°11°
Will
Es war einer der Nachmittage, von denen man schon im Vorhinein wusste, dass sie anstrengend wurden. Das wusste ich, als es an meiner Wohnungstür klopfte und meine Eltern plötzlich davor standen. Spätestens, als Mum an meinem wortlosen Ich vorbeiging und meinte "Wird mal wieder Zeit, dass du saugst, findest du nicht?" war mir das klar.
"Kommt doch gerne rein", murmelte ich, während meine Eltern ihre Jacken bereits auf meiner Couch ablegten und sich daneben setzten.
"Wollt ihr etwas trinken?"
"Ich nehme ein Bier", antwortete mir mein Vater und brachte mich damit zum Schmunzeln.
"Donovan", schimpfte meine Mum. "Du fährst. Abgesehen davon hat unser Sohn sicherlich kein Bier im Kühlschrank."
Ich warf einen Blick über die Schulter und warf ihr einen entschuldigenden Blick zu. Sie seufzte, bevor sie verlangte: "Dann nehme ich ein Bier."
Ich lachte leise und brachte ihr ein Bier und meinem Vater ein Glas Wasser. Dann nahm ich einen der Stühle aus dem Küchenbereich und platzierte ihn vor meine Couch, sodass ich meinen Eltern gegenüber saß. Meine Wohnung war nicht sehr groß, doch sie reichte mir vollkommen aus. Ich kannte wenige Studenten, die in meinem Alter überhaupt eine eigene Wohnung besaßen, weswegen ich mich überhaupt nicht beschweren konnte. Allein zu leben, hatte durchaus seine Vorteile. Ich konnte staubsaugen, wann ich wollte und vor allem nach Hause bringen, wen ich wollte, ohne mir Kommentare von Mitbewohnern anhören zu müssen.
"Wie geht es dir?", fragte mich mein Vater und lehnte sich zurück, während er einen Arm über die Schultern meiner Mum legte.
Ich runzelte die Stirn. "Sollte ich nicht eher damit beginnen, zu fragen, was ihr hier macht? Es ist mitten in der Woche. Müsst ihr nicht arbeiten?"
Meine Mutter war Lehrerin an einem Gymnasium und obwohl sie sich manchmal über ihre Kollegen und Schüler beschwerte, liebte sie ihren Job sehr. Mein Vater hingegen war Steuerberater. So langweilig das auch klang, er fand Gefallen daran. Beide verdienten gutes Geld, das sie mir schon mehrmals angeboten hatten, um mir mit der Miete meiner Wohnung zu helfen. Ich hatte stets abgelehnt. Ich hatte während der Schule gejobbt und mir so ein kleines Vermögen verdient, das ich nun nutzte, um mir ein einigermaßen angenehmes Studienleben zu bezahlen. Zwar meinten meine Eltern, ich sollte mein Geld lieber sinnvoll anlegen. Da ich mich aber nicht wohl fühlte, ihr Geld anzunehmen, würde ich das wohl erst später machen können.
"Es hat sich angeboten, dich zu besuchen." Mum zuckte mit den Schultern und rückte ihre Brille zurecht. "Wir waren sowieso in der Nähe."
Ich warf einen prüfenden Blick zu Dad, der sein Lachen hinter seiner Hand verbarg. Sie waren also nicht in der Nähe gewesen, sondern hatten extra den langen Weg auf sich genommen, um mich zu besuchen.
"Ihr wisst schon, dass es Handys gibt? Mit denen könnte man mich anrufen und fragen, wie es mir geht. Dann hättet ihr euch den Weg gespart."
Dad winkte ab. "Das macht uns nichts. Auf dem Rückweg fahren wir noch in ein Restaurant und essen dort zu zweit."
Überrascht sah Mum ihn an. "Ach echt?"
Er lächelte, sodass sich Lachfältchen um seinen Mund herum bildeten, so wie immer, wenn er meine Mutter anschaute. "Ja, echt. Ich habe einen Tisch reserviert."
Mums grüne Augen leuchteten auf, als sie ihm einen sanften Kuss auf die Lippen gab. Die Röte auf ihren Wangen bemerkte ich auch noch, als sie sich wieder mir zuwandte.
"Also", sie räusperte sich und verschränkte die Hand mit der meines Vaters, "wie geht es dir? Das Spiel am Wochenende habt ihr ja gewonnen. Das Training läuft also?"
Meine Eltern waren nicht die größten Befürworter meines Plans, mein Leben dem Fußball zu widmen. Doch selbst sie mussten zugeben, dass ich Talent und den Willen hatte, meinen Traum zu verwirklichen. Vor allem aber glaubten sie an mich.
"Training ist okay. Ich war nicht ganz zufrieden mit meiner Performance am Wochenende." Ich zuckte scheinbar unbeteiligt mit den Schultern. "Wahrscheinlich war die Pause vor der Saison einfach zu lange."
Es stimmte, die Pause hatte sich tatsächlich lange für mich angefühlt. Weswegen ich keine freie Minute verschwendet hatte und sie zum Training mit meinen Freunden genutzt. Ich wusste ganz genau, warum ich mit meinem Auftreten am Samstag nicht zufrieden war.
Dad rieb sich über seinen Vollbart. Seine braunen Augen musterten mich verständnislos. "Ich dachte, du hättest zwei Tore geschossen?"
So intelligent und warmherzig meine Eltern auch waren, vom Fußball verstanden sie leider ziemlich wenig. Ich nahm es ihnen nicht übel. Sie gaben sich viel Mühe. Auch wenn sie Fußball nicht interessierte, sahen sie jedes meiner Spiele, wenn es ihnen möglich war oder erkundigten sich zumindest, wie sie für mich gelaufen waren.
"Das stimmt. Aber ich hätte noch mehr geben können. Es gab noch einige Chancen, die wir hätten nutzen sollen. Aber unsere Leistung hat nicht ausgereicht." Meine Augen blieben auf dem Teppich im Wohnzimmer hängen. "Wir hätten besser sein können." Ich hätte besser sein müssen.
Mum lehnte sich nach vorne und legte ihre Hand sanft auf mein Knie. "Ich bin mir sicher, du hast dein Bestes gegeben, wie es in dem Moment für dich möglich war. Und beim nächsten Mal schaffst du vielleicht mehr."
Ich lächelte resigniert. "Danke, Mum."
Sie tätschelte mein Knie, bevor sie sich wieder zurücklehnte. "Hast du darüber nachgedacht, worauf wir dich bei unserem letzten Besuch angesprochen haben?"
Nur knapp konnte ich ein genervtes Stöhnen und Augenrollen unterdrücken. Doch meine Eltern wären nicht meine Eltern, wenn sie meine Reaktion nicht trotzdem richtig lesen konnten.
"Es wäre doch wirklich schade, das einfach aufzugeben", meinte mein Dad aufmunternd.
"Außerdem könnte es dir doch helfen, wenn du deine ganzen Kräfte nicht nur auf den Fußball konzentrierst. So könntest du dich etwas ablenken. Genügend Zeit für das Training hast du bestimmt dennoch", argumentierte meine Mum.
Unbeeindruckt hakte ich nach: "Du meinst, wenn ich nicht gerade studiere? Denn das mache ich übrigens. Ich studiere. Ich habe sicherlich keine Zeit, um dieses Hobby weiter zu verfolgen."
Mum verschränkte die Arme vor der Brust und begutachtete mich mit ihrem typischen Lehrerinnen-Blick. "Gerade hast du doch auch Zeit, einfach herumzusitzen. Dabei ist es doch mitten in der Woche."
Nur meine Mutter konnte meine eigenen Worte derart gegen mich verwenden.
Geschlagen seufzte ich auf. "Ich weiß wirklich nicht, ob ich dafür die Kapazitäten habe. Oder die Lust und Motivation."
"Du könntest es einfach testen. Wir haben uns informiert, die Uni bietet die Räumlichkeiten und alles dafür an." Dad konnte seine Aufregung nicht vor mir verbergen.
"Es wäre wirklich schade, wenn du das einfach fallen lässt. Du warst immer so gut darin. Vielleicht findest du jemanden, mit dem du zusammen spielen kannst. Und wenn du dann merkst, dass es dir doch nicht gefällt, dann hörst du einfach auf. Aber", meine Mutter hob den Zeigefinger in die Höhe, "du solltest es zumindest mal ausprobieren, finde ich."
"Finden wir", korrigierte Dad sie.
Ich schüttelte mit dem Kopf, konnte mein Grinsen nun aber nicht mehr unterdrücken. Wenn meine Eltern sich etwas in den Kopf gesetzt hatten, dann würden sie das auch durchgesetzt bekommen. Egal, wie viele Nerven sie mir damit abverlangten.
"Okay, ich gebe dem Ganzen einen Versuch", willigte ich ein.
Jetzt waren Mum und Dad nicht mehr zu halten und schlugen die Hände aneinander.
"Sehr schön. Wir kommen zu jedem Konzert. Und wenn es sich anbietet, auch noch zu jedem Fußballspiel. Das wird super." Mum lächelte mich breit an. Ihre grünen Augen leuchteten so stark, wie als sie von dem Date erfahren hatte, das Dad für sie geplant hatte.
"Wir unterstützen dich, wo wir nur können", stimmte er ihr zu. Wahrscheinlich spielte er damit auch auf Geld an, sollte ich es gebrauchen. "Du warst immer so gut an den Tasten. Das werden die Leute hier sicherlich erkennen."
Super, dachte ich sarkastisch. Damit würde ich wohl einer der wenigen Fußballer werden, die in ihrer Freizeit zusätzlich noch Klavier spielten.
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