3-4 | Alles steht Kopf
Faul kuschelte Mina sich in ihr Bett. Es war Sonntagmorgen und es bestand keinerlei Notwendigkeit, so früh wach und auf den Beinen zu sein. Die Welt außerhalb ihrer Decken war eh viel zu kalt, zumal sie noch nicht bereit war, Henrik unter die Augen zu treten. Als sie gestern von ihrem Besuch bei René heimgekommen war, hatte sie Henrik nirgends entdecken können, und er schien tatsächlich erst in die Wohnung zurückgekehrt zu sein, nachdem sie bereits im Bett war.
Sie hatte beschlossen, ihm nicht zu erzählen, dass sie eine Pause in ihrer Beziehung mit René eingelegt hatte. Zumindest noch nicht. Sie wollte erst sicherstellen, dass dieser Beinahe-Kuss nur ein Unfall war, der sich auf keinen Fall wiederholen würde, ehe sie Henrik über ihr Liebesleben aufklärte. Nicht auszudenken, wenn er ihre Beziehungspause als Einladung auffassen würde, um ihr noch näher zu kommen.
Was sie zu der Frage brachte, wieso er sich ihr gegenüber überhaupt so verhielt, wie er es tat. Er war frisch von Giselle getrennt und René war sein bester Freund. Das letzte, woran er im Moment denken sollte, war, mit ihr zu flirten. Zum wiederholten Male fragte sie sich, ob sie sich das alles nur eingebildet hatte.
Kaffeegeruch stieg ihr plötzlich in die Nase. Schnuppernd setzte Mina sich im Bett auf. Bereitete Henrik etwa gerade Frühstück für sie vor? Am liebsten hätte sie frustriert ihren Kopf unter dem Kissen begraben, doch es half nichts. Sie musste sich der Realität stellen. Sie musste Henrik sagen, dass sein Verhalten absolut unangebracht war, dass er aufhören musste, so süß zu ihr zu sein. Es war eine Sache, wenn sie als Wohnungsbesitzerin Essen für ihn mitmachte. Es war etwas ganz anderes, wenn er Abendessen oder gar Frühstück für sie bereitete.
Sie hatte nur schnell den nächst besten Pullover übergezogen und ihr Nachthemd in eine bequeme Hose gestopft, ehe sie die Tür zum Wohnzimmer öffnete und mit finsterem Blick zur Kochnische schaute.
»Guten Morgen«, wurde sie von einem deutlich zu munteren, zu fröhlichen Henrik begrüßt.
Ihr Blick wurde noch finsterer: »Und was wird das hier, wenn es fertig ist?«
Offensichtlich überrascht von ihrer ablehnenden Haltung, drehte Henrik sich vollends zu ihr um, die volle Kaffeekanne in einer, zwei Tassen in der anderen Hand: »Frühstück natürlich. Ist das schlecht?«
Stöhnend fuhr Mina sich durch ihr wildes Haar: »Warum machst du mir Frühstück, Henrik?«
Vorsichtig stellte er Kanne und Tassen auf dem Tisch ab: »Ich will nett zu dir sein. Du hast mich spontan hier aufgenommen, da ist es doch nur natürlich, dass ich...«
Unwirsch unterbrach sie ihn: »Warum machst du mir wirklich Frühstück?«
Die Röte, die sich auf Henriks Wangen ausbreitete, verriet Mina sofort, dass sie ihn ertappt hatte. Also hatte sie sich sein Verhalten doch nicht nur eingebildet. Mit einem langen Seufzer ließ sie sich in einen der Stühle am Esstisch sinken.
»Henri ... was soll das hier werden?«, hakte sie nach, als er nicht auf ihre Frage reagierte.
Langsam nahm er ihr gegenüber Platz. Sein Blick war fest auf den Kaffee gerichtet, der er gerade in die beiden Tassen goss: »Ich weiß auch nicht. Ich dachte einfach nur ... vielleicht habe ich auch gar nicht nachgedacht.«
Schnaubend nahm sie ihre Kaffeetasse entgegen: »Ja, so hat es gewirkt. Henri, du bist frisch von Giselle getrennt. Und ich bin ... an deinen besten Freund vergeben. Was zur Hölle hat dir den Gedanken gegeben, es könnte eine gute Idee sein, Abendessen mit Wein für mich zu machen? Das machen beste Freunde nicht füreinander ...«
»Du warst es doch, die sich so verführerisch an mich gekuschelt hat auf dem Sofa!«, fuhr er sie plötzlich an. Überrascht, aber zufrieden, dass er sie endlich direkt ansah, ließ Mina sich in ihrem Stuhl zurücksinken.
»Ich wollte dich trösten!«, verteidigte sie sich: »Ich weiß, wie schwer es dir fällt, ein gebrochenes Herz zu verarbeiten. Du warst doch noch nie gut mit sowas. Ich wollte nur helfen!«
Beinahe verächtlich entgegnete er: »Ach, deswegen hast du mir deine Hand auf den Oberschenkel gelegt? Um mich zu trösten? Wie genau hattest du das denn anstellen wollen, das Trösten?«
Entsetzt riss sie die Augen auf. Das konnte er nicht ernst meinen. Was wollte er mit seinen Worten andeuten? Wütend starrte sie ihm in die Augen: »Du unterstellst mir ernsthaft, dass ich einfach so René betrügen würde?«
Sie konnte nicht glauben, was Henrik da sagte. Bebend vor Zorn erhob sie sich vom Tisch, um etwas mehr Abstand zwischen sich und ihn zu bringen, doch Henrik folgte ihr sofort. Packte sie am Arm und wirbelte sie herum.
»Willst du mir weißmachen, du wüsstest nicht genau, was du hier tust?«, verlangte er zu wissen, das Gesicht nur Zentimeter von seinem entfernt: »René hat mir oft genug erzählt, dass er in letzter Zeit das Gefühl hat, dass du nicht mehr so für ihn brennst wie früher. Er meinte, es sei wohl der Stress auf Arbeit, der dich ablenkt und verhindert, dass du deine Gefühle offen zeigen kannst. Was meinst du, wie überrascht ich war, als ich dann hier ankam, in deiner Wohnung, und du ... SO auf mich reagierst, mh? Ich wollte dich nur ein wenig necken. Ich wollte lustig sein!«, seine Stimme war inzwischen gefährlich leise geworden und obwohl Henrik kaum größer war als sie selbst, hatte Mina doch das Gefühl, dass er über ihr aufragte. Mit dunklem Tonfall fuhr er fort: »Du bist jedes Mal nur rot geworden, wenn ich mich halbnackt gezeigt habe oder ein bisschen scherzhaft geflirtet habe! Was dachtest du denn, was das in mir auslöst?!«
Ihr Atem beschleunigte sich: »Ich bin... du hast mich einfach damit überrascht.«
Er zog sie noch näher an sich, bis sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten: »Weißt du, wie ich mich damals wirklich gefühlt habe während der Uni? Als René uns dieses eine Mal vorgeworfen hat, wir hätten was miteinander ... ich habe mich schuldig gefühlt, Mina! Weil ich wusste, ganz tief in mir, dass er Recht hatte! Wenn ich gekonnt hätte ... wenn ich nicht genau gewusst hätte, wie er für dich empfindet ... aber ich dachte immer, du fühlst nicht so! Also hab ich das ignoriert, hab mich darauf konzentriert, ein Leben mit Giselle aufzubauen!«
Fassungslos schüttelte Mina den Kopf. Was erzählte er denn da? Warum redete er so einen Unsinn?
»Ich wollte dich nur aufziehen, Mina!«, erklärte Henrik, der langsam wirklich verzweifelt klang: »Vielleicht wollte ich auch mein Ego bestätigt wissen, keine Ahnung. Aber nachdem Giselle die Beziehung beendet hat und ich bei dir untergekommen bin, da war es wieder da, dieses Gefühl. Und ich dachte, wenn ich darüber Scherze mache und dich ein bisschen necke, dann kriege ich schon meine deutliche Abfuhr. Ich dachte, du weist mich in meine Schranken, lachst mich aus ... irgendetwas. Stattdessen wirst du rot, kannst mir nicht in die Augen sehen ... und kuschelst dich einfach so an mich!«
Wie durch einen Schleier wurde Mina bewusst, dass sich Henrik inzwischen mit seinem ganzen Körper an sie presste, dass er sie erfolgreich zwischen dem Tresen der Küche und sich gefangen hielt. Ihr Herzschlag raste nur so dahin, während sie verzweifelt versuchte, die Situation logisch zu betrachten.
»René ist mein bester Freund«, stieß Henrik zwischen zusammengepressten Kiefern aus, als müsste er sich anstrengen, nicht ... Mina wollte nicht darüber nachdenken, wovon er sich da genau abhalten musste.
»Ich würde niemals etwas tun, das René verletzten könnte«, fuhr er fort: »Aber ich kann einfach nicht mehr. Ich habe seit über zwei Jahren ... nein, eigentlich schon viel länger davor ... ich habe mich ewig zurückgehalten, weil ich wusste, dass er in dich verliebt war. Und ich wusste, dass du kein Interesse an mir hast. Also hab ich nichts gesagt. Aber jetzt ... ich kann einfach nicht mehr.«
Und ehe Mina verarbeiten konnte, was genau Henrik ihr da eigentlich sagte, hatte er den letzten Abstand geschlossen und küsste sie.
Er küsste sie mit einer Leidenschaft und einem Verlangen, das Mina noch nie gespürt hatte. Unfähig, sich gegen den Sturm seiner Gefühle zu wehren, schlang sie ihre Arme um ihn und erwiderte den Kuss. Es war keine Zärtlichkeit in diesem Kuss, kein liebevolles Erkunden, sondern nur angestaute Aggression und unterdrückte Lust, die plötzlich mit aller Macht nach vorne drängte. Henriks Hände waren plötzlich überall, seine Zähne knabberten an ihren Lippen, gruben sich in die empfindliche Haut ihrer Schultern und immer wieder forderte er sie wortlos auf, ihre Lippen zu öffnen und seiner Zunge Einlass zu gewähren.
Als seine Hand schließlich unter den Stoff ihres Nachthemdes fuhr, unterbrach Mina seine stürmischen Küsse: »Stopp, Henri. Das ... das geht nicht. Nicht so schnell. Wir müssen darüber reden, wir können nicht einfach ...«
»Zum Teufel mit Reden!«, schrie er sie an, doch ein entschlossener Blick von ihr brachte ihn dazu, tatsächlich einen Schritt zurückzutreten.
Mit vor der Brust verschränkten Armen schaute sie ihn an: Das alles hier ... das geht so nicht. Wir können nicht einfach alles über Bord werden. Benutzt deinen Verstand, Henri!«
Sie sah, wie seine Kiefer aufeinander mahlten, wie sich seine Hände zu Fäusten schlossen und wieder öffneten, doch er sagte nichts. Stattdessen drehte er sich abrupt um, schnappte sich seinen Mantel und ging mit langen Schritten zur Wohnungstür.
Er hatte sie schon halb geöffnet, da drehte er sich noch einmal zu ihr um: Du stehst dir mit deinem verdammten Verstand selbst im Weg, Mina. Ich ertrag das nicht länger. Wenn du so verdammt stur sein willst, bitte. Geh zur Hölle mit deiner Emotionslosigkeit!«
Und damit war er aus Tür und verschwunden. Sprachlos und verletzt blieb Mina alleine zurück. Was genau hatte sie nur falsch gemacht?
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