Prolog (neu)
Kalte Luft schlug ihr ins Gesicht. Rasselte durch ihre Lungen. Trotzdem ließ sie die Hitze nicht los. Sie konnte immer noch das Feuer hören und riechen und jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, sah sie es anstatt der Dunkelheit der Bäume vor ihr. Es waren wütende Flammen, die sich nahmen, was sie wollten. Und genau so würde es sein. Man würde sich nehmen, was man wollte. Die Flammen würden aus dieser bunten Vielfalt graue Asche machen. Und die, die sich widersetzten, würden so enden wie sie. Vielleicht noch schlimmer, denn vielleicht würde man keine Möglichkeit zur Flucht mehr haben. Sie sah zur Seite und ihr Blick fiel auf den Jungen, ihr querido, neben ihr. Seine blonden Locken wippten beim Rennen auf und ab. Trotz der Verfolger und des Schmerzes hüpfte das Herz des Mädchen einen kleinen Sprung nach oben.
Schüsse durchbrachen die nach Rauch riechende Nachtluft. Holz splitterte, als die Kugel in einen Baum neben ihnen einschlug. Ihr Herz begann wieder schneller zu schlagen und eine Mischung aus Angst und Adrenalin schoss ihr durch den Körper. Sie ließ sich hinter den nächsten Baumstamm fallen und nahm das Maschinengewehr von der Schulter. Ihr Begleiter tat es ihr nach. Der Wald und die Dunkelheit schränkten ihre Sichtweite ein, während der Kolben des Maschinengewehrs hämmernd in ihre Schulter schlug, als sie eine Salve in diese Dunkelheit abgab.
Danach hüllte sie eine Decke der Stille ein. Nichts war zu hören und die beiden lauschten in die Nacht. Hatten sie getroffen? Vorsichtig wagte sie einen Blick in den Wald. Erst sah sie nichts. Aber dann hörte sie wieder Schüsse. Einer verfehlte sie nur knapp. In dem Nebel konnte sie jetzt eine Gestalt ausmachen und schoss. Wenn sie ein Ziel hatte, verfehlte sie nicht. Die Gestalt fiel.
Sie würde ihr Ziel nie wieder aus den Augen verlieren, egal welches. Denn sie hatte es einmal getan. Es war ein Fehler gewesen.
Sie erinnerte sich noch an den Tag, an dem sie aufgehört hatte, sich gegen alle zu stellen. Nicht mehr mit Worten auf Leute eingeredet hatte. Nicht mehr versucht hatte, etwas zu verändern. Aufgehört hatte, zu kämpfen. Weil es ermüdend gewesen war. Kräftezehrend. Also hatte sie aufgehört. Es einfach hingenommen, als sich nach und nach alles veränderte, nach und nach Vielfalt verschwand, nach und nach neue Gesetze kamen, die lautlos und unaufhaltsam wie ein stummes Feuer über das Land gerollt waren und Farben in grau verwandelt hatten. Die träge Masse hatte sich nicht interessiert und es hingenommen grau zu werden. Farblos. Weil diese träge Masse jetzt alles hatte, was sie wollte. Außer der Vielfalt. Oder Selbstbestimmtheit. Und der Freiheit.
Was, wenn sie nicht aufgehört hätte, laut zu sein? Was, wenn sie weiter gemacht hätte? Hätte sie irgendetwas verändern können?
Sie rannten weiter. Dass die Zweige des Gebüschs ihre Arme zerkratzen, spürte sie kaum. Was hätte ihre Mama gesagt, wenn sie gewusst hätte, dass ihre Tochter erst aufgegeben hatte und es dann Menschenleben gekostet hatte, bis sie frei wurde? Was hätte ihre Mama gesagt, wenn sie gewusst hätte, was aus der Welt geworden war?
»Mi pequeña paloma, si luchas por ello lo suficiente, puedes incluso hacer que el mundo sea un poco mejor.«
Mein kleines Täubchen, wenn du hart genug dafür kämpfst, kannst du die Welt sogar ein bisschen besser machen.
Das waren ihre letzten Worte gewesen. Nicht »Ich liebe dich«, sondern diese Worte. Das Mädchen wusste, dass ihre Mutter sie geliebt hatte. In ihren Augen hatte sie es immer gesehen. Und sie hatte es gehört in ihren Worten. Es war der Wunsch ihrer Mutter gewesen, dass sie nicht nur zuschaute. Sondern sich für Besseres einsetzte. Aber jetzt war es zu spät.
Was hätte ihre Mutter gesagt, wenn sie wüsste, dass sie wie una cobardica ihren und den Tod ihres Freundes vorgetäuscht hatte, um dem Regime zu entkommen? Um ein neues Leben anzufangen? Um glücklich zu sein? Sie hoffte, dass ihre Mutter es verstehen würde. Sie wusste, dass ihre Mutter trotzdem hinter jeder ihrer Entscheidungen gestanden hätte. Aber sie wusste auch, dass ihre Mutter sie davon abgehalten hätte, aufzugeben.
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