34 | Fragen
Keiner von uns beiden sagt noch etwas. Wieder einmal habe ich Schweigen herbeigeführt.
Ich schaue auf das Meer hinaus, in dem ich Moon-Man und seine Kumpaninnen betrachte. Sie schimmern wundervoll darin. Etwas verschwommen – nicht nur aufgrund meiner glasigen Augen, sondern weil sich das Wasser sachte bewegt. Dadurch werden die Gebilde leicht gebrochen, was sie nicht minder wunderschön macht. Es zeigt sie lediglich aus einer anderen Perspektive.
Vielleicht ist es genauso wie bei einer Bruchbude ...
Die Stille ist nicht unangenehm, und dennoch keine, in der ich mich fallenlassen kann. Es wird jederzeit so weit sein, dass Baggy sich verabschieden wird. Ich bin unversehrt. Er hat sich vergewissert und kann zurückgehen. Zu Balou. Beziehungsweise sollte er wohl eher mal nach Hause gehen. Wo auch immer das sein mag. Wahrscheinlich warten seine Eltern schon. Vermutlich machen sie sich Sorgen. Immerhin haben sie bereits ein Kind verloren. Oh Gott. Wieso ist er noch hier?
»Das hat doch ganz gut geklappt oder nicht?«, fragt er in die Stille hinein. Das allein überrascht mich nicht – nicht bei ihm. Vielmehr, dass er nicht auf mein Gesagtes eingeht. Ob er das nicht tut, weil er keine Antwort darauf weiß?! Oder hat er es nicht gehört; nicht richtig verstanden? Oder möchte er mich wirklich nicht bedrängen? Oder nimmt er es womöglich einfach so an? Geht das, ist das möglich?
Ich positioniere mich um, sodass wir nun wieder seitlich nebeneinander sitzen, und lege meinen Kopf etwas schräg, um ihn anschauen zu können. »Was genau meinst du?«, hake ich nach, weil ich mir nicht sicher bin, es richtig zu verstehen. Ist das seine Art, sich zu verabschieden à la ›Ja, das war doch ganz nett, bis denne‹?
»Mit dem, dass jeder die Frage beantwortet.«
Ach so. Da lag ich ja nur ganz minimal daneben mit meinen Vermutungen. »Das stimmt. Es hat die nervige Gegenfragerei gestoppt«, bestätige ich ihn, leicht auflachend.
»Was hältst du davon, wenn wir das weiter machen?«
»Wie eine Art Verhör?«, schrecke ich auf.
»Nein Mo, zum Kennenlernen«, versucht er mich zu beschwichtigen, aber ...
»Das kann ja irgendwie auf das Gleiche hinauslaufen oder?«
Er hebt die Hände. »Kann. Vieles kann, aber es kommt ja auf uns an.« Er zwinkert mir zu. »Lass uns mit leichten Fragen anfangen.«
»Und was sind solche leichten Fragen?«
Und zack, es beginnt schon wieder. Frage erzeugt Gegenfrage. Ob wir das je hinbekommen? Langsam zweifele ich daran. Vielleicht war das eben nur eine Ausnahme.
»Frag du mich etwas, was du auch selbst beantworten würdest«, meint er dann und scheint mit diesem Vorschlag sichtlich zufrieden zu sein. Mich stellt das jedoch vor das nächste Problem. Was will ich denn von mir erzählen? Was gibt es da überhaupt zu sagen, was interessant sein könnte? Und ... was kann ich ihn fragen, womit ich ihn nicht vor dem Kopf stoße? Es gäbe Fragen, dessen Antworten mich von ihm interessieren, aber auf die ich selbst keine Antwort habe oder geben kann.
»Ich weiß nicht«, gebe ich zurück. Er lässt die Schultern hängen und sofort fühle ich mich wieder schlecht. Aber ich weiß es einfach nicht. »Tut mir leid, Gabe.«
»Schon gut. Vielleicht fällt mir ja eine Frage ein?« Auf meine Bestätigung wartend sucht er den Blickkontakt zu mir, bis ich mich zu einem Nicken durchringe. Wie schlimm soll es noch werden können? Er gibt sich ja wirklich Mühe.
Nach einer Weile, in der er wahrscheinlich überlegt hat, stellt er die erste Frage. »Lieblingsfarbe?«
Ich schnappe nach Luft. Im nächsten Moment muss ich an Katniss aus Tribute von Panem denken, da sie es – zwar mehr aus Scherz als Ehrlichkeit – sagte, was ich fühle. Viel zu intim. Eigentlich nicht wegen der Frage an sich, sondern wegen der Antwort. Warum muss er auch diese blauen Augen haben?
»Blau«, flüstere ich.
»Meine auch«, antwortet er, womit ich die erste Runde überstehe.
Dann folgt wieder nichts. Bin ich jetzt dran? Funktioniert das so? Immer abwechselnd? Ohne Spielregeln an so etwas teilzunehmen ... ist anstrengend. Ich kenne mich mit so was nicht aus.
»Machen wir weiter?«, fragt er nach einer kurzen Pause nach.
»Okay«, antworte ich, ohne bewusst darüber nachgedacht zu haben.
»Wenn du etwas nicht beantworten willst, dann sag das. Ich versuche, mir möglichst easy leichte Fragen zu überlegen. Aber sei nicht zu streng mit mir, wenn mir das nicht gelingt.« Wieder sucht er den Blickkontakt, wobei er etwas schmunzeln muss. Wahrscheinlich bemerkt er, dass etwas meiner Anspannung nachgelassen hat. »Und auch nicht, wenn ich mal kurz brauche, bis mir die nächste Frage einfällt. Deal?«
»Deal«, antworte ich grinsend.
Vielleicht ist ja das hier – was auch immer das hier gerade ist – mein Gutes. Das, was ich mir herbei gewünscht habe. Er gibt sich Mühe, ich werde mir Mühe geben. Das ist mein persönlicher Deal obendrauf.
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