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“Wenn die beiden sich ihre Zungen gegenseitig noch tiefer in den Hals stecken, kommen sie im Arsch wieder raus.” Aaron legte nachdenklich den Kopf zur Seite, sodass sein gelocktes, braunes Haar ihm vor die Augen fiel und seine Sicht versperrte.
Meine Freunde und ich blickten ihn wortlos an. Es dauerte einige Sekunden, bis er verstand, warum wir ihn anstarrten.
Er zuckte nur mit den Schultern. “Ich würde meine Aussage zwar gerne auf den Alkohol schieben, allerdings hatte ich noch keinen. Daher muss ich das wohl einfach auf mich nehmen.”
Während meine Freundin Mellie - ihr vollständiger Name war Melanie - den Kopf schüttelte und sich zweifellos fragte, wieso sie gerade hier war, konnte ich nur schmunzeln.
Es war Freitag. Vor fünf Tagen hatte ich einen neuen Abschnitt meines Lebens begonnen: das Studium. Eine Zeit voller Freude, Partys und Selbstfindungsphasen. Nun ja, bereits am Montag hatte ich begriffen, dass das lediglich Wunschvorstellungen waren. Trotzdem hatte ich bisher jede Sekunde dieser Woche geliebt.
Aaron wandte den Blick von dem Pärchen, das sich mitten auf der Tanzfläche sehr innig küsste. Ich vermutete, dass es nicht lange dauern würde, bis sie sich ein ruhigeres Plätzchen suchten. Auf jeden Fall hoffte ich das. Ich war nicht sehr voyeuristisch veranlagt.
Isabel folgte Aaron. Sie waren die einzigen, die sich bereits vor dem Studium gekannt hatten. Alle anderen hatten sich am Montag gefunden, als wir verloren auf der Suche nach dem Vorlesungssaal und der Hoffnung waren, an die wir uns die letzten Monate noch geklammert hatten.
Es war ein schönes Gefühl gewesen, Kommilitonen zu treffen, die das gleiche Leid fühlten wie ich. Und dieses Leid war es gewesen, das uns verbunden hatte. Von da an trafen wir uns regelmäßig. So gut es eben ging, denn wir studierten nicht alle das Gleiche. Das wäre wohl ein zu großer Zufall gewesen. Zur Feier des Tages, die erste Woche einigermaßen unbeschadet über sich gebracht zu haben (der Anspruch war hier offensichtlich nicht sehr hoch), gingen wir an diesem Abend gemeinsam zur ersten Party des Semesters.
Ich wusste nicht genau, was ich erwartet hatte. Schließlich waren das alles Menschen in meinem Alter. Nur, weil sie plötzlich studierten, verlernten sie nicht, was es bedeutete, Spaß zu haben. Obwohl es unerwartet war, diesen Spaß so öffentlich zu haben.
“Bitte sag mir, dass seine Hand nicht gerade in ihre Hose gewandert ist und ich wirklich sehen konnte, dass sie einen blauen Tanga trägt”, flüsterte mir Mellie ins Ohr. Sie war nun ganz auf die Tür hinter mir fokussiert. Ich war mir sicher, sie träumte davon, sie zu öffnen, zu gehen und sich wieder in ihr Bett zu verkriechen.
“Ich befürchte, das kann ich nicht”, gab ich zurück.
Elisabeth ergriff Mellies und meine Hand. “Na los, ich erlöse euch.” Sie zog uns mit sich vorbei an dem Pärchen, dessen Anblick sie nicht im Geringsten zu stören schien. Es war ihre Idee gewesen, heute hierher zu gehen. Ich verstand schnell, wieso. Sie hatte regelrecht zu leuchten begonnen, sobald das Licht gedimmt wurde und die Musik so laut wurde, dass ich meine eigenen Gedanken nicht mehr hören konnte.
Ich warf einen Blick über meine Schulter und deutete unserem Freund Paul an, uns zu folgen. Er nickte mir zu und bahnte sich nach uns einen Weg durch die Menge. Ich konnte noch nicht ganz sagen, ob es ihm hier gefiel. Vorhin hatte er zwar mit dem Fuß zur Musik gewippt, doch gesagt hatte er nichts.
Elisabeth schien genau zu wissen, wo sie hin wollte. Ohne sich von irgendjemandem von ihrem Weg abbringen zu lassen, navigierte sie uns nach draußen. Wer auch immer die Party veranstaltete, musste wohl eine Menge Geld haben, um sich ein Haus mit einem solchen Garten leisten zu können. Einem sehr schönen Garten, wie ich feststellen konnte, als Elisabeth neben Isabel und Aaron zum Stehen kam. Draußen war es deutlich angenehmer und die Musik war dennoch laut genug, dass sie auch von hier gut zu verstehen war. Isabel reichte Elisabeth und mir jeweils ein Bier, an dem ich kritisch roch. Mellie trank nichts. Sie war unsere Fahrerin. Abgesehen davon trank sie nur sehr selten Alkohol, wie sie uns auf dem Weg hierher erzählt hatte. Ich schaute nach Paul, musste jedoch nicht lange suchen, bis ich ihn fand. Paul war so groß, dass er viele um einen ganzen Kopf überragte. Zusammen mit Aaron wohnte er in der Nähe, sodass sie zu Fuß hergekommen waren.
“Fühlt ihr nicht auch schon, wie der Stress der letzten Tage euren Körper verlässt?” Wie um ihre Aussage zu bestärken, schüttelte Elisabeth ihren Körper. Dabei löste sich eine kleine Haarsträhne ihres honigblonden Haares, das sie zu einem Dutt trug. Ich zweifelte, ob sie ihre Haare jemals anders trug. In den letzten Tagen hatte ich sie zumindest nie eine andere Frisur tragen sehen.
Isabel inspizierte einen Jungen, der etwa drei Meter entfernt stand und sie ebenfalls ansah. “Noch nicht, aber ich glaube, ich weiß schon, wie ich den Stress abbauen kann.”
Aaron folgte ihrem Blick. Er runzelte die Stirn beim Anblick des Jungen. “Wirklich? Der?”
Mellie konnte nun ebenfalls nicht widerstehen und begutachtete den Jungen. “Kann ich verstehen.”
Während Aaron sichtlich am Geschmack der beiden zweifelte, meinte Paul: “Zum Glück ist es gar nicht auffällig, wenn ihr alle gleichzeitig hinschaut.”
Ich grinste, während die drei sich gleichzeitig wieder zu uns umdrehten.
Elisabeth antwortete ich: “Ich freue mich einfach nur, wenn ich morgen ausschlafen kann.”
“Wahrscheinlich das letzte Mal für die nächsten Monate.” Grinsend trank Aaron einen Schluck von seinem Getränk. Ich konnte nicht identifizieren, was es war. Höchstwahrscheinlich alkoholisch.
“Danke, das ist ja sehr ermutigend”, gab ich sarkastisch zurück. Aaron lachte leise.
“Wenn du dir deinen Lernplan gut eintakten kannst, wirst du bestimmt einige Tage haben, an denen du ausschlafen kannst”, munterte Isabel mich auf.
“Dafür musst du aber organisiert sein”, ergänzte Paul nachdenklich. “Sonst wachst du einen Morgen auf und dir fällt auf, dass du heute eine Prüfung schreibst, auf die du dich seit Wochen vorbereiten wolltest.”
“Wenn mir das mal passiert, wisst ihr, dass ich die Kontrolle über mein Leben verloren habe”, murmelte Mellie, was Elisabeth zum Kichern brachte.
“Bei mir ist es genau andersherum”, erklärte sie. “Ich fände es sehr schade, wenn ich meinen Lernrhythmus für das Studium ändern müsste. Der hat sich die letzten Jahre für mich stets bewährt.”
“Was denn? Zwei Tage vor einer Klausur anzufangen, zu lernen?”, fragte Aaron.
Elisabeth verschluckte sich an dem Schluck, den sie gerade von ihrem Bier genommen hatte. “Zwei Tage?”, wiederholte sie fassungslos. “Ich dachte da eher an eine Nacht vorher, wenn's gut läuft. Manchmal reichte auch die Busfahrt zur Schule.”
Ich lachte. “Das hätte ich nicht gekonnt. Ich muss immer genau wissen, worauf ich mich einlasse. Dazu zählt für mich auch, alles dafür getan zu haben, dass es gut läuft.”
Isabel hob ihr Getränk an und zeigte mir damit, dass sie mir zustimmte.
“Es hat mich hierher gebracht.” Elisabeth grinste mir entgegen. “Mal sehen, wie weit es mich noch bringen wird.”
“Dreht euch jetzt nicht wieder alle um, aber der Typ, den Isabel später mit nach Hause nehmen will, kommt genau auf uns zu”, erwähnte Paul beiläufig, bevor er den Blick auf Aarons Getränk richtete.
“Ich habe nie gesagt, dass ich ihn mit nach Hause nehmen will”, zischte Isabel leise, dennoch laut genug, dass es jeder Umstehende hörte. Dazu zählte unglücklicherweise auch besagter Typ.
“Wen willst du nicht mit nach Hause nehmen?”, fragte er, als er sich plötzlich in unseren Kreis schob und Isabel freundlich anlächelte.
Ich konnte förmlich beobachten, wie sein Lächeln sie zum Schmelzen brachte.
“Ach, niemanden. Ich meinte damit nur, dass ich meine Augen heute etwas offen halten werde”, erklärte sie sich.
Der Typ nickte verstehend. “Sollten deine Augen mich zufälligerweise auserwählen, sag mir Bescheid.” Er grinste sie an, bevor er seine Aufmerksamkeit zu uns allen richtete. “Ein paar Freunde und ich wollen gleich was spielen. So typische Partyspiele. Alles ganz harmlos. Wollt ihr mitmachen?”
Ich hielt mich zurück und beobachtete, wie die anderen reagierten. Mellie blickte den Fremden zweifelnd an. Elisabeth sagte zu, ebenso wie Aaron. Und dass Isabel natürlich sofort Feuer und Flamme war, überraschte keinen. Doch im Gegensatz zu Elisabeth und Aaron folgte sie dem Jungen nicht sofort. Stattdessen sah sie Mellie, Paul und mich fragend an.
Ich zuckte mit den Schultern. “Also angucken würde ich mir das Ganze schon. Dann mal sehen, ob es mir gefällt.”
Paul stimmte mir zu und Mellie meinte: “Dann komme ich auch mit. Und passe auf, dass ihr nicht verloren geht.”
Mit einem breiten Lächeln im Gesicht hakte Isabel sich bei Mellie ein. “Was täten wir bloß ohne dich?”
Ich hörte Mellie ein leises “Keine Ahnung” murmeln. Paul schmunzelte und wir folgten den anderen. Es ging wieder ins Hausinnere in einen Raum, der glücklicherweise etwas von den lauten Geräuschen der Tanzfläche abgeschottet war. Ich hielt nach Elisabeth und Aaron Ausschau, die sich beide bereits mit anderen Studenten unterhielten. In der Mitte des Raums saßen bereits mehrere Personen. Unter ihnen sah ich auch den Jungen, der sich zu Beginn mit dem anderen Mädchen abgeschleckt hatte. Alle anderen Gesichter waren mir fremd. Aber es schien mir, als sei schon eine Menge Alkohol geflossen. Ich unterdrückte ein Seufzen. Was konnte da schon schiefgehen?
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... und damit beginne ich meine 6. Geschichte. Nach meiner Schreibpause tut es mir sehr gut, meiner angestauten Kreativität endlich Raum zu geben. Ich werde wieder versuchen, donnerstags und sonntags jeweils ein Kapitel hochzuladen, kann aber nicht versprechen, dass mir das gelingen wird. Falls nicht, lade ich dann zum nächstmöglichen Zeitpunkt wieder was hoch 😊
Noch eine kleine Vorwarnung: Diese Geschichte ist eine reine Romanze und könnte auch mal in die Kategorie "Klischee" eintauchen. Sollte euch das dennoch nicht davon abhalten, weiterzulesen, habe ich eben auch bereits das zweite Kapitel hochgeladen 😇
Viel Spaß beim Lesen ♡♡♡
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