[ 3 | Von Asche und Flammen ]
Der Phönix kannte nicht viele Dinge, die schmerzhafter waren als eine Wiedergeburt.
In dem Moment, in dem ihr Körper zu Asche zerfiel, war es, als schliefe sie. Still. Friedlich. Doch dann formte sich ein neuer Körper, ganz aus Feuer, bis er die Gestalt und das Fleisch und Blut ihrer Gestalt annahm. Es fühlte sich an, als würde sie innerlich zerrissen, zerfetzt, zerfallen, bis sie sich aus der Asche erhob.
Und sie kannte diesen schrecklichen Moment, kurz bevor sich ihr neuer Körper bildete. Den Moment, in dem Bilder aus den Tiefen ihres Gedächtnisses an die Oberfläche quollen, die sie für immer ins Nichts verbannen wollte.
Pulsierende Schatten tanzten über ihr Sichtfeld, wurden langsam zu qualvoll bekannten Farben und Formen, die sie krampfhaft zu verdrängen versucht hatte.
»» —— ✧ —— ««
Der goldene Phönix neigte seinen edlen Kopf, rieb liebevoll seinen Schnabel an ihrem.
»Fliegen wir nach Irgendwo? Ein letztes Mal?« Seine Stimme klang seltsam schwer, ein ihr unbekannter Ton schwang darin mit.
Ayshar legte besorgt den Kopf schief. »Was meinst du damit? Wir werden noch zahllose Male dort hinauffliegen! Vielleicht nicht mehr in diesem Leben, aber nächstes Mal bestimmt.« Als ein Schatten über das Gesicht ihres Gegenübers huschte, fragte sie alarmiert: »Oder, Ranys?«
Dieser schüttelte den Kopf, als hätte der Klang seines Namens ihn aus seinen Gedanken gerissen. »Ja. Ja, natürlich«, sagte er schnell. »Jetzt lass uns fliegen.«
Mit mächtigen Schlägen ihrer flammenden Schwingen erhoben sich die beiden letzten Phönixe in den Himmel, immer höher und höher, bis ihr Feuer die Wolken verdampfen ließ. Bis die Sonne ihre Federn weiter erhitzte. Sie tanzten mit dem Wind, so wie sie es immer taten, und Ayshar fühlte sich, als fiele alle Last der Welt von ihrem Rücken. Als wäre sie leicht wie eine Feder und wild wie ein Sturm selbst - und dennoch sicher wie in einer eisernen Rüstung. Denn Ranys wich ihr die ganze Zeit über nicht von der Seite.
Ihre eigenen orangeroten und seine goldenen Federn zogen Funkenspuren am Himmel hinter sich her, zwei Feuerpfade, die sich flammend rot von den silberweißen Wolken abhoben. Sie flogen an den Ort, den sie Irgendwo nannten - jenen Ort, der jenseits von Raum und Zeit lag, so hoch über den Wolken. Einen Ort, an dem es nur sie beide gab und die Unendlichkeit des Himmels.
»Ayshar?«
Leise durchbrach Ranys' Stimme die schweigende Leere, die sie trug. Schwer klang sie und trauriger als zuvor. Ayshar hatte keine Ahnung, was geschehen war, doch der Tonfall des Phönix sorgte dafür, dass sich ein Felsbrocken aus Sorgen in ihrer Brust einnistete.
Er schwieg einige Momente lang oder vielleicht für eine ganze Ewigkeit, bevor er weitersprach.
»Es tut mir leid.«
Und kaum einen Herzschlag später fiel der Phönix hinab wie eine Sternschnuppe vom Himmel.
Verwirrt und ängstlich stürzte sich Ayshar hinterher, legte die Flügel eng an den Körper und widerstand den unberechenbaren Winden, die sie zur Seite reißen wollten. Nach endlosen Momenten landete sie auf einem kahlen Feld, neben einem schwach glühenden Federbündel. Ranys.
Warum stürzte er sich einfach so vom Himmel? Was hatte er gemeint mit diesen seltsamen Andeutungen? Er wusste doch, dass eine Wiedergeburt schrecklich schmerzhaft war!
Das Glühen unter den fast schwarzen, verkohlten Federn wurde immer schwächer, schließlich zu einem schwachen Glimmen, bevor es ganz erlosch und der Phönix zu Asche zerfiel.
Und sie hockte nur da, die Krallen tief in die lockere Erde gegraben, und wartete auf die Funken, die zu einem Feuer, das Gebilde, das zu seinem neuen Körper werden würde.
Doch nichts geschah. Ayshar wartete, bis der Himmel sich verdunkelte und Sterne sich erhoben, doch selbst, als sie wieder untergingen, lag vor ihr nichts als Asche.
Und ihre Welt zerbrach.
»» —— ✧ —— ««
Keuchend und vor Schmerz nach Luft schnappend schlug der Phönix die Augen auf, in ihren Gliedern pochte noch das Echo des Schmerzes ihrer Wiedergeburt.
Diesen Schmerz hatte sie schon unzählige Male gespürt, und er folgte jedes Mal auf die schrecklichen Bilder. Und diese verfolgten dieses sehnsüchtige Gefühl der Hoffnung darauf, dass der kurze Frieden ewig währen konnte. Ein törichter Gedanke, das sollte sie doch wissen - nach so vielen Jahrtausenden, dass sie aufgehört hatte, zu zählen.
Nie jedoch hatte sie nach ihrer Wiedergeburt nie direkt in das Gesicht eines kleinen Mädchens gesehen, mit Augen, groß und rund und strahlend wie Sonnen.
Noch immer drehte sich alles im Kopf des Phönixweibchens, dumpf pochte ihr Schädel von ihrem Sturz. Sie hätte es vielleicht einmal bereut, nicht dagegen angekämpft zu haben - doch jetzt kümmerte sie es kaum. Denn das Pochen, selbst wenn es glühende Qualen wären, würde verschwinden und dann würde es keinen Unterschied mehr machen. Der Sturz war nicht das Problem, auch der physische Schmerz nicht. Doch Ranys jedes Mal aufs Neue sterben zu sehen, regte etwas im Nichts ihres Inneren.
Das Mädchen vor ihr hatte sich noch immer kaum gerührt. Ihre dunklen Augen, die von innen zu leuchten schienen, waren beinahe ehrfürchtig auf den Feuervogel gerichtet.
»Bist... bist du echt?«
Sie nickte nur. Sollte sie einfach wieder abheben und davonfliegen, in den unendlichen Himmel, über den sie seit Jahrtausenden kreiste? Es gäbe keinen Grund, hier zu bleiben.
Doch sobald sie auch nur versuchte, mit einer ihrer feurigen Schwingen zu schlagen, drehte sich wieder alles in ihrem Kopf.
»Das... das ist ja unglaublich!«, quiekte das Menschenmädchen. »Ich habe immer an die Legenden geglaubt, ehrlich! Ich habe immer geglaubt, dass es dich gibt!«
Als der Phönix schwieg, wurde auch die Kleine etwas zögerlich. »Sollte... ich mich verbeugen oder so? Oder singen vielleicht? Weißt du, eigentlich kann ich sogar ganz gut singen, jedenfalls singen die Vögel immer mit!« Die letzten Worte sprach sie mit einem stolzen Leuchten in den ohnehin glänzenden Augen.
Aber die gefiederte Flamme neigte nur irritiert den Kopf. Wollte etwas sagen, doch ihre Stimme hatte sie so lange nicht benutzt, dass selbst eine Wiedergeburt aus ihr nicht mehr als ein schwaches Krächzen zu machen vermochte. Sie bekam kaum ein »Wovon... redest du?« heraus.
»Aber... bist du nicht Ayshar? Der Phönix?«
Beim Klang dieses Namens zuckte sie unwillkürlich zusammen. So hatte sie niemand mehr angesprochen, seit der letzte ihrer Gefährten gefallen war. Es war mit der Zeit zu nicht mehr als einem Wort geworden, einem Wort von Tausenden, das immer mehr an Bedeutung verloren hatte.
Doch jetzt regte sich etwas im Nichts, das von ihrem Inneren Besitz ergriffen hatte. Unerreichbar und doch so nahe, dass der Phönix das Gefühl hatte, sie übersah etwas so Offensichtliches.
»Nein. Nein, das bin ich nicht. Ich bin niemand mehr.«
Und sie spürte nichts, als sie diese Worte sagte.
»Aber... du bist doch hier! Du stehst vor mir, du brennst, du lebst!«, protestierte das Mädchen, und auf ihrer Stirn bildete sich eine kleine Sorgenfalte. Der Phönix konnte sich kaum noch daran erinnern, in den letzten dreihundert Jahren mit einem Menschen gesprochen zu haben, also wirkte die Mimik des kleinen Mädchens fremd und ungewohnt auf sie.
Bei den Worten der Fremden wurde ihr Herz erneut schwer, und Trauer durchbrach das Nichts in ihrem Inneren.
»Ich lebe nicht. Ich bin nur noch.«
Verwirrt starrte das Mädchen sie an. »Was meinst du damit? Natürlich lebst du! Du bist eben gestorben, und ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie du aus deiner eigenen Asche wieder auferstanden bist...«
Sie schien weitersprechen zu wollen, aber eine leise Stimme ließ das Mädchen aufhorchen.
»Kommst du gleich bitte zurück, Blättchen?«, hörte sie den etwas heiseren Ruf einer Menschenfrau.
»Ich komme, Mama Riska!«, rief das Mädchen zurück und drehte sich dann wieder zu dem Phönix um.
»Ich würde gern mit dir zusammen nach Hause gehen - aber das ganze Haus ist aus Holz!«, jammerte sie. »Aber vielleicht könntest du bei Evalcon bleiben, bis es dir besser geht? Bei ihm ist alles feuerfest, weil er ein Drache ist!«
Ohne auf einer Antwort zu warten, hüpfte sie davon, und die Geflügelte war zu erschöpft, ihr zu widersprechen und ihr war zu kalt, um einfach sitzen zu bleiben. Also trottete sie ihr einfach hinterher - und sah dabei wahrscheinlich eher aus wie ein Huhn als ein ehrwürdiges Sagengeschöpf.
Nein, besonders scharf war sie nicht darauf, neben einem Drachen zu verweilen, auch, wenn die meisten dieser Geschöpfe sehr ruhig und liebenswürdig waren und der Rest von ihnen immerhin Pflanzenfresser. Nein, eigentlich wollte sie wieder oben am Himmel ihre Kreise ziehen, denn all das wirkte seltsam ungewohnt. Es widersprach dem, was sie immer tat, dieses Mädchen widersprach dem, was normale Menschen taten, wenn sie einen Phönix sahen.
Evalcon schien gerade irgendwo im Wald herumzuwandern, denn in dem Unterstand, der mit feuerfesten Shacca-Blättern gepolstert war, fehlte jede Spur eines Drachens.
»Mach's dir gemütlich, ich komme gleich wieder!«, quiekte das Mädchen, drehte sich um und rief ihr im Weglaufen noch ein »Ich bin übrigens Nya!« zu.
Und der Phönix wusste nicht, warum, aber ihre Lider fühlten sich seltsam schwer an. Ein Phönix schlief nicht, auch nicht kurz nach einer Wiedergeburt - sie hatte nicht geschlafen, seit Ranys gefallen war. Doch jetzt waren all ihre Glieder schwer wie Blei, und kaum, dass sie die Augen geschlossen hatte, senkte sich ein wunderbar friedlicher Schleier über ihre Gedanken. Ein Strudel aus Dunkelheit und Ruhe, in den sie sich schweigend gleiten ließ.
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