... ist ein Tag mit Hayato
Es gibt diese Tage, an denen einfach alles schief läuft.
Heute ist einer dieser Tage.
Es fing schon heute Morgen an. Als Taichi unter die Dusche stieg und sich gerade eingeseift hatte, wurde das Wasser kalt. Und es wollte einfach nicht mehr warm werden. Eine eiskalte Dusche an einem kalten Wintermorgen war nicht gerade das, was der Student unter einen entspannten Start in den Tag verstand. Auf dem Weg zur Uni stolperte er und verschüttete seinen Kaffee, verpasste deshalb die Bahn und musste noch länger in der Kälte warten - ohne den wärmenden Wachmacher, ohne den die Uni an normalen Tagen bereits nur schwer zu ertragen war.
Immerhin verliefen die Vorlesungen ohne weitere Zwischenfälle. Dennoch blieb Taichi auf der Hut. Auch wenn er nicht an so etwas wie Unglück glaubte, man konnte nie vorsichtig genug sein. Er hatte Tage wie diesen schon zu oft erlebt und wollte diese Erlebnisse nur ungern wiederholen.
Im Unialltag selbst glich der heutige Tag beinahe jedem anderen in dieser Woche. Der einzige Unterschied zu den letzten Tagen bestand darin, dass er die Mittagspause mit seinen Kommilitonen verbrachte, statt wie sonst mit Kenjirou. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf Taichis Lippen, als er an den Kleinen dachte. Gegen Ende ihrer Schulzeit hatte er ernsthafte Bedenken gehabt, sie könnten sich aus den Augen und den Kontakt verlieren, sobald ihre Schulzeit endete. Das genaue Gegenteil war der Fall gewesen. Sie hatten die Zusage für die gleiche Universität bekommen und konnten sich so - trotz der verschiedenen Studiengänge - weiterhin treffen. Auch wenn die gemeinsame Zeit etwas weniger wurde, seitdem Kenjirou mit Eita zusammengekommen war. Taichi musste bei diesem Gedanken den Kopf schütteln, dennoch konnte er das innerliche Grinsen nicht unterdrücken. Nie hätte er gedacht, dass die beiden zusammenkommen würden. Dass es ausgerechnet diese beiden Hitzköpfe waren, nein, dass ausgerechnet ihr so Zitat „unausstehlicher Senpai" es geschafft hatte, Kenjirous Kopf zu verdrehen, das war zugegebenermaßen mehr als unerwartet gewesen. Doch seitdem Taichi die beiden zusammen als Paar gesehen hatte, konnte er es verstehen. Die Sticheleien waren eine deutliche Spur freundschaftlicher geworden - nicht freundlicher - und es passt zu ihnen. Sie passten zueinander.
Noch bevor Taichis Gedanken weiter abschweifen konnten, riss ihn die allgemeine Aufbruchsstimmung am Tisch aus der Trance. Ein kurzer Blick zur Uhr verriet, dass er sich ebenfalls sputen sollte, wenn er nicht zu spät zur nächsten Vorlesung kommen wollte.
Gerade als er sein Tablett auf das Band stellte, passierte es. Alles geschah gleichzeitig, blitzschnell und doch war es, als würde Taichi seinen Untergang in Zeitlupe wahrnehmen. Die junge Frau neben ihm wurde angerempelt und verlor das Gleichgewicht. Mitsamt ihrem Tablett und der sich darauf befindenden Suppe stolperte sie und fiel. Genau auf Taichi. Unsanft riss sie ihn zu Boden. Er schaffte es zwar, den Sturz etwas abzufedern, doch fangen oder halten konnte er sie nicht.
Seufzend schloss Taichi die Augen und ließ den Kopf auf den Boden sinken, gab sich geschlagen. Schlimmer konnte dieser Tag wirklich nicht mehr werden. Angenehm kühl fühlten sich die Fliesen unter ihm an, lenkten ihn von der Hitze ab, die die Blicke der gesamten Studentschaft auf ihm auslösten.
„G-G-Gomene." Erst die zitternde Stimme ließ ihn die Augen wieder öffnen. Tränen glitzerten auf den Wangen der junge Frau, die vor ihm kniete und sich immer und immer wieder entschuldigte.
Er hatte nicht einmal bemerkt, dass sie von ihm geklettert war. Na toll. Resigniert seufzte er und rang sich ein zaghaftes Lächeln ab. „Alles gut. Es ist ja nichts passiert."
Noch immer plapperte sie auf ihn ein, schien seine Worte nicht einmal realisiert zu haben. „Aber deine Kleidung. Es tut mir so leid, ..."
„Es ist alles gut. War ja keine Absicht." Auch wenn er wusste, dass er sich wiederholte, sagte er es erneut. Er konnte der Kleinen ansehen, wie verdammt unangenehm ihr die ganze Situation war. Angenehm war es auch für Taichi nicht, doch es brachte nichts, seinen Missmut an ihr auszulassen, wo sie doch nichts dafür konnte. Langsam stand er auf und betrachtete das Chaos an und um sich in ganzem Ausmaß. Seine Kleidung war von der Suppe befleckt, auf seinem Pulli hafteten vereinzelte Suppennudeln und die Pfütze zu seinen Füßen erinnerte mit nicht allzu viel Fantasie an ein vollkommen anderes Malheur. Erneut atmete er tief durch, ehe er der jungen Frau eine Hand entgegenstreckte, um ihr auf die Füße zu helfen. Sein Tag war gelaufen, doch vielleicht konnte er ihren zumindest etwas weniger schlimm gestalten, wenn er dafür sorgte, dass sie sich nicht allzu schlecht fühlte.
Nachdem die Überreste an den Unfall aufgewischt und weggeräumt waren, trat Taichi den Heimweg an. Konzentrieren könnte er sich nicht mehr, so viel stand fest. Außerdem klebte sein Pullover unangenehm an seiner Haut. Ganz davon zu schweigen, dass ihm der Geruch der Suppe nicht aus der Nase ging. Einer seiner Kommilitonen würde ihm sicherlich die Mitschriften schicken, was das anging hatte er keine Bedenken.
Jetzt wollte er einfach nur nach Hause. Lediglich der Gedanke daran, dass er morgen frei hatte, ließ ihn nicht gänzlich verzweifeln.
Mit Kopfhörern in den Ohren war es etwas leichter, die Blicke in der überfüllten Bahn zu ignorieren, die ihn unangenehm musterten. Wenn er nur halb so schlimm aussah, wie er sich fühlte, konnte er sich vorstellen, weshalb ihn die Leute so ansahen. Auch wenn er sich die Jacke übergezogen hatte, so hatte auch diese ein paar Flecken abbekommen. Und noch immer steckte ihm der Suppengeruch in der Nase. Diese Erkenntnis war mit das Deprimierendste an diesem Tag. Er war auf dem Heimweg und roch nach Suppe. Und wenn er es roch, musste es den umstehenden Passagieren ebenfalls auffallen.
Noch nie war Taichi so froh, die Bahn verlassen zu können. Und das, obwohl es zu allem Übel des Tages auch noch zu regnen begann. Auch wenn die kleinen Regentropfen unangenehm in seine Haut stachen wie kleine Nadeln, und alles durch die kalte Dezemberluft nur noch unterkühlter wirkte, war er froh, der Enge der Bahn entkommen zu sein. Jetzt trennten ihn lediglich zehn Minuten Fußweg von dem lang ersehnten Wochenende.
Seufzend stieg er die Treppen zu seiner Wohnung hinauf. Der Regen hatte zugenommen, hatte sich langsam aber stetig einen Weg durch seine Kleidung gebahnt und ihn immer weiter durchnässt. Vielleicht hätte er einen Schirm eingepackt, wenn er mit dem Wetter gerechnet hätte. Doch bei all dem Glück, das er heute gehabt hatte, wäre ihm dieser vermutlich noch kaputt gegangen oder sonstwie abhanden gekommen. Bei jedem Schritt verteilte er kleine Tropfen auf der Treppe. Der Hausmeister würde ihn verfluchen, so viel stand fest. Doch gerade konnte er sich nicht auch noch darum sorgen.
Vor der Wohnungstür blieb er stehen und kramte den Schlüssel aus seiner Tasche. Aus den Tropfen unter sich wurde eine kleine Pfütze und Taichi war froh, die nassen Sachen gleich loswerden zu können. Als er den Schlüssel ins Schloss steckte, hielt er inne. Aus dem Innern der Wohnung drang leise Musik.
Irritiert öffnete er die Tür. Die Musik - ein Weihnachtslied, wie er nun erkannte - wurde lauter, kam eindeutig aus der Küche. Zusammen mit lautem Geschepper und schiefem Gesang. Schnell schloss Taichi die Tür, stellte seine Tasche ab und schälte sich aus der nassen Jacke, ehe er zur Küche lief.
Nichts hätte ihn auf den Anblick vorbereiten können, der sich ihm bot. Inmitten von absolutem Chaos stand Hayato, hatte sich eine Schürze umgebunden und sang fröhlich, während er mit einigen Schüsseln herumhantierte. Vollkommen überrumpelt blieb Taichi stehen und ließ den Anblick auf sich wirken. Auf der Arbeitsfläche standen Backzutaten, bergeweise Geschirr und irgendwie wirkte der Raum etwas dunstig. Puderfein überzog eine Schicht Mehl alle Oberflächen und den Boden, hatte auch Hayatos Haaren einen leicht grauen Schimmer verliehen. Ganz langsam schlich sich ein Grinsen auf Taichis Gesicht, noch bevor er es verhindern konnte.
Als Hayato aufblickte und ihn ansah, grinste auch er, ehe ihm das Lächeln verrutschte. Er stellte die Musik aus und kam auf ihn zu. Die Sorge in seinem Blick konnte er nicht ganz verstecken. „Du siehst schrecklich aus. Was ist denn passiert?"
Unwillkürlich entfuhr Taichi ein Lachen. Kein bitteres, auch wenn er sich unterschwellig so fühlte. Nein, diese Situation war einfach zu absurd, als dass er nicht lachen könnte. „Wir haben uns so lange nicht gesehen. Dann kommst du unangekündigt vorbei, veranstaltest Chaos in meiner Küche und alles, was du mir zu sagen hast, ist das?" Ungläubig betrachtete er Hayato. Ihm entging nicht, wie dieser zu grinsen begann.
„In unserer Küche", verbesserte er und das Grinsen wurde breiter.
Einen Moment brauchte Taichi, ehe er etwas erwidern konnte. „Du bist echt unmöglich." Gespielt empört schnaubte er, beugte sich dann aber herunter und drückte Hayato einen Kuss auf die Stirn. „Schön, dass du da bist." Das Lächeln, das er ihm nun schenkte, war durch und durch echt, schaffte es sogar, etwas von der inneren Unruhe zu vertreiben, die ihn den gesamten Tag über begleitet hatte.
Doch dieses Glück war nur von kurzer Dauer, denn der schrille Ton der Küchenuhr riss die beiden jäh auseinander. „Ich hole die Plätzchen aus dem Ofen. Ich würde vorschlagen, du gehst duschen, weil ... ähm ..." Unbeholfen deutet Hayato an Taichi herab.
Er brauchte den Satz nicht zu vervollständigen.
Kopfschüttelnd lief Taichi ins Bad. Dieser Tag hatte eine unerwartet Wendung genommen.
Frisch geduscht, in trockenen Kleidern und endlich nicht mehr nach Suppe riechend, fühlte sich Taichi gleich viel besser. Auch seine Laune hatte sich nach der warmen Dusche wieder gebessert. Kurz vor der Küche hielt er inne, wappnete sich dieses Mal für das Chaos an Geschirr, dass ihn erwartete. Als er die Tür öffnete, wurde er zum zweiten Mal an diesem Tag überrascht. Hayato hatte ihm den Rücken zugewandt, stand am Spülbecken und kümmerte sich um das Geschirr. Auf einer Seite stapelten sich vom Teig verschmierte Schüsseln und wieder einmal fragte Taichi sich, wie man so viel Geschirr auf einmal benutzen konnte. Auf der anderen Seite standen bereits einige saubere Utensilien zum Abtropfen.
Ohne Umschweife griff sich Taichi ein Geschirrtuch und trocknete das Geschirr ab, das Hayato abgewaschen hatte. Zu zweit ging es eben doch schneller.
Nachdem alles gespült und weggeräumt war und auch die letzten Plätzchen aus dem Ofen und auf den Abkühlrosten waren, fiel Taichi erschöpft auf die Couch. Kurz darauf - dieses Mal ohne Schürze und frisch umgezogen - folgte Hayato und kuschelte sich an ihn. Noch im Kuss konnte Taichi Hayatos Lächeln spüren. Sofort breitete sich die Wärme in ihm aus, die er so vermisst hatte.
„Ich bin so froh, dass du hier bist." Taichis Worte glichen mehr einem Genuschel, da er Hayato noch immer nahe an sich gezogen festhielt. So schnell würde er ihn auch nicht wieder gehen lassen, jetzt, da er ihn einmal bei sich hatte. Mit der Zeit war es leichter geworden, die Zeit zu überstehen, in der Hayato unterwegs war. Doch das Vermissen hörte nicht auf. Umso schöner war es, wenn Hayato wie heute überraschend früher nach Hause kam. Zu ihm.
„Ich bin auch froh endlich wieder bei dir zu sein." Hayatos Griff um Taichi verstärkte sich.
Irgendwann hatten sie sich etwas umgedreht und den Fernseher angemacht. Sanft strich Taichi durch Hayatos Haare, kraulte seinen Kopf. Das zufriedene Brummen, das er ihm damit entlockte, zeigte deutlich, wie sehr er es genoss. Und auch Taichi war zufrieden.
So schlimm dieser Tag auch gewesen war, er konnte darüber hinwegsehen.
Ein Tag mit Hayato an seiner Seite war ein guter Tag.
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