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Einen Tag später fanden meine Freunde und ich uns beim Fußballfeld ein, das deutlich größer war, als ich es erwartet hatte. Der Platz glich eher einem kleinen Stadion mit mehreren Ränken um den Platz herum. Vor dem Stadion waren sogar zwei Buden aufgestellt worden. Eine verkaufte Bratwurst und die andere alkoholfreies Bier. Isabel und Aaron hatten sich jeweils mit einer Bratwurst im Brötchen bewaffnet. Paul hatte sich ein alkoholfreies Bier gekauft und führte uns jetzt zu unseren Plätzen. Scheinbar hatte es wirklich Vorteile, Bekannte in der Mannschaft zu haben. Denn wir saßen in der ersten Reihe und damit erhöht direkt neben der Bank von Mack und seinen Leuten. Eine kleine Treppe führte direkt von den Sitzplätzen zum Platz und damit auch zu den Spielern. Die Treppe war jetzt mit einer Kette versperrt worden.
Nachdem wir uns gesetzt hatten, ließ ich den Blick über die Ränge schweifen. "Ich hatte nicht erwartet, dass es so voll werden würde. Oder dass die Stimmung jetzt schon so gut wäre."
Mellie, die link von mir saß, stimmte mir zu. "Hättest du mir nicht gesagt, dass unsere Uni überhaupt eine Fußballmannschaft hat, hätte ich es wahrscheinlich niemals erfahren."
"Aber du hast dich doch so umfangreich über die Uni informiert?" Isabel lugte hinter Aaron hervor und sah sie fragend an.
"Das stimmt. Aber ich habe mich eher mit den Studiengängen und dem Ruf der Uni beschäftigt als mit der Frage, inwieweit sie Sportspiele betreiben."
Entgeistert schnappte Aaron nach Luft. "Sportspiele?", wiederholte er fassungslos. "Fußball ist so viel mehr als das. Jeder in Europa kennt Fußball. Das ist die Sportart bei uns. Und glaube mir, spätestens, wenn du dich mit Studenten anderer Unis getroffen hättest und denen erzählen würdest, an welcher Uni du studierst, wäre das Wort Fußball gefallen. Wir sind berüchtigt für unsere gute Mannschaft." Er nickte gönnerhaft und fühlte sich offenbar schon jetzt als ein Mitglied in der Mannschaft integriert.
"Berüchtigt in der Welt der Uni-Fußballmannschaften? Oder berüchtigt in der Welt des Fußballs? So Premier League und La Liga mäßig." Elisabeth gab sich keine Mühe, zu verbergen, wie stolz sie auf ihr Wissen war.
"In der Welt der Uni-Fußballmannschaften", antwortete ich. "Viele der Spieler hoffen, dass sie später von Top-Vereinen übernommen werden. Bei sehr wichtigen Spielen sind Vertreter von Profivereinen mit dabei und bewerten die einzelnen Spieler. Je nachdem, welcher Spieler besonders viel Potenzial hat, kann derjenige dann auf einen Vertrag von einem Verein hoffen." Das war nur eines der wenigen Dinge, über die mich mein Dad aufgeklärt hatte.
"Genau", gab Aaron mir recht. "Das heißt natürlich, umso besser der Ruf deiner Mannschaft in der Welt der Uni-Fußballmannschaften, umso höher ist die Chance, von großen Vereinen entdeckt zu werden."
Vertieft in unser Gespräch hatten wir nicht bemerkt, dass sämtliche Spieler sich bereits auf dem Feld eingefunden hatten. Erst als der Schiedsrichter pfiff und damit den Beginn des Spieles ankündigte, verstummte unser Gespräch und wir richteten unsere Blicke zum Feld.
Die Stimmung im Stadion war laut, aber sehr positiv. Das lag wahrscheinlich daran, dass neunzig Prozent aller Zuschauer Studenten waren, die kein Problem damit hatten, sich die Seele zum Anfeuern aus dem Leib zu schreien.
Ich war in meiner Kindheit mit meinem Dad zusammen bereits bei einigen Spielen von verschiedenen Vereinen gewesen. An der Gewalt und Aggression konnte ich zwar nie einen Gefallen finden, aber die Stimmung hatte mir meist gefallen. Ich fand, es schuf eine Verbindung zwischen mir und den anderen tausend Anwesenden, dass wir uns zwar nicht kannten, aber für die neunzig Minuten der Spielzeit auf das Gleiche hofften. Einen Sieg der Mannschaft.
An dieses Ziel näherten wir uns in der ersten Halbzeit bereits an, als in der dreiundzwanzigsten Minute ein Tor fiel.
Die restlichen Minuten schoss zwar niemand mehr ein Tor, aber unsere Mannschaft hatte noch zwei weitere Chancen, die jeweils nur knapp durch den Torwart der gegnerischen Mannschaft abgewendet werden konnten.
In der Pause gingen Aaron und Paul durch die Reihen des Stadions, während Elisabeth, Isabel, Mellie und ich uns unterhielten. Pünktlich zur zweiten Hälfte waren wir wieder vollzählig. Die letzten fünfundvierzig Minuten waren deutlich aufregender als die ersten. Bereits sechs Minuten im Spiel traf die gegnerische Mannschaft. Als die gegnerischen Spieler sich noch feierten, sah ich Mack bis ans Spielfeld gehen und einen der Spieler, der ihm am nächsten stand, zu sich rufen. Ich beobachtete, wie er ihm ruhig etwas erklärte und ihm danach motivierend auf den Rücken klopfte.
Was auch immer es gewesen war, das Mack ihm gesagt hatte, es zeigte Wirkung. Ebendieser Spieler traf sechs Minuten später zum 2-1. In der siebenundachtzigsten Minuten fiel schließlich noch das 3-1. Ich glaubte, das Stadion beben zu spüren, so laut war der Jubel der Zuschauer auf den Rängen.
Das Spiel endete somit mit einem klaren Sieg für die Heimmannschaft. An den Gesichtern meiner Freunde glaubte ich zu erkennen, dass sie alle Spaß gehabt hatten. Auch wenn sie teils nicht sehr fußballinteressiert waren.
Während die Spieler mit den Zuschauern vom Feld aus ihren Sieg feierten, machten wir uns bereit, das Stadion zu verlassen. Aaron wollte noch zurückbleiben und versuchen, Kontakt zu den Spielern aufzubauen. Anfangen wollte er damit, so teilte er uns mit, bei Asher.
Bevor wir unsere Sitze allerdings verlassen konnten, kam Mack auf uns zu und lehnte sich über die Kette, die die kleine Treppe zum Feld versperrte.
"Aaron, Rosalie", rief er uns zu, schob die Kette beiseite und winkte uns zu sich heran.
"Ihr könnt schon vorgehen, wir kommen gleich nach", informierte ich unsere Freunde, bevor ich Aaron folgte.
Der war bereits in ein Gespräch mit Mack vertieft. Mack schien mir deutlich entspannter im Vergleich zu gestern. Wahrscheinlich hatte der Sieg eine Menge Druck von seinen Schultern genommen.
"Welche Position spielst du?" wollte Mack von Aaron wissen, nachdem er ihn gefragt hatte, wie er das Spiel gefunden hatte.
"Zuerst war ich Innenverteidiger, bin dann aber zum Außenverteidiger gewechselt."
Mack nickte und notierte sich etwas auf dem Notizblock in seinen Händen. Um uns herum wurde es allmählich leiser, als immer mehr Zuschauer das Stadion verließen.
"Unser nächstes Training ist am Montag um Vier. Sei pünktlich. Ich mag es nicht, wenn man unpünktlich ist."
Auf Aarons Lippen erschien ein breites Lächeln. "Vielen Dank. Ich werde da sein."
Mack nickte, sah jedoch von seinem Notizblock nicht noch einmal auf, als Aaron sich verabschiedete und schon mal den anderen folgte.
"Wie viel Ahnung hast du vom Fußball?", wollte Mack von mir wissen, nachdem er seinen Notizblock zugeschlagen hatte und mich anschaute.
Unsicher antwortete ich ihm: "Ich denke, ich besitze ein solides Grundwissen. Das geht nicht sehr in die Tiefe, aber es ist ausreichend, um ein Gespräch zu führen."
Das brachte ihn zum Schmunzeln. "Aber es hat nie gereicht, um dich aktiv für Fußball zu interessieren?"
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, das wollte ich nie. Mein Dad hat mich einmal zum Probetraining geschickt. Das ist schon Jahre her. Es hat mir nicht gefallen. Ich sitze lieber auf den Zuschauerrängen, als auf dem Platz zu stehen."
Er nickte verstehend. "Das kann ich verstehen. Ist nicht für jeden was." Mack erblickte jemanden hinter mir, den er zu sich winkte. Zu mir meinte er: "Entschuldige mich kurz."
Einer der Spieler stellte sich zu uns.
"Du warst abgelenkt. Im Spiel meine ich." Mack verschränkte die Arme. "Was ist los mit dir?"
Der Geruch des Spielers war mir merkwürdig vertraut.
"Ich habe zwei Tore geschossen. Darauf kommt es doch an, oder nicht?"
Beim Klang der Stimme versteifte ich mich.
Mack war nicht zufrieden mit seiner Antwort. Allerdings schien er zu begreifen, dass er bei ihm gerade nicht weiter käme.
Er wandte sich wieder mir zu. "Rosalie, das hier ist einer meiner Besten." Er rümpfte die Nase. "Auch wenn er das nicht immer zeigt." Zu dem Spieler meinte er: "Willst du dich nicht vorstellen?"
Ich bereitete mich mental auf die dunklen Augen vor. Doch seine Miene war steinern, als wir einander ansahen.
"Hey, ich bin Will." Er hielt mir die Hand hin, als würden wir uns nicht kennen. Als hätten wir keinen leidenschaftlichen Kuss miteinander geteilt.
Ich räusperte mich, um meine Stimme wiederzufinden und schüttelte vorsichtig seine Hand. "Freut mich. Rosalie."
William nickte und ließ augenblicklich meine Hand wieder los, als hätte er sich an ihr verbrannt. Dann verschwand er, ohne noch einmal zurück zu blicken, während ich mich fühlte, als hätte mich jemand in eiskaltes Wasser geworfen.
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