6 - this is the life
And I don't want the world to see me, 'cause I don't think that they'd understand. When everything's made to be broken, I just want you to know who I am.
Wie erwartet durfte er am Nachmittag nicht erneut zu Tim.
„Das ist ein Familienurlaub", hatte seine Mutter gesagt, „schlimm genug, dass du die letzten Tage alleine zuhause geblieben bist, heute dürfen wir dich wenigstens für ein paar Stunden beanspruchen." Stegi hatte noch versucht sich zu wehren, doch seine Mutter blieb hart. „Es macht mich traurig, wie sehr du vor uns flüchten willst, Stegi." Dagegen konnte er nichts mehr einwenden, er hatte keine Wahl. Damit war jede Diskussion verloren und am Ende sah Stegi es ja auch ein. Es war schließlich ihr letzter Urlaub hier, den wollten sie eben gemeinsam verbringen.
Zu Stegis Freude hatte seine Mutter ihm wenigstens für den nächsten Tag freigegeben und nach dem er stundenlang mit seinen Schwestern Muscheln sammeln und Sandburgenbauen war, hatte er sich diesen freien Tag auch verdient – fand er. Sobald sie also daheim waren, hatte Stegi sich das Telefon geschnappt und Tim für den nächsten Tag in beschlaggenommen. Und dieser hatte lachend zugesagt.
Und dort war er nun.
Stegi stand an der Kreuzung, kickte hilflos einige Steine durch die Gegend und wartete. Er war kein pünktlicher Mensch, meist kam er schon aus Prinzip einige Minuten zu spät, doch selbst jetzt, zwanzig Minuten nach zehn Uhr, war Tim noch nirgendwo zu sehen. Gab es wirklich Leute, die noch verpeilter waren, als Stegi selbst?
Zehn Minuten später und noch immer war weit und breit keine Spur von Tim zu sehen, also beschloss Stegi, es bei ihm zu Hause zu versuchen.
Da er nicht wusste, ob Tims Eltern schon wieder zurück waren – er redete wirklich ungern mit fremden Menschen – schlich er auf die Hinterseite des Hauses, dort wo sich – seiner Erinnerung nach – Tims Zimmer befand. Sein Fenster war angekippt und heraus drang ein helles, fröhliches Lachen.
Das Lachen eines Mädchens.
Es versetzte Stegis Herz einen kleinen Stich, doch er konnte sich nicht erklären warum. Vielleicht war all das auch nur Einbildung und das helle Lachen kam nicht wie vermutet aus Tims Zimmer, sondern von ganz woanders? Ein kleiner Hoffnungsschimmer.
Trotz allem beschloss er seinen Plan umzusetzen und sammelte einige Kiesel vom Boden auf.
Eins. Zwei. Drei. Einer nach dem anderen flog gegen Tims Fensterscheibe. Vier. Fünf. Noch einer. Das Lachen verstummte. Jemand schob den Fensterriegel vor und kurz darauf schaute ein Mädchen hervor. Ihr verdutztes Gesicht wurden von leuchtend roten Locken eingerahmt. „Timii? Da ist so seltsamer Typ in eurem Garten", rief sie in das dunkle Zimmer hinter ihr. Stegi musste sich zusammenreißen, um nicht noch einen Kiesel zu werfen. Nur diesmal in das Gesicht des Mädchens. „Kennst du diesen komischen Vogel?" Ihre Stimme klang schrill in Stegis Ohren, ähnlich wie die der Freundinnen seiner Schwester. Er konnte keine von ihnen leiden, ebenso wenig wie das rothaarige Mädchen mit dem hellen Lachen und der schrillen Stimme.
Ein zweiter Kopf erschien. „Hör auf mich so zu nennen, Johanna. Und keine Ahnung...Stegi? Was machst du hier?" Tim sah ihn verdutzt an. Stegi begann mit seinen Armen Schwimmbewegungen nach zu ahmen, was eher in einem wilden Rumgefuchtel endete, und schließlich aufs Meer zu zeigen. „Wir waren verabredet, Schwimmen. Schon vergessen?" „Oh, Schwimmen, Timmi warum gehen wir nicht auch Schwimmen? Mir ist so heiß neben dir." Alles in Stegi wollte kotzen, wie konnte Tim dieses offensichtlich übertriebene Flirten überhaupt aushalten, ohne sich alle fünf Minuten zu übergeben?
„Sorry Stegi", rief eine Stimme über ihm, „Mir ist was dazwischen gekommen, können wir nachher...Reden? Dann erklär ich's dir." Damit verschwand Tims Kopf aus dem Fensterrahmen und auch der des Mädchens zog sich zurück. „Na danke auch", murmelte Stegi und trat leicht gegen einen der herumliegenden Steine. Konnte Tim ihn nicht wenigstens für ein nettes Mädchen sitzen lassen und nicht für eines, dass ihn Timmi nannte und Stegi einen komischen Vogel. Konnte er ihn nicht einfach nicht sitzen lassen?
Er war verletzt. Nicht, dass er das wollte. Er wollte nicht, dass ihn das ganze so mitnahm, dass er Tim Vorwürfe machte und vielleicht auch irgendwie ein kleines bisschen eifersüchtig war. Er wollte nicht einer dieser besitzergreifenden Freunde sein, die erwarteten, dass sich die ganze Welt nur um sie drehte. Aber Stegi hatte nur Tim, er war der Einzige, der freiwillig und gerne bei ihm war, der mit ihm Zeit verbrachte und ihn vermisste. Er hatte nur Tim. Und Tim hatte Johanna.
Gott, wie er dieses Mädchen hasste, selbst wenn er nicht mehr über sie wussten, als die Tatsachen, dass sie seltsam hoch lachte, fast quietschend, wie eine Gazelle und dass sie so schrill redete, dass seine Ohren fiepten. Er wusste, dass sie grässliche rote Haare hatte, in der Farbe von rostendem Metall und es war krausig, ohne jegliche Struktur. Was konnte Tim an ihr finden? Weder war sie hübsch, noch schien sie besonders nett oder witzig zu sein. Sie war nervig, mehr konnte Stegi nicht sagen.
Voller Aufregung und mit schnellen, aufgebrachten Schritten lief er die betonierte Straße entlang, zu der Kreuzung – zu ihrer Kreuzung. Kurz überlegte er abzubiegen, sich auf sein Bett zu schmeißen und in Selbstmitleid versinkend die Decke anzustarren. Doch schließlich entschied er sich dagegen, nicht bewusste, nein, seine Füße trugen ihn einfach weiter, Schritt für Schritt, den weiten Kiesweg zum Strand entlang. Vorbei an einigen Büschen und Gräsern, schließlich an Hügeln und Dünen, über und über bewachsen mit kleinen Sträuchern und Halmen.
Er ließ sich in den heißen Sand fallen und die winzigen Körner in seiner Hand zerrinnen. Welle um Welle schlug am Strand auf, schwemmte Muscheln an. Er dachte an gestern, wie er hier saß mit seiner kleinen und seiner großen Schwester. Seine Hand wanderte in seine Hosentasche, eine der Muscheln, die sie gesammelt hatten, war darin. Er wollte sie Tim schenken, es war die Schönste von allen die sie gefunden hatten. Jetzt kam ihm diese Idee so unglaublich lächerlich vor. Tim war oft genug selbst hier gewesen, um eine schöne Muschel nach der anderen zu sammeln. Er warf die Muschel von sich und sie versank im heißen Sand.
Das Ganze kam Stegi auf einmal so unglaublich lächerlich vor. Es war lächerlich, dass Stegi so besessen von ihm war, dass er ihn zeichnete, wenn er einsam war, sogar wenn Tim schlief. Er tauchte bei ihm auf, warf Steine gegen sein Fenster, nur weil er einige Minuten zu spät kam. Und erst recht war es so verdammt lächerlich, dass er all diese Selbstzweifel hatte, nur weil Tim, sein einziger richtiger Freund, eigene Freunde hatte. Stegi konnte es ihm nicht übelnehmen.
Stundenlang saß er da, mit so viel Hass in sich. So viel Wut und Ärger und diesem beklemmenden Gefühl in der Brust. Er würde so viel dafür geben, jemanden zu finden, der ihn verstand. Er würde so viel dafür geben, dass Tim jetzt aus dem Nichts auftauchen würde und ihm sagen, wie viel er ihm bedeutete, dass er ihm wichtig war. Eigentlich wollte er gerade einfach nur nicht alleine sein.
Letztendlich stand er auf und lief den Strand entlang durch den weichen Sand, die Wellen schlugen ihm um die Füße und es tat gut, das kühle Wasser zu spüren.
Er begann ein Lied zu summen, was in seinem Kopf hauste, seit er Tim und dieses grauenvolle Mädchen zusammen gesehen hatte. Er hatte es seit Stunden im Kopf und es wollte irgendwie einfach nicht wieder gehen.
„And the boys chase the girls, with the curls in their hair. While the shocked to many sit over there and the songs get louder, each one better than before."
Stegi sang leise die Textzeile vor sich hin. Vor einiger Zeit, war dieses Lied eines seiner Lieblingslieder, es machte ihm immer und immer wieder gute Laune. Seit er Tim kannte musste er jedes Mal, wenn er es hörte einfach nur an ihn denken, weil es so viel Freude und Glück ausstrahlte, wie Tim selbst.
Jetzt machte es ihn nur noch traurig. Traurig und wütend, wütend auf dieses fremde Mädchen, das ja eigentlich gar nichts gemacht hatte. Sie hatte seinen Hass nicht verdient und trotzdem konnte Stegi nicht anders, als sie für all das verantwortlich zu machen.
Sie war schuld, wenn er seinen einzigen Freund verlor, sie war schuld, wenn dieser letzte Sommer, nachdem er so gut angefangen hätte, in einem verletzenden Chaos enden würde. Sie war schuld daran, dass er sich gerade hasste, weil er ihr die Schuld gab und weil er so viel Drama um nichts machte. Was auch passiert war und noch passieren würde: Sie war schuld.
Dabei hatte sie doch eigentlich gar nichts getan.
Weit und breit konnte er keine Menschen sehen, nur einige Möwen die sich verzweifelt durch den Sand pickten, in der Hoffnung etwas Essen zu finden, was unordentliche Strandbesucher ihnen hinterlassen hatten.
Diese Menschenlosigkeit machte es ihm noch schwerer sich nicht einsam zu fühlen.
Er wollte nicht nach Hause, seine Mutter würde fragen, ob er an seinem freien Tag, nachdem er mal wieder vor ihr geflüchtet war, wenigstens etwas Schönes erlebt hätte und wenn sie heraus fand, dass er den ganzen Tag alleine am Strand gesessen hatte, dann wäre das mit Sicherheit sein letzter freier Tag für die nächsten Wochen gewesen.
Grade wollte er doch umkehren, zurück nach Hause gehen, da hörte er hinter sich die mittlerweile so bekannte Stimme.
„Stegi? Was ist eigentlich los?"
Juhu, wir haben Handlungsrelevanten Inhalt. Btw es gibt Kekse, die hab ich die letzten Kapitel vergessen upsi 🍪🍪🍪
[1528 Wörter]
Songzitate:
Iris - Goo Goo Dolls
this is the life - Amy MacDonald
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro