.
Sie alle wandten sich in die Richtung, aus der das Geräusch erklang, doch sie konnten nichts sehen. Die Mauern des Palastes ragten so hoch, dass sie nur den Himmel dahinter sehen konnten, nicht das, was sich dahinter erhob.
Es dauerte noch einige, weitere Sekunden, in denen die Wassermassen, die Tartara und Kren befehligt hatte, langsam in sich zusammensanken und schließlich langsam auf dem von der Sonne erhitzten Boden verdampfen.
Wie in Trance bewegten sie alle sich über den Innenhof und durch einen riesiegen Torbogen. Sie kamen an einem Ort in der Stadt raus, wo die Gebäude ein wenig spärlicher standen. Da waren immer noch keine richtigen Wege, immer noch Gassen, doch sie waren so breit, dass man erahnen konnte, was am Ende davon war. In diesem Fall konnte man zunächst gar nichts sehen.
Manannan stieß laut die Luft aus. Sie war einige Schritte vorgetreten und hielt ihren Blick wie gebannt auf das, was noch immer ein lautes Brüllen durch die Gassen warf und ein nur langsam verhallendes Echo schuf.
Auch Tartara trat näher, sie konnte zwischen den Gebäuden einen Teil eines Marktes sehen und das Kreischen von Vögeln hören. Da war der Hafen, ziemlich dicht vor ihnen und die Masten der Schiffe, die in die Höhe ragten, wie Tartara es von dem Balkon aus und bei ihrer Ankunft auch gesehen hatte. Doch jetzt hatte sich das Bild verändert und Tartara erschien die Idylle davor wie eine verblichene Zeichnung, blass und schemenhaft. Jetzt waren da hohe Wellen, die gegen die Türme und die Kreidefelsen schlugen, das Hafenbecken erreichten und die zornig alles zerstörten, was ihnen in den Weg kam. Schiffe, Markstände, Gebäude.
Der Urozean war zu ihnen gekommen und erhob sich nun vor der Hafenstadt.
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