
Kapitel 3 | Xander
Der Flug von Manchester nach London stellte sich als die pure Hölle heraus. Da der Flieger erst seit zwanzig Minuten in der Luft war, war dieser Status eine wahre Meisterleistung.
Nicht nur befand sich mein Sitzplatz zwischen Tweedledum und Tweedledee - die beide die Armlehnen für sich beansprucht hatten -, zwei Reihen vor mir schrie ein Baby seit dem Take-off wie am Spieß. Die wortreichen Entschuldigungen der Eltern gingen komplett an mir vorbei. Da bahnten sich Kopfschmerzen an.
Zu allem Überfluss war dann auch noch Anthony Hamilton – erbitterter Feind meiner Familie – aufgetaucht. Was hatte er in diesem Flieger zu suchen, fragte ich mich kurz, ehe mir aufging, dass er wahrscheinlich aus demselben Grund hier war wie ich. Im Gegensatz zu Hathersage Hall, lag das Anwesen der Hamiltons irgendwo in näherer Umgebung zu Manchester. Wenn ich mich richtig erinnerte, verfügten sie sogar über einen privaten Helikopter. Solche Sperenzchen hatte sich meine Familie nie zugelegt und wie man sah, musste auch ein Anthony Hamilton auf Linienflüge zurückgreifen.
Elender Angeber, der er trotz dessen war, hatte er sich natürlich in der ersten Klasse bei Wein und Champagner gemütlich gemacht.
Als er mich eingequetscht zwischen Tweedledum und Tweedledee entdeckt und erkannt hatte, hatte er nur ein höhnisches Grinsen für mich übriggehabt. Er dachte wahrscheinlich ebenso wie ich, dass er das Million-Dollar-Baby zuerst finden würde. Na ja. Oder in diesem Fall eher das Half-Million-Dollar-Baby.
Meine Kopfhörer konnten dem Plärren des Kindes leider schon seit langem nichts mehr entgegensetzen. So saß ich mit geschlossenen Augen und innerlich gegen die Migräne ankämpfend da, als mich jemand an der Schulter antippte.
Verwundert schaute ich in das Gesicht der jungen Stewardess. Sie lächelte und ich wollte bereits dankend abwinken, als ich sah, dass sie gar keinen Servierwagen bei sich hatte. Mein Sitznachbar stieß mir den Ellenbogen unsanft in die Seite. Hastig zog ich mir die Kopfhörer von den Ohren. Meine Wangen brannten stärker, je länger sie mich so durchdringend anschaute.
»Mr Cascone?« Sie hob die Augenbrauen abwartend und machte eine Handbewegung Richtung Heck.
»Sorry ... Haben Sie etwas gesagt?«, fragte ich stockend und wollte mir für meine Dämlichkeit selbst gratulieren. Tweedledee stöhnte. Wie macht man sich lächerlich in weniger als fünf Sekunden? Sollte mein Leben je verfilmt werden, wäre das der passende Titel.
»Mr Hamilton erwartet Sie in der ersten Klasse, Mr Cascone.«
Mr Hamilton erwartet mich ... in der ersten Klasse. Köpfe wandten sich zu mir um, manche argwöhnisch, manche neugierig. Selbst das Baby gab für ein paar Minuten Ruhe. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter.
»Wie ... bitte?«, erklang es heiser aus meinem Mund.
»Wenn Sie mir bitte folgen möchten.« Das war keine Frage, sondern ein Befehl. Wollte ich mit Hamilton reden? Scheiße nein. Hätte ich alles getan, um Tweedledum und Tweedledee, die äußerst aufgebrachte Blicke tauschten, und Boss Baby zu entkommen? Scheiße ja.
Hektisch riss ich mein Gepäck aus der Gepäckablage, entschuldigte mich bei Tweedledum, dem ich mit meinem Zentner schweren Rucksack hart an der Schulter traf und machte mich daran, der Stewardess zu folgen.
»Bitte sehr, Sir.«
Wann war ich das letzte Mal mit Sir angesprochen worden? An Veranstaltungen, die ich mit Dad und Veit besuchte (Dad hatte irgendwas von Familie repräsentieren gesagt) ignorierte man mich meistens. Ich war ja nur der jüngste Sohn von Renzo Cascone. Das Imperium ging an Veit und damit an den viel interessanteren Sprössling über. Ehrlich gesagt, war es mir so lieber, selbst wenn mir dieses Unsichtbarsein und »Und wer sind Sie?« oftmals bitter auf den Magen schlug. Manch ein Geschäftspartner meines Vaters behauptete ja sogar eisern, dass Renzo Cascone nur einen Sohn hatte.
Nope. Da kam ich und machte der schönen Illusion ein abruptes Ende.
Ich musste mich allerdings fragen, ob Dad dieses Missverständnis nie aufgeklärt hatte, weil er es schlichtweg nicht mitbekommen hatte oder weil er es nicht aufklären wollte.
Na gut. Sollte mir nur recht sein. Was kümmerte es mich? Kein Grund sich darüber aufzuregen. So hatte ich überhaupt erst die Chance und die Zeit gehabt, meine wahren Träume zu verfolgen.
Nach all den Empfängen, Geburtstagen und Wahlpartys, war es so gesehen auch gar nicht so verwunderlich, dass Anthony Hamilton mich erkannt hatte. Veit und ich sahen uns ähnlich, so wie Brüder sich eben ähnlich sahen, mit dem für einen Cascone typisch braunem Haar, der markanten Nase und den sonst weichen Gesichtszügen von unserer Mutter. Veit war jedoch bei weitem trainierter als ich.
Die Stewardess öffnete einen Zugang und ich folgte ihr mit einem beklemmendem Gefühl in der Brust.
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