8. Dezember
Heute helfe ich jedem, den ich sehe!
Einen verlorenen Geldbeutel, ein Wattestofftier und zwei Plastikspielzeuge habe ich schon gefunden und zurückgebracht.
Jetzt, im Dämmern des Abendlichtes und der schneidenden Luft mit eisigem Schnee unter mir, mache ich mich zu meiner letzten Runde auf, bevor ich unter meiner Decke verschwinde.
Ein kleines Mädchen sitzt abseits des belebten Marktes auf einem verschneiten Holzpferd und weint, die Hände übers Gesicht geworfen, damit sie ihr Schluchzen erstickt. Sie ruft nach ihrer Mutter, aber sie antwortet nicht. Der Schnee verfängt sich in ihrer Bommelmütze und rieselt auf die Schultern ihres Mantels.
Niemand kommt, um ihr zu helfen.
Ich luge hinter einer Gitterbank zu ihr.
Wirklich niemand kommt.
Also pirsche ich weiter in ihre Richtung, schleiche mich von hinten an sie heran und untersuche sie. Sie riecht nach einem seltsamen Duft, als blühten Blumen um uns herum. So eindringlich, dass ich den Geruch vielleicht auch auf dem Weihnachtsmarkt wiederfinde.
Ich stupse ihr Bein an.
Das Mädchen zuckt zusammen und reißt den Kopf zu mir. Für einen Moment starrt sie mich an. Im nächsten rollt ihr wieder eine Träne über die Wange und sie dreht sich weg.
Nein, nein. Ich kann dir helfen! Du musst mir nur folgen.
Ich stupse sie noch einmal an, dieses Mal entschlossener, und springe voraus in den Schnee. Als ich zurücksehe, blickt mich das Mädchen unsicher an. Sie braucht noch einen Augenblick, dann lässt sie sich zaghaft vom Holzpferd fallen und trottet mir nach.
Gemeinsam drängen wir uns durch die vielen anderen Menschen zwischen Essens-, Trink- und Spielständen hindurch. Der Duft nach Blumen liegt schwach in der Luft, vermischt sich mit tausend anderen, aber er führt beständig in eine Richtung.
Zur riesigen, funkelnden Tanne in der Mitte des Weihnachtsmarktes.
Am Fuß der Tanne angekommen, verwandelt sich das leise Piepsen des Mädchens in einen Freudenschrei. Auf der Bank sitzt eine verzweifelt telefonierende Frau, getrocknete, teils gefrorene Tränenspuren im Gesicht.
Sie schreckt auf, sobald das Mädchen ihr entgegenstürmt und sich so fest an sie klammert, als wolle sie sie niemals wieder loslassen. Die Frau spricht etwas Erleichtertes in ihr Telefon und steckt es weg, um den Schnee vom Mädchen abzuklopfen.
Wie gut, dass sie eine Familie hat, zu der sie zurückkehren kann.
Nach der langen Umarmung dreht sich das Mädchen um und zeigt zappelnd dorthin, wo sie mich überholt hat, aber ich bin längst nicht mehr da.
Ich bin nur ein Geist, dessen Spuren sich im Schnee bereits wieder verlieren.
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