4-1 | Katz und Maus
Mina war sich sicher, noch nie in ihrem Leben so schlechte Laune gehabt zu haben. Die beiden wichtigsten Menschen in ihrem Leben hatten sie in ein emotionales Loch geschmissen und darüber hinaus gelang es ihr nicht, ihre aktuelle Aufgabe für den FFF zufriedenstellend zu bearbeiten. Warum musste Daniel von Hohenstein so schwierig sein? Sie hatte tatsächlich keinerlei Interesse daran, weiter irgendwelche Spielchen mit ihm zu spielen, dazu war sie emotional zu ausgelaugt nach dem Wochenende.
Sie reckte störrisch das Kinn vor, während sie zum wiederholten Male den Weg zum herrschaftlichen Haus entlang ging. Sie kam sich langsam wie eine Bettlerin vor, so oft hatte sie nun schon versucht, die Familie zum Spenden zu bewegen. Aber während sie sich anfangs noch gegen ihre Mission gesträubt hatte, war durch Daniels kindisches Verhalten im Restaurant jetzt ihr Kampfgeist geweckt. Sie würde ihm schon zeigen, dass sie Recht hatte: Eine Spende seiner Familie für einen wohltätigen Zweck würde seinem Image helfen, selbst wenn er sich dafür mit ihr abgeben musste. Und bei den immer noch beachtlichen finanziellen Mitteln seiner Familie würde sie eine große Summe vereinbaren können. Das Geschäft war für beide Seiten vorteilhaft und das würde sie ihm beweisen, ob er wollte oder nicht.
»Ah, Frau Richter!«, wurde sie zu ihrer Überraschung erneut von der Hausherrin selbst begrüßt, die ihr wie in der Woche zuvor die Tür öffnete.
Entschlossen, sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen, erwiderte sie: »Guten Morgen, Frau von Hohenstein, ich störe höchst ungerne erneut, aber mein letztes Gespräch mit Ihrem Sohn war leider nicht zufriedenstellend.«
»Kommen Sie nur herein«, sagte die ältere Dame mit einem einladenden Lächeln und trat zurück: »Ich habe von Daniel erfahren, was vorgefallen ist. Der Junge ist einfach zu unbeherrscht, ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist. Ich dachte wirklich, er hätte inzwischen verstanden, sich professionell zu verhalten. Aber seien Sie sich versichert, ich habe ihm deutlich gemacht, dass ich weitere Unhöflichkeiten Ihnen gegenüber nicht verzeihen werde. Er wird sich also kooperativ zeigen.«
Skeptisch hob Mina eine Augenbraue, doch sie sagte nichts dazu. Natascha von Hohenstein war viel zu begierig darauf, ihr zu gefallen und freundlich zu ihr zu sein, als dass sie auch nur einen Moment geglaubt hätte, dass sie aufrichtig war. Sie hängte ihren schweren Wintermantel auf, dann ließ sie sich in die Bibliothek führen. Natürlich hatte dieses Haus eine eigene Bibliothek.
Kaum hatten sich die Türen hinter ihr geschlossen, schritt sie energisch auf Daniel zu, der buchlesend in seinem Sessel saß und so tat, als würde er sie nicht bemerken.
»Hi«, grüßte sie knapp: »Dein Spiel ist aus, Daniel.«
Absichtlich langsam klappte er das Buch zu, legte es neben sich auf einen Beistelltisch und schaute dann noch langsamer zu ihr hoch: »Welches Spiel?«
Ungeduldig schnaubte sie: »Das Spiel, das du mit mir zu spielen versuchst. Entweder, wir reden jetzt wie zwei professionelle Erwachsene miteinander, oder ich muss wohl der Presse gegenüber durchblicken lassen, wie unkooperativ du dich verhältst.«
Mina konnte deutlich sehen, dass Wut in seinen Augen aufblitzte, doch vorläufig behielt Daniel seinen spöttischen Tonfall bei: »Ich weiß gar nicht, was du meinst. Ich habe dich trotz deiner Unfreundlichkeit ein zweites Mal empfangen und dich sogar zum Essen in ein teures Restaurant ausgeführt. Auf meine Rechnung. Wo genau verhalte ich mich unkooperativ?«
Sie hatte keine Lust, ihm den Triumph zu gewähren und zu analysieren, wie der Restaurantbesuch nur als Beleidigung für sie gedient hatte. Stattdessen knallte sie ihm die Mappe mit der Präsentation auf den Tisch und verschränkte die Arme vor der Brust: »Lies dir einfach durch, was ich hier zusammengestellt habe, okay? Deine Mutter meinte, ihr gefielen unsere Pläne und sie würde gerne spenden. Da aber offenbar du die Entscheidung darüber treffen sollst, warum auch immer, musst du leider die Mühe auf dich nehmen, auch mal ein paar Zeilen zu lesen.«
»Warum erzählst du mir nicht selbst, was hier drin steht? Das wäre bestimmt viel anregender«, sagte Daniel leise und schaute mit einem Leuchten in den Augen, das sie nur zu gut kannte, zu ihr auf.
Schnaubend setzte sie sich auf den Stuhl, der neben seinem stand: »Hör auf zu flirten und arbeite zur Abwechslung ein einziges Mal in deinem Leben. Du solltest inzwischen gelernt haben, dass deine schmierigen Verführungsversuche bei mir nicht ziehen.«
Nun war er es, der verärgert die Arme vor der Brust verschränkte: »Ich habe nichts dagegen, für Wohltätigkeitsvereine zu spenden. Aber warum ausgerechnet für deinen? Du musst mich schon ein bisschen überzeugen.«
Tief atmete Mina ein und schloss die Augen. Dieser Kerl raubte ihr den letzten Nerv. Alle Gründe, warum seine Familie sich für den FFF entscheiden sollte, waren in der Mappe sorgfältig zusammen gestellt. Aber nein, der hohe Herr würde sich damit nicht zufrieden geben. Sie würde ihre Strategie ändern müssen. Je mehr sie auf Konfrontation ging, umso mehr machte er dicht. Auch, wenn sie sich lieber die Hand abhacken würde, als freundlich zu ihm zu sein, sollte sie zumindest versuchen, den tiefen Graben zwischen ihnen zu überbrücken.
Sie setzte eine schuldbewusste Miene auf: »Es tut mir leid, dass ich beim ersten Gespräch die Probleme deiner Familie als Argument genutzt habe. Wirklich. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schwierig das alles für dich sein muss ...«
»Spar dir dein Mitleid, Mina«, fauchte Daniel sie genervt an, doch er entspannte sich sichtbar, als er fortfuhr: »Die Vorurteile gegen uns sind einfach ... wir sind die arroganten Reichen. Waren wir schon immer, nur dass die Leute aus Angst vor unserem Einfluss die Klappe gehalten haben. Jetzt nutzen alle jede Gelegenheit, um auf uns zu spucken.«
Überrascht stellte Mina fest, dass sie tatsächlich ehrliches Mitgefühl mit Daniel empfand, auch wenn sie das ursprünglich nur als Maskerade gedacht hatte. Mit einem schiefen Grinsen erwiderte sie: »Lustig, wie die Rollen verdreht wurden, mh? Während der Uni hast du immer auf Henri herabgesehen, weil er arm war. Jetzt weißt du, wie es sich anfühlt, für etwas, das man nicht selbst kontrollieren kann, verurteilt zu werden.«
»Haha", kommentierte er trocken: »Total witzig. Ich brauche dein Mitleid nicht, du musst mir das hier nicht noch unter die Nase reiben.«
Kurz rang sie mit sich, dann hielt sie ihm ihre Hand hin: »Ich entschuldige mich für die erpresserischen Methoden, die ich gerade versucht habe. Natürlich gehe ich nicht zur Presse, um über dein Verhalten zu lästern. Können wir Frieden schließen?«
Misstrauisch hob er eine Augenbraue: »Und was genau soll das jetzt werden?«
Frustriert warf sie die Hände in die Luft: »Himmel nochmal! Seid ihr Reichen alle so? Ich habe eine Grenze überschritten, als ich gedroht habe, die Episode im Restaurant an die Klatschpresse zu melden und das hat dir offensichtlich nicht geschmeckt. Ich hab doch gesehen, wie wütend dich das gemacht hat. Kannst du nicht einfach akzeptieren, dass ich mich entschuldige und gerne noch einmal neu anfangen will? Wie zwei erwachsene Menschen?«
Sie hatte absichtlich tief in die Trickkiste gegriffen, um Daniel in die Enge zu treiben und das bereute sie nun. Sie war nicht der Typ, der die Klatschpresse nutzte, um sich an anderen Menschen zu rächen, auch wenn sie ihn das für einen Augenblick hat glauben lassen. Sie hatte nie darüber nachgedacht, wie es sich für ihn anfühlen musste, von der Öffentlichkeit jetzt praktisch ausgestoßen worden zu sein, obwohl er persönlich nichts falsch gemacht hatte. Innerlich fragte Mina sich mit einem Mal, wie viel Daniel eigentlich über die finanziellen Machenschaften seines Vaters Bescheid wusste. Vermutlich hatte sein Vater ihn nie eingeweiht. Wenn dem so war, war es doppelt unfair von ihr, seine Familienprobleme gegen ihn verwenden zu wollen. Sie mochte ihn nicht, aber das hieß nicht, dass sie sich auf ein so niedriges Niveau begeben sollte.
Lange starrte Daniel sie an, offensichtlich unschlüssig, ob er ihr glauben wollte, doch schließlich erschien sehr zu Minas Verwirrung ein altbekanntes, überhebliches Grinsen auf seinen Lippen: »Oh, ich verstehe, was hier läuft. Wer hätte das gedacht? Wenn dir so viel daran liegt, wer wäre ich, den Frieden abzulehnen?«
Völlig überrumpelt ließ sie zu, dass er ihre Hand schüttelte, sie ein wenig länger festhielt als nötig, und ihr zum Abschluss noch einen zarten Kuss auf den Handrücken hauchte. Was meinte er damit, er wüsste, was hier lief? Was lief denn seines Erachtens?
Nachdem er sie wieder losgelassen hatte, beugte Daniel sich ein wenig zu ihr hinunter und hauchte ihr zu: »Was meinst du? Wollen wir das missglückte Mittagessen nachholen, diesmal aber ohne irgendwelche Tricks meinerseits?«
Noch immer grinste er sie wölfisch an – und plötzlich fiel es Mina wie Schuppen von den Augen. Er dachte doch nicht wirklich, dass ihr Stimmungsumschwung etwas mit romantischen Gefühlen zu tun hatte? Aufgebracht stemmte sie ihre Fäuste in die Hüften: »Ich bin NICHT an dir interessiert, Daniel!«
Lächelnd hob er eine Augenbraue: »Ach nein? Du wirst also einfach so rot?«
Mit offenem Mund starrte sie ihn an. Was stimmte nur nicht mit ihm, dass er ausgerechnet zu dieser Schlussfolgerung kam? Natürlich wurde sie rot, wenn jemand ihr einen Handkuss gab – rot vor Scham, dass irgendjemand noch solche mittelalterlichen Umgangsformen an den Tag legte. Außerdem hatte sie mit Henrik und René schon genug Gefühlsprobleme, da passte ein Daniel von Hohenstein überhaupt nicht mehr rein!
»Ich nehme einfach an, dass du mich aus Rache ärgern willst für meine Drohungen dir gegenüber«, erwiderte sie so würdevoll wie möglich, ohne ihm einen weiteren Blick zu schenken: »Aber die Einladung zum Mittagessen nehme ich trotzdem gerne an.«
»Soso«, schnaubte Daniel und klang dabei noch immer deutlich zu amüsiert: »Du hast kein Interesse an mir, aber du lässt dich zum Mittagessen ausführen?«
Genervt schaute sie zu ihm hinüber. Sie würde ihm nicht erzählen, dass sie sich offener und freundlicher zeigte, weil sie begriffen hatte, dass Konfrontation bei ihm nichts brachte. Das würde nur alle Bemühungen im Keim ersticken. Es ging ihr ums Geschäft, nicht um ihn, so sehr seine eingebildete Natur das vielleicht auch dachte.
Vielleicht war es aber gar keine so dumme Idee, ihn im Glauben zu lassen, dass sie aus romantischen Gefühlen heraus seine Nähe suchte. Männer waren schließlich simpel gestrickt, wenn sie glaubten, eine Frau am Haken zu haben, schalteten sie gerne einmal ihren Verstand aus. Dass Frauen genug Kontrolle über ihre Emotionen hatten, um romantische Gefühle vorzutäuschen, begriffen die meisten Männer erst, wenn es zu spät war. Sie gehörte normalerweise nicht zu dieser Sorte von Frauen, aber in diesem Fall hatte er sein Grab selbst geschaufelt.
Sie legte den Kopf schräg, während sie versuchte, so unschuldig und gleichzeitig verführerisch wie möglich zu ihm hinaufzublinzeln: »Sagen wir einfach, ich würde gerne noch einmal dieses interessante Restaurant aufsuchen, diesmal aber eine Speise meiner Wahl bekommen.«
Spielerisch deutete Daniel eine Verbeugung an, ehe er ihr vorauseilte, um ihr wie ein Gentleman die Tür zu öffnen. Unwillkürlich fühlte Mina sich an ihr erstes, fehlgeschlagenes Mittagessen mit ihm erinnert, und sie fragte sich, ob er gerade erneut versuchte, sie mit galanten Manieren abzulenken. War das hier ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem Daniel dachte, er wäre die Katze? Wenn dem so war, dann würde Mina dafür sorgen, dass er sich ganz schnell in der Rolle der Maus wiederfinden würde.
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