Kapitel 11
Gelbe Papaya und rote Tomate. Was genau das jetzt heißen soll, weiß ich noch nicht ganz, aber definitiv ist es irgendwas, weshalb ich beunruhigt sein sollte. Erst hat mich Lewis vom Dach geschmissen, nicht wortwörtlich, und dann an irgendwas herumgebastelt. Für über zwei Stunden. Und mich für diese Zeit anscheinend fast vergessen. Nur anhand von ein paar Anweisungen wie »gib mir mal die Zange da« oder »Kannst du aufhören, mich mit Wasser zu bespritzen?« (mir war langweilig) hat er meine Anwesenheit kommentiert. Nicht mal auf meine Flirtversuche wie »Sicher, dass du den Hammer und nicht einen Hammerkuss haben willst?« ist er, außer einem kleinen Lachen, nicht eingegangen. Zugegebenermaßen war der auch nicht besonders gut.
Seit zehn Minuten zieht mich Lewis durch irgendwelche Gassen und schaut sich dabei die ganze Zeit besorgt um. Aber eine Antwort hat er mir bis jetzt nicht gegeben. Auch wenn das Wetter nicht mehr drückend ist, dann ist es die Stimmung. Und mein Schuh. Aber dass der drückt, interessiert glaube ich keinen. Auch wenn mein Zeh sicher auch schon an eine zerquetschte rote Tomate irgendwann rankommen wird.
Lewis ist allerdings nicht der Einzige, der so geknickt drauf ist. Es ist, als würde die ganze Stadt den Atem anhalten, überall sieht man irgendwen mit zusammengesteckten Köpfen. Leute, die mit schnellen Schritten irgendwo hingehen. Panische Blicke, in den Augen Angst. Es fühlt sich an, als hätte jemand die fast schon fröhliche Stadt des Mittags durch eine verwunschene Stadt ersetzt, in der alle wissen, was genau das Problem ist, außer man selbst.
»Was wird das jetzt nochmal?«, wiederhole ich also meine Frage, nachdem Stille als Antwort hergehalten hat. »Bitte? Lewis?«
»Wir sind gleich da«, sagt Lewis als er sich kurz zu mir dreht. Auf seinem Gesicht liegt ein dunkler Schatten, dunkler als die Dämmerung über uns. Was auch immer er mit diesem langen Kabelding vorhat, das in seinem Rucksack ist, es wäre doch sicher schlauer, wenn ich wenigstens wüsste, für was wir hier durch die halbe Stadt hetzen und dabei immer wieder in dunklen Ecken verschwinden, damit wir unbemerkt bleiben. Also in dunklen Ecken verschwinden hätte in einem lustigeren Kontext bestimmt mehr Spaß gemacht. Durch meinen Kopf zucken die Bilder von Lewis Blick, seinen Lippen, meine auf seinen ...
Ich wäre fast in Lewis reingelaufen, als er plötzlich vor einem Haus stehen bleibt, einen Schlüssel hervorzieht und die Tür öffnet. Mein Herz stockt kurz, weil wir uns deswegen plötzlich sehr nahe stehen. Ich frage mich, wie schlimm gelbe Papaya und rote Tomate denn bitte sein muss, damit jegliche romantische Stimmung seinerseits mit einem Mal ausgepustet wurde. Schlimm wahrscheinlich. Ich wünschte, Lewis würde es mir einfach erklären, aber wahrscheinlich hat es einen Grund, dass die Bedeutung verschlüsselt wurde. Wer weiß, wer alles bei der Erklärung zuhören würde ... Im Flur fällt mir ein Fahrstuhl auf, den es bei den anderen nicht gibt, aber anstatt den zu benutzen, nimmt Lewis die Treppen.
»Überwachungskameras - im Fahrstuhl«, flüstert er, weshalb ich dann doch meinen hoffnungsvollen Blick von den Fahrstuhltüren abwende und mich hinter ihm die Treppen hochschleppe.
Die Tür wird uns zu meiner Überraschung direkt geöffnet und schnell wieder hinter uns geschlossen. Fremde Gesichter blicken mir entgegen, die mich genauso verwirrt ansehen, wie ich sie, aber dann kann ich auch Zoey und Kerstin unter ihnen ausmachen. Wo Quentine und Papa sind, bleibt jedoch offen. Etwa eine Handvoll Personen sind jetzt hier und alle in dunkler Kleidung, bepackt mit Dosen und Kabeln. Was auch immer der Plan dafür wäre, ich würde es sicher noch herausfinden.
»Lavita, darf ich dich einem Teil des Widerstandes vorstellen?«, fragt Lewis neben mir leise und meine Augen werden groß. Lewis und Zoey gehören zu den Rebellen? Die immer wieder unbemerkt kleine Angriffe auf das Regime ausführen? Von denen schon viele gefangengenommen oder getötet wurden?
Immerhin ergibt jetzt die Geheimnistuerei von Lewis Sinn. Während die Jugendlichen ihre Aufmerksamkeit von mir abwenden und Lewis sich in das leise Planen einbringt, bin ich immer noch ein bisschen überrascht. Es ergibt alles plötzlich so viel Sinn. Warum sollten denn Städter Leuten wie mir und meiner Familie helfen, die offensichtlich selbst eine Art des Widerstandes leisten? Warum sollten sie das riskieren? Warum sollten wir unser Vertrauen überhaupt in die Hände von Leuten innerhalb des Regimes legen? Weil sie selbst gegen Penthesilea arbeiten. Ist es das, wovon Lewis gesprochen hat, als er gemeint hat, dass man sich nachts im Dunkeln gut draußen in Gruppen treffen kann? Ist es das, warum wir überhaupt von Polizisten verfolgt worden sind?
Eine Stimme weht leise zu mir rüber und reißt mich aus meinen Gedanken. »Sicher, dass es eine gute Idee ist, Neue mit ins Boot zu holen? Nachdem irgendwer unseren letzten Standort ausfindig gemacht hat?«
»Die Spionin kann sie ja kaum sein, wenn sie davor nichts von dem Standort wusste«, erwidert Zoey zu der mir unbekannten Person. Die beiden stehen fast neben mir.
»Trotzdem. Wir sollten vorsichtig sein. Jeder hier könnte heimlich für Penthesilea arbeiten. Oder die Aufmerksamkeit schon auf sich gezogen haben ...«, sagt der fremde Junge zu Zoey und wirft mir dann einen Blick zu. Ich zähle eins und eins zusammen. Sie vertrauen mir nicht. Und sie wollen, dass ich weiß, dass sie mir nicht vertrauen, warum auch immer, sonst würden sie nicht direkt neben mir darüber sprechen.
»Ja klar, weil ich ja auch außerhalb des Regimes total die Chance dazu hatte«, mische ich mich also mit einem sarkastischen Unterton ein.
»Wir misstrauen jeder neuen Person, nimm es nicht persönlich«, erwidert der Junge unbeteiligt. Er ragt mir gerade mal zur Schulter und wenn ich ihn auf ein Alter einschätzen müsste, würde ich sagen, dass er dreizehn oder vierzehn Jahre alt ist.
»So klein und schon bei den Sturmtruppen?«, zitiere ich Prinzessin Leia aus Star Wars. Er schaut mich mit fragenden Blick an. »Muss ich das jetzt kommentieren?«
Zoey schaut mich mit warnenden Blick an und ich lächele schnell. »Schön dich kennenzulernen, ich bin Lavita«, sage ich und strecke ihm die Hand hin. Er schaut diese argwöhnisch an und sagt: »Ben.« Dann dreht er sich weg.
»Lavita«, sagt Zoey leise mit vorwurfsvoller Miene, »das ist einer der führenden Köpfe hier. Mach ihn dir besser nicht zum Feind.«
Dann drückt mir Zoey ein paar Dosen in die Hand. »Komm, wir platzieren die im Keller.«
Als wir die Treppen zusammen mit ein paar anderen wieder leise nach unten gehen, frage ich Zoey flüsternd: »Was ist das eigentlich für ein Haus?«
»Unserer Rachefeldzug.« Außer dieser kryptischen Aussage, kriege ich nichts weiter aus ihr heraus.
Wir sind schon vor der Tür zum Keller, als Zoey plötzlich stehen bleibt und dann mir und den anderen beiden, die uns gefolgt sind, bedeutet, leise zu sein. Stille kehrt in das Treppenhaus. Dann kann ich Schritte von den Wänden widerhallen hören. Fragend blicke ich Zoey an und diese legt einen Finger auf die Lippen. Mit langsamem, bedächtigem Schritt schiebt sie uns in den Schatten der Kellertür, die hinter einer Biegung liegt. Die Schritte werden lauter. Ich halte den Atem an und mein Herz schlägt in meinen Ohren viel zu laut. Dann höre ich ein Pling und ein Surren. Die Schritte sind nochmal kurz zu hören, dann folgt wieder das Surren. Danach bleibt es still. Hinter mir höre ich Zoey aufatmen und sie öffnet geschickt die Kellertür.
Als sie hinter uns die Tür schließt, umfängt uns die Dunkelheit, bis einer der beiden Jungen eine Taschenlampe anknipst und sich unter das spitze Kinn hält.
»Willkommen in der Hölle«, flüstert er grinsend. »Seid ihr bereit, eure Seele abzugeben und für immer zu leiden?«
Der Junge neben ihm flüstert: »Beachtet Jess nicht. Er denkt öfter mal von sich, dass er ein übernatürliches Wesen ist, am liebsten der Teufel.«
»Ich denke es nicht nur, ich bin es auch, muahaha«, antwortet Jess. Neben mir lacht Zoey leise auf. Der andere Junge hingegen antwortet: »Engel und Teufel in einem, das kann doch nicht funktionieren.«
»Mein Hübscher, ich mag vielleicht lieb wie ein Engel wirken, aber in echt bin ich ungezogen wie ein Teufel. Von meinem teuflisch gutem Aussehen mal abgesehen.« Jess zwinkert dem anderen Jungen zu.
Im schwachen Licht der Taschenlampe kann ich erkennen, wie die Wangen seines Freundes einen roten Ton annehmen und er die Augen rollt. Dann wendet er sich mir zu. »Ach, ich hab mich vergessen, vorzustellen. Keno ist mein Name.«
»Lavita«, erwidere ich.
»Hab ich schon mitbekommen«, sagt Keno und schaltet dann seine eigene Taschenlampe an. »Nett dich kennenzulernen.«
»Gleichfalls.«
Zoey zieht mich auch mit einer Taschenlampe bewaffnet in die eine Ecke und legt ihr dosenartiges Ding ab. Ich will meins daneben legen, aber sie schaut mich nur verwirrt an.
»Das bringt doch nichts, wenn die direkt nebeneinander stehen.«
»Du willst die einfach alleine lassen? Die Armen, dabei haben die sich so lieb«, sage ich und stoße mit meiner sanft gegen ihre.
»Vorsicht!«, zischt sie und hält ihre fest. Schulterzuckend platziere ich meine Dose also weiter weg. Dann zieht Zoey einen Draht hervor und legt ihn zwischen den Dosen aus.
Als wir dieses Prozedere mit allen Dosen durchgeführt haben und alle miteinander verbunden sind, begeben wir zwei uns zu der Kellertür.
»Leute«, zischt Zoey in die Stille und leuchtet mit der Taschenlampe an die Wände. Ich höre aus der einen Ecke ein leises Rumpeln und dann kommen Jess und Keno um die eine Kellerecke, mit den Taschenlampen bewaffnet. Keno wirft mir einen warnenden Blick zu und sagt: »Das hier bleibt unter uns, ja?«
Ich bin mir nicht ganz sicher, was er meint, aber ich nicke. Zoey stellt eine letzte Dose, die mit den Kabeln verbunden ist, ab und legt einen Schalter um.
»Jetzt Beeilung«, flüstert sie und scheucht mich aus dem Keller. »Sonst werden wir wirklich der Hölle einen Besuch abstatten.«
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