Kapitel 4
Ich hatte es schließlich doch noch geschafft Barrieren an meinem Traum zu errichten, sodass wir nun endlich aufbrechen konnten. ,,Merk dir genau, was deine letzte Traumlandschaft ist, okay? Wenn wir es tatsächlich in meinen Traum schaffen sollten, können wir da dann die gleiche Landschaft erschaffen, sodass dein Traum dann direkt neben meinem liegen sollte."
Ich nickte. Wir befanden uns immer noch auf dem Feld, auf dem wir trainiert hatten, auch wenn jetzt die Schutzschilde in der Ferne ein wenig glitzerten. ,,Bist du dir sicher, dass du das machen willst?" Wieder nickte ich. Diese Fragen hatte er mir bestimmt schon hundert mal gestellt und meine Meinung dazu hatte sich nie verändert.
Bevor er zu einer erneuten Fragerunde ansetzen konnte, ergriff ich seine zitternde Hand, platzierte einen Kuss darauf und verschränkte sie dann mit meiner eigenen. ,,Ich bin mir sicher, Louis, und ich werde es mir auch nicht nochmal anders überlegen und wir schaffen das. Hab ein bisschen vertrauen."
Nervös lächelte er mich an, nickte aber und verstärkte den Druck seiner Hand, die in meiner lag.
Als wir meine Barrieren durchquerten, war es als würden wir einmal durch eiskaltes Wasser laufen und das traf mich so unvorbereitet, dass ich nach Luft schnappte. Louis schüttelte sich kurz, als wolle er das imaginäre Wasser abschütteln.
,,Dann mal los", beschloss ich voller Tatendrang und machte einen Schritt in den neuen Traum hinein, auch wenn es sich nicht so anfühlte, als sollte ich das tun. Es war wie ein Reißen an meinem Herzen, das mich wieder in meinen Traum ziehen sollte. Das musste Louis schon seit fünf Jahren dauerhaft haben, aber vielleicht machte es das einfacher seinen Traum zu finden.
Mit jedem Schritt, den wir in den neuen Traum machten, veränderte sich die Umgebung mehr. Das Feld wich einer kleinen Vorstadt, in der Kinder auf der Straße mit einem Ball spielten. Es war ein ruhiger Traum und ich sah mich neugierig um. Noch nie war ich in dem Traum eines anderen Menschen gewesen.
Louis war nicht halb so entspannt wie ich, wie ich nach ein paar Minuten feststellen musste. ,,Was ist los?" ,,Niemand hat solche idyllischen Träume ohne, dass es eine unangenehme Wendung nimmt."
,,Ich hatte auch einen ziemlich ruhigen Traum", stellte ich verwirrt fest. ,,Dein Traum war anders, ruhig. Dieser hier ist voller Unruhe. Das Ticken des Balls auf dem Asphalt ist zu laut und viel zu regelmäßig. Ich kann sogar eine Uhr ticken hören, das sind alles Anzeichen dafür, dass das hier bloß die Ruhe vor dem Sturm ist. Die Stille hier ist praktisch ohrenbetäubend. Außerdem dachte ich bei dir, dass du deine beste Freundin abschleppen willst und Liebesträume haben dann doch meistens keine grausame Wendung", erklärte er und ich war erstaunt worauf er alles achtete. Mir wäre das nie im Leben aufgefallen.
,,Jetzt starr mich nicht so an, als wäre ich das achte Weltwunder. Sowas lernt man, wenn man zu viel Zeit in den Träumen von Psychopathen verbringt." Mit einem Mal wurde alles still und plötzlich waren auch keine Kinder mehr auf der Straße. Sogar die Sonne schien sich zu verdunkeln, obwohl keine einzige Wolke am Himmel war.
,,Oh verdammt, ich dachte, wir hätten noch mehr Zeit, komm schnell!" Hastig zog Louis mich in einen der Hauseingänge, doch gerade, als er die Tür aufreißen wollte, kam ein Glatzkopf mit schwarzen, irre funkelnden Augen heraus.
Ich sah schon die Kugel auf unsere Köpfe zu rasen und blieb wie versteinert stehen. Ich konnte nichts anderes tun, als in den Pistolenlauf zu schauen, aus dem sich die Kugel gelöst hatte. Kurz bevor sie mich traf, erschien ein Schutzschild vor uns und ließ sie in tausend Teile zersplittern.
Ohne das Schild wieder aufzulösen, zog er mich weiter, obwohl ich mehr hinter ihm her stolperte, als wirklich zu laufen. ,,Komm schon, wir sollten von hier verschwinden."
Ich fing mich wieder und nickte. Auf dem schnellsten Weg überwanden wir die Vorstadt und fanden uns in einem Wald wieder, der bald darauf aussah, wie aus einem Märchen entsprungen oder einem Fantasy-Roman.
,,Es ist echt schön hier", befand ich. ,,Das sagst du nicht mehr, wenn dich auf einmal Elfen und Trolle angreifen, weil du in ihr Territorium eingedrungen bist", verkündete Louis düster und ich fragte mich ernsthaft, was er schon so alles gesehen hatte.
,,Wir sollten uns lieber unsichtbar machen. Hätten wir am besten schon die ganze Zeit getan." Im nächsten Moment war Louis verschwunden und ich wusste nur, dass er noch neben mir stand, weil ich seine kleinere Hand in meiner fühlte. Ich konzentrierte mich etwas und wurde innerhalb von ein paar Sekunden ebenfalls unsichtbar.
,,Perfekt", hörte ich Louis' Stimme irgendwo rechts neben mir und er zog mich am Arm weiter vorwärts.
Es dauerte tatsächlich nicht besonders lange, bis uns die ersten Elfen über den Weg flogen. In meiner Vorstellung waren es immer kleine zierliche Wesen von der Größe von vielleicht zehn Zentimeter und Flügeln. Die Flügel stimmten zwar, aber in der Größe hatte diese hier träumende Person eine deutlich andere Vorstellung der Fabelwesen als ich. Die Elfen waren allesamt ungefähr so groß, wie ein großes Baby und hatten auch den gleiche Körperbau. Es war erstaunlich, dass die Flügel sie überhaupt in der Luft halten konnten.
,,Ich bin verstört", flüsterte ich in Louis' Richtung, als wir gerade die zweite Elfen-Lichtung durchquert hatten. ,,Das? Das war doch gar nichts. Du hast noch nie die bösen Elfen gesehen. Die sehen aus, als hätte man ihnen die Gesichter weggeätzt." Das machte ja Hoffnung...
Im nächsten Moment brach ein Troll aus dem Gebüsch, der mir ziemlich bekannt vorkam. Als mir die Erkenntnis durch den Kopf schoss, drehte ich mich abrupt nach hinten, um noch einen Blick auf ihn zu erhaschen, aber er war schon wieder verschwunden.
,,Da hat wohl jemand zu oft die Eiskönigin geguckt." ,,Wenigstens waren diese hier friedlich. Du wärst erstaunt, wie viele Leute die nettesten Filmfiguren zu wahren Monstern machen. Wie verkorkst muss man eigentlich im Kopf sein?"
Erst jetzt wurde mir wirklich klar, was er schon alles gesehen haben musste und ich erschauderte. Eigentlich wollte ich wirklich gar nicht wissen, was andere Leute so alles dachten oder träumten, aber hier war ich.
,,Was meinst du, warum ich in deinem Traum hängengeblieben bin? Alles war so friedlich, es war wie eine Pause." Ich sagte nichts dazu, aber wäre ich sichtbar gewesen, hätte er wohl gesehen, wie mir eine Träne die Wange hinunter lief, weil es mir so unglaublich leid tat, dass er das alles schon erleiden musste, seit er vierzehn war.
Auf der nächsten Lichtung, die wir durchquerten, waren einige Feen und Trolle, die im Kreis tanzten, zusammen mit einem kleinen Mädchen, das glockenhell vor sich hin lachte. ,,Das erklärt einiges", raunte Louis mir zu, um die Tanzenden nicht zu stören.
,,Die Träume von Kindern sind meist friedlich, weil ihre Gedanken noch nicht so verseucht sind. Nur ganz wenige haben wirklich schlimme Träume und selbst wenn es sich um Albträume handelt, sind die meist nur halb so schlimm, wie die von Erwachsenen."
,,Bist du gerne in Träumen von Kindern?", fragte ich leise, während wir das kleine Mädchen betrachteten. ,,Ja", flüsterte er und es hörte sich an, als würde er weinen, auch wenn ich das nicht sehen konnte. ,,Da kommt mir das alles nur noch halb so schlimm vor. Es ist so eine heile, unbeschwerte Welt."
Vorsichtig ertastete ich Louis' genaue Position und legte meine Arme um seinen zierlichen Körper, in der Hoffnung ihm etwas Trost spenden zu können. ,,Bald ist das alles vorbei. Ich verspreche es dir."
Wir nahmen uns etwas Zeit in diesem Traum, liefen nicht so schnell wie im letzten - wer wusste schon, wann wir wieder in einen friedlichen Traum kommen würden? - aber auch dieser Traum musste irgendwann enden.
Wir kamen an einer Tür an, die mit grünen Ranken versehen war, an denen allerlei bunte Blumen hingen. ,,Das ist das Ende", erklärte Louis. ,,Sicher? Das ist sieht eher aus, als würde es danach noch weiter gehen." ,,Ich bin mir sicher." Das führte er nicht weiter aus, aber ich glaubte ihm, schließlich war er der Erfahrenere von uns beiden.
Er zögerte einen Moment, als er die Klinke herunter drückte, als erwarte er einen besonders schlimmen Traum, stieß die Tür dann aber trotzdem auf. Kaum hatte er auch nur einen Schritt über die Türschwelle gemacht, fing er auch schon leise an zu fluchen.
,,Was ist los?", erkundigte ich mich und machte ebenfalls einen Schritt in den neuen Traum. Sofort wusste ich, was los war und hätte mir am liebsten die Augen ausgekratzt. Wir waren in einem Schlafzimmer gelandet und mitten in die hitzigste Szene geraten.
Die Frau, die unter dem (wohlbemerkt ziemlich durchtrainierten) Mann lag, stöhnte laut vor sich hin und ich würde mich gerne übergeben.
An der Wand waren zwei Türen. Wenn wir jetzt aber noch durchs ganze Haus laufen mussten, um dann irgendwie hier wieder rauszukommen, dann würde ich vermutlich sowohl die Frau, als auch den Mann umbringen.
Ohne das Fluchen aufzuhören, zog Louis mich mit sich und stieß auf gut Glück die erste Tür auf. Dahinter befand sich ein Badezimmer in dem es wohl auch schon heiß hergegangen war. Zumindest, wenn man den Rosenblättern, der vollen Badewanne und den stimmungsvollen Kerzen trauen durfte.
,,Mist, mist, mist! Sonst sind Sexträume immer nur auf das Schlafzimmer beschränkt, aber nein, diese feine Dame braucht es natürlich besonders detailreich." Ohne das Fluchen aufzuhören zog Louis mich durch die andere Tür und als wir über die Schwelle traten, empfing uns ein neuer Traum.
,,Wenigstens etwas", murmelte mein Begleiter missmutig und stapfte vorwärts durch die Wüste, die sich vor uns erstreckte. ,,Was meintest du damit, dass Sexträume sich normalerweise nur aufs Schlafzimmer beschränken", wollte ich wissen.
,,Wie ich es sage. Die meisten Leute konzentrieren sich in solchen Träumen ganz auf den Akt an sich und nicht auf ihre Umgebung, weshalb er auch meist hinter der Tür endet. Der Rest ist schlicht und einfach nicht wichtig und wird auch nicht gebraucht."
,,Du warst schon in einigen feuchten Träumen, oder?" Ich formulierte es als Frage, aber eigentlich war die Antwort schon klar. ,,Viel zu viele. Kurz bevor ich in die Traumwelt verbannt wurde, habe ich gelesen, dass mehr als 35 Prozent aller Träume Sexträume sind und ich kann dir sagen: Es sind vermutlich noch viel mehr." Das klang ja super. Ich hoffte inständig, dass wir auf unserer Reise keinem solchen Traum mehr begegneten.
,,Wo sind wir jetzt?", fragte ich irgendwann, als wir schon eine ganze Weile gelaufen waren, aber Louis schüttelte nur unwissend den Kopf. ,,Keine Ahnung" Er sagte es nicht laut, aber ich wusste, dass er beunruhigt war.
Wir liefen eine Weile, bis mich ein seltsames Kribbeln überkam, ähnlich wie eine Vorahnung. Dann nahm ich das erste Knacken wahr und mein Hirn schaltete innerhalb einer Millisekunde.
In dem Moment als der Boden unter unseren Füßen wegbrach, erschuf ich eine in der Luft schwebende Plattform, sodass wir nur ein paar Zentimeter fielen und nicht in die Schlucht, die sich nun unter uns auftat. Eine große Staubwolke stieg unter uns auf, als die Gesteinsbrocken auf den Boden unten aufschlugen.
Ich ließ unsere Plattform in die Länge wachsen, sodass sie eine Brücke zwischen beiden Schluchtseiten bildete. ,,Das war keine natürliche Entwicklung eines Traums", stellte Louis geschockt fest.
Wir beide waren in den letzten Paar Sekunden wieder sichtbar geworden, weswegen ich nun auch die Panik in Louis' Augen erkennen konnte. ,,Uns wollte jemand umbringen", flüsterte er wie paralysiert.
,,Das hat er oder sie aber nicht geschafft und ich werde nicht zulassen, dass wir sterben." Sanft zog ich ihn an der Hand hinter mir her über die Brücke, bis wir wieder festen Boden unter den Füßen hatten. ,,Wir sollten uns beeilen", beschloss ich dann und Louis nickte. Er schien sich wieder etwas gefasst zu haben.
,,Mein Traum, meine Regeln und solange ich das nicht will, geht hier niemand", ertönte eine fremde Stimme hinter uns. Eine Frau mit einem strengen Dutt kam herangeschlendert.
,,Louis", begrüßte sie ihn, wie jemanden, den sie schon lange kannte und noch nie leiden konnte. Es war fast erstaunlich, dass sie nicht noch ein Du lebest ja immer noch hinterher schob, auch wenn man ihrem Gesicht ansehen konnte, dass sie genau das dachte.
Louis sagte gar nichts, sondern starrte sie nur wie ein verängstigtes Häschen an. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht. Um ihm etwas Kraft zu geben, drückte ich Louis' Hand etwas stärker, bevor ich mich halb vor ihn schob um die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
,,Wir sind nur auf der Durchreise und wenn Sie uns passieren lassen, sind wir bald schon wieder weg", erklärte ich ruhig, auch wenn ich den leisen Verdacht hegte, dass die Frau mit den harten Gesichtszügen uns wohl nicht einfach so laufen ließ.
,,Dich kenne ich nicht", stellte sie mit zusammengekniffenen Augenbrauen fest. ,,Aber du bist gut. Wer hat dich unterrichtet?" Es klang beinahe, als würde sie das wirklich interessieren, wie als würde sie mir einen Job geben wollen oder etwas ähnliches.
,,Das geht Sie nichts an", gab ich ein wenig patzig zurück, bevor ich mich auf meine Freundlichkeit besann. ,,Hören Sie, wir wollen keinen Konflikt. Bitte lassen Sie uns einfach durch."
,,Nein", war ihre schlichte, aber genauso kalte Antwort, bevor sie mit ihren Augen wieder Louis fixierte. ,,Du bist auf dem Weg zu deinem Traum", stellte die Frau messerscharf fest. ,,Das ist dir nicht erlaubt."
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